Wohin der Wind weht

Das Herzstück der größten Windenergieanlage der Welt stammt von der MAN.

Von Winfried Kretschmer

Die Windenergie hat sich zu einer stattlichen Industriebranche entwickelt, die auch für Großmaschinenbauer interessant wird. Mit dabei ist die MAN-Gruppe. Das Getriebe und die Nabe der größten Windenergieanlage der Welt stammen aus den Augsburger Werkstätten von RENK AG und MAN B&W Diesel.

Das fertige 5-Megawatt-
Getriebe ...
"Growian", das war eine wenig charmante Bezeichnung für eine Technologie, die als "sanft" galt. "Growian" stand für "Große Windenergieanlage", und das war noch untertrieben. Denn mit einer Turmhöhe von hundert Metern und einer geplanten Leistung von drei Megawatt war Growian mit weitem Abstand die größte Windenergieanlage der Welt. Das war zu Beginn der 80er Jahre. Doch der Lorbeer war schnell verwelkt. Nach nicht einmal 400 Betriebsstunden wurde das Ungetüm wieder abgerissen, vor allem, weil man sich in der Politik nicht über die energiepolitische Linie einig war.
Zu früh war man in diese Technik eingestiegen, ohne der Entwicklung Zeit zu geben. Nach dem Scheitern des Projekts ging es klein weiter. 100, 200, 300 Kilowatt waren die Leistungsschritte in der Weiterentwicklung. Für die RENK AG, die das Getriebe für den Growian gefertigt hatte, war diese Größe uninteressant. Denn der zur MAN-Gruppe gehörende Spezialist für Antriebstechnik ist Hersteller von Großgetrieben; die damaligen Windturbinen waren mehrere Nummern zu klein. Doch die Windenergie hat sich mittlerweile zu einer stattlichen Industriebranche entwickelt und ist damit auch für Großanlagenhersteller wieder interessant geworden.

Spitzenreiter in der Windkraftnutzung.


Heute ist Deutschland Spitzenreiter in der Windkraftnutzung. Jede dritte Windenergieanlage der Welt dreht sich in Deutschland, rund 14.300 sind es derzeit. Um die Windenergie hat sich eine stattliche Industriebranche mit 45.000 Arbeitsplätzen und einem Jahresumsatz von fast vier Milliarden Euro entwickelt. Die Wachstumsrate war jahrelang zweistellig. Mehr noch: Die Windräder haben ihr alternatives Image abgelegt. Sie gelten nun, wie die Süddeutsche Zeitung unlängst schrieb, "als Symbole technischen Fortschritts". Mit den selbst zusammengeschraubten Windrädern der alternativen Anfangsjahre haben die heutigen Windenergieanlagen nichts mehr gemein. Eher schon mit dem Growian, den die damalige Alternativbewegung als "großtechnische Lösung" abgelehnt hatte - denn "small" galt damals als "beautiful". Die heutigen Windenergieanlagen hingegen sind Hightech-Produkte, die einen hohen Standard der industriellen Fertigung erfordern.

Der Wind weht offshore.


... vom Guß der Windradnabe bis zur Montage.
Die Zukunft der Windenergie liegt auf hoher See, weitab von den Küsten, die Weichen sind in Richtung offshore - englisch für "auf offener See" - gestellt. Weil der Wind hier konstanter und heftiger bläst, ist die Ausbeute nicht nur über 40 Prozent höher als im Binnenland, wo die Windanlagen zudem auf Gegner stoßen. Das Wort von der "Verspargelung der Landschaft" macht die Runde. 30 Kilometer vor der Küste lassen sich dagegen große Windparks mit 80 oder 100 Anlagen an einem Ort realisieren. Das freilich erfordert neue technische Lösungen, die unter den rauen Bedingungen auf offener See einen reibungslosen Betrieb gewährleisten.
Der Trend geht zur Großanlage. Gut ein Jahr, nachdem Enercon in der Nähe von Magdeburg eine Windanlage mit einer Leistung von 4,5 Megawatt errichtet hat, schickt sich die Neumarkter Pfleiderer Wind Energy an, den Größenrekord mit einer 5-Megawatt-Anlage zu brechen. Und der Hersteller REpower hat auf der Windenergie-Messe in Husum unlängst ebenfalls ein Projekt für eine Anlage der 5-Megawatt-Klasse vorgestellt. Pfleiderer indes hat mit dem Bau bereits begonnen. Die Baugrube für den 100 Meter hohen Turm ist ausgehoben, der Turbinenkopf der Windanlage ist schon zusammengebaut und wurde Ende Oktober geliefert. Hierbei setzt der Newcomer, der erst seit drei Jahren im Geschäft ist, auf ein vollkommen neues Anlagenkonzept, das speziell für den Offshore-Einsatz entwickelt worden ist. Die so genannte "Multibrid-Anlage" zeichnet sich durch eine extrem kompakte Bauweise aus. Dadurch fällt der Turbinenkopf wesentlich kleiner aus als bei herkömmlichen Windanlagen.
Im Falle eines Defekts ist dann allerdings eine Reparatur vor Ort nicht mehr möglich. Und auch nicht sinnvoll, meint Rudolf Heydecker, der Geschäftsführer von Pfleiderer Wind Energy. "Die ganze Umgebung dort ist salzhaltig", gibt er zu bedenken. "Wir entwickeln eine komplette Anlage inklusive Wartung und Service reinrassig für offshore", umschreibt er das Konzept der Firma. Bei der Realisierung setzt man auf Partner, die über Erfahrung mit Maschinen dieser Größenordnung verfügen. Gerade bei dem Prototyp lege man Wert auf erstklassige Qualität, betont Heydecker. Den Generator baute der französische Hersteller Alstom, die Nabe und das Getriebe kommen aus dem bayerischen Augsburg. Die Nabe, an der die 56 Meter langen Rotorblätter befestigt werden, stammt von der Gießerei des Dieselmotorenherstellers MAN B&W Diesel, das Getriebe von der ebenfalls zur MAN-Gruppe gehörenden RENK AG. Für beide Produkte gilt: Es gibt weltweit nur wenige Hersteller, die Teile dieser Größenordnung in der erforderlichen Präzision fertigen können.

Die größte Windradnabe der Welt.


Als die Windturbinen immer größer wurden, eröffnete sich den Großmaschinenbauern ein interessantes neues Geschäftsfeld. Die MAN ging auf namhafte Hersteller der Windbranche zu und konnte sich als Hersteller der großen gegossenen Windradnaben einen Namen machen. Heute ist das schon Routine. "Wir gießen jeden Arbeitstag eine Nabe für eine Anlage der 1,5-Megawatt-Klasse", erzählt Jochen Wyrtki, stellvertretender Leiter der Gießerei. Mit einem Durchmesser von vier Metern und einem Gewicht von 56 Tonnen war die Nabe für den neuen Prototyp dagegen eine wirkliche Herausforderung - schließlich ist es die größte Windradnabe, die jemals gegossen wurde. Damit das Ergebnis exakt den Berechnungen entspricht, wird der Guss vorher am Computer simuliert. "Ohne Erstarrungssimulation erreicht man kein befriedigendes Ergebnis", betont Wyrtki. Die Computersimulation macht es möglich, die Geometrie dem erkaltenden Metall anzupassen und so eine noch höhere Präzision des Bauteils zu erreichen.
Wie für die Gießerei wurden die großen Windenergieanlagen auch für RENK wieder interessant. "Als sich die Entwicklung auf eine Leistung von 1,5 Megawatt zubewegte, waren wir der Ansicht, dass wir uns wieder um das Thema kümmern sollten", erinnert sich Peter Boiger, der bei RENK den Vertrieb für Industriegetriebe leitet. Das Thema war heiß, denn eben zu jenem Zeitpunkt hatte eine Pannenserie bei Windkraftgetrieben die Branche aufgerüttelt. Mit dem "AEROGEAR" entwickelte RENK ein völlig neues Getriebe, das 2001 auf den Markt kam. Es zeichnet sich durch lange Lebensdauer und hohe Betriebssicherheit, einen hohen Wirkungsgrad und hohe Laufruhe aus. Bei RENK sieht man die Neuentwicklung in erster Linie als neue Anwendung, auch wenn der Marktanteil nicht sehr groß ist. "Wir sind kein bedeutender Spieler, sondern eher der technische Schrittmacher", stellt RENK fest. Das wird offensichtlich auch in der Branche so gesehen. Denn auch der Auftrag für das zweite 5-Megawatt-Getriebe landete bei RENK, ein Erfolg, den man dem konsequent verfolgten Ziel der maximierten Betriebszuverlässigkeit zuschreibt. Auftraggeber: REpower, der große Konkurrent von Pfleiderer im Wettlauf um den Rekord beim Windradbauen. Den Growian hat man dabei längst hinter sich gelassen. Ganz verschrottet wurde die Anlage übrigens nicht. Das Getriebe hat RENK zurückgekauft. Es läuft heute noch auf dem Prüfstand der Firma in Augsburg.

Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.

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Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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