Schneller, höher, weiter denken
Spurwechsel. Wirtschaft weiter denken - das neue Buch von Walther Ch. Zimmerli und Stefan Wolf (Hg.).
Von Peter Felixberger
Gerade ist eines der besten Wirtschaftsbücher im Herbst erschienen. Nicht nur, weil hier Peter Felixberger redaktionell ordentlich mitgemischt hat. Sondern vor allem, weil hier sieben Querdenker über den Tellerrand der Wirtschaft blicken und diese auf je faszinierende Weise weiter denken: Ulrich Beck, Ralf Dahrendorf, Reinhard K. Sprenger, Gerhard Roth, Gerhard Schulze, Hansjörg Bullinger und Adolf Muschg. Ein Buch voll unerwarteter Zugänge, überraschender Einsichten und neuer Einblicke in Begrifflichkeiten, die alle zu kennen glauben.
Volkswagen beschäftigt weltweit 340.000 Mitarbeiter. Das wollen sie auf der Basis folgender gemeinsamer Wertvorstellungen und Leitlinien tun: Respekt, Verantwortung, Höchstleistung, Kundennähe, Werte schaffen, Nachhaltigkeit und Erneuerungsfähigkeit. Das Problem: Werte zu formulieren ist nicht schwierig, sie umzusetzen umso mehr. Deshalb gab und gibt es zahlreiche Projekte bei Volkswagen, die sich mit Letzterem intensiv beschäftigen. Auch die konzerneigene AutoUni wollte da nicht abseits stehen und steuerte ein ambitioniertes Projekt bei.
Die Konzernwerte, so die Idee der AutoUni-Verantwortlichen, sollten von außen kritisch durchleuchtet werden. Im Diskurs mit Vor- und Querdenkern, die dem Unternehmen ehrlich sagen, was davon zu halten sei. So entstand eine siebenteilige Vortragsreihe mit "unerwarteten Zugängen, irritierenden Erkenntnissen, überraschenden Einsichten und neuen Einblicken in Begrifflichkeiten, die alle zu kennen glauben". Auf Basis dieser Vorträge wurden dann im nächsten Schritt erweiterte Manuskripte für ein Buch angefertigt. Unter der redaktionellen Federführung von changeX-Geschäftsführer Peter Felixberger.

Sieben auf einen Streich.


Der Bremer Gehirnforscher Gerhard Roth machte den Anfang. Sein Text über Höchstleistung ist ein Glanzstück. Vor allem die Einsicht, dass Höchstleistung ausschließlich das Ergebnis von intrinsischer Motivation sei. Wer hingegen von oben oder außen zur Höchstleistung verdonnert wird, wird selbige nie zurückgeben. Ebenso unumstößlich ist die Einsicht, dass Intelligenz und Kreativität angeboren sind. Wer also glaubt, jeden Mitarbeiter per Weiterbildung und Training zur Höchstleistung trimmen zu können, irrt ebenso. Roth schreibt: "Wir verändern uns nur in dem Maße, in dem unser Gehirn bereit dazu ist. Einer der größten Irrtümer in der Erziehung und der Personalführung ist es zu glauben, Menschen würden ihr Verhalten dann ändern, wenn wir ihnen unsere logisch zwingenden Argumente nur hinreichend deutlich vermittelt haben."
Der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Hansjörg Bullinger, macht sich wie kein zweiter Gedanken über Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für Innovationen. In seinem 75-seitigen Essay erläutert er, warum Unternehmen, die den Mut haben, sich ständig neu zu erfinden, erfolgreicher am Markt operieren. Immer wieder die Grundlage des Erfolges hinterfragen ist für Bullinger die Voraussetzung, um morgen überhaupt überleben zu können. "Gerade in turbulenten Zeiten muss ein Unternehmer den Akt der schöpferischen Zerstörung meisterhaft beherrschen." Hinzu kommt, und Bullinger arbeitet das sehr genau heraus, dass sich auch jeder Einzelne immer wieder neu erfinden muss.
Der Bamberger Soziologe Gerhard Schulze beschäftigt sich mit dem Begriff Kundennähe. Sein Fazit lautet: Wer Kunden nahe sein will, muss sie zunächst verstehen, und nicht nur versuchen, sie quantitativ zu erfassen, um sie in ein Mengengerüst zu bringen, also mit ihnen zu "rechnen". Der Kunde von morgen möchte vom Konsum nicht immer nur getrieben sein, sondern verstanden werden. Nur dann wird er kooperieren. Die Steigerungslogik des Immer-mehr führt hingegen dazu, dass der Kunde am Ende des Tages unverstanden in der Ecke liegt und sich abwendet.
Ralf Dahrendorf, einer der Meisterdenker der Gegenwart und Mitglied des britischen Oberhauses, untersucht den Begriff Verantwortung. Diese ist für ihn immer dann gegeben, wenn sie langfristig ausgelegt wird. Verantwortung heißt aber auch, dem anderen Freiraum für eigene Entscheidungen einzuräumen. Und damit für Mut, Kreativität und Phantasie. "Verantwortung bedeutet, dass dem Einzelnen ein breiter Spielraum des Ermessens gewährt und dieser durch Vertrauen, nicht durch ständige Sanktionen garantiert wird", schreibt Dahrendorf.
Managementautor Reinhard K. Sprenger provoziert mit seinen Ausführungen über Nachhaltigkeit. Der Begriff sei eine Junk-Food-Formulierung von Öko-Freaks, emotional geschwollen und inhaltlich dürftig. Überdies ein Ablenkungsmanöver von den eigentlichen Aufgaben. Die Rückbesinnung auf das "Wurzelbewusstsein", auf Unternehmenskultur und Personalarbeit, auf gute Produkte, Innovationen und verantwortliches Handeln sind erste Schritte, Nachhaltigkeit neu zu definieren. Wettbewerbsfähig sein ist nachhaltig. Mit Innovationen statt Subventionen. "Von denen, die im Schutz leben, ist nichts zu erwarten", zitiert Sprenger den deutschen Philosophen Martin Heidegger.
Deutschlands bekanntester Soziologe ist Ulrich Beck. Sein Beitrag "Kosmopolitisch denken, glokal handeln!" beschäftigt sich mit dem Thema "Werte schaffen". Die These: In der neuen Weltgesellschaft werden die Unterschiede lokal immer deutlicher. "Was die Menschen scheidet - religiöse, kulturelle und politische Unterschiede -, ist an einem Ort, in einer Stadt, immer öfter sogar in einer Familie, in einer Biografie präsent." Überall formatiert sich eine multiple Welten-Gesellschaft. Wie geht die Wirtschaft damit um? Eben nicht mit der Diktatur der McDonaldisierung und Vereinheitlichung der Welt, sondern, so schlägt Beck vor, mit Weltoffenheit und Kosmopolitismus. In einer grenzenlosen Welt ist die Anerkennung der kulturell Anderen Voraussetzung jeglicher Kommunikation und Interaktion.
Schließlich der Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg. Für ihn entsteht Respekt vor allem durch die Art, wie wir miteinander umgehen. Es ist immer das ehrliche Bemühen, den oder das Andere in seinem eigenen Streben zur Geltung kommen zu lassen. Fragt sich nur, warum so wenig Respekt herrscht. Zwischen den Kulturen und zwischen den Menschen. Muschg zitiert den großen Dichter Robert Walser mit den Worten: "Ich erlaube niemandem, sich so zu benehmen, als kennte er mich." Daraus leitet Muschg den tiefsten Grund für zwischenmenschlichen Respekt ab. "Wer den Nächsten als unbekanntes Wesen behandelt, der lässt ihm zugleich seine Freiheit und schreibt ihm nicht vor, wozu er sie zu gebrauchen hat."
Der Präsident der Volkswagen AutoUni, Walther Ch. Zimmerli zeigt in seinem abschließenden Beitrag, wie globale Unternehmen in immer komplexeren, unübersichtlicheren Strukturen erfolgreich handeln. Er plädiert für eine neue, wertorientierte Lernkultur, die sich an Grundwerten ausrichtet und die Folgen ihres Tuns beachtet. In diesem Sinne ist es Zimmerli letztlich gelungen, mit allen anderen Autoren zusammen den Rahmen einer anderen und neuen Wirtschaftskultur zu skizzieren. Eine, die auf Toleranz und gegenseitiger Achtung basiert. Der humane Kapitalismus wird in diesem Buch endlich auch hierzulande auf höchstem intellektuellen Niveau diskutiert.

Peter Felixberger ist Publizist und Geschäftsführer von changeX.

Walther Ch. Zimmerli / Stefan Wolf (Hg.):
Spurwechsel.
Wirtschaft weiter denken,

Murmann Verlag, Hamburg 2006,
304 Seiten, 25 Euro,
ISBN 3-938017-64-3
www.murmann-verlag.de

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: Spurwechsel. Wirtschaft weiter denken. Murmann Verlag, Hamburg 1900, 304 Seiten, ISBN 3-938017-64-3

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Autor

Peter Felixberger

Peter Felixberger ist Publizist, Buchautor und Medienentwickler.

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