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Wirtschaft beginnt mit Wir

Wahre Loyalität braucht Freiheit, um zu wachsen – ein Essay von Anne M. Schüller.
Text: Anne M. Schüller

Kundenbindung funktioniert nicht mehr. Denn sie geht vom Unternehmen aus. Heute aber wollen Kunden von sich aus loyal sein. Der freiwilligen Treue gehört die Zukunft. Zugehörigkeit erleben, füreinander einstehen, gemeinsam erfolgreich sein: das sind die Zutaten, die Loyalität wachsen lassen. Wirtschaft beginnt mit „Wir“.

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Loyalität ist keine vor- oder nachgelagerte Stufe der Kundenbindung. Und beides ist auch nicht identisch. Loyalität ist sehr viel mehr – und auch sehr viel wertvoller. Denn Loyalität ist freiwillige Treue. Sie entsteht durch Anziehungskraft und nicht durch Druck oder Zwang. Sie kann niemals eingefordert werden. Man bekommt sie vielmehr aus Überzeugung geschenkt. Loyalität geht also vom Kunden aus. Er könnte jederzeit wechseln, will aber nicht. Die Basis dafür? Problemlösungen und gute Gefühle. Problemlösungen sind dabei das Pflichtprogramm, das Erzeugen guter Gefühle die Kür. 

Der Unterschied zwischen Bindung und Loyalität erzeugender Verbundenheit wird sichtbar, wenn wir dies aus der Perspektive des Kunden betrachten. Sagt er: „In bin an das Unternehmen gebunden“, so hat dies eine verhaltensbezogene Komponente und einen erzwungenen Touch. Sagt er hingegen: „Ich fühle mich dem Unternehmen verbunden“, so hat dies eine emotionale Komponente – und beinhaltet das Empfinden von Freiwilligkeit und Selbstbestimmung.  

Jede funktionierende Kundenbeziehung löst immer auch gute Gefühle aus. Und Geldscheine sind Stimmzettel. Letztlich zahlen wir für einen Zuwachs auf unserem Glückskonto, nämlich für die Erfüllung von Sehnsüchten, Hoffnungen, Wünschen und Träumen. Kurz: Menschen wollen frei sein – und sich glücklich kaufen.  

Emotionalität ist die sicherste Möglichkeit, Kunden auf Dauer zu halten. In der Fachliteratur wird in diesem Zusammenhang zwischen „Behavioral Loyalty“ und „Emotional Loyalty“ unterschieden. Verhaltensbezogene Loyalität endet, sobald eine bessere Alternative in Reichweite ist. Emotionalisierende Loyalität hingegen erwächst aus fortdauernder Attraktivität und ist deshalb zeitlich unlimitiert.


Wahre Loyalität braucht Freiheit, um zu wachsen


Wie die Instrumente des aggressiven Push-Marketing so sind auch die maliziösen Werkzeuge des Kundenbindens veraltet. Klassische Kundenbindungsinstrumente versuchen, Kundentreue zu erkaufen, Anbieterwechsel zu bestrafen oder Abwanderungshindernisse aufzubauen. Sie streben danach, den Kunden durch Systeme an das Unternehmen zu binden, sei es etwa durch eine Kundenkarte, einen Knebelvertrag mit Ausstiegsklauseln oder ein Abo mit Fallstricken. Dabei haben Bestandskunden – mehr oder weniger verschleiert – in vielen Branchen höhere Tarife oder schlechtere Konditionen als Neukunden. In aller Regel wird Freiwilligkeit reduziert, Vorteile werden an Bedingungen geknüpft, eine vorzeitige Kündigung wird sanktioniert oder ganz unterbunden.  

Wechselbarrieren richten sich gegen den Kunden, sie sind aggressiv und letztlich kontraproduktiv. Sie folgen dem „alten“ Marketing: Verteidigungsmechanismen, Marktanteilsschlachten und „Wir sind im Krieg“-Geschrei. Unannehmlichkeiten und Kosten, die durch einen Anbieterwechsel entstehen, sollen den Kunden bewegen, auf einen Ausstieg lieber ganz zu verzichten. Ein solches Vorgehen will gut überlegt sein, denn es widerspricht dem Menschheitstraum von Freiheit und Autonomie. Man kann Menschen nicht in eine Zwangsjacke stecken, um ihre Loyalität zu sichern. Vor allem die Social-Media-Generation reagiert darauf höchst allergisch.  

Kunden hinter Maschendrahtzaun einzupferchen und beim ersten Ausbruchsversuch mit Stromschlägen – sprich Wechselkosten – zu bestrafen, ist kontraproduktiv. Dass es auch weiterhin probiert wird, offenbart nur die selbstzentrierte, managementbezogene und immer noch arrogante Sicht der Unternehmen, die vom treudoofen Verbraucher ausgeht, auf dessen Kosten man sich Vorteile verschaffen und sich bereichern kann. Oder sie baut auf die Unwissenheit und Trägheit der Kunden. Doch Kunden sind heute nicht mehr ahnungslos und isoliert, sie sind agil, gut vernetzt und bestens informiert.


Von Fesselspielen verabschieden


Deshalb ist ein partnerschaftliches Einbinden der Kunden in jedem Fall erfolgversprechender, als der mühsame Aufbau von Wechselhürden. Denn wahre Loyalität findet im Geiste statt. Und sie braucht Freiheit, um zu wachsen. Das Dumme an der Freiheit ist allerdings: Sie beinhaltet die Möglichkeit zur Untreue. Doch ohne Freiheit kann es auch keine Treue geben.  

Wechselhürden sind eine trügerische Illusion. Denn Abwanderungen können damit nicht verhindert werden. Selbst goldener Stacheldraht kann Kunden auf Dauer nicht binden. „Ich kündige bei einem Vertragsabschluss vorsorglich schon am nächsten Tag“, schreibt mir ein Leser. Und spätestens bei Vertragsende wenden sich gebundene Konsumenten schnurstracks einem (dann gerade) besseren Angebot zu. Kurzsichtige Anbieterstrategien werden skrupellos ausgenutzt, um stets zu dem zu hoppen, der gerade am günstigsten ist. Ein Teufelskreis, der ganze Branchen in den Abgrund zieht.  

Nicht zu vergessen: Bindungsprogramme, wie etwa Loyalty Cards, sind teuer erkaufte Kundentreue. Bis auf wenige Ausnahmen haben sie sich als Millionengräber erwiesen. Die zentralen Ziele hingegen, nämlich die Verbesserung der „Kundenpenetration“, die Erhöhung der Kundenbindung und die Senkung der Kundenfluktuation werden – wie viele Kundenmanager inzwischen kleinlaut eingestehen – nur selten erreicht.  

Demgegenüber sind Investitionen in Maßnahmen zur Kundenloyalisierung meist günstig zu haben. Man müsste nur den Mut aufbringen, sich von Fesselspielen zu verabschieden, und glauben: Wer wirklich gute Gründe hat, zu bleiben, bleibt freiwillig und gern, selbst wenn er jederzeit gehen kann. Anstatt Kunden einzusperren, sollte man besser ergründen, weshalb sie einem die Treue schwören – oder panisch die Flucht ergreifen. Das ist die Gretchenfrage, der sich jedes Unternehmen stellen muss: “Wären unsere Kunden enttäuscht, wenn wir morgen vom Markt verschwänden?“


Es muss funken zwischen Anbieter und Kunde


Loyalitätspotenzial wäre reichlich vorhanden, doch sind es meist die guten Gründe, die uns fehlen. Weil die Produkte so austauschbar sind. Weil sie uns emotional nicht berühren. Weil wir keinen Sinn darin sehen, sie zu besitzen. Oder weil wir uns mit ihnen nicht schmücken können. Unternehmen, die unsere Treue verdienen, müssen unsere Bedürfnisse nach funktionalen und emotionalen und sozialen Bedürfnissen stillen können. Bei der Auswahl und im Kaufprozess siegt schließlich das Angebot, das uns das größte emotionale Wohlgefühl verspricht. 

Wer attraktiv und auf seine Weise einzigartig ist, wer einen hohen Nutzwert bietet und tiefes Vertrauen aufbaut, weil er seine Kunden fair behandelt, wer sie immer wieder neu begeistert und stets in ihrer Wahl bestätigt, der bekommt Loyalität geschenkt – Loyalität jenseits der Vernunft. Denn Loyalität ist immer auch ein wenig irrational. So ganz genau kann man oft gar nicht erklären, was an einem Anbieter so überaus anziehend ist. Loyalität in all ihren Facetten ist, weil sie emotionale Resonanz erzeugt, so rätselhaft unergründlich. Am ehesten vergleichbar ist sie mit der Liebe: Es muss funken zwischen Anbieter und Kunde.  

Loyalität bekommt nur der geschenkt, der Kundenerwartungen – deutlich – übertrifft. Alles, was mit blumigen Werbeworten auf buntem Prospektmaterial, im Internet und vom adretten Verkäufergeschwader versprochen wird, muss nicht nur eingelöst, sondern sogar überboten werden. Überrascht, fasziniert, wie magisch angezogen und der Sache leidenschaftlich verbunden muss der Kunde sein, das ist der beste Nährboden für dauerhafte Treue.  

„Alles, was wir begehren, hat seinen Ursprung in der Leidenschaft. Leidenschaft macht bedingungslos treu. Solange man etwas leidenschaftlich begehrt, bleibt der Blick auf den Rest der Welt verstellt.“ So beschreibt der österreichische Philosoph Eugen Maria Schulak loyalisierende Leidenschaft. Leidenschaft kann beim Kunden aber nur dann entstehen, wenn sich Leidenschaft in allem offenbart, was der Anbieter tut. Sorgfältig, zuverlässig und freundlich sein, das sind Basics, das langweilt fast schon und hat noch viel mit Müssen zu tun. Damit allein fährt man keine Loyalitätspunkte ein.  

Nicht Mittelmaß, sondern Beziehungsexzellenz wird also gebraucht. Wer dabei vorrangig an der Einstellung seiner Mitarbeiter statt nur an ihrem Verhalten arbeitet, kann deutlich bessere Erfolge verbuchen. Verhalten wird über Kompetenz und Effizienz, also über Wissen und Können sichtbar, die Einstellung hingegen über das Wollen. Eine fehlende Einstellung verschlechtert die Leistung und färbt das Verhalten negativ. Es wirkt dann mühsam und lustlos oder aufgesetzt und andressiert. Das herzliche Wollen, gepaart mit Brillanz, mit Kreativität, mit einem Hauch Verrücktheit, und, na klar, mit Sexyness, das sind die Ingredienzien für Leidenschaft. Unternehmen, die solches zu bieten haben, denen folgen wir blind.


Die neue Loyalität


Es gibt Menschen, die werden von allem Neuen wie magisch angezogen. Die meisten allerdings bevorzugen das, was sie schon kennen. Den, dem sie vertrauen. Und die, wo die Erfahrungen positiv sind. Unser Hirn liebt nämlich Routinen, denn unser Hirn ist ein faules Hirn. Die Angebotsvielfalt ist schon verwirrend genug. Und mit jeder Google-Anfrage wird die Welt ein wenig komplexer. Da verschafft der Rückzug auf Bekanntes eine Atempause.  

Loyalität gefällt also dem Hirn. Es hat nämlich das Bestreben, Unsicherheit in Sicherheit und Fremdartiges in Vertrautes zu verwandeln. Es favorisiert anstrengungslose Informationsverarbeitung. Kompliziertes und Komplexes muss leicht decodierbar sein. Was wiedererkannt und als ungefährlich eingestuft wird, erhält den Vorzug. Deshalb kaufen wir Bekanntes und immer wieder Gleiches gern. Routinen entlasten und machen unserem Oberstübchen die Arbeit leicht. Loyalität heißt also auch: Brain-Convenience.  

Passt Loyalität eigentlich noch in unsere heutige Zeit?, wurde vor nicht allzu langer Zeit noch gefragt. Der beeindruckende Erfolg der Social Networks ist der beste Beweis dafür. Gerade die junge Generation, in der es so viele Schlüsselkinder gibt, ist unglaublich verbundenheitssüchtig. Denn wir Menschen sind soziale Wesen. Alles dreht sich bei uns um das Leben in der Gemeinschaft. Allein in der Wüste – der sichere Tod.  

Allerdings: Die „alte“ Loyalität, die durch bedingungslosen Gehorsam gekennzeichnet ist, kann man getrost zu Grabe tragen. Als Lieblingsanbieter zu gelten, Lebensabschnittsbegleiter seiner Kunden zu sein, möglichst lange, prosperierende Kundenbeziehungen zu gestalten, so heißt künftig das Ziel. Diese zeitgemäße Variante, die „neue“ Loyalität, ist zu schaffen.  

Die Sippen und Stammesverbände von früher, die Kommunen der Achtundsechziger, die Online-Communities von heute, ja selbst die Science-Fiction-Föderationen der fiktiven Star-Wars-Welten – alle folgen dem gleichen Prinzip: Menschen fühlen sich gut, wenn sie dazugehören und mit anderen verbunden sind. „Nichts braucht der Mensch so sehr, wie den Menschen“, haben schon die alten Griechen gesagt. Übersetzt in den Slogan „Connecting people“ machte dies Nokia zu einer der global am meisten geschätzten Marken mit einem Weltmarktanteil von 40 Prozent.  

Menschen sind sozial vernetzte Individuen. Isolation gehört zu unseren schlimmsten Ängsten. Als wertvolles und geachtetes Mitglied einer Gruppe zu gelten, gibt uns Sicherheit und Geborgenheit. Unsere Hirne sind vor allem dafür gemacht, das Zusammenleben in einer Gruppe zu meistern. Und Loyalität ist ein sichtbarer Ausdruck dafür.  

Damit sind praktisch schon alle Zutaten beisammen, die es braucht, um Loyalität zu erzeugen: Zugehörigkeit erleben, füreinander einstehen, gemeinsam erfolgreich sein. Alle dauerhaft funktionierenden Zusammenschlüsse tragen immer auch Loyalität in sich. Wir sind lieber eingebettet in eine achtbare Gemeinschaft, als ständig auf der Flucht.


Loyalität ist Zusammenhalt


So ist es die vielleicht größte Herausforderung im Loyalitätsmarketing, zu verstehen, wie Gemeinschaften funktionieren. Denn dann verstehen wir auch Loyalität. Wer Mitglied einer Gruppe ist, unterwirft sich den geschriebenen und ungeschriebenen Spielregeln wie auch den sozialen Normen, die für diese Gruppe gelten. Solche Regeln klingen in etwa so: „Hilf denen in deiner Gruppe! Steh für sie ein! Sei stolz auf sie! Sprich gut über sie! Sei loyal!“ Jeder, der in eine funktionierende Familienstruktur integriert ist, weiß, wovon ich rede. Im kleinen Kreis macht man sich schon mal über die Schrullen von Tante Lenchen lustig, aber nach außen dringt das nicht. Und alle wissen, wo Onkel Anton seinen Schnaps versteckt, aber wehe, die Nachbarn äußern einen Verdacht.  

Gemeinschaften brauchen einen ‚Schlachtruf‘ – heute nennen wir das Slogan oder Claim. Und sie brauchen ein unverwechselbares Zeichen der Zugehörigkeit. Die Logos an unseren Klamotten – das sind die Orden der Würdenträger, die Wappen der Städte und die Fahnen der Heere von früher. Logos kennzeichnen – wie die Tattoos der südpazifischen Maori oder die Narben in den Gesichtern schwarzafrikanischer Stämme – die Mitglieder einer Sippe und grenzen die „Fremden“ anderer Gruppen aus.  

Mit einem passenden Logo gehört man zum „richtigen“, also zum angesagten Stamm. Bei Fußballspielen ist all das gut zu beobachten. Aber nicht nur dort. Auch Unternehmen kennen Zeichen der Zugehörigkeit, deren Tragen im schlechtesten Fall erzwungen wird – und im Idealfall dem Stolz aufs Dazugehören entspringt. Ein guter Test: Würden Ihre Leute mit dem Mitarbeiterausweis um den Hals öffentliche Verkehrsmittel besteigen?  

Gemeinschaften brauchen Schutzräume, in denen sie prosperieren können. Positionierung und Expansionsfeld sind unternehmerische Ausdrücke dafür. Neben Spielfeldern brauchen Gemeinschaften auch Regeln und Rituale. Unternehmen haben sich diese in Form von Leitbildern und Mission Statements gegeben. Und jeder Neue kann glücklich sein, wenn er – neben den offiziellen - möglichst schnell in die unausgesprochenen, inoffiziellen Spielregeln eingeweiht wird, die noch viel wichtiger sind.  

Um den Zusammenhalt zu stärken, brauchen Gruppen, so scheint es, auch Feindbilder. Mag sich außerhalb des Unternehmens die Konkurrenz als Feindbild eignen, innerhalb einer Organisation sind Feindbilder lebensgefährlich. Und wenn der Kunde zum Feindbild wird, dann ist das tödlich. Gemeinschaften, in denen es Austausch, Integration und Vermischung gibt, prosperieren. In den neuen Geschäftsmodellen wird es mehr um Kooperation anstatt Konfrontation gehen. Und um sinnvolles Teilen an Stelle von einseitigem Abschöpfen. Der ewige Männertraum von Eroberung und Unterwerfung funktioniert nicht mehr.  

Gerade in stürmischen Zeiten rücken die Menschen enger zusammen. Sie suchen Beistand bei anderen. Bürgerinitiativen und Selbsthilfegruppen entstehen. Die Solidarität wächst. Im Business stärkt man sich durch Zusammenschlüsse: Netzwerke, Einkaufsorganisationen, Marketing-Kooperationen und Franchise-Systeme boomen. Konsumenten bilden Interessen-Gemeinschaften und setzen die Anbieter so unter Verhandlungsdruck. Online-gesteuerte Verbraucherboykotte sind inzwischen ein Massenphänomen. Und sie haben heutzutage die Kraft, Unternehmen zu zerstören.


Dem „Wir“ gehört die Zukunft


Das partizipative Social-Media-Web ist das vielleicht größte Erfolgsmodell der letzten Jahre. Es steht für Interaktion, Kollaboration und die „Weisheit der Vielen“ (James Surowiecki). Die These vom „Social Brain“ setzt sich immer mehr durch. Sie besagt, dass Menschen nicht primär auf Egoismus und Konkurrenz ausgerichtet sind, sondern auf Zuwendung und gelingende zwischenmenschliche Beziehungen. „Gemeinschaftswerte stehen wieder hoch im Kurs und nehmen entscheidenden Einfluss auf Wirtschaft, Gesellschaft und Lebensstile“, meint der Kelkheimer Zukunftsforscher Eike Wenzel. „Nach Jahren der Abgrenzung von anderen und des kompromisslosen Strebens nach individueller Selbstverwirklichung wächst heute das Bedürfnis nach Gemeinschaft“, sagt Kerstin Ullrich in der Studie Delphi 2017.  

Die „Generation We“ ist im Vormarsch. Barack Obama („Yes, we can!“) hat sich diese Bewegung zeitig zunutze gemacht. Und auch in der Werbung schlägt sich ein neues Wir-Gefühl nieder, wie eine Untersuchung des Hamburger Trendbüros in Zusammenarbeit mit Slogans.de ergab. Neben einer gestiegenen Nutzung des Wortes „gemeinsam“ zählte das englische Wort „we“ 2009 erstmals zu den Top 15 der meistverwendeten Begriffe in Werbeslogans. Dies drücke, so die Initiatoren, auch eine Forderung nach mehr Partizipation und Kooperation aus. Dem „Wir“ gehört die Zukunft. Und in jedem „Wir“ steckt eine Menge Loyalität.  

Niemand hat den Wunsch der Menschen nach Gemeinschaft und Verbundenheit so schnell verstanden wie die Besten der Online-Szene. E-Loyalty ist Treue auf elektronisch. Sie kann durch nichts erzwungen werden, sondern findet immer freiwillig statt. Spätestens hier zeigt sich also, ob ein Unternehmen Loyalität wirklich verstanden hat. Unternehmen, die – wie zum Beispiel Google und Amazon – die Online-Loyalität ihrer Kunden systematisch ausgebaut haben, sind innerhalb von zehn Jahren so groß geworden, wie es traditionelle Unternehmen in 50 Jahren nicht schaffen. Facebook, im Jahr 2004 gegründet, hatte im März 2010 schon über 400 Millionen Kunden. Kunden, die freiwillig bleiben!  

Mithilfe webbasierter Technologien kann heute jeder mit jedem verbunden sein. Kontakte und Beziehungen können auf eine Art und Weise aufgebaut und gepflegt werden, wie dies noch niemals vorher möglich war. Und die Menschen machen reichlich Gebrauch davon. Das Bedürfnis, sich mitzuteilen (Twitter: „What‘s happening“), ist riesig und die Lust, anderen beim Leben zuzuschauen, ist groß. Bei Computerspielen boomen vor allem die, in denen man in Gruppen spielen kann. Dabei werden Gemeinschaften aufgebaut – und Loyalitäten entstehen. Wenn Kunden nicht nur mit den Unternehmen sondern auch untereinander kommunizieren, so steigert dies nachweislich die Kundentreue.


Orte dichtester Emotionalität


Den Einzelnen in seinem komplexen Zugehörigkeitsnetz und schließlich ganze Gemeinschaften in Loyalitätsbeziehungen einzubinden, das wird die Herausforderung der Zukunft sein. Communities bieten die beste Chance dafür. Deshalb tun Unternehmen gut daran, ihren Kunden in realen und/oder virtuellen Communities eine Heimat zu geben. Webbasierte Communities sind der wohl effizienteste Weg, Loyalität aus der Offline-Welt in die Online-Welt und wieder zurück zu tragen. Dabei wird auf einen Schlag die Loyalität ganzer Gruppen entwickelt. Loyalitäts-Alphas, also Multiplikatoren und Meinungsführer in Sachen Loyalität, spielen dabei als Vorreiter eine wichtige Rolle. Denn die allermeisten Menschen sind nicht nur Mitmacher, sondern auch Nachmacher.  

Allerdings: Communities entstehen – sie können niemals zwanghaft gebildet werden. Ein Unternehmen hat bestenfalls die Möglichkeit, Starthilfe zu geben und eine Plattform als Treffpunkt bereitstellen. So kann es eine Gastgeberrolle einnehmen – und das Geschehen aktiv mitgestalten. Am Anfang steht immer ein tolles Produkt, eine faszinierende Marke, eine mitreißende Idee. Die Plattform ist der Ort, an dem sich enthusiastische Fans zusammenfinden, um ihre Erlebnisse zu teilen, Erfahrungen austauschen, Empfehlungen auszusprechen. Vor allem Brand Communities, also Marken-Gemeinschaften, sind Orte dichtester Emotionalität. Hier kann jedes Mitglied aus der Anonymität heraustreten und sich intensiv mit „seiner“ Marke verbinden. Hier kann er seine Marke mitgestalten. Kann seinen Gefühlen Ausdruck geben, Interessen mit Gleichgesinnten verfolgen und vor allem: seine Lieblingsmarke feiern.  

Auf diese Weise zum Co-Kreator zu werden, das gibt uns Sinn. Die Welt durch eigene Beiträge ein wenig verbessern zu können, das sorgt für Identifikation und emotionale Verbundenheit. Eine Loyalitätsgarantie ist das nicht – und die kann es auch niemals geben. Doch mitgestaltende und damit eingebundene Kunden hängen an ihrem Anbieter, sie sprechen beherzt über ihn und werden sein Wohl und Wehe rührig begleiten. Sie werden ihrer Marke die Treue halten. Dies ist wohl die beste Prävention. Denn schließlich: Wer lässt schon gerne sein eigenes Baby im Stich? 


Zitate


"Loyalität in all ihren Facetten ist, weil sie emotionale Resonanz erzeugt, so rätselhaft unergründlich. Am ehesten vergleichbar ist sie mit der Liebe: Es muss funken zwischen Anbieter und Kunde." Anne M. Schüller: Wirtschaft beginnt mit Wir

"E-Loyalty ist Treue auf elektronisch." Anne M. Schüller: Wirtschaft beginnt mit Wir

"Webbasierte Communities sind der wohl effizienteste Weg, Loyalität aus der Offline-Welt in die Online-Welt und wieder zurück zu tragen." Anne M. Schüller: Wirtschaft beginnt mit Wir

"Communities entstehen – sie können niemals zwanghaft gebildet werden." Anne M. Schüller: Wirtschaft beginnt mit Wir

 

changeX 07.05.2010. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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: Kunden auf der Flucht?. Wie Sie loyale Kunden gewinnen und halten. Orell Füssli Verlag, Zürich 2010, 208 Seiten, ISBN 978-3-280-05382-9

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Autorin

Anne M. Schüller
Schüller

Anne M. Schüller ist Managementdenkerin, Keynote Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmenstransformation. Sie ist gefragte Referentin und wurde 2015 in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Wenn es um das Thema Kunde geht, gehört sie zu den meistzitierten Experten. Ihr Buch Touchpoints wurde zum Mittelstandsbuch des Jahres gekürt und mit dem Deutschen Trainerbuchpreis 2012 ausgezeichnet. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint-Manager aus. Zusammen mit Alex T. Steffen hat sie das Buch Fit für die Next Economy geschrieben. Kontakt: www.anneschueller.de

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