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In der Bibliotech

Bücherlos und bürgernah: die Bibliothek der Zukunft
Essay: Nora S. Stampfl

Turbulente Zeiten sind dies, auch für die öffentliche Bibliothek. Denn die digitale Revolution macht auch vor dieser uralten Bildungs- und Kulturstätte nicht halt. Das verstaubte Image der Bibliothek als Papiermuseum und Bücherlagerhaus stimmt längst nicht mehr. Bibliotheken wandeln sich. Werden digitaler, bleiben zugleich aber als physische Orte von Bedeutung: als multifunktionelle Räume der Kommunikation und Interaktion.

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Schon der Name scheint Programm zu sein. Die Ableitung des Begriffes "Bibliothek" von den griechischen Wörtern "biblos" (Buch) und "theke" (Behälter) drückt exakt aus, was man sich gemeinhin unter dieser uralten Institution vorstellt und von ihr verspricht: Ein Hort der Bücher und damit des Wissens soll die Bibliothek sein.  

Doch wer schon längere Zeit keine öffentliche Bibliothek mehr besucht hat, wird überrascht sein. Denn die "Bücherbehälter" von einst haben in den vergangenen Jahren ihr Gesicht drastisch verändert. Das Image der Bibliothek als Papiermuseum und Bücherlagerhaus stimmt nicht mehr. Mehr und mehr verschwinden die Bücher aus den Bibliotheksräumen. Stattdessen zieht Technik ein. Nicht nur ist das Medienangebot zunächst um audiovisuelle Medien (Kassetten, Videos) und Spiele, später um digitale Medien (CDs, CD-ROMs, DVDs) erweitert worden. Nicht zuletzt geriet der Katalog, als Verzeichnis des Bestandes bis dahin Herzstück jeder Bibliothek, unter Beschuss. Seine Funktion wandelt sich. Denn immer mehr kommt es darauf an, nicht den Weg zu bestimmten Publikationen, sondern zu gesuchten Inhalten zu weisen. In Zukunft wird der Katalog eher mit einer Suchmaschine vergleichbar sein und Nutzer auch bei der Recherche wenig bekannter Themen unterstützen. Heute bereits stehen Bibliotheksfunktionen wie Suche, Ausleihe und Verlängerung vielfach im Internet bereit.  

Nicht nur das Internet und digitale Medien verändern das Erscheinungsbild der altehrwürdigen Institution. Zunehmend experimentieren öffentliche Bibliotheken auch mit anderen neuen Technologien wie dem 3-D-Printing, schaffen Räume für Videogaming und lassen Nutzer in Media Labs an eigenen Projekten tüfteln.  

Zum Wandel durch Technik kommt noch, dass sich auch das Wesen von Bibliotheken verändert hat: Einst Ort der Ruhe und des Rückzugs, des einsamen Studierens und Arbeitens, ist die öffentliche Bibliothek heute auch ein Ort der Kommunikation und Interaktion. Veranstaltungen aller Art machen die Bibliothek zu einem multimedialen, multikulturellen Treffpunkt. Von Lagerstätten für Bücher wandeln sich Bibliotheken zu kollaborativen Räumen, die sowohl Rückzugsort als auch Ort des sozialen Miteinanders sind, wo Information nicht nur konsumiert, sondern durch die Nutzer selbst erschaffen wird. Und wo es neben Bildung immer auch um Unterhaltung geht.


In Zukunft bücherlose Bibliotheken?


Nicht mehr das Buch - zumindest nicht jenes zum Anfassen - ist der Dreh- und Angelpunkt dessen, was eine Bibliothek heute ausmacht. Die fortschreitende Digitalisierung unserer Gesellschaft bringt eine Dematerialisierung mit sich, die auch die Bibliotheken erfasst hat. Die bücherlose Bibliothek scheint vielen als logischer nächster Schritt in der Bibliotheksgeschichte.  

Im texanischen San Antonio kann man einen Blick in die Zukunft der Bibliothek erhaschen: Dort startete im Herbst 2013 BiblioTech, die erste rein digitale Bibliothek, die ohne gedruckte Bücher auskommt, dafür aber mit einem vielfältigen Angebot aufwartet. Sowohl in der mit modernster Technik ausgestatteten physischen Lokation als auch online können Nutzer auf reichhaltige digitale Ressourcen - E-Books, Audiobooks, digitale Magazine, Musik, Videos - zugreifen und Sprach- wie Computerkurse absolvieren. Es stehen Gruppenarbeitsräume und ein Café zur Verfügung, und diverse Veranstaltungen von Book Clubs bis Wii Nights bedienen die unterschiedlichsten Nutzerinteressen.  

Auch in der größten öffentlichen Bibliothek Skandinaviens im dänischen Aarhus spielen Bücher eine untergeordnete Rolle. In Dokk1 stehen Kommunikation, Selbermachen und vor allem Teilhabe im Vordergrund. Die Bibliothek bietet ein buntes Veranstaltungsprogramm, richtet Ausstellungen aus und lädt zu Debatten ein. Zudem stehen jede Menge Ressourcen zum Werkeln und Experimentieren bereit: Nähmaschinen, 3-D-Drucker, Tonstudios und Reparatur-Cafés laden zur aktiven Beschäftigung ein.


Mehr als Büchersammlungen


Doch lässt sich angesichts einer solchen Wende weg vom Buch überhaupt noch von "Bibliotheken" sprechen?  

Zum einen lässt sich natürlich einwenden, dass die kommende Bücherlosigkeit der Bibliotheken eine Folge dessen ist, dass Bücher heute einfach anders aussehen als noch vor einigen Jahren. Was ein Buch ist und was nicht, ist in der digitalen Ära nicht so einfach zu bestimmen wie noch zu Zeiten des exklusiven Print-Buches. E-Books treten neben die klassischen Bücher aus Papier. Immer öfter werden diese multimedial angereichert und mit Hyperlinks versehen, die das Buch in die Weiten des Netzes ausdehnen. Mit der weiteren Verbreitung des Internets der Dinge werden Inhalte zudem künftig vermehrt dort auftauchen, wo sie gerade benötigt werden. Sie werden situations- und kontextabhängig auf unterschiedlichsten Wegen den Nutzer erreichen, eingeblendet etwa in Datenbrillen, Windschutzscheiben und sonstigen Projektionsflächen. Die Grenzen werden damit fließend. Aber kann man noch von einem Buch sprechen, wenn es als in sich geschlossene Einheit nicht mehr existiert? Um eine neue Begrifflichkeit wird man in Zukunft kaum umhinkommen, geht es doch um den Transport von Inhalten und nicht um das Buch als solches.  

Zum anderen stellt sich die Frage, ob Bibliotheken nicht immer schon mehr waren als ihre Büchersammlungen. In den ältesten Bibliotheken der Antike wurde alles Erinnerns- und Überliefernswerte auf Tontafeln aufbewahrt, um so Geschichte aufzuzeichnen und zu konservieren. Im Laufe der Zeit wurden diese von anderen Schriftträgern wie Wachstafel, Pergament oder Papyrus abgelöst. Lange Zeit waren dann Bücher das beste Mittel, um Information zu bewahren und zu vermitteln. Allerdings hat auch die Technologie Buch ihre Grenzen. Für die Aufzeichnung von Ton, bewegten Bildern oder Daten, die nach Lust und Laune sortiert, gefiltert und konsolidiert werden wollen, um jeweils neuen Informationswert zu gewinnen, eignet sich das Buch denkbar schlecht. Der Blick auf Bibliotheken als bloße Büchersammlungen ist daher viel zu eng. Immer schon - und dies gilt nach wie vor und mehr noch in Zukunft - ist es der Wesenskern von Bibliotheken, all die Informationen in passender Form zugänglich zu machen, die für eine Gemeinschaft von Bedeutung sind.


Lernen verändert sich


Zweifellos agieren Bibliotheken zurzeit in einem turbulenten Umfeld. Sämtliche Branchen, die von der Produktion und Weitergabe von Informationen leben - von Verlagen über Zeitungen bis hin zu Musik und Film -, sind durch die digitale Revolution erschüttert worden und sehen ihr Geschäftsmodell infrage gestellt.  

Technologisierung und Digitalisierung sind auch Treiber gravierender Umwälzungen der Bibliothekswelt. Für Bibliotheken verändert sich ihr Tätigkeitsfeld vor allem, weil in der Post-Gutenberg-Ära der Zugang zu Information komplett anders erfolgt als zu analogen Zeiten. Menschen sind heute über mobile Endgeräte ständig miteinander verbunden und eingeklinkt in einen Fluss an Informationen. Weil auch Bildungsressourcen jederzeit und überall abrufbar sind, verändert sich Lernen - es löst sich von traditionellen Bildungsinstitutionen, ihren festen Zeitplänen und Strukturen. Zusätzlich hat sich die Entstehungsweise von Inhalten gewandelt, insbesondere setzen soziale Netzwerke die Gatekeeper-Funktion der Massenmedien außer Kraft. Big Data sorgen dafür, dass künftig Informationen immer seltener gesucht werden müssen, weil sie selbständig zu uns kommen. Schließlich führen neue Technologien wie künstliche Intelligenz, Robotik oder das Internet der Dinge dazu, dass wir zunehmend in einem Mensch-Maschine-System leben.  

All dem müssen Bibliotheken Rechnung tragen. Das erfordert den Aufbau einer komplett neuen Informationsinfrastruktur, die all den neuen Möglichkeiten und Anforderungen gerecht wird.


Nahtstelle zwischen physischer und virtueller Welt


Moderne Bibliotheken werden sich den neuen Herausforderungen stellen und gemäß den veränderten Anforderungen neu positionieren müssen. Es ist schon richtig, dass die Bibliothek als "Papiermuseum" (Kathrin Passig) dem Untergang geweiht ist. Aber ein Blick in die Bibliothekslandschaft zeigt, dass die Transformation bereits in vollem Gange ist. Allen Unkenrufen zum Trotz wird die Bibliothek - in neuer Form - weiterhin als physischer Ort existieren. Denn als realer Ort ist die Bibliothek auch in Zeiten unbeschränkter Informationsverfügbarkeit von Bedeutung - und notwendiger denn je. Weil öffentliche Bibliotheken ein Grundpfeiler einer freiheitlichen, integrativen, aufgeklärten Demokratie sind.  

Bibliotheken gewährleisten allen Bürgern und Bürgerinnen unabhängig von Schichtzugehörigkeit, Geschlecht, Alter oder Herkunft Zugang zu vielfältigen Informationen und unterstützen damit die Einlösung des Grundrechts, "sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten" (Grundgesetz Artikel 5 Absatz 1). Als Garant der Informationsfreiheit und damit der Meinungsvielfalt trägt das Bibliothekswesen ganz entscheidend zur öffentlichen Meinungs- und Willensbildung bei. Auch ihre weltanschauliche Neutralität und ihre Unabhängigkeit von kommerziellen Interessen machen die Bibliothek zu einer grundlegenden zivilgesellschaftlichen Institution. Indem Bibliotheken Informationen anbieten, die nicht durch Algorithmen vorsortiert und gefiltert wurden, nehmen sie Nutzer nicht in einer "Filterblase" gefangen.  

Zudem überbrücken Bibliotheken den "Digital Divide": Zum einen bieten sie einen öffentlichen Zugang zum Internet für jedermann - entscheidend für Menschen, die anders keinen Zugang zu diesem Medium haben, ohne das man heute von vielen alltäglichen Informationsnotwendigkeiten abgeschnitten ist. Wie ließen sich heute etwa Jobsuche und Bewerbung ohne Computer und Internet bewerkstelligen? Zum anderen leisten Bibliotheken wertvolle Beiträge zur Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz. Und nicht zuletzt bieten sie in einer Welt, in der immer mehr Lebensbereiche in den Cyberspace abwandern, soziale Räume der Kommunikation und Interaktion. Damit bilden Bibliotheken einen Anker in der physischen Welt und fördern lokale Gemeinschaften.


Kitt des Gemeinschaftslebens


Das zeigt: Paradoxerweise bewirkt der Bedeutungsgewinn der virtuellen Welt eine Ausdehnung des Aufgabengebiets für die Bibliothek als physischer Raum. Letztendlich wird dieser uralten Institution mehr Gewicht zukommen. Gerade Bibliotheken führen vor, wie in unserer digitalen Informationsgesellschaft die Grenzen zwischen physischer und virtueller Sphäre verschwimmen. Und sie zeigen, welcher Mehrwert durch ein ausgefeiltes Zusammenspiel dieser beiden Bereiche entstehen kann. Denn als angestammter Akteur der Informationswelt können Bibliotheken sowohl bei der Digitalisierung mitmischen als auch mit dem Pfund eines physischen Raumangebots wuchern.  

Dadurch wird die öffentliche Bibliothek künftig freilich anders aussehen, als wir dies bislang gewohnt sind. Die Bibliothek der Zukunft wird viele Gesichter haben: Sie wird weiterhin Lagerhaus physischer Information und Speicher des kulturellen Gedächtnisses sein, ebenso wie Kathedrale des Wissens und Lotse im Informationsdschungel, Denkraum und Inkubator für Innovationen und neue Ideen, Informationsdrehscheibe und Laboratorium, Coworking Space und "öffentliches Wohnzimmer", Bildungspartner für lebenslanges Lernen und Stätte der kulturellen Vielfalt, nicht zuletzt auch Spiel- und Veranstaltungsraum. Vor allem aber wird die Bibliothek der Zukunft als Nahtstelle zwischen Off- und Onlinewelt Kitt des Gemeinschaftslebens sein.  


Die Bilder zeigen die neuerrichtete Bibliothek Dokk1 im dänischen Aarhus.


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Zitate


"Das verstaubte Image der Bibliothek als Papiermuseum und Bücherlagerhaus stimmt längst nicht mehr." Nora S. Stampfl: In der Bibliotech

"Der Blick auf Bibliotheken als bloße Büchersammlungen ist viel zu eng." Nora S. Stampfl: In der Bibliotech

"Öffentliche Bibliotheken sind ein Grundpfeiler einer freiheitlichen, integrativen, aufgeklärten Demokratie." Nora S. Stampfl: In der Bibliotech

"Die Bibliothek der Zukunft wird viele Gesichter haben." Nora S. Stampfl: In der Bibliotech

"Als Nahtstelle zwischen Off- und Onlinewelt wird die Bibliothek der Zukunft Kitt des Gemeinschaftslebens sein." Nora S. Stampfl: In der Bibliotech

 

changeX 02.12.2016. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Quellenangaben

Autorin

Nora S. Stampfl
Stampfl

Nora S. Stampfl studierte Wirtschaftswissenschaften in Österreich (Mag. rer. soc. oec.) und den USA (MBA). Sie arbeitet als Unternehmensberaterin und Zukunftsforscherin in Berlin. Den Arbeitsschwerpunkten strategische Unternehmensführung, gesellschaftlicher Wandel und Zukunftsfragen widmet sie sich auch als Autorin.

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