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Selbstverständlich lernen

Die Neuerfindung von Corporate Learning
Essay: Nora S. Stampfl

Erstellen von Kursangeboten, Planen von Lernsequenzen und Instruktion von Schulungsteilnehmern, das war bislang Aufgabe von Corporate Learning. Die (trügerische) Hoffnung: dass so geschulte Mitarbeiter ihr frisch erworbenes Wissen dann nutzbringend am Arbeitsplatz anwenden. In einer digital vernetzten Welt hat diese Praxis betrieblicher Weiterbildung keine Zukunft mehr. Ihre Rolle wandelt sich von der Wissensvermittlung hin zu einer unterstützenden Funktion: Aufgabe von Corporate Learning (neu) wird sein, Lernerfahrungen zu ermöglichen, Inhalte zu kuratieren und nicht zuletzt ein Umfeld zu schaffen, das selbstgesteuertes Lernen ermöglicht.

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"Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr." Das glaubte man längste Zeit: In einer Zeit, da Lernen mit dem Drücken der Schulbank ein für alle Mal abgeschlossen war und man sodann einen Beruf auf Lebenszeit ausübte. Doch die Zeiten haben sich gründlich verändert: Beständig, so scheint es, ist heute einzig der Wandel. Weil die Halbwertszeit von Wissen stetig sinkt, wird Lernfähigkeit zu einer entscheidenden Schlüsselkompetenz. Hänschen kann heute gar nicht wissen, was Hans dereinst lernen muss.  

In diesem Szenario braucht Bildung eine grundlegende Transformation, um die Perspektiven des Einzelnen, den Erfolg der Wirtschaft und die Zukunft der Gesellschaft zu sichern. Herkömmliche Formen des Lernens und der Bildung sind häufig nicht imstande, jene kontinuierliche Anpassung von Fähigkeiten zu leisten, die heute nötig ist, um mit den ständigen Neuerungen Schritt zu halten. Die etablierten Bildungsinstitutionen und Bildungswege sind viel zu schwerfällig und pressen den Lernenden in festgeschriebene, geschlossene Systeme.


Neue Anforderungen an Corporate Learning


Weil das unternehmerische Handlungsfeld zunehmend unsicher und ungewiss ist, wird es immer schwieriger, eine Passung zwischen den Wissensanforderungen von Unternehmen auf der einen Seite und der Wissensausstattung der Mitarbeiter auf der anderen Seite herzustellen. Lernen auf Vorrat hat sich folglich überholt. "Humanressourcen" von heute müssen vor allem kreativ sein, müssen selbständig unternehmerisch denken und handeln sowie sich den ständig ändernden Markterfordernissen flexibel anpassen können. Kompetenzprofile werden unschärfer und stellen daher neue Anforderungen sowohl an den persönlichen Bildungsweg als auch an die betriebliche Weiterbildung. Für Arbeitskräfte wie für Unternehmen steigt der Druck, ständig flexibel und anpassungsbereit zu sein, in nichts zu verharren, sondern stets dynamisch die sich ergebenden Chancen und Herausforderungen anzunehmen. Für Unternehmen verschärft sich die Situation noch zusätzlich durch Trends wie Just-in-time- und On-demand-Produktion, was eine andauernde Reaktionsfähigkeit voraussetzt sowie Schnelligkeit und Wendigkeit zu entscheidenden Wettbewerbsfaktoren werden lässt.  

Um in einer komplexen und global vernetzten Welt erfolgreich agieren zu können, müssen Mitarbeiter nicht nur ständig sprungbereit und flexibel sein, sie sollten vor allem besondere Fähigkeiten mitbringen: Muster zu erkennen, Strukturen zu identifizieren, zusammenhängend und kreativ denken zu können, erfinderisch und innovativ zu sein, eine Vielzahl verschiedener kultureller Perspektiven einnehmen und tolerieren zu können, Einfühlungsvermögen an den Tag zu legen, die verschiedenen Spielarten neuer Kommunikationsformen zu verstehen, das sind Fähigkeiten, die in der heutigen Welt gefragt sind.  

Die moderne Informationsgesellschaft mit ihrem volatilen Handlungsfeld ruft daher nach neuen Formen des Umgangs mit Wissen und Lernen. Zum einen braucht es Mitarbeiter, die bereit sind, ständig dazuzulernen und verstärkt Verantwortung für das eigene Lernen zu übernehmen. Denn in einem dynamischen, ungewissen Unternehmensumfeld müssen Entscheidungen zunehmend dezentral, von jedem einzelnen Mitarbeiter getroffen werden; und damit wird es auch jedem Einzelnen überlassen sein, sich das erforderliche Wissen und die jeweilig nötigen Fähigkeiten bei Bedarf selbst anzueignen.  

Gleichzeitig macht die Geschwindigkeit des Wandels effiziente Zusammenarbeit in Teams nötig, um stets alle relevanten Aspekte zu berücksichtigen sowie sämtliche Beteiligte auf dem Laufenden zu halten. Austausch und Kollaboration sind heute aber unerlässlich, um sowohl persönliche Entwicklungsziele als auch die Unternehmensziele zu erreichen, gleichzeitig steht mit den modernen Vernetzungstechnologien auch eine Infrastruktur bereit, die es so einfach und weitreichend wie nie zuvor gestattet, sich mit anderen auszutauschen. Nicht zuletzt ist die durch Vernetzung herbeigeführte Diversität von Ideen, Meinungen, Wissens- und Erfahrungshintergründen ein wesentlicher Treiber für Innovation.


Vom Manager der Bildungsinhalte zum Begleiter des Lernprozesses


Das zeigt: Lernen und Innovationsmanagement werden immer stärker zusammenwachsen. Und weil Lernen immer stärker vernetzt gemeinsam mit anderen stattfindet, wird hierbei Kollaboration wesentlich sein. Corporate Learning kommt daher immer mehr die Aufgabe zu, eine Wissensinfrastruktur zu schaffen, die eine schnelle Anpassung an die Unwägbarkeiten des Marktes sowie eine durch immer schnellere Produktlebenszyklen angefachte Innovationstätigkeit ermöglicht. Kurz: Corporate Learning wird sich vom Manager der Bildungsinhalte zum Begleiter des Lernprozesses wandeln müssen.  

Um diese neuen Aufgaben wahrzunehmen, gilt es, die althergebrachten, bewährten Lernsysteme, die zu einem großen Teil auf formalen Präsenztrainings basieren und in eine jahrzehntelang gewachsene Lernkultur eingebettet sind, in Richtung mobiler, personalisierter, vernetzter 24/7-Lernmöglichkeiten umzustellen. Dabei werden folgende Eckpunkte die Vision eines zukunftsgerichteten Corporate Learning kennzeichnen:  

Sinnvolle Integration neuer Technologien: Die immense Verbreitung von Online Learning demokratisiert Bildung und macht Lernressourcen immer und überall verfügbar. Training muss künftig genauso einfach zugänglich sein wie eine Google-Recherche und quasi "nebenbei" erfolgen. Ein sinnvoller Mix aus Online-Ressourcen und herkömmlichen Präsenzschulungen (Blended Learning) stellt den Lernenden in den Mittelpunkt des Lernprozesses und erfüllt Lernbedürfnisse effizient.  

Wandel vom "Push"-Training zum "Pull"-Lernen: Starre Trainingspläne mit vorgegebenen Themen und Terminen passen immer weniger zu den Anforderungen einer dynamischen Umwelt. Lernen muss zu den Lernenden kommen, wann und wo immer es gerade benötigt wird. Im "Pull"-Modell des Lernens ist Weiterbildung ein kontinuierlicher Prozess, der zum integralen Bestandteil des Arbeitens wird. Mit der sinkenden Halbwertszeit von Wissen muss just in time und lebenslang, nicht länger auf Vorrat gelernt werden. Dazu gilt es, Rahmenbedingungen zu schaffen, die selbstgesteuertes Lernen entsprechend den eigenen Bedarfen und dem eigenen Tempo ermöglichen. Und nicht zuletzt: Lernen zum unverzichtbaren Bestandteil der Unternehmenskultur machen.  

Integration von Lern- und Wissensmanagement: Die neuen Technologien mit ihren reichhaltigen Kollaborations- und Interaktionsmöglichkeiten verzahnen Prozesse der Wissensvermittlung mit jenen des Teilens und Speicherns von Informationen, der Diskussion von Ideen und der Herstellung gemeinsamen Verständnisses. So bilden Online-Lernressourcen eine Plattform für soziales Lernen und werden zu Knowledge Sharing Hubs. Durch die Bündelung aller Prozesse rund um Lern- und Wissensmanagement gelingt sogar die Erfassung impliziten Wissens. Damit wird die neue Lerninfrastruktur zum Ausgangspunkt von Innovations- und Problemlösungsprozessen.


Neue Aufgaben für Corporate Learning


Diese Skizze zeigt schon: Der anstehende Wandel der "Learning & Development"-Funktion in Unternehmen ist drastisch. Eine Antwort auf die neuen Herausforderungen kann nicht einfach in einem Mehr des Üblichen bestehen. Stattdessen wird sich Corporate Learning neu erfinden müssen. Je mehr Mitarbeiter Verantwortung für ihr eigenes Lernen übernehmen, desto stärker zeichnen sich veränderte Aufgaben für Corporate Learning ab. Im Mittelpunkt stehen weniger die Erstellung von Kursen, die exakte Planung von Lernsequenzen und die Instruktion von Schulungsteilnehmern. Vielmehr gilt es, Lernende zu ermächtigen, sich als aktive Koproduzenten von Inhalten einzubringen und in einen regen Austausch mit anderen einzutreten. Der Aufgabenfokus der internen Weiterbildung verschiebt sich: von der Wissensvermittlung hin zum Ermöglichen von Lernerfahrungen und zum Kuratieren von Inhalten. Nicht zuletzt ist ein Umfeld zu schaffen, das selbstgesteuertes Lernen ermöglicht.  

Konkret liegen die anstehenden Aufgaben für Corporate Learning vorrangig darin,

     
  • Lernangebote mobil - und damit situativ und passgenau - verfügbar zu machen (Mobile Learning),
  •  
  • Lernende zu aktiven Teilhabern im Lernprozess zu machen sowie die Bildung von und den Austausch in Gemeinschaften zu unterstützen (Social Learning),
  •  
  • durch Bereitstellung kleinster Lerneinheiten eine Integration von Lernaktivitäten in den Arbeitsalltag zu ermöglichen (Micro Learning) sowie
  •  
  • Lernaktivitäten immer wieder auch einmal mit Spielelementen anzureichern (Game Based Learning).
 

Dieses so abgesteckte Aufgabenfeld zeigt schon, dass der Wandel von Corporate Learning zum einen natürlich eine Veränderung der Lernkultur im Unternehmen voraussetzt. Zum anderen gilt es, die vielfältigen Möglichkeiten neuer Technologien zu nutzen, die Lernen zum Lernenden bringen, wann es gerade benötigt wird.  

Freilich sind mobiles, soziales sowie Micro und Game Based Learning keine völlig isoliert zu betrachtenden Konzepte. Sie befruchten sich gegenseitig und sind allesamt aus der Einsicht geboren, dass Lernen ein andauernder Prozess und keine einmalige Veranstaltung ist. Daher gilt es, einen kontinuierlichen Fluss an sozialen Mikrolernaktivitäten zu ermöglichen, der immer und überall mobil angezapft werden kann und - wo dies passend erscheint - die Vorteile von Spielprinzipien nutzt.  

Mitarbeiter werden sich in Zukunft nicht mehr für Tage von ihrem Schreibtisch verabschieden müssen, um an Schulungen teilzunehmen, es wird keine festgesetzten Unterrichtsstunden mehr geben, auch keinerlei sonstige zeitliche oder örtliche Beschränkungen, wann und wo Lernen stattfindet. Lebenslangem Lernen wird eine gänzlich neue Bedeutung zukommen: Nicht nur wird uns Lernen unsere gesamte Lebensspanne über begleiten, auch wird es immer und überall, ganz nebenbei und selbstverständlich erfolgen.  


Zitate


"Lernen auf Vorrat hat sich überholt." Nora S. Stampfl: Selbstverständlich lernen

"Weil die Halbwertszeit von Wissen stetig sinkt, wird Lernfähigkeit zu einer entscheidenden Schlüsselkompetenz. Hänschen kann heute gar nicht wissen, was Hans dereinst lernen muss." Nora S. Stampfl: Selbstverständlich lernen

"Mit der sinkenden Halbwertszeit von Wissen muss just in time und lebenslang, nicht länger auf Vorrat gelernt werden." Nora S. Stampfl: Selbstverständlich lernen

"Corporate Learning muss sich vom Manager der Bildungsinhalte zum Begleiter des Lernprozesses wandeln." Nora S. Stampfl: Selbstverständlich lernen

"Lernen muss zu den Lernenden kommen, wann und wo immer es gerade benötigt wird." Nora S. Stampfl: Selbstverständlich lernen

"Aufgabe von Corporate Learning wird sein, Lernerfahrungen zu ermöglichen, Inhalte zu kuratieren und nicht zuletzt ein Umfeld zu schaffen, das selbstgesteuertes Lernen ermöglicht." Nora S. Stampfl: Selbstverständlich lernen

 

changeX 28.04.2016. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Quellenangaben

Autorin

Nora S. Stampfl
Stampfl

Nora S. Stampfl studierte Wirtschaftswissenschaften in Österreich (Mag. rer. soc. oec.) und den USA (MBA). Sie arbeitet als Unternehmensberaterin und Zukunftsforscherin in Berlin. Den Arbeitsschwerpunkten strategische Unternehmensführung, gesellschaftlicher Wandel und Zukunftsfragen widmet sie sich auch als Autorin.

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