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Zum Dialog, bitte

Die Initiative Managerfragen.org will die Sprachlosigkeit zwischen Wirtschaft und Gesellschaft überwinden - ein Interview mit Clemens Brandstetter
Interview: Winfried Kretschmer

Manager beteiligen sich kaum an gesellschaftlichen Debatten. Unternehmen erklären ihr Handeln zu wenig im gesellschaftlichen Kontext. Und sie haben keine Antwort auf die Frage, was sie zur Gesellschaft beitragen. Die Initiative Managerfragen.org will die Sprachlosigkeit zwischen Wirtschaft und Gesellschaft nicht länger hinnehmen. Und ruft zum Dialog.

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Clemens Brandstetter arbeitet seit über 15 Jahren in der IT- und TK-Industrie in diversen Führungspositionen DAX-notierter Technologiekonzerne. Er ist Vice President Program Office bei der Deutschen Telekom Kundenservice GmbH und engagiert sich zugleich bei der Initiative Managerfragen.org, einer Plattform, die Bürger und Manager in Dialog bringen will. Managerfragen wurde im Herbst 2010 gegründet und ein Jahr später als gemeinnütziger Verein anerkannt. Im Oktober 2012 ging die Online-Plattform live, im April 2013 hat der Dialog Summit, eine Konferenz zum Thema Gesellschaftsdialog 2.0 stattgefunden, im Herbst 2014 will Managerfragen sich dann als Social Business konstituieren. Das Ziel: Partizipations- und Mitgestaltungsmöglichkeiten zu schaffen.
 

Herr Brandstetter, was verbirgt sich hinter Managerfragen.org? Fragen Manager? Werden Manager gefragt? 

Zunächst will Managerfragen.org Bürger mit Managern in den Dialog bringen. Dazu hat der Verein mit einer eigenen Internetplattform einen neutralen Raum geschaffen, wo Bürger mit ihren Fragen direkt auf Manager zugehen können. Aber es geht auch um die zentralen gesellschaftlichen Fragen, die sich um Wirtschaft und Gesellschaft drehen. Insofern hat Managerfragen tatsächlich eine doppelte Bedeutung.
 

Wie bringen Sie Bürger und Manager zusammen? 

Die Bürger sprechen wir über das World Wide Web, insbesondere Social Media an. Aufseiten der Manager gehen wir schrittweise vor. In einer ersten Welle haben wir CEOs angesprochen, in einer zweiten Kommunikationsverantwortliche, und nun gehen wir auch auf das Management aus den einzelnen funktionalen Bereichen zu.
 

Und was werden für Fragen gestellt? 

Die Palette reicht von persönlichen Anliegen bis zu umfassenden gesellschaftlichen Themen. Da sind Fragen zu Beruf und Karriere, zur Führungskultur, zu Führung allgemein, zum Thema Gesundheit am Arbeitsplatz, zu tagesaktuellen Managementthemen - aber eben auch Fragen zu den großen gesellschaftlichen Herausforderungen der Zeit und danach, wie Unternehmen sich dort einbringen: Energiewende, demografischer Wandel und so weiter.
 

Was ist das gesellschaftliche Anliegen dahinter? 

Vertrauen zurückzugewinnen und die Spaltung zwischen Wirtschaft und Gesellschaft zu verringern, die in den letzten Jahren zugenommen hat. Wir wollen die Sprachlosigkeit, die zwischen Repräsentanten der Wirtschaft und dem Mann (oder der Frau) auf der Straße herrscht, nicht einfach hinnehmen, sondern möchten Brücken bauen und Begegnungsräume schaffen. Es geht darum, eine direkte Meinungsbildung zu ermöglichen, indem Bürger in den direkten Austausch mit Managern treten. Partizipations- und Mitgestaltungsmöglichkeiten zu schaffen, ist das gesellschaftliche Anliegen.
 

Eine Studie der Stiftung Neue Verantwortung hat festgestellt, dass Entscheider die Kluft zwischen den gesellschaftlichen Sektoren als gravierendes Problem empfinden. Managerfragen.org ist gewissermaßen eine Antwort darauf? 

Ja, viele Unternehmenslenker sehen ihre Verantwortung und beurteilen ihre eigene Rolle durchaus selbstkritisch. Bei einer Forsa-Untersuchung im letzten Jahr waren 80 Prozent der Befragten der Meinung, dass Manager von Großkonzernen den Vertrauensverlust selbst zu verantworten haben, und zwei Drittel der Wirtschaftsvertreter haben dem beigepflichtet. Eine Ursache wurde darin gesehen, dass Manager ihr Handeln zu wenig im gesellschaftlichen Kontext erklären und sich nicht genügend Unternehmensführer an gesellschaftlichen Debatten beteiligen. Genau hier setzen wir an. Bislang gab es keine neutralen Räume, weder für Bürger, noch für Manager, wo sie in einen Austausch gehen konnten.
 

Häufig wird kritisiert, dass Unternehmen ihre "license to operate" nicht hinreichend deutlich machen, also das, was sie zur Lösung gesellschaftlicher Fragen beitragen. Sehen Sie das auch als Problem? 

Definitiv. Die Unternehmen haben sich von einer Sinn- oder Zweckbestimmung im Hinblick auf das Gemeinwohl abgekoppelt. Sie fokussieren ausschließlich auf den Customer-Value, die Ausrichtung auf die Kundenzufriedenheit, und auf den Shareholder-Value, die Ausrichtung auf die Wertsteigerung für Eigner. Das aber führt zu einer Überhöhung der Kundenperspektive und zu einer Dominanz der Finanzgrößen. Das ist in den letzten Jahren vor allem unter dem Schlagwort Corporate Social Responsibility stark problematisiert worden. CSR vernachlässigt aber den Bezug zum Kerngeschäft und delegiert das Thema an eine Abteilung, die für das soziale und gesellschaftliche Gewissen zuständig ist - das hat mehr eine Alibifunktion und kann zu weiterem Glaubwürdigkeitsverlust führen. Die zentrale Frage ist die der Einbindung in den gesellschaftlichen Kontext. Die "license to operate", das ist der eigentliche Beitrag, den ein Unternehmen in einer Gesellschaft leistet. Hier gibt es aber ein großes Informations- und Handlungsdefizit. Es fehlt der Grundkonsens darüber, dass die Aussage "Ich erwirtschafte einen Profit und kann dadurch Arbeitsplätze schaffen oder sichern" allein nicht ausreicht, um Legitimität herzustellen.
 

Was braucht es darüber hinaus? 

Darüber hinaus ist ein grundsätzliches Bewusstsein der Gemeinwohlorientierung eines Unternehmens gefragt. Genügt das wirtschaftliche Handeln ethischen Maßstäben? Die zweite Grundvoraussetzung: Ist mein unternehmerisches Handeln profitabel? Das ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung. Schließlich kommen zwei weitere Komponenten hinzu: Ist wirtschaftliches Handeln gesellschaftlich sinnvoll? Und viertens - im Umkehrschluss, aber genauso wichtig: Richtet mein Handeln Schaden an? Daran müssen sich Unternehmen letztendlich orientieren.
 

Wie wird das in Managerkreisen gesehen? Als Herausforderung, sich verstärkt um Legitimität zu kümmern und das eigene unternehmerische Handeln verständlich zu machen? 

Vielfach herrscht Ratlosigkeit, wie Systemzwänge, denen man sich unterordnet, überwunden werden können. Und ein großer Teil der Manager konzentriert sich darauf, zu funktionieren, also den Geschäftsauftrag zu erfüllen. In kleineren Kreisen oder hinter geschlossenen Türen wird schon darüber geredet, aber dem Reden folgt letztendlich noch kein Handeln.
 

Und wie geht es bei Managerfragen weiter? Welches sind die nächsten Schritte? 

Wir werden jetzt nach Abschluss der sechsmonatigen Pilotphase auf der Online-Plattform und unserem Dialog Summit, auf dem wir die Erfahrungen zum Thema Online-Dialog und gesellschaftlicher Diskurs reflektiert haben, in den Rollout gehen: So werden wir zusammen mit Stiftungen, gemeinnützigen Organisationen und Unternehmen auf der Online-Plattform sukzessive sogenannte Themenpavillons zu Zukunftsfragen einrichten, um in einen vertiefenden Diskurs zu den großen gesellschaftlichen Herausforderungen einzusteigen. Offline wollen wir kleinere Formate anbieten, um persönliche Begegnung zu ermöglichen und Partizipations- und Dialogformate weiterzuentwickeln. Es geht darum, Unternehmen, Organisationen, Institutionen eine moderne und zeitgemäße Stakeholder-Kommunikation im Internet zu ermöglichen.
 

Wer trägt Arbeit und Finanzierung? 

Momentan vor allem das 60-köpfige Ehrenamtsteam, also die, die aktiv mitarbeiten. Sie tragen die Initiative durch ihre kostenlose, ehrenamtliche Arbeit und auch mit Spenden. Die Community selbst ist deutlich größer und besteht auch aus Förderern. Heute sind wir als ehrenamtliche Organisation aufgestellt, planen aber in eineinhalb Jahren einen Switch von der NGO zu einem Social Business, das sich über den Verkauf von Produkten wie den Themenpavillons und den Veranstaltungsformaten finanziert. Managerfragen organisiert alles drum herum, die Community, die Themen, die Experten - was als Ertrag hereinkommt, fließt an den Verein zurück, sodass sich das Social Venture selbst trägt.
 

Und Sie machen das parallel zu Ihrem normalen Managerjob? 

Ja. Auf der einen Seite ist es eine Riesenbelastung, die Arbeit nachts und am Wochenende zu machen, aber es gibt genauso viel an Freude und an Leidenschaft zurück. Insgesamt stimmt die Balance dann doch.
 

Reflektieren Sie dabei Ihre eigene Rolle als Manager? 

Managerfragen war für mich auch ein Weg des Umdenkens und der Neuorientierung. Ich bin bei der Telekom für Geschäftsentwicklung verantwortlich und habe vielfach mit Personalabbau, Personalumbau, Restrukturierung zu tun gehabt und zu tun. Managerfragen schließt für mich eine Lücke. Zusammen mit Managerkollegen das Thema Vertrauen anzugehen, schafft einen Ausgleich: nicht nur ein hohes Einkommen zu erzielen und sich sonst in eine Parallelwelt zurückzuziehen, sondern Verantwortung zu übernehmen, gesellschaftlich etwas zurückzugeben, Gestalter zu sein und etwas voranzubringen.
 

Hat Sie dieses Engagement in Ihrem Handeln und Denken als Manager verändert? 

Ja. Ich habe gelernt, mich offener auf einen Entwicklungsprozess einzulassen. Nicht zu übersteuern, sondern viel mehr zuzuhören, viel stärker unterschiedliche Interessen, Meinungen und Sichtweisen zusammenzubringen. Die Arbeit im Ehrenamtsteam funktioniert nicht über eine Führungsrolle, über Befehle oder über Hierarchie. Sondern nur in gemeinsamer Abstimmung, in gemeinsamer Kooperation vermittelt durch Begeisterung, durch Zuwendung, Zuhören und gemeinsame Arbeit an einer Sache. Das erfordert auch ein ganz anderes Verständnis von Führung. Diese Art zusammenzuarbeiten ist ganz anders als in meinem normalen Führungsalltag - und es ist eine riesige Bereicherung, die dann wiederum in den Job zurückfließt.
 

Ist es in einer Multistakeholder-Welt überhaupt noch möglich, als Manager nur zu managen? Oder gehört gesellschaftliches Engagement, wie Sie es leisten, zu einem neuen Jobverständnis als Manager dazu? 

Das gehört dazu! Der Schub, den in den letzten fünf, zehn Jahren die Entwicklung des Internets ausgelöst hat, ist in den Unternehmen noch gar nicht richtig angekommen. Klar haben sie sich geöffnet, haben erste Schritte getan - aber was da draußen stattgefunden hat, haben wir noch lange nicht in unseren Führungsstrukturen, in unserem Führungsverhalten nachvollzogen. Vielfach sind wir noch von gestern: Wir arbeiten, steuern und führen noch immer in den alten Mustern. Für mich gehört dieses Sichöffnen, dieses Hinschauen als Kompetenz hinzu, um überhaupt dialogfähig zu sein - gegenüber den Mitarbeitern und ebenso nach außen. Die Haltung "Ich mache meinen Job und schaue nur auf meine Zahlen" ist nicht nur zu kurzfristig angelegt, sondern wird auch langfristig nicht erfolgreich sein.
 


Zitate


"Die Unternehmen haben sich von einer Sinn- oder Zweckbestimmung im Hinblick auf das Gemeinwohl abgekoppelt." Clemens Brandstetter: Zum Dialog, bitte

"Die zentrale Frage ist die der Einbindung in den gesellschaftlichen Kontext. Die 'license to operate', das ist der eigentliche Beitrag, den ein Unternehmen in einer Gesellschaft leistet." Clemens Brandstetter: Zum Dialog, bitte

"Die Aussage "Ich erwirtschafte einen Profit und kann dadurch Arbeitsplätze schaffen oder sichern" allein reicht nicht aus, um Legitimität herzustellen." Clemens Brandstetter: Zum Dialog, bitte

"Ein großer Teil der Manager konzentriert sich darauf, zu funktionieren, also den Geschäftsauftrag zu erfüllen." Clemens Brandstetter: Zum Dialog, bitte

"Der Schub, den die Entwicklung des Internets ausgelöst hat, ist in den Unternehmen noch gar nicht richtig angekommen. Vielfach sind wir noch von gestern: Wir arbeiten, steuern und führen noch immer in den alten Mustern." Clemens Brandstetter: Zum Dialog, bitte

 

changeX 25.04.2013. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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