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Orte mit Wirkung

Wie sich die Atmosphäre eines Ortes für das Coaching nutzen lässt - ein Interview mit Barbara Messer

Jeder Ort hat seine Wirkung. Und das lässt sich bewusst für die Gestaltung des Coachings nutzen. Mit Orten und Inszenierungsideen zu spielen, ermöglicht es, besonders eindrückliche Momente zu schaffen. Und so eingetretene und übliche Pfade im Coaching zu verlassen.

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Barbara Messer ist Speaker, Coach, Trainerin, Ausbilderin und Consultant. Und sieht sich als Macher, Ideenquelle, Clown, Tausendsassa, Wanderratte, Glückspilz, Stehaufmännchen, Mutter, Lebenskünstlerin, Geschäftsfrau - als ein Mensch mit tausend Facetten, der nach ständiger Weiterentwicklung strebt. Ihr Buch Ungewöhnliches Coaching an ungewöhnlichen Orten ist bei Beltz erschienen.
 

Welche Bedeutung hat der Ort für das Coaching? 

Der Ort ist mehr als eine Location, denn er kann den Rahmen für eine bestimmte - bewusst positive - Atmosphäre geben, ebenso kann er sich natürlich auch nachteilig auf einen Coachingprozess auswirken. Eingetretene und übliche Pfade im Coaching sind leicht zu gehen, Neues, Ungewöhnliches aber kann entstehen, wenn wir etwas anders als üblich tun, wenn wir eindrückliche Momente schaffen und mit Orten und Inszenierungsideen spielen.
 

Zum Beispiel? 

Die Natur ist per se unser Zuhause. Von jeher fühlen sich die meisten Menschen draußen sehr wohl - gerade dann, wenn sie eine schwierige, herausfordernde Zeit erleben. Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich, dass persönliche Prozesse in der Natur eine spezielle Note haben, dass sie sich "gut anfühlen", dass sie leichter sind. Den Tod meiner Mutter konnte ich am ehesten beim Laufen im Wald verarbeiten - hier konnte ich meinem Schmerz und meiner Trauer freien Lauf lassen, ich vertraute mich den Bäumen, dem ganzen Grün an und fühlte mich getragen, verstanden - ohne ein Wort zu äußern. 

Der Wald, ein Park, ein Flussufer, eine Wiese sind Orte, die viel Luft und Raum für persönliche Prozesse geben. Ausgewählte Orte für ein Coaching wirken auch durch das Ankerprinzip, denn die Umgebung setzt eine Art Anker, durch den wir uns später ganz besonders an diesen Ort erinnern. Ein Brief, der auf einer Parkbank geschrieben ist, kann später einen wertvollen Rückblick ermöglichen.
 

Was macht den Unterschied zwischen gewöhnlichen und ungewöhnlichen Orten? 

Übliche Coachingorte ähneln sich häufig: zwei oder drei Sessel, ein Beistelltisch, meist noch mit einer Packung Taschentücher darauf, Blumen, schönes Licht. Ein übliches Ambiente. Hier erwarten Coachees normalerweise auch nichts Besonderes. Dennoch kann dieser schlichte Raum gehaltvolle Coachings hervorbringen, denn die Gestaltungsmöglichkeiten des Coaches sind zentraler Dreh- und Angelpunkt für interessante und wirksame Erlebnisse mit dem Raum. 

Gerne führe ich Graf Dürckheim an, dessen Zitat ich in der Gesangsarbeit mit Gila Antara fand: "Stellen Sie sich einen leeren Raum vor, in dem nichts ist. An Ihrer Weise, durch diesen Raum zu gehen, verwandeln Sie ihn entweder in einen Stall oder in eine Kirche. Denn er ist so, wie Sie sind. Es hallt von dort zurück, so, wie Sie hineinrufen. Sie verwandeln den Raum." 

Dies gilt für mich drinnen wie draußen: Die Art und Weise, wie wir uns bewegen, wie wir die unmittelbare Umgebung nutzen, ist das Entscheidende. So verwandle ich ganz normale, bestehende Räume und inszeniere eine ganz bestimmte Stimmung. So gibt es beispielsweise in der Raummitte auf dem Fußboden ein großes "Lagerfeuer" aus aufgeschichteten Holzscheiten, um dort ganz besonders intensive Gesprächs- oder Schweigerunden durchzuführen. Immer wieder ist das eine Art Inszenierung. Sie bestimmt, was ich aus einem Raum gestalten und schaffen kann.
 

Was verlangt das vom Coach? 

Die Art und Weise, wie der Coach sich selbst im - fremden oder eigenen - Raum bewegt, verlangt nach einer erhöhten Aufmerksamkeit, um sich der eigenen Wirkung bewusster zu werden. Auch die Art und Weise, wie ich den Raum, in dem ich arbeite, gestalte - auch in der Natur -, findet hier Anregung zu erhöhter Achtsamkeit. Ich persönlich ziehe daraus die Konsequenz, dass ich sehr genau überlege, mit welchen Ritualen ich ein Coaching öffne und schließe, und welche Materialien ich nutze, um dem Raum eine gewünschte Atmosphäre zu geben.
 

Worin besteht die Atmosphäre eines Ortes? 

Sicherlich auch im Aspekt der möglichen Intimität. Nehmen wir das Auto als Coachingort: Es steht mit Blick auf einen Fluss, ausgewählte Musik läuft, draußen prasselt der Regen aufs Dach - eine ganz spezielle Intimität entsteht, ein unvergesslicher Moment. Eine ganz besondere Stimmung für ausgewählte Fragen und Anliegen. Oder eine gemeinsame Nacht im Zelt während des Paddelns - Nähe, Vertrautheit - in gewisser Weise eine Art Zeitlosigkeit. Licht und Lautstärke der Umgebung schaffen ebenso eine unterschiedliche Atmosphäre wie die Menschen. Sind Sie alleine mit Ihrem Coachee oder inmitten vieler Menschen, wie zum Beispiel beim Sushi-Coaching, einem Coaching in der ungezwungenen Atmosphäre eines Sushi-Restaurants? 

Kurzum: Kalt oder warm, das erste Mal dort oder schon öfter, ein öffentlicher oder ein geschützter Platz? Jeder Ort hat seine Wirkung, die wir ganz bewusst in die Wirkung des Coachings einfließen lassen können. Nur: Bei aller Kreativität sollten sich beide, Coach und Coachee, wohlfühlen.
 

Was macht Orte besonders? 

Letztendlich der Coach und sein Coachee. Wie eben gesagt gestalten es die Menschen selber, ob ein Raum eine Kirche oder ein Stall wird. Darüber hinaus gibt es Orte, die in sich bereits eine Geschichte oder eine Bedeutung mit sich bringen. Manch ein Ort verändert die Stimmung noch einmal ganz speziell. Ich erinnere mich an ein Paddelcoaching in der Nähe von Fürstenberg, dort ist die Gedenkstätte zum ehemaligen Konzentrationslager Ravensbrück. An diesem Ort kann ich selber kaum, ohne zu schlucken, vorüberfahren. Jedoch fördert solch ein Ort Demut und Ehrfurcht, auch vor den eigenen Problemen, die dann vielleicht kleiner oder überwindbarer erscheinen. 

Orte sind immer wieder anders, weil sie natürlich auch von den Menschen, die dort verkehren, die dort ein- und ausgehen, geprägt werden.
 

Was bewirken besondere Orte? 

Stellen Sie sich eine weiße Wand vor, nicht mehr ganz frisch gestrichen, es sind vielleicht Fingerabdrücke dort, ein Fleck, ein Lichtschalter oder Ähnliches. Nichts fällt ins Auge, wenn wir diese Wand betrachten. Würden wir nun um einen der Flecken oder den Fingerabdruck einen Rahmen ziehen, würde diese Stelle plötzlich ganz besonders ins Auge fallen, sie bekäme eine hohe Aufmerksamkeit. Ähnlich wirkt der Ort: Er hält eine Situation, gibt ihr einen Rahmen.
 

Lässt sich das vom Coaching auf andere Zusammenhänge übertragen? 

Es ist sehr gut möglich, auch andere Arbeitsprozesse nach draußen und an spezielle Orte zu verlegen. In meinen frühen Jahren als Rednerin und Trainerin entwickelte ich mit einer Softwarefirma ein spezielles Programm für Kliniken; die Konzeptionstage dazu verbrachten wir regelmäßig in den Schweizer Bergen beim Wandern, und Tagestouren in Brandenburg halfen uns über manch eine Denk- und Diskussionshürde. 

Während einer Wanderung über die Alpen habe ich ein ganzes Buch geschrieben, und regelmäßig führe ich Klausurtagungen an der Ostsee oder im Harz durch. Der Rückzug an einen intensiven Ort wie die Berge oder das Meer kommt einer Art sinnlichen Klausur gleich. Es verdichtet sich um einen herum. Nächte im Wald, während des Paddelns an einem See, ein intensiver Abend auf dem Land zaubern uns aus dem Alltag. 

Ganz früher habe ich in der Altenpflege gearbeitet, eine intensive und wichtige Zeit in meinem Leben, zwischenzeitlich auch mit Nachtdiensten. So oft es ging, fuhr ich mit dem Rad, um nach dem Dienst ganz früh morgens noch ein wenig an ausgewählten Orten zu verweilen, um innerlich umzuschalten und die Erlebnisse der Nacht in den frühen Morgenhimmel hineinzugeben.
 

Das Wichtigste in Kürze? 

So wie alles seine Zeit hat, hat auch alles seinen Ort. Orte können Coachingprozesse fördern und verankern, sie können überraschen, neugierig machen oder auch beruhigen. Ganz unterschiedlich - und so können wir diese Wirkung auch bewusst steuern. Nach meinem Verständnis hat der Coach die Aufgabe, besondere Stimmungen zu schaffen, sie geben seiner Arbeit und seinem Wirken den Rahmen.
 

Das Interview haben wir schriftlich geführt. Interview: changeX-Redaktion
 


Zitate


"Eingetretene und übliche Pfade im Coaching sind leicht zu gehen, Neues, Ungewöhnliches aber kann entstehen, wenn wir etwas anders als üblich tun, wenn wir eindrückliche Momente schaffen und mit Orten und Inszenierungsideen spielen." Barbara Messer: Orte mit Wirkung

"Jeder Ort hat seine Wirkung, die wir ganz bewusst in die Wirkung des Coachings einfließen lassen können." Barbara Messer: Orte mit Wirkung

 

changeX 15.06.2018. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Quellenangaben

Zum Buch

: Ungewöhnliches Coaching an ungewöhnlichen Orten. Beltz Verlag, Weinheim 2017, 295 Seiten, 39.95 Euro (D), ISBN 978-3-407-36630-6

Ungewöhnliches Coaching an ungewöhnlichen Orten

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