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Als Tandem zum Job

"Jobsharing macht Stellen flexibel" - ein Gespräch mit Jana Tepe von Tandemploy
Interview: Winfried Kretschmer

Flexibles Arbeiten steht heute ganz oben auf der Wunschliste an den Job. Viele Stellen sind aber viel zu starr für die gewandelten Ansprüche. Jobsharing bietet eine zeitgemäße Alternative: Zwei teilen sich die Aufgaben und bestimmen selbst, wie sie das organisieren. Unter dem Vorzeichen von Teamwork und Selbstbestimmung erfährt zugleich das angestaubte 80er-Jahre-Modell der "Arbeitsplatzteilung" eine Auffrischung. Teilen ist hip, auch beim Job.

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Jana Tepe (im Bild links) ist Gründerin, Jobsharing-Expertin und Verfechterin einer lebensfreundlichen Arbeitswelt. Mit ihrem Unternehmen Tandemploy unterstützt sie Menschen und Organisationen bei der Umsetzung von Jobsharing. Dabei ist sie selbst im Tandem unterwegs: Mit ihrer Mitgründerin Anna Kaiser teilt sie sich die Führung und Entwicklung des Unternehmens. Sie sagt: "Anna hat eher den strategischen, ich den kreativen Part. Sie ist sehr visionär, ich bin wohl eine typische ,Macherin‘. Sie übernimmt den kaufmännischen Bereich und die Strategie, ich mache das Marketing und die Kommunikation. Alle wichtigen Entscheidungen fällen wir gemeinsam. Wir sind immer so gut über die Themen der anderen informiert, dass wir uns jederzeit gut vertreten können." Eine schöne Beschreibung von Jobsharing. Darum geht es auch in unserem Interview.
 

Hallo Frau Tepe, wie läuft’s denn so mit Tandemploy? 

Ganz gut, würde ich sagen. Dieses Jahr passiert ganz schön viel an allen Ecken und Enden. Neue User kommen hinzu, also neue Jobsharer ...
 

... Tandemploy ist ein Vermittlungsportal für Jobsharer. Sie bringen Leute zusammen, die sich einen Arbeitsplatz teilen wollen, und die wiederum mit Unternehmen, die Jobsharing zulassen? 

Ja, genau. Wir sind ein Serviceunternehmen für Jobsharing und wenden uns an Arbeitnehmer und Unternehmen. Wir ermöglichen es Arbeitnehmern, genau den richtigen Tandem-Partner zu finden und auf Arbeitgeber zu treffen, die dem Modell offen gegenüberstehen. Unternehmen bieten wir die Möglichkeit, sich mit dem Thema darzustellen und Stellen auszuschreiben. Zudem bieten wir Beratung, etwa Unterstützung bei den Arbeitsverträgen und so weiter.
 

Wie das genau funktioniert, können wir uns gleich noch anschauen. Grundsätzlich ist Jobsharing schon eine ältere Idee. Als die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen wurden, waren die meisten Angehörigen der Generation Y noch gar nicht geboren. 

Ja, Jobsharing gibt es in Deutschland schon seit den 1980er-Jahren, als die Regierung Kohl entschieden hat, das Modell zu unterstützen. Jobsharing an sich ist also nichts Neues, aber bisher ist es in den Unternehmen eher als Zufallsergebnis zustande gekommen. Die klassische Situation: Ein Arbeitnehmer auf einer Vollzeitstelle wollte seine Arbeitszeit verringern, und das Unternehmen hat geschaut, wen man ihm zur Seite stellen kann. Also wenig strategisch, sondern sehr zufällig.  

Das ändert sich heute. Jobsharing ist im Aufwind. Es trifft den Zeitgeist, weil es eine sehr gute Lösung bietet für Herausforderungen heute: seien es die gewandelten Anforderungen, die Arbeitnehmer an den Arbeitsmarkt stellen, seien es die Probleme, die Unternehmen heute beschäftigen, wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Fachkräftemangel, alternde Belegschaften. Es gibt viele Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt und zu wenig konkrete Lösungen dafür.
 

Inwiefern kann Jobsharing hier eine Lösung bieten? 

Es bietet Lösungen für sich wandelnde Ansprüche der Arbeitnehmer. Die Anforderungen der Menschen an ihren Job haben sich geändert. Flexibilität spielt bei der Wahl des Arbeitgebers eine immer wichtigere Rolle. Arbeitgeber, die flexible Angebote machen können, bekommen die besten Leute, und sie verlieren sie nicht gleich wieder. Jobsharing macht Stellen flexibel, die es zuvor nicht waren.
 

Ich sehe da eine ganz deutliche Diskrepanz: In Ihrem Artikel im Buch HR Innovation sprechen Sie von einer menschlichen Arbeitswelt, die es Menschen ermöglicht, ihre Arbeit flexibel zu gestalten. Schaut man sich aber an, was Wikipedia zum Thema Jobsharing anbietet, offenbart sich die alte Arbeitswelt: Da heißt das Ganze "Arbeitsplatzteilung" und es geht vor allem um arbeitsrechtliche Fragen. Rührt die neue Bedeutung von Jobsharing daher, dass das Thema unter dem Vorzeichen einer neuen Arbeitswelt neu interpretiert wird?  

Ich glaube, wir können definieren und formen, was Jobsharing heute bedeutet. Wir verstehen Jobsharing als kooperatives Arbeiten, als Teamwork, und denken über diese klassische 50:50-Teilung hinaus. In diesem Teamwork-Gedanken liegt eine Riesenchance, auch für komplexere Tätigkeiten. Jobsharing ermöglicht auch, Führungspositionen zu besetzen, die im Tätigkeitsumfang weit über 100 Prozent hinausgehen - jeder Jobsharer arbeitet dann deutlich mehr als nur halbtags. Nicht zuletzt ist es eine Wertschätzung jeder Lebensphase und kann die Unternehmenskultur positiv beeinflussen. Wenn Führungskräfte Teamplayer sind, wirkt sich das auf die Transparenz, auf die Kommunikation, auf die Kultur aus.
 

Jobsharing also neu definiert, neu interpretiert? 

Ja, und weitergedacht. Über das Verständnis "man teilt einfach einen Job in zwei halbe" hinaus. Entscheidend ist, wie die Zusammenarbeit gestaltet wird: dass man sich die Verantwortung teilt, dass man untereinander entscheidet, wer wann arbeitet, dass man sich den Job entlang seiner Stärken aufteilt. Das geht über das konventionelle Verständnis von Jobsharing hinaus. Es zeigt, was Jobsharing noch kann ...
 

... kann, unter den Bedingungen von Teamwork, von Zusammenarbeit? 

Ja, absolut. Kern unserer Definition ist, dass die beiden eng zusammenarbeiten, ein gemeinsames Ziel haben und alles untereinander regeln, was ihre Arbeit betrifft.
 

Wo liegen nun die Vorteile? Brand eins hat die nette Überschrift gewählt "0,5 + 0,5 = 1,5". Sie sprechen in Ihrem Artikel von "1 + 1 > 2". In diesem "plus" liegt der Wert von Jobsharing für den Arbeitgeber? 

Ja, denn Jobsharing ist eben mehr als zwei Teilzeitkräfte, die in ihrem abgegrenzten Bereich nebeneinanderher arbeiten. Wenn zwei wirklich als Team agieren, dann treffen sie fundiertere Entscheidungen, können sich besser absprechen, sie reflektieren ganz anders und priorisieren ganz anders. So sind sie effektiver. Und sie können mehr und sehen mehr als einer allein. Man kann diese zwei auch clever kombinieren: Wenn man zusieht, dass sich ihre Kompetenzen ergänzen, ergeben sich ganz neue Möglichkeiten. Hinzu kommt der Vorteil, dass Menschen in Teilzeit produktiver sind. Nicht weil sie mehr machen, als sie müssten, sondern ganz einfach, weil sie sich nur einen Teil ihrer Zeit mit dem Job beschäftigen.
 

Ein Gewerkschafter würde das anders sehen. Er würde sagen, wenn zwei sich einen Job teilen, dann wird jeder von ihnen mehr leisten als das, wofür er bezahlt wird. 

Die Argumentation kommt mir bekannt vor. Aber in der Praxis ist es nicht so. Wir reden mit vielen Jobsharern und hören, was sie von ihrer täglichen Arbeit erzählen. Natürlich sind sie überdurchschnittlich engagiert, natürlich sind sie auch mal außerhalb ihrer regulären Arbeitszeiten tätig, um zu telefonieren und sich abzusprechen. Aber sie sind wahnsinnig dankbar für dieses Modell, weil es ihnen ermöglicht, in ihrem qualifizierten Job in effektiver Art und Weise zu arbeiten. Wir erleben bei Jobsharern jeden Tag eine enorm hohe Eigenmotivation. Aber ich hatte noch nie das Gefühl, dass sie sich ausgebeutet fühlen - ganz im Gegenteil, denn es bedeutet auch eine enorme Wertschätzung von Seiten des Arbeitgebers, eine qualifizierte Tätigkeit in Teilzeit weiterführen zu können.
 

Wertschätzung steckt auch darin, dass ein Arbeitgeber es zulässt, dass zwei sich ihre Arbeit selbst organisieren. 

Das zeugt von viel Vertrauen. Das geht nicht in jeder Unternehmenskultur und trifft nicht bei jeder Führungskraft auf Zustimmung. Aber dort, wo man den Mitarbeitern wirklich Vertrauen schenkt, da funktioniert es wunderbar. Das erfordert loszulassen und den Jobsharern das Management ihrer Position selbst zu überlassen. Diesen Schritt muss man erst einmal gehen.
 

Im Interview mit Zeit online sagen Sie, Jobsharing sei "auch eine Kulturfrage". Nachgefragt: Ist es nicht ganz entscheidend eine Kulturfrage? 

Absolut, ja. Jobsharing passt nur zu einer Unternehmenskultur, in der man vertraut, in der Teamwork wirklich gefragt ist und in der man Kooperation lebt statt Konkurrenz.
 

Liegt hier auch der Grund dafür, dass das Modell noch nicht allzu großen Anklang gefunden hat? Es sind wohl nicht einmal 20 Prozent der Unternehmen, die Jobsharing umsetzen. 

Je nach Statistik variiert die Zahl ein bisschen. Ich glaube, oft fehlt einfach der Mut, es auszuprobieren. In den Köpfen sind noch viele Hürden. Ich sage bewusst "in den Köpfen", weil sich in der Realität schnell herausstellt, dass es keine Hürden sind. Aber für viele Unternehmen ist Jobsharing einfach noch etwas Neues, auch wenn das Modell nicht ganz neu ist. Und immer, wenn etwas Neues kommt, gibt es Berührungsängste. Unser Ansatz ist, solche Hürden abzubauen und gezielt an den konkreten Jobs anzusetzen. Dann gibt es keine Ausreden mehr.
 

Worauf sollten Unternehmen achten, die Jobsharing einführen wollen? 

Entscheidend ist, dass der Chef und das Team hinter der Entscheidung stehen. Im Grundsatz müssen die dafür sein. Sonst funktioniert es einfach nicht. Das sagen auch alle Jobsharer.
 

Welche Vorteile bietet Jobsharing für die Mitarbeiter?  

Für sie ist es die Chance, ihren eigenen qualifizierten Wunschjob in Teilzeit und flexibel zu realisieren. Da klaffte bisher eine riesige Lücke. Viele Menschen haben Teilzeitjobs und flexiblere Stellen gesucht, aber es gab nur ein verschwindend kleines Angebot. Die tollen Jobs waren eigentlich immer Vollzeitjobs. Hier bietet Jobsharing eine großartige Lösung. Viele Menschen empfinden es auch als einen schönen Gedanken, einen Sharing-Partner zu haben, mit dem sie gemeinsam Dinge reflektieren und entscheiden können.
 

Was zugleich die Vielfalt von Denkweisen erhöht und die Möglichkeit bietet, voneinander zu lernen. 

Besonders spannend ist es, wenn man sehr unterschiedliche Menschen in einem Team zusammenbringt. Etwa wenn internationale Fachkräfte mit deutschen Muttersprachlern zusammenarbeiten. Sie lernen gegenseitig voneinander, bringen sich die Sprache bei und können die kulturellen Unterschiede viel besser auffangen.  

Oder generationenübergreifendes Lernen. Das wird in den nächsten Jahren ein ganz spannendes Thema werden, weil unsere Erwerbstätigen immer älter werden, wir andererseits aber keine guten Lösungen dafür haben, Wissen an nachfolgende Generationen weiterzugeben und Nachfolge auf clevere Art und Weise zu planen. Da ist es eine ganz, ganz spannende Lösung, alt und jung in einem Tandem zusammenzubringen, in dem beide voneinander profitieren können.
 

Sie haben Ihre Vision von einer anderen Arbeitswelt zu Ihrem Gründungsthema gemacht. Zurück zum Unternehmen: Tandemploy hat einen Startzuschuss über Exist bekommen, hat ein erfolgreiches Crowdfunding hingelegt.  

Genau. Im ersten Jahr wurden wir über Exist finanziert, im Anschluss hatten wir die erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne, und mittlerweile sind auch zwei Privat-Investoren mit drin. Jetzt kommen auch erste Umsätze. Wir sind kostenfrei gestartet, seit ein paar Monaten ist es bezahlpflichtig.
 

Unternehmen bezahlen dafür, dass sie eine Stellenanzeige bei Ihnen schalten? 

Jein, sie zahlen für Jahresmitgliedschaften, die mehr beinhalten. Sie präsentieren sich mit Unternehmensprofil und Logo auf unserer Plattform, sie können unbegrenzt Stellenanzeigen schalten und können je nach Mitgliedschaft Coaching und Erstberatung in Anspruch nehmen.
 

Und wie funktioniert es nun genau? Kann man sich das vorstellen wie eine Art Dating-Plattform für Jobsharer? 

[lacht] Ja, das hat schon gewisse Ähnlichkeiten. Wir haben einen Matching-Algorithmus entwickelt, der längst nicht nur auf die harten Lebenslauf-Fakten setzt, sondern sehr stark auch auf weiche Faktoren, die beim Jobsharing eine besonders wichtige Rolle spielen. Das hat gewisse Parallelen zum Online-Dating, denn auch dort kommt es auf die Chemie an.
 

Was kommt häufiger vor: Dass sich zwei schon gefunden haben und sich gemeinsam bewerben, oder dass sich einzelne suchen für einen geteilten Job? 

Vorwiegend melden sich einzelne Jobsharer und suchen einen Tandem-Partner. Das ist auch nachvollziehbar, weil sich im Freundes- oder Bekanntenkreis meist nicht so leicht eine Person findet, die im gleichen Bereich tätig ist und mit der man sich ein Jobsharing vorstellen kann. Aber wir ermutigen Jobsharer, sich initiativ gemeinsam zu bewerben. Je mehr sich zu zweit bewerben, desto mehr werden die Unternehmen daran gewöhnt und erkennen auch den Bedarf an diesem Modell.
 

Und wie soll es weitergehen, was peilen Sie an Zielsetzung für die Unternehmensentwicklung an? 

Wir möchten im Jahr 2015 noch mehr Unternehmen und Jobsharer erreichen. Für uns steht ganz klar der Reichweitenaufbau im Fokus. Damit Jobsharer tatsächlich in ihrer Region und in ihrem Bereich Tandem-Partner finden, braucht es eine große Masse an Menschen und an Unternehmen, die mitmachen.
 


Zitate


"Jobsharing ist im Aufwind." Jana Tepe: Als Tandem zum Job

"Es gibt viele Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt und zu wenig konkrete Lösungen dafür." Jana Tepe: Als Tandem zum Job

"Jobsharing macht Stellen flexibel, die es zuvor nicht waren." Jana Tepe: Als Tandem zum Job

"Wir verstehen Jobsharing als kooperatives Arbeiten, als Teamwork, und denken über diese klassische 50-zu-50-Teilung hinaus." Jana Tepe: Als Tandem zum Job

"Wenn zwei wirklich als Team agieren, dann treffen sie fundiertere Entscheidungen, können sich besser absprechen, sie reflektieren ganz anders und priorisieren ganz anders. So sind sie effektiver." Jana Tepe: Als Tandem zum Job

"Jobsharing passt nur zu einer Unternehmenskultur, in der man vertraut, in der Teamwork wirklich gefragt ist und in der man Kooperation lebt statt Konkurrenz." Jana Tepe: Als Tandem zum Job

 

changeX 05.03.2015. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Quellenangaben

Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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