Die Biobastler

Biohacking - das neue Buch von Hanno Charisius, Richard Friebe, Sascha Karberg

Sie hantieren nicht mit 3-D-Drucker, sondern mit Reagenzglas und Pipette. Sie basteln keine Produkte, sondern betreiben gentechnische Forschung. Auf eigene Faust, improvisiert in Garagen, Dachkammern und Hinterzimmern: Biohacker sind die Maker der Biotechnik. Ein Autorenteam hat die Szene besucht und beleuchtet Chancen und Risiken der DIY-Biologie.

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April 2010, ein Hinterhof-Holzhaus in Somerville, USA: Mac packt einige Utensilien auf den Tisch: Spülmittel, Salz, Kontaktlinsenreiniger, kleine Plastikbecher, Zahnstocher und eine Flasche braunen Rum mit 75 Volumenprozent Alkohol. Um den Tisch sitzen ein paar Leute, Teilnehmer eines Wochenendseminars - in Amateurmolekularbiologie. Biohacking. Erste Aufgabe: die Extraktion von eigener DNA. Jeder Teilnehmer manövriert ein wenig Speichel in seinen Plastikbecher, tröpfelt ein paar Ingredienzen dazu, mischt und schwenkt den Becherinhalt - bis sich im braunen Rum weiße Fäden nach oben schlängeln: die DNA der Teilnehmer - für die ist das ein bewegendes Erlebnis: Molekularbiologie zum Selbermachen!  

Das ist, kurz gesagt, das Projekt von Mac, der eigentlich Mackenzie Cowell heißt und als einer der Begründer der Do-it-yourself-Biologie-Bewegung, kurz DIY-Bio, gilt. Weltweit agiert mittlerweile eine Szene sogenannter Biohacker, Biopunks oder Outlaw Biologists in selbst gebauten Laboren mit größtenteils improvisiertem Material - eine Art Gentechnik-Graswurzelbewegung. Sie forschen, und manche machen gleichzeitig diese Forschung - wie Mac - interessierten Laien zugänglich. Es ist freie Forschung im wahrsten Sinne des Wortes: außerhalb der institutionalisierten Wissenschaft.


Sie wollen wissen


Interessant, nützlich oder einfach nur gefährlich? Diesen und anderen Fragen gehen die Journalisten Hanno Charisius, Richard Friebe und Sascha Karberg, die alle ausgebildete Biologen sind, in ihrem Buch Biohacking. Gentechnik aus der Garage nach. Gleich vorweg: Es ist ein spannendes Buch, das den Leser mitnimmt zu Vertretern der Szene und ins selbst eingerichtete Biohacking-Labor, in dem die Autoren im Selbstversuch überprüfen, was überhaupt für einen Garagenbiologen machbar ist. Und da die Autoren - wie die Biohacker überhaupt - Neuland betreten, ist auch der Leser aufgefordert, sich selbst ein Urteil zu bilden: Ist diese alternative Bewegung nützlich, indem sie viele kreative Köpfe einbindet? Oder ist sie gefährlich, ja sollte überwacht, reglementiert oder gar verboten werden? Damit nicht jeder ambitionierte, möglicherweise aber völlig unbeschlagene Wissenschaftsfreak sein Gentechnikprojekt in der eigenen Küche startet?  

Erstes Ergebnis des Szenebesuchs: Es sind keine Irren, Frankensteins oder gar Bioterroristen, die da auf eigene Faust forschen. Vielmehr begegneten dem Autorenteam Amateurforscher mit einer unbändigen Neugier, wobei das Fachwissen der Biohacker ganz unterschiedlich ausgeprägt war: von professionellen Biologen mit Forschungserfahrung in etablierten Laboren bis hin zu hochintelligenten Quereinsteigern aus angrenzenden Fächern. Eines haben sie jedoch gemeinsam: Sie wollen wissen, wollen forschen - und sich nicht von einer aus ihrer Sicht lähmenden Bürokratie und projektgebundenen Unflexibilität institutioneller Wissenschaft in die kreativen Schranken weisen lassen.  

Kay Aull, die ebenfalls als Pionierin gilt und nebenbei quantitative Biologie studiert, hat als Erste ernsthaft mit einem konkreten Ziel und erfolgreich DIY-Biologie betrieben. Sie wollte einfach wissen, ob sie das Gen in sich trage, das sie wie einige in ihrem Stammbaum an der Eisenspeicherkrankheit Hämochromatose erkranken lassen könnte. Sie schaute im Heimexperiment in ihr Erbgut - und erkannte, dass dem mit großer Wahrscheinlichkeit nicht so sei. Dafür müsse man schließlich nicht zum Arzt, sagt Aull, denn Gentests seien "auch nicht schlimmer als ein Ölwechsel am Auto".  

Pragmatismus ist in der Szene Trumpf. Aber natürlich ist nicht jeder Biohack erfolgreich. Viele haben zwar Ideen, aber kein Händchen für Pipetten. Andere Forschungsziele - wie das Altern beziehungsweise den Tod gleich in Gänze abzuschaffen - klingen einfach nur nach Science-Fiction. Aber in Artikeln, die in den USA zum Thema Biohacking hier und da erschienen sind, gibt es ein historisch bedingtes Wohlwollen dieser Forschungswut gegenüber: Schließlich kamen die ersten leicht bedienbaren Computer, die unser Leben maßgeblich verändert haben, auch aus Garagen: Apple und Microsoft lassen grüßen!


Genmanipulierer als Untermieter?


Doch ist es wirklich so leicht, wie es sich anhört? Die nüchterne Bilanz: eher nicht! Ein Amateurlabor war zwar schnell eingerichtet - und mit 3.500 Euro auch nicht allzu teuer, zwar konnten die Autoren Gene analysieren und auch mit potenziell gefährlichen Genen hantieren, aber nach viel Trial and Error war dem Autorenkollektiv schmerzhaft bewusst geworden, "was man an Zeit, Geld, Geduld, Bildung und Frustrationsresistenz braucht, um im Amateurlabor Ergebnisse zu produzieren".  

Sind die Biohacker von heute also nur die Chemiebaukasten-Bastler von gestern? Nein, meinen die Autoren. Gerade der schnelle und offene Informationszugang durch das Internet kann die Forscher - die Biopunks auf der einen und die Bioprofessoren auf der anderen Seite - Nutzen stiftend verknüpfen. Der Blick in die Geschichte der Amateurforschung zeigt nämlich, dass nicht selten ein Laie etwas entdeckt, für das der Professionelle dann den theoretischen Unter- oder Überbau liefert.  

Die Autoren entdecken in der biologischen Open-Science-Bewegung zweierlei: Forscherpotenzial und einen wissenschaftlichen Demokratisierungsprozess. Doch was ist mit der von der Öffentlichkeit befürchteten Gefahr? Wer will schon einen Genmanipulierer als Untermieter? Hier sind sich die Autoren sicher, dass, "wer per Biotech Schaden anrichten will, bislang eher schlecht beraten ist, wenn er oder sie sich auf die unsicheren Methoden von Gentechnik oder synthetischer Biologie verlässt". Denn auch ohne solche komplizierten und eher unzuverlässigen Manipulationen sei die Welt voller gefährlicher Erreger - von Anthrax bis Ehec -, die sich für Verbrechen nutzen ließen. Das ist kein Argument gegen neue Sicherheitsstandards - an denen gerade Deutschlands Biohacker sich sehr interessiert zeigten.


Nachhaltig hilfreich


Klar ist, dass Biotechnologie und Gentechnik das jetzige Jahrhundert entscheidend prägen werden. Eine Demokratisierung dieser Technologien ist für die Autoren Voraussetzung ihrer sinnvollen Nutzung: "Wenn eine möglichst breite demokratische Basis theoretischen - und mittels DIY-Biologie und Biohacking auch praktischen - Zugang zu ihnen bekommt, steigt die Chance, dass sie auch nachhaltig hilfreich und gut sein werden." 



changeX 25.04.2013. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Biohacking. Gentechnik aus der Garage. Carl Hanser Verlag, München 2013, 288 Seiten, 19.90 Euro, ISBN 978-3-446-43502-5

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Autor

Sascha Hellmann
Hellmann

Sascha Hellmann ist freier Journalist in Heidelberg. Er arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.

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