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Burnout statt Glück

Glück bei der Arbeit - der Tagungsreader von Karin Kaudelka und Gerhard Kilger

Dem Glück bei der Arbeit spürte eine Tagung nach. Sie stieß auf Burnout, psychische Probleme und mangelnde Arbeitszufriedenheit. So ist nicht Glück bei der Arbeit, sondern dessen Fehlen das eigentliche Thema eines Readers, der sich des Themas in breiter und interdisziplinärer Perspektive annimmt.

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Glück bei der Arbeit? Manchen mag das wie blanker Hohn vorkommen, und das betrifft nicht nur jene, die unter Stress, Mobbing oder Depressionen leiden oder vom Burnout aus der beruflichen Bahn geworfen werden. Schon dem verbreiteten Verständnis zufolge ist Arbeit eher Mühsal und Plackerei als ein Hort von Zufriedenheit und Wohlsein. Dennoch kann Arbeit zweifellos auch Freude machen und Quelle von Glückserlebnissen sein.  

Daran zu erinnern war das Ziel eines Symposiums zum Thema "Glück bei der Arbeit", das an der Arbeitswelt-Ausstellung DASA in Dortmund stattgefunden hat. "Arbeit hat das Potenzial für eine hohe Zufriedenheit der Menschen mit sich selbst", schreibt Kuratorin Karin Kaudelka im nun vorliegenden Tagungsreader Glück bei der Arbeit. Dessen Themenspektrum ist breit; es reicht von Grundsätzlichem zu Arbeit und Glücksforschung über den Wandel der Arbeitswelt und die zunehmenden psychischen Arbeitsbelastungen bis hin zu Positiver Psychologie, lebenslangem Lernen und einem neuen Führungsverständnis. So ist das Feld breit abgesteckt, und changeX-Leser werden in dem Band viele bekannte Argumente nachlesen können. Ins Auge sticht freilich, dass nicht Glück bei der Arbeit, sondern dessen Fehlen das eigentliche Thema ist. ",Arbeitszufriedenheit‘ ist in Deutschland die absolute Ausnahme", resümiert Clara Schlichtenberger, Fachberaterin des Symposiums, die einschlägigen Studien.


Kein weiterer Anstieg des Glücksempfindens


Das ist freilich nicht nur ein Problem der Menschen, denen Erfüllung bei ihrer Arbeit versagt bleibt, oder der Firmen, deren Wertschöpfung leidet, sondern es offenbart auch eine gesellschaftliche Schieflage, auf die der Volkswirtschaftsprofessor Mathias Binswanger in seinem Überblick über die Ergebnisse der Glücksforschung hinweist. Die nämlich hat ergeben, dass in den entwickelten Industriegesellschaften "eine weitere Zunahme des Einkommens zu keinem weiteren Anstieg des Glücksempfindens" führt. Ist einmal ein Jahreseinkommen von 15.000 Dollar pro Kopf erreicht, macht vermehrtes Strampeln nach mehr Einkommen nicht glücklicher, das meint Binswanger mit "Tretmühle des Glücks". Seine Schlussfolgerung: "Es geht nicht um Einkommensmaximierung, sondern darum, dass die Menschen eines Landes ein möglichst glückliches Leben führen können." Das zu erreichen, sei die eigentliche Aufgabe von Wirtschaft.  

Gelingen will das aber nicht einmal in ihrem eigenen Hoheitsbereich, in den Unternehmen. Warum es nicht klappt mit dem Glück, dafür bietet Binswanger - in Anlehnung an Sprengers Mythos Motivation - eine Erklärung an: Solange man ausschließlich auf die Förderung extrinsischer Motivation setze, werde man nur selten Menschen antreffen, die bei der Arbeit tatsächlich glücklich sind. Denn mit Zuschlägen, Boni und Gehaltserhöhungen als zentralem Motivationsinstrument zahlt die Wirtschaft auf das Konto ein, aus dem die Menschen keine Steigerung ihres Glücks mehr erlösen. Die andere Seite hingegen, nämlich Motivation aus der Tätigkeit selbst zu beziehen, der sie einen Großteil ihrer wachen Zeit nachgehen, liegt brach. Intrinsische Motivation, die gleichsam von innen heraus kommt, braucht andere Nahrung.


Handlungsspielraum und Identifikation


Was gegeben sein muss, damit Erfüllung oder Flow bei der Arbeit entstehen kann, diese Frage zieht sich wie ein roter Faden durch die Beiträge des Bandes - meist indes von der Defizitseite her gestellt: Wie lassen sich Stress, Depression und Burnout bei der Arbeit vermeiden? Zwei Spuren fallen dabei besonders ins Auge: So weist der Arbeits- und Gesundheitswissenschaftler Wolfgang Hien darauf hin, dass vor allem ein geringer Handlungsspielraum bei der Arbeit - neben anderen Faktoren wie Mangel an sozialer Unterstützung - das Depressionsrisiko eklatant ansteigen lässt. Umgekehrt fühlen sich Mitarbeiter umso wohler, je stärker sie sich mit der Organisation oder ihrem Team identifizieren. Die Sozialpsychologen Rolf van Dick und Sebastian C. Schuh betonen: "Stress und Burnout können durch Identifikation ... verringert werden, während Leistungsfähigkeit und Engagement durch Identifikation gestärkt werden." Für Unternehmen wäre es also auch ökonomisch richtig, mehr dafür zu tun, dass ihre Mitarbeiter sich bei der Arbeit wohlfühlen, indem sie ihnen größere Handlungsspielräume eröffnen und Identifikation und Sinn stiften.  

Was das für das Management von Unternehmen heißt, wird hingegen nur punktuell beleuchtet. So kritisiert Hien eine Re-Taylorisierung in Form der zunehmenden Standardisierung von Arbeitsvorgängen, die eben gerade zur Einengung von Handlungsspielräumen führe; in einer Talkrunde schien dann auch die Forderung auf, die Form von Zielvereinbarungen grundsätzlich zu überdenken. Vertieft wurde das nicht. Hier aber liegt das zentrale Dilemma: Wie das Buch unterstreicht, hängt die Wertschöpfung der Unternehmen in zunehmendem Maße von der Zufriedenheit der Mitarbeiter ab. Diese herzustellen gelingt aber mit den Mitteln und Methoden des klassischen Managements immer weniger. Ein Management, das sich nicht vom überkommenen Kontrolldenken zu emanzipieren vermag, ist deshalb nicht mehr zeitgemäß.


Mehr Druck, weniger Erfüllung


Das betrifft die Organisation. Einen anderen Zusammenhang gilt es aber noch zu vertiefen. Wenn, wie die Glücksforschung feststellt, oberhalb eines gewissen materiellen Sättigungsniveaus Einkommenszuwächse nicht mehr zu einem Zuwachs an Glück führen, dann spüren das die Menschen. Und fangen an, sich neu zu orientieren. Das beobachten wir ja auf breiter Ebene; viele Indizien deuten darauf hin, dass (auf hohem materiellem Niveau) eine Hinwendung zu Qualität und Intensität stattfindet, während die Bedeutung des Materiellen schwindet. Den Begriff dafür gibt es auch schon: "Age of Less" bildet eine thematische Klammer für diese Beobachtungen.  

Damit verschärft sich aber die Kluft zwischen Lebens- und Arbeitswelt. Denn die Wirtschaft setzt nach wie vor auf materielle Anreizsysteme und schraubt zugleich die Anforderungen im Job immer weiter nach oben - während bei den Menschen zugleich der traditionelle Deal, das Kompensationsmodell Geld gegen Schufterei an Bindungskraft verloren hat. Ohne innere Überzeugung, ohne Sinn findet der Arbeitsdruck eine offene Flanke. Das (empfundene) Ergebnis: Mehr Druck, weniger Erfüllung und dazu das Gefühl, in einer Tretmühle zu rennen. Leben und Arbeit sind aus der Balance.  

Soziale Zusammenhänge sind immer komplex und mehrdeutig. Über diesen möglichen Zusammenhang zwischen einer Umorientierung auf der Werteseite und zunehmenden psychischen Problemen in der Arbeit lohnt es, weiter nachzudenken.  


Zitate


"Es geht nicht um Einkommensmaximierung, sondern darum, dass die Menschen eines Landes ein möglichst glückliches Leben führen können." Mathias Binswanger über die eigentliche Aufgabe von Wirtschaft. In: Karin Kaudelka, Gerhard Kilger Das Glück bei der Arbeit

"Arbeitszufriedenheit ist in Deutschland die absolute Ausnahme." Clara Schlichtenberger in: Karin Kaudelka, Gerhard Kilger Das Glück bei der Arbeit

 

changeX 04.02.2013. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Das Glück bei der Arbeit. Über Flow-Zustände, Arbeitszufriedenheit und das Schaffen attraktiver Arbeitsplätze. Transcript Verlag, Bielefeld 2013, 152 Seiten, 19.80 Euro, ISBN 978-3-8376-2159-4

Das Glück bei der Arbeit

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Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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