close

changeX Login

Bitte loggen Sie sich ein, wenn Sie Artikel lesen und changeX nutzen wollen.

Sie haben Ihr Passwort vergessen?
Jetzt neu registrieren.
Barrierefreier Login

Die Facebook-Revolution

Rezension David Kirkpatrick: Der Facebook-Effekt
Text: Dominik Fehrmann

Facebook-Revolution. Seit in arabischen Ländern Menschen gegen ihre Regierungen aufbegehren, ist der Begriff in aller Munde. Doch hat er noch einen anderen, tieferen Sinn: Facebook revolutioniert die Art, wie Menschen kommunizieren, wie Regierungen Bürger ansprechen, wie Unternehmen werben und geführt werden - und eben auch die Form demokratischer Prozesse selbst.

cv_kirkpatrick_140.jpg

Facebook-Revolution. Der Begriff ist in der Welt, seit in Tunesien, Ägypten und weiteren arabischen Staaten Menschen gegen ihre Regierungen auf die Straße gehen. Zwar mehren sich Stimmen, die Facebooks Rolle bei diesen Volksaufständen relativieren und lediglich von einer verstärkenden Funktion sprechen. Fraglos aber war das weltgrößte soziale Netzwerk für die Organisation der Proteste von Bedeutung. Nicht grundlos hatte etwa das wankende Regime in Tunesien zuletzt noch versucht, die heimische Facebook-Community per Sabotage mundtot zu machen.  

Doch der Begriff der Facebook-Revolution hat noch einen anderen, tieferen Sinn. Facebook selbst ist revolutionär. Davon ist jedenfalls der amerikanische IT-Journalist David Kirkpatrick überzeugt. "Es verändert die Art und Weise, wie Menschen miteinander kommunizieren und umgehen, wie durch Werbung Produkte verkauft werden, wie Regierungen ihre Bürger ansprechen, und sogar, wie Unternehmen geführt werden. Es verändert das Wesen von politischem Aktivismus, und in manchen Ländern wirkt es sich allmählich auf die demokratischen Prozesse selbst aus." 

In seinem Buch Der Facebook-Effekt geht Kirkpatrick dem Phänomen auf den Grund. Gestützt auf zahlreiche Gespräche und Begegnungen mit Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und dessen Wegbegleitern präsentiert Kirkpatrick seine Analyse in Form einer Unternehmensgeschichte: von Facebooks Anfängen als Website-Projekt spätpubertärer Nerds in einem Studentenwohnheim von Harvard bis hin zum allgegenwärtigen Global Player mit einem Marktwert von 50 Milliarden Dollar. Kirkpatrick erzählt detailreich von jeder einzelnen Innovation und Investition, aber auch von Partys, Trinkspielen und zugemüllten Arbeitsräumen. Und zeigt so jene Verwurzelung von Facebook in der US-College-Kultur, die verstehen hilft, wie Facebook "tickt" - und die nicht zuletzt Facebooks chronische Unbekümmertheit in Sachen Datenschutz ein Stück weit erklären könnte.


Wie Facebook/Zuckerberg tickt


Vor allem aber vermittelt Kirkpatrick einen Eindruck davon, wie Mark Zuckerberg tickt. Denn Facebook, das war und ist nach wie vor das geistige Kind dieses heute gerade einmal 26-jährigen Sonderlings, der in vielerlei Hinsicht dem Qualifikationsprofil eines Gurus entspricht, mit seinen jesusschlappenartigen Badelatschen, seiner Introvertiertheit und seinem Weltverbesserungsidealismus. Den nimmt Kirkpatrick ihm ab. Immer wieder betont er, es gehe Zuckerberg bei Facebook nicht um Geld, sondern um eine Idee zum Wohle der Menschheit. Eine Einschätzung, der man nur zu gerne Glauben schenkt, weil Facebook durch die Daten und das Vertrauen seiner Nutzer inzwischen eine Macht besitzt, die man nicht in falschen Händen sehen möchte. 

Kirkpatrick ist so ehrlich einzugestehen, dass sich Auswirkungen und Ausmaß der Facebook-Revolution bislang nur erahnen lassen. Dennoch skizziert er einige sich abzeichnende Entwicklungen. Zunächst die generelle Annäherung der Menschen untereinander, über alle räumlichen Grenzen hinweg, die zu einer "universellen Konnektivität" führen könne. Im Politischen erweise sich Facebook zunehmend als effizientes Mittel der Organisation gemeinsamer Aktionen, aber auch als eine Art indirekter Kontrollmechanismus gegen Intrigen, Lügen und Heuchelei.  

Ebenso im Bereich der Wirtschaft, wo Facebook tendenziell Transparenz und Offenheit auch in die Firmenkultur einsickern lasse und starre Hierarchien zerbröseln könne. Und wenn auf der einen Seite die freizügige Präsentation personenspezifischer Daten auf Facebook dem Marketing eine viel genauere Zielgruppenansprache ermögliche, so forciere Facebook doch andererseits auch eine Interaktion von Produzenten und Konsumenten, die Letzteren größeren Einfluss auf ihren Konsum geben und zu sinkenden Kosten und besseren Produkten führen könne.


Fokussierung auf das Kollektiv


Doch Kirkpatrick spart auch nicht mit Kritik. So beklagt er den User-Trend zur eitlen Ansammlung möglichst vieler "Freunde", der Facebooks ursprünglichem Konzept eines Austauschs unter echten Freunden zuwiderlaufe. Vor allem aber tadelt er Facebooks Neigung, datenschutzrechtliche Bedenken geflissentlich zu ignorieren, die Grenzen der Privatsphäre mit jeder technischen Neuerung weiter zu verschieben und erst nach Protest ein Stück zurückzurudern. Hierin, so Kirkpatrick, äußere sich ein fast schon zwanghaftes Beharren auf radikaler Offenheit und Transparenz, das in Zuckerbergs fester Überzeugung gründe, dass "die Welt besser sein wird, wenn man mehr von sich zeigt". 

Diese Fokussierung auf "die Welt", auf das Kollektiv, macht sich allerdings auch Kirkpatrick zu eigen, wenn er die Frage nach dem Einzelnen weitgehend ausblendet. Also die - hierzulande von Frank Schirrmacher aufgeworfene - Frage, was identitätsverarbeitende Computerprogramme eigentlich mit dem Individuum machen. Und ob ein System wie Facebook nicht einer Selbstentfremdung Vorschub leistet, indem es den individuellen Abgleich zwischen dem Blick in die Welt und in das eigene Ich ersetzt durch eine maschinelle Informationszuteilung, algorithmisch abgeleitet aus eigenem Verhalten in der Vergangenheit und dem Verhalten vermeintlich Gleichgesinnter. Solche Gedanken drängen sich spätestens an jener Stelle auf, an der ein Facebook-Verantwortlicher mit den Worten zitiert wird: "Wir helfen den Menschen, über verschiedene Lebensbereiche hinweg offener zu sein. So müssen sie immer weniger darüber nachdenken, wer sie eigentlich sind."


Teil einer Weltrevolution


Eingefleischte Facebook-Gegner wird Kirkpatrick mit seinem Buch kaum bekehren können. Doch auch wer Facebook für eine Zeitverschwendungsmaschine hält, ihm gar eine Tendenz zur Banalisierung und Konformisierung des Lebens unterstellt, bekommt mit Kirkpatricks Buch eine faktenreiche Denk- und Diskussionsgrundlage. Gelassene oder begeisterte Facebook-Nutzer wiederum werden sich nach der Lektüre zu einem Statusupdate ermuntert fühlen: "Bin gerade Teil einer Weltrevolution." 



Zitate


Facebook "verändert die Art und Weise, wie Menschen miteinander kommunizieren und umgehen, wie durch Werbung Produkte verkauft werden, wie Regierungen ihre Bürger ansprechen, und sogar, wie Unternehmen geführt werden. Es verändert das Wesen von politischem Aktivismus, und in manchen Ländern wirkt es sich allmählich auf die demokratischen Prozesse selbst aus." David Kirkpatrick: Der Facebook-Effekt

 

changeX 10.02.2011. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

Artikeltools

PDF öffnen

hanser

Carl Hanser Verlag

Weitere Artikel dieses Partners

Einfach kompliziert

Warum wir es gerne einfach hätten und alles immer so kompliziert ist - das neue Buch von Peter Plöger zur Rezension

Die Biobastler

Biohacking - das neue Buch von Hanno Charisius, Richard Friebe, Sascha Karberg zur Rezension

Das verflixte Geld

Ausgezeichnet mit dem Deutschen Finanzbuchpreis 2013: Geld denkt nicht von Hanno Beck zur Rezension

Ausgewählte Links zum Thema

Zum Buch

: Der Facebook-Effekt. Hinter den Kulissen des Internet-Giganten. Carl Hanser Verlag, München 2011, 406 Seiten, ISBN 978-3-446-42522-4

Der Facebook-Effekt

Buch bestellen bei
Osiander
genialokal
Amazon

Autor

Dominik Fehrmann
Fehrmann

Dominik Fehrmann ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.

nach oben