Der Berater als Feldforscher

Einführung in die Methoden der systemischen Organisationsberatung - das neue Buch von Joana Krizanits
Rezension: Jost Burger

Systemische Organisationsberatung hat ein solides theoretisches Fundament. Ja sie besteht aus einer untrennbaren Verbindung zwischen Theorie und Praxis. Eine ausbalancierte Einführung in eine Praxis mit theoretischem Boden.

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Die systemische Organisationsberatung hat längst ihren festen Platz unter den Instrumenten der Unternehmens- und Organisationsentwicklung. Manchen Beobachtern gilt sie als "en vogue", aber wenig definiert, andere verbinden mit der Methode wenig mehr als nette Workshops mit den Kollegen. Dass diese Vermutungen nicht zutreffen, zeigt Joana Krizanits mit ihrer wunderbaren Einführung in die Methoden der systemischen Organisationsberatung. Die erfolgreiche und auch in Fachkreisen bekannte Beraterin hat schon vor einigen Jahren eine Art Entstehungsgeschichte des Berufsfeldes vorgelegt, in ihrem neuen Buch verbindet sie dies sehr zugänglich mit der Praxis. 

Zu Beginn stellt Krizanits ein großes Kapitel über die wissenschaftliche Entwicklung der systemischen Beratung - angefangen mit dem "Action Research"-Ansatz, den Kurt Lewin in den 1940er-Jahren in den USA prägte. Action Research kann man als eine Methode der teilnehmenden soziologischen Forschung verstehen, die zugleich gestaltet. Auf die Organisationsentwicklung bezogen ist der systemische Berater ein "Feldforscher", der sich in die Organisation - das System - seines Klienten begibt und dort in einen interaktiven Prozess eintritt, der immer wieder die Schleife aus Datenerhebung, Hypothesenbildung (Theorie), "Ausprobieren" (Praxis), erneuter Erhebung und Handlung durchläuft - bis sich das System verändert hat. Man könnte auch sagen: Theorie und Praxis sind in einer wechselseitigen Beziehung untrennbar verbunden.


Mehr als nur Workshops machen


Das klingt sehr "wissenschaftlich" - und ist es auch. "Gute systemische Organisationsberatung erfüllt die Gütekriterien gestaltender Sozialforschung und kann ... durchaus als eigenes Paradigma sozialer Feldforschung gelten", schreibt Krizanits. Systemische Organisationsberatung funktioniert nicht ohne eine fundierte wissenschaftliche Grundlage, so muss man das verstehen. Und tatsächlich bekommen die beschriebenen praktischen Methoden so gesehen ein ganz anderes Gewicht - es geht eben um mehr, als nur Workshops zu machen.  

Krizanits führt uns in den restlichen Kapiteln durch den kompletten Beratungsprozess und verwebt darin immer wieder Hinweise und Rekurse auf die theoretischen Hintergründe: Wie klappt die Auftragsklärung, was müssen Berater bei der Bildung erster Hypothesen zum Problem ihrer Klienten beachten? Wie kommen sie überhaupt zu diesen Hypothesen, in welchen Prozessschritten verläuft eine Entwicklung? Wie gestalte ich einen Workshop: Wie wichtig ist die Sitzordnung, welche Phasen gestalte ich wie? Und wie geht ein teilnehmender Berater mit den eigenen Veränderungen um - etwa wenn sich die Arbeitsweise in seinem eigenen Beraterteam der des Klienten annähert?


Kantinenessen als mangelnde Wertschätzung


Beispiel "aktives Zuhören". Diese Technik verkommt zuweilen zu einer reinen Methode der Informationsgewinnung, bei der es darum zu gehen scheint, beim Zuhören möglichst oft Zustimmungslaute von sich zu geben und das Gesagte zu wiederholen. Tatsächlich aber handelt es sich um einen therapeutischen Ansatz, bei dem der Zuhörende darauf achtet, was der Sprechende mit einer rein pragmatischen Aussage über sich selbst aussagt. Im Buchbeispiel gerät ein Berater, der im Zuge der Datenerhebung zunächst Einzelgespräche führt, etwa an einen schwer schuftenden IT-Fachmann. Der beschwert sich über das Essen in der Kantine, und durch kluge, empathische Rückspiegelung ("Sie klingen verärgert, Sie finden das nicht angemessen") kommt heraus, dass sich die Mitarbeiter durch das billige Kantinenessen in ihrer Wertschätzung herabgesetzt fühlen - eine wichtige Ausgangsbasis für den weiteren Prozess. Ohne den wissenschaftlichen Hintergrund könnte man die Technik nicht voll erfassen.  

Wobei Krizanits niemals überfrachtet. Ihr Buch hält - inhaltlich wie sprachlich - eine sehr angenehme Balance zwischen hohem Anspruch und leicht umsetzbarer Methodenbeschreibung. Sie scheut sich dabei nicht, aus den Arbeiten anderer zu zitieren, verweist häufig auf das umfassende Literaturverzeichnis und rückt wichtige Passagen ebenso wie Fallbeispiele im Satzspiegel etwas ein. Wo es Abbildungen gibt, sagen sie wirklich etwas aus und sind - wenn es etwa um Prozessbeschreibungen geht - sehr gut erfassbar. Alles in allem führt das zu einem zwar sehr dichten, aber leicht zugänglichen Werk, das zudem durch Krizanits’ knappen, aber eleganten Stil auffällt.


Kurz und gut


Leser mit einiger Vorbildung dürften sich leichter tun mit dieser Einführung. Berater, die schon in der Praxis stehen oder sich in der Ausbildung befinden, werden die konzise Darstellung der wissenschaftlichen Hintergründe schätzen und aus der starken Verbindung zur Theorie auch die Praxis ergiebiger zu handhaben wissen, und sei es als Auffrischung eigenen Wissens. Für interessierte Laien indes ist das Buch eine sehr gute Ausgangsbasis für die vertiefende Beschäftigung mit dem Thema.  

Kurz und gut: sehr gelungen, sehr empfehlenswert.  


changeX 28.11.2013. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Einführung in die Methoden der systemischen Organisationsberatung. Carl-Auer Verlag, Heidelberg 2013, 127 Seiten, 13.95 Euro, ISBN 978-3-89670-870-0

Einführung in die Methoden der systemischen Organisationsberatung

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Autor

Jost Burger
Burger

Jost Burger ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.

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