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Auf Neustart

Bank-Räuber – Leo Müllers schonungslose Analyse der Finanzkrise.
Text: Hans-Joachim Dübel

Schuldlos wurde Deutschland in den Strudel der Finanzkrise gerissen – so die offizielle Lesart. Leo Müller zeigt, wie deutsche Manager und Politiker zur Implosion der Finanzmärkte beitrugen. Seine Lehre aus dem Desaster: Das Finanzsystem von Grund auf neu gestalten!

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Wer ist schuld am größten Finanzdesaster Deutschlands seit dem Zweiten Weltkrieg? Ist Deutschland wirklich schuldlos den geldgierigen Machenschaften der englisch-amerikanischen Finanzelite zum Opfer gefallen? 


Zuweilen schärft es den Blick, unglaubliche Geschehnisse in einem Land von außen zu betrachten. Das tut der in der Schweiz ansässige Wirtschaftsjournalist Leo Müller, der sich mit dem Aufspüren von kriminellen Machenschaften in der Wirtschaft einen Namen gemacht hat. Was ein großer Teil der deutschen Eliten in Politik, Banken, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien seit Ausbruch der Finanzkrise Mitte 2007 verschwiegen hat – Leo Müller bringt es ans Licht. Seine These: „Die wahre Geschichte des Crashs hat daher zwei Kapitel: die kriminellen Machenschaften in der Finanzindustrie und das Versagen der Politik. Es ist diese unheilige Allianz aus kriminellen Managern und unfähigen Politikern, die uns in den Ruin treibt.“


Die Lehman-Lüge



Der Autor nimmt nicht nur Banken und Hedgefonds aufs Korn, sondern vor allem den Auftritt von Staat und Politik. Theoretisch sollte der Staat eine unabhängige und rasch agierende Bankenaufsicht betreiben. Die deutsche Besonderheit, dass viele Großbanken – das gilt für die Landesbanken, das galt für die mittlerweile verkaufte Deutsche Industriebank (IKB) – in staatlicher Hand sind, ist der Grund, warum es in der Wirklichkeit anders aussah: Die Politik arbeitete darauf hin, die Ertragsschwäche der staatlichen Banken zu kaschieren und regionale Standorte um jeden Preis zu stützen. Die deutsche Finanzkrise hat eine lange Vorgeschichte. Dass die Verantwortung für die Krise allein den Amerikanern angelastet wurde, weil sie die Investmentbank Lehman in Konkurs gehen ließen, nennt Müller zu Recht die „Lehman-Lüge“. 


Die deutsche Verantwortlichkeit beginnt mit der Haltung der Bankenaufseher zu außerbilanziellen Finanzvehikeln, sogenannten Schattenbanken, die trotz des ähnlich gelagerten Enron-Skandals den allgemeinen Buchhaltungs- und Kapitalregeln für Banken nicht unterworfen wurden. In diesen Schattenbanken hatten deutsche Großbanken 2007, so ergaben Berechnungen der seinerzeit fassungslosen Federal Reserve Bank in New York, dreistellige Milliardenbeträge angelegt. Dem Rezensenten teilte die Bundesbank mit, vor Inkrafttreten von Basel II im Januar 2007 habe es keine rechtliche Handhabe gegen diese Geschäfte gegeben. Wer bei Müller liest, wie die Bankenaufseher, also: Bundesbank und Bafin, sowie die öffentlichen Eigentümer der Landesbanken zum Zweck der Aufhübschung der Bilanzen die Schattenbanken geduldet haben, muss diese Behauptung bezweifeln. Spanier und Italiener hatten ihren Banken außerbilanzielle Geschäfte kurzerhand auch ohne Basel II untersagt.



Schattenbanken staatlich garantiert



Ein zweiter Skandal ist die Brüsseler Erklärung von 2001, in der die EU-Kommission auf Druck von Bund, Ländern und Sparkassenverband den Landesbanken vier zusätzliche Jahre an Schuldenaufnahmen mit Staatsgarantien einräumen musste. Das Ergebnis: Der Schachspieler Peer Steinbrück, 2001 noch Finanzminister in Nordrhein-Westfalen und Verwaltungsrat der WestLB, musste 2008 in einem Interview kleinlaut einräumen, man habe nicht damit gerechnet, dass die Landesbankenbilanzen infolge der Brüsseler Erklärung um mehrere Hundert Milliarden aufgebläht würden. 


Das meiste Geld hatten die Landesbanken in Papiere mit Top-Ratings investiert; für die am Markt eingeführten gab es jedoch naturgemäß nur niedrige Zinsen. Weil die Banker aber ihre Bilanzen polieren wollten, lieferten sie sich den heute von der Politik so wortreich beklagten angelsächsischen „Betrügereien” von Ratingagenturen, Investmentbanken und Hedgefonds freiwillig aus und kauften jede Menge angeblich sicherer, hochverzinslicher Papiere. Wie Müller am Beispiel SachsenLB zeigt, waren sogar die mit solchen Papieren vollgestopften Schattenbanken der Landesbanken staatlich garantiert. 


Dass Staat und Politik mit öffentlichen Geldern spekulieren – und dabei mitunter Verluste machen –, ist bis heute ein deutsches Tabuthema. Müller zeigt, wie das Ausmaß der Verluste nach „Ausbruch” der Krise systematisch vertuscht worden ist. Seitdem die IKB Mitte 2007 vor der Pleite stand, herrschte auf Druck der Deutschen Bank hin Waffenstillstand zwischen Privatbanken und Politik, die sich ein Jahrzehnt lang mit allen Mitteln um Landesbankengarantien und Privatisierung der Sparkassen bekriegt hatten. Das Stillhalteabkommen sah im Prinzip wie folgt aus: Die Privatbanken schwiegen darüber, dass die staatlichen Aufseher und Bankeigentümer am Steuer geschlafen hatten; der Steuerzahler – das war die Gegenleistung des Staates – musste den Großteil der Risikoabschirmungen nun auch für die Privatbanken beziehungsweise deren faktisch insolventen Einlagensicherungsfonds tragen.


Versagen der staatlichen Bankenaufsicht



Zwischen der IKB-Krise im Sommer 2007 und dem Lehman-Crash im Herbst 2008 liegt die Kernphase des Versagens der beiden staatlichen Bankenaufseher Bafin und Bundesbank. Monatelang redeten beide die Gefahr klein, die sich in den USA zusammenbraute. Dabei tat sich der Bundesbankchef Axel Weber, umzingelt von Länder- und damit Landesbankvertretern im Bundesbankvorstand, besonders hervor. Auch die Bafin reagierte ungewohnt hasenfüßig. Noch 2006 hatte ihr Chef Jochen Sanio die Pfandbriefbank AHBR kurzerhand vom Markt genommen und den Pfandbriefmarkt restrukturiert. Bei der um ein Drittel kleineren IKB hingegen sprach er 2007 schon von einer Systemkrise. Mit der Verstaatlichung der Hypo Real Estate wurde im Herbst 2008 der deutsche Pfandbriefmarkt faktisch staatlich garantiert. Als einige Landesbanken in die Bredouille kamen, forderte Sanio Garantien der Länder im dreistelligen Milliardenbereich ein – anstatt die bankrotten Institute konsequent abzuwickeln. Es wird wohl weniger Angst vor der Systemkrise gewesen sein, die ihn dazu bewog, als vielmehr die Zwangsjacke, die Finanzminister Steinbrück seinem Untergebenen Sanio verpasste. 


Wie bei der Gründung des – zur Ausgabe von bis zu 480 Milliarden Euro ermächtigten – Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung Soffin im Herbst 2008 der Bundestag um seine zentrale Funktion, die Haushaltskontrolle, gebracht wurde, ist ein atemraubender Vorgang. Müller schildert ihn vorzüglich. Ebenso genau zeigt er, wie der Hypo-Real-Estate-Untersuchungsausschuss in seiner Arbeit behindert wurde. Lediglich neun Parlamentarier haben Zugang zu den Daten des Soffin. 

Selbst internationaler Druck brachte Peer Steinbrück im Frühjahr 2009 nicht dazu, endlich „Stress Tests” bei deutschen Banken zur Ermittlung des Kapitalbedarfs durchzuführen. Auch die „Bad Bank“-Gesetzgebung diente der Verlustverschleierung, sie wurde wenige Wochen vor der Bundestagswahl 2009 trotz großer fachlicher Mängel durchgepeitscht.


Neue Banken



Die Konflikte nicht zu lösen, sondern zu vertuschen, führt Müller zufolge dazu, dass dem deutschen Bankensystem der Zerfall droht. In der Tat: München und Düsseldorf sind als bedeutende Bankenstandorte in der Industriefinanzierung Vergangenheit, Hamburg kämpft mit den Resten der HSH Nordbank um die Schiffsfinanzierung. Die deutsche Bankenindustrie, die den Anschluss in den Wachstumsregionen in Asien und Lateinamerika weitgehend verpasst hat, wird kämpfen müssen, wenn sie international weiterhin eine wichtige Rolle spielen will. Die Bankenaufsicht wird Deutschland aus den Händen genommen und europäisiert werden. Man muss sagen: zum Glück. Die Bundesregierung plant derzeit, den größten Versager in der Bankenaufsicht, die Bundesbank, wieder aufzuwerten – und das ohne jede objektive Begutachtung ihrer Leistungen und Fehler. Müllers Lehre aus der tiefen Krise des deutschen Bankplatzes ist deshalb die Forderung nach einem kompletten Neuanfang: „Alles muss von Grund auf neu gestaltet werden – eine neue Finanzpolitik, eine neue Bankenaufsicht und vor allem neue Banken.“ 


Wenn manche Passagen in Müllers verständlich geschriebenem Buch zum Rundumschlag geraten sind und etwas bruchstückhaft wirken, so liegt das nicht am Autor, sondern daran, dass Politik und Banken sich große Mühe geben, ihre Spuren zu verwischen. Bank-Räuber zeichnet ein wenig schmeichelhaftes Sittengemälde von Banken und Politik.


changeX 19.05.2010. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Autor

Hans-Joachim Dübel
Dübel

Hans-Joachim Dübel ist Finanzsektorexperte und Gründer der Beratungsfirma Finpolconsult in Berlin.

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