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Manifest der Innovation

Business Model Generation - die Anleitung zur Geschäftsmodellinnovation von Alexander Osterwalder und Yves Pigneur
Text: Jost Burger

Aus Alt mach Neu: Das mag beim Recycling funktionieren. Wenn es aber um Weltsichten, um Denk- oder auch Geschäftsmodelle geht, erweist sich das Alte als Hemmschuh des Neuen. Neues zu erschaffen erfordert den Bruch mit dem Gegebenen. Es erfordert neue Perspektiven, neue Denkweisen und Methoden. Wir stellen drei aktuelle Neuerscheinungen vor, die genau dazu einladen: neues Denken zu üben. 2: Wie wir neue Geschäftsmodelle entwickeln können.

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Sogar die Kinder finden es interessant. Mein Sohn, noch im Vorschulalter und der Lesefähigkeit unverdächtig, fand das tolle neue Bilderbuch eines Tages auf dem Wohnzimmertisch und blätterte sofort begeistert durch die bunten Seiten des dicken Wälzers im Querformat: "Papa, was machen die lustigen Männchen da in dem Buch?" Die lustigen, gezeichneten Männchen (und Weiblein) stehen äußerst dynamisch an einem Flipchart und denken sich ein neues Businessmodell aus, sagte ich, und das war natürlich keine kindgerechte Antwort. Aber um ein Kinderbuch handelt es sich auch nicht, bei Business Model Generation von Alexander Osterwalder und Yves Pigneur. Eher um eines der aufregendsten Bücher über Businessprozesse und Innovation der letzten Jahre. 

"Dieses Buch gibt Ihnen Einblicke in die Welt der Geschäftsmodelle", behauptet das Vorwort. Dass das ein bisschen untertrieben ist, wissen die Autoren natürlich selbst. Schließlich lautet der Untertitel: Ein Handbuch für Visionäre, Spielveränderer und Herausforderer. Und so heißt es weiter: "Wie können wir mächtige neue Geschäftsmodelle systematisch erfinden, gestalten und umsetzen? Wie können wir visionäre Ideen in spielverändernde Geschäftsmodelle verwandeln?" Darauf will Business Model Generation - nennen wir es im Folgenden BMG - Antworten geben. Was es auf ganz hervorragende Weise tut, das zeigt auch die aufgeregte Diskussion in Teilen dessen, was man so die weltweite Businessavantgarde nennt.


Die Canvas


Gestaltung und Design spielen dabei, das hat mein Sohn richtig erkannt, tatsächlich eine herausragende Rolle. Nicht nur, was die Optik des Buches angeht. Auch das zentrale Tool, auf dem das Ganze beruht, ist ein visuelles Instrument: "die Canvas". Von den Autoren, beides renommierte Berater und Wissenschaftler, schon seit Jahren erfolgreich eingesetzt, ist sie die optische Umsetzung eines Modells, mit dem sich Geschäftsmodelle darstellen lassen. Neun grundlegende Bausteine zeigen, "aufgrund welcher Logik ein Unternehmen Geld verdienen kann", und decken "die vier wichtigsten Bereiche eines Unternehmens ab: Kunden, Angebot, Infrastruktur und finanzielle Überlebensfähigkeit".  

Klingt nach nichts Neuem? Der Clou ist die visuelle Umsetzung des Konzeptes im Buch. BMG schafft es, die verschwitzt-kreative Atmosphäre einer erfolgreichen Brainstormingsitzung in Buchform zu transportieren, dabei so profunde wie ein klassisches Managerlehrbuch zu sein und zugleich höchst erfolgreich den persönlichen Ideengenerator zu stimulieren.  

Eigentlich bedeutet Canvas ja Leinwand - auch jene, auf der man malt. Im Buch muss man sich diese wie einen Setzkasten mit neun großen Fächern oder eben Bausteinen vorstellen. Auf der linken Seite befinden sich die Bereiche Schlüsselaktivitäten, Schlüsselpartner, Schlüsselressourcen und als Basis die Kostenstruktur. Das Feld "Wertangebote" verbindet sie mit den Bausteinen der rechten Seite: Kundenbeziehungen, Kanäle und Kundensegmente, getragen diesmal von den Einnahmequellen. Faszinierenderweise lassen sich mit diesem Modell sämtliche erdenklichen Geschäftsmodelle darstellen. Und zwar am besten mit großen, ausladenden Handbewegungen. Denn die Canvas sei "ein praxisorientiertes Tool, das Verständnis, Diskussionen, Kreativität und Analysen fördert". Mit anderen Worten: Die Autoren empfehlen, sie so groß wie möglich an die Wand zu pinnen und es dann mit jeder Menge Post-its und Edding-Filzern krachen zu lassen - wie auf einer Leinwand, auf der sich nach Lust und Laune schreiben und malen lässt.


Fragen an die Epizentren


Und ja, das ist neu. Drei Dinge machen BMG wirklich einzigartig. Das ist zunächst tatsächlich die Canvas. Zum einen ist sie ein unglaublich effektives Analysetool, das den Anspruch, praxisnah zu sein, wirklich einlöst. Sehr ausführlich und doch aufgrund des überragenden Buchlayouts schnell erfassbar machen die Autoren das anhand zahlloser Beispiele deutlich. Vor allem aber ist die Canvas ein großartiger Ausgangspunkt für Innovation. Einer oder auch mehrere der Bausteine werden zu "Epizentren" erklärt, an die dann wie wild Fragen gestellt werden.  

Hätte der Erfinder von IKEA die Canvas benutzt, wäre eine der Fragen gewesen, warum die lieben Kunden ihre Schränke eigentlich nicht selbst aufbauen können - eine Frage, die unter anderem den Baustein Infrastruktur berührt.  

Hätte es sich um Rolls-Royce gehandelt, hätte die Frage gelautet: Warum vermieten wir eigentlich die Düsentriebwerke nicht, statt sie zu verkaufen? Unter anderem eine Frage der Einnahmequellen, aber auch der Bedürfnisse bestimmter Kundensegmente.  

Und bei Apple hieße es, warum ein Computerunternehmen eigentlich nicht auch Musik verkaufen soll - da geht es neben anderem um die Wertangebote und Kundenbeziehungen.


Was will der Kunde?


Womit wir bei der zweiten tollen Sache an BMG sind. Wer sich durch all die Buchmeter über Kreativitäts- und Designtechniken gearbeitet hat, wird bei der Lektüre vielleicht ausrufen: Genau! So geht’s! Jetzt verstehe ich, was interdisziplinäres Arbeiten, was Kundenorientierung, was die Sache mit den Prototypen oder das Denken in Szenarien bedeutet! Vielleicht liegt es daran, dass auf keiner Seite der Begriff "Design Thinking" auftaucht. Theoretischer als das bekannte Zitat von Roger Martin, dem Dekan der Roman School of Management, am entsprechenden Kapitelanfang wird es nicht: "Geschäftsleute müssen Designer nicht nur besser verstehen, sie müssen Designer werden." Dann geht es in die Praxis, und wie.  

Zum Beispiel mit einem großzügigen, doppelseitigen Aufmacher für die Designtechnik "Customer Insights". Im Stil einer Reportage wird beschrieben, wie ein wackerer Feldforscher im Februar 2008 eine Gruppe von hippen jungen Skatern befragt und beobachtet, um für das Mobilfunkunternehmen Telenor mehr über Gruppenprozesse, Wünsche und Bedürfnisse der jungen Zielgruppe herauszufinden - und die Gepflogenheiten beim Austausch von Fotos über das Handy. Sich in den Kunden hineinzuversetzen, ihm zuzuhören, sich dessen eigene Fragen zu stellen, statt ihn nur zu analysieren, gehört bekanntermaßen zu den erfolgreicheren Methoden, Kundenbedürfnisse zu erfassen.  

Was will der Kunde? Die BMG-Autoren sagen: Fragen ist gut. Verstehen ist besser. Und stellen im Anschluss daran einen, Zitat, "richtig einfachen Kundenprofiler" vor für alle, die sich keinen teuren Feldforscher leisten können. Der Profiler funktioniert nicht nur, sondern macht auch Spaß. Am Anfang steht ein hübscher gemalter Kopf auf einem großen Blatt Papier, auf den folgenden Seiten dann ist der Kopf vor lauter Post-its kaum noch zu sehen. Auf ihnen stehen die relevanten Fragen, deren Antworten beim Profiling helfen. Was denkt und fühlt er? Oder: Was sieht er bei anderen, bei Freunden, im Markt? Oder: Was sagt und tut er? Oder: Wo will er persönlich hin?


Crowdfunding, das funktioniert


Dass es BMG so besonders gut versteht, Prozesse der zielgerichteten Innovation zu verdeutlichen, ja: zu lehren, mag aber auch an seiner Authentizität liegen, man verzeihe das Wort. Sie macht die dritte Besonderheit von BMG aus. Denn das Buch wurde auf die gleiche Weise entwickelt und umgesetzt wie die innovativen Geschäftsmodelle, die es beschreibt. Wen das interessiert, der steigt am besten gleich im letzten Kapitel ein und liest die Entstehungsgeschichte.  

Da fanden sich mehrere Menschen zusammen, die der Meinung waren, es müsse jetzt ein Buch zur Canvas geben. Statt sich ins einsame Kämmerlein zurückzuziehen, gründete man kurzerhand eine Internetplattform, die es immer noch gibt (www.businessmodelgeneration.com/hub). Dort diskutierten und kommentierten am Ende 470 Manager aus der ganzen Welt jeden Schritt des Buches und stellten ihre eigenen Erfahrungen zur Verfügung.  

Nun sind Mitmachbücher ja nichts Neues. Der Clou bei dieser Umsetzung: Es handelte sich um einen exklusiven Klub, für dessen Mitgliedschaft man rund 250 Dollar im Jahr zahlte. So war ein Teil des Projekts schon vor Erscheinen des Buches finanziert - ein Beispiel für Crowdfunding, das funktioniert. Partner besorgten Design, Layout und Herstellung. Ein Prototyp wurde entwickelt und zur Diskussion gestellt (davon zeugen die vielen Zitate dieser Debatte im Buch). Das fertige Werk wurde direkt vertrieben, einen klassischen Verlagspartner für die amerikanische Originalausgabe gab es nicht, virales Marketing in sozialen Netzen und über Mund-zu-Mund-Propaganda sorgte für den Verkauf der Startauflage von 5.000 Exemplaren innerhalb weniger Monate. Weitere Einnahmequellen sind Lizenzierungen an Verlage (zum Beispiel die vorliegende deutsche) oder customized Versionen für Unternehmen, also klassisches Industriegeschäft.


Manifestation der Innovation


Kurz: Die Macher hatten sich das Geschäftsmodell "Buch" vorgenommen und es gründlich analysiert - natürlich anhand einer Canvas und mit sehr, sehr vielen Post-its. Dann nahmen sie sich jeden Baustein vor - und machten (fast) alles anders. Heraus kam ein Produkt, das in seiner Wirkung zu 100 Prozent seiner intendierten Aussage entspricht. Es überzeugt. Es ist das beste Beispiel für die Wirksamkeit seiner Methode. Es ist, man möchte kaum hymnischer werden, eine Manifestation der Innovation. Und es hat wirklich viele lustige Männchen drin.  



changeX 02.09.2011. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Business Model Generation. Ein Handbuch für Visionäre, Spielveränderer und Herausforderer. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2011 2011, 285 Seiten, 34.99 Euro, ISBN 978-3-593394749

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Autor

Jost Burger
Burger

Jost Burger ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.

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