Einfach kompliziert

Warum wir es gerne einfach hätten und alles immer so kompliziert ist - das neue Buch von Peter Plöger
Rezension: Dominik Fehrmann

Weil einfach einfach einfach ist, wird vieles einfach gemacht. Auf Biegen und Brechen. Aller Komplexität zum Trotz. Ein Buch plädiert dafür, hin und wieder in den Modus des wachen Denkens zu wechseln. Und sich der aufwendigen Differenzierung zu stellen.

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Vor einiger Zeit warb ein Mobilfunkanbieter mit dem Slogan "Weil einfach einfach einfach ist". Was ein hübsches Wortspiel war. Vor allem aber eine clevere Idee. Denn der Slogan spricht etwas Wirkmächtiges in uns an: unsere Vorliebe fürs Simple. Wir Menschen haben es gerne einfach. Und was nicht einfach ist, wird einfach gemacht. Auf Biegen und Brechen. 

Dass diese Komplexitätsreduktion teilweise problematisch ist und Gefahren birgt, letztlich gar für unsere Demokratie - das ist die zentrale These in Peter Plögers Buch Warum wir es gerne einfach hätten und alles immer so kompliziert ist. Auf sozialpsychologischer Grundlage beschreibt Plöger, der ansonsten als Berater und Coach arbeitet, unser Gehirn als große Vereinfachungsmaschine. Der Komplexität der Welt begegnen wir weitgehend mit Verallgemeinerungen, mit Pauschalurteilen und der Konstruktion kohärenter Geschichten. Sehen wir beispielsweise eine Frau mit Kopftuch, springt sofort unser kognitiver Autopilot an: Muslima, tief religiös, unterdrückt, ungebildet - so rattert die Assoziationsmaschine los und stopft das entsprechend Etikettierte in die passende Denkschublade. Potenziell störende Eindrücke - hatte die Frau nicht ein Suhrkamp-Büchlein in der Hand? - werden schlicht ignoriert. Unser Gehirn wählt Eindrücke, schreibt Plöger, "nach Prägnanz, Wichtigkeit und Übereinstimmung mit dem kognitiven Status quo" aus.


Wacher denken


Dies ist, was Plöger das "bequeme Denken" nennt. Er behauptet nicht etwa, dass bequemes Denken per se schlecht sei. Ohne kognitiven Autopiloten würden wir kaum einen Tag überleben, ohne automatisierte Urteile kämen wir kaum heil über die nächste Straße. Doch hin und wieder, so Plöger, sei es ratsam, in den Modus des "wachen Denkens" zu wechseln: "Je mehr jeweils auf dem Spiel steht (persönlich oder für die Gesellschaft), desto wacher sollten wir denken." Und waches Denken geht so: "Belassen Sie es nicht bei der vermeintlich einleuchtendsten, bündigsten Erklärung. Versuchen Sie, mehr Aspekte zu sehen, als Ihnen diese Erklärung bietet. Fallen Sie also nicht auf zu schnelle und vermeintlich klare Lösungen herein!" 

Waches Denken ist keine Turnübung, kein Selbstzweck. Plögers zentrale These lautet: "Die offene Gesellschaft ist auf waches Denken angewiesen." Wie das gemeint ist, zeigt er am Begriff der Kultur und dessen missbräuchlicher Verwendung. "Hüten Sie sich davor", so Plögers Rat, "den Bildungsstand, das Verhalten, die Gewohnheiten etc. von Menschen pauschal mit ihrer Kultur zu erklären." Wer, wie etwa Thilo Sarrazin, das Handeln der Menschen von ihrer Kultur beherrscht sieht, hänge einem einfältigen Kulturdeterminismus an. Besonders die Islamkritik der letzten Jahre kranke daran, dass ihre Protagonisten - seien es Sarrazin, Neclá Kelek, Henryk M. Broder, aber auch Hans-Ulrich Wehler - sowohl den dynamischen Charakter als auch die individuelle Ausdifferenzierung jeder Kultur und Religion missachteten. Wer so denkt und diese Gedanken teilt, frönt dem bequemen Denken.


Demokratie existiert, weil Komplexität existiert


Bei dieser "Kulturkritik" muss man Plöger nicht in jeden Argumentationswinkel folgen. "Wer seine Tochter schlägt oder sie sogar ermorden lässt, der kann strafrechtlich verfolgt werden. Wer missbräuchlich Sozialleistungen bezieht, dem sollten sie gestrichen werden. Und nichts weiter! Weiter hieße, in die Kulturalisierungsfalle zu tappen", schreibt Plöger an einer Stelle. Dieses "nichts weiter" scheint zu implizieren, dass es so etwas wie strukturelle Probleme gar nicht gibt. Sondern nur individuelle. Aber sind Faktoren wie kollektive Wertvorstellungen und Gewohnheiten (also das, was man gemeinhin Kultur nennt), so mag man fragen, tatsächlich völlig irrelevant für - zum Beispiel - die Erklärung statistischer Auffälligkeiten des Phänomens Töchtermord? Ist nicht vielmehr die Abstraktion vom Einzelfall notwendig, um praktikable politische Lösungen für komplexe Probleme zu finden? Um zu entscheiden, wo man den Hebel (den Bildungshebel, den Sanktionierungshebel, den Zuwanderungssteuerungshebel) am besten ansetzt?  

Doch selbst wenn Plöger hier vielleicht über das Ziel hinausschießt, zielt er grundsätzlich auf einen wichtigen und selten anvisierten Punkt: Politik muss der Komplexität der Probleme gerecht werden, nicht der Vorliebe der Menschen für einfache Lösungen. Und Plöger verteidigt die Politik gegen wohlfeile "Die-labern-doch-nur-herum"-Vorwürfe: "Die Politik macht die Dinge häufig kompliziert, aber indem sie das tut, bewahrt sie die Komplexität, die in der Sache steckt." Unredlich wäre es, so zu tun, als sei alles ganz einfach. Als sei eine bestimmte Volksmentalität das Problem. Oder der Islam. Oder aber - um das Thema zu wechseln - jede Form der Marktregulierung. Wenn alles so einfach wäre, schreibt Plöger zu Recht, wäre die Demokratie eigentlich überflüssig. Ihre Aufgabe bestehe gerade darin, dem zähen Ringen um Lösungen einen stabilen Rahmen zu bieten. "Institutionen eines demokratischen Staates lassen Komplexität bestehen und sorgen gleichzeitig dafür, dass das Ganze durch innere Konflikte keinen Schaden nimmt. Kurz: Die Demokratie existiert, weil die Komplexität existiert."


Plädoyer für die aufwendige Differenzierung


In diesem Sinne ist Plögers Buch ein Plädoyer für das Aushalten von Unterschieden und Ungereimtheiten. Für die aufwendige Differenzierung. Für das mühselige Schritt-um-Schritt. Für die kleinen, aber feinen Lösungen statt des großen Rundumschlags. Exemplarisch und en passant führt Plöger diese Praxis noch an den Beispielen Datenschutz und Urheberrecht vor. Wie er hier radikale Forderungen nach völliger Transparenz und nach freiem Zugang zu immateriellen kulturellen Werken kontert, ist schon für sich genommen höchst lesenswert.  

Ein kluger Autor. Ein nützliches Buch.  


Zitate


"Die offene Gesellschaft ist auf waches Denken angewiesen." Peter Plöger: Warum wir es gerne einfach hätten und alles immer so kompliziert ist

 

changeX 24.10.2013. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Warum wir es gerne einfach hätten und alles immer so kompliziert ist. Carl Hanser Verlag, München 2013, 322 Seiten, 19.90 Euro, ISBN 978-3-446-43665-7

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Autor

Dominik Fehrmann
Fehrmann

Dominik Fehrmann ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.

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