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Anleitung für Weltverbesserer

The Social Entrepreneur’s Handbook - das neue Buch von Rupert Scofield
Text: Annegret Nill

Wie wird man eigentlich Social Entrepreneur? Und wie gründet man ein erfolgreiches Social Business? Der CEO eines der ersten modernen Sozialunternehmen hat dazu ein Handbuch geschrieben. Unsere Rezensentin Annegret Nill findet: Ein Muss für jeden angehenden Social Entrepreneur!

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Da ist der Visionär, ein kreativer Chaot, der mit seiner großartigen Idee die Welt verändern möchte. Da ist der "Carpenter", der Zimmermann, der weiß, wie man eine Organisation aufbaut. Da ist "Mr. Bean", der Mann, der die Erbsen zählen und beisammenhalten kann. Und da ist der "Monkey in the Middle", der all die Welten dieser unterschiedlichen Typen kennt und als Übersetzer und Puffer zwischen ihnen fungiert. 

Willkommen in der Welt der erfolgreichen Social Entrepreneurs - genauer: willkommen in der Welt der Foundation for International Community Assistance, auch FINCA genannt. FINCA ist eine US-amerikanische Mikrokreditorganisation, die 1984 von John Hatch gegründet wurde und mit ihrem "village banking system" mittlerweile weltweit in Entwicklungsländern operiert. Das heißt: FINCA ist eines der wenigen frühen sozialen Unternehmen, die über die Jahre mit ihrer Idee nicht nur überlebt haben, sondern auch enorm gewachsen sind.  

Heute hat FINCA etwa 7.000 Mitarbeiter in 21 Ländern und mehr als 740.000 Kreditnehmer. Wie FINCA das geschafft hat, welche Hürden es auf diesem Weg überwand und auf welche Herausforderungen sich zukünftige Social Entrepreneurs heute vorbereiten müssen, wenn sie sich mit ihrer Idee am Markt durchsetzen wollen - das alles schildert FINCAs CEO Rupert Scofield mit viel Humor in seinem Ratgeber The Social Entrepreneur’s Handbook. How to Start, Build, and Run a Business That Improves the World.


People are more important than structure


Dem Buch zugrunde liegt Scofields Ansicht, dass es die Menschen sind, auf die es bei der gemeinsamen Reise zum erfolgreichen Non-Profit-Unternehmen ankommt. "People are more important than structure. If your organisation is filled with hardworking, creative, innovative people, it will succeed no matter what boxes you put people in."  

Allerdings kommt es bei der Zusammenstellung der Leute nicht nur auf ihre Kreativität und Arbeitswilligkeit an. Entscheidend ist laut Scofield, dass die richtigen Typen zusammenkommen. Als da wären: Erbauer, Bewahrer und Sanierer. Erbauer ("builder") erkennt man daran, dass sie eine Vision haben, ungeduldig gegenüber dem Status quo sind, ein enormes Arbeitsethos mitbringen und sich schnell langweilen, wenn sie nichts Neues erleben können. Bewahrer ("maintainer") dagegen wiederholen gern dieselben Prozesse immer wieder und halten sich an ihre Arbeitsstunden. Beide Typen braucht ein wachsendes Sozialunternehmen - wenn auch nicht unbedingt zur selben Zeit: "When an organization is young, or in the creation stage, it needs builders, not maintainers, to take it to the next level." Sanierer kommen dann ins Spiel, wenn etwas schiefgeht - und keine falschen Hoffnungen: Das tut es bestimmt, wenn das Unternehmen wächst, versichert Scofield. Da werden falsche Personalentscheidungen getroffen, Sachlagen falsch eingeschätzt, oder der Wachstumsprozess erfordert neue Herangehensweisen, für die die derzeitigen Mitarbeiter schlicht nicht ausgebildet sind.  

Bei FINCA beispielsweise gab es Direktoren, die es nicht ertrugen, wenn andere Managementmitglieder gleich schlau oder schlauer waren. Es gab Mitarbeiter, die überfordert waren, es aber nicht zugaben, und solche, die Gelder abzweigten. Es kam auch vor, dass Systeme, beispielsweise das interne Kontrollsystem oder das IT-System, sich mit zunehmender Organisationsentwicklung als nicht mehr zweckmäßig herausstellten. All diese Faktoren führten in Krisen, die Sanierungen, Veränderungen und auch Entlassungen zur Folge hatten.


Mit der Erfahrung kommt die Idee


Bevor man sich aber auf die Suche nach den richtigen Mitstreitern machen kann, gilt es, erst einmal seine eigene großartige Idee zur Weltverbesserung zu finden. Voraussetzung dafür: die eigene Armutserfahrung. Also ab in die Praxis. Denn nur wer die Lebensumstände seiner Zielgruppe kennt, wer ihre Perspektive von innen heraus erlebt hat, kann wirklich helfen. Scofield selbst war zwei Jahre lang für das Peace Corps, eine amerikanische Hilfsorganisation, tätig.  

Und so gehen Sie vor: Erstens die richtige Non-Profit- oder Hilfsorganisation für sich identifizieren. Maßstäbe: Wohin passe ich? Will ich groß im Kleinen sein - also beispielsweise in einer Suppenküche oder einem Obdachlosenheim arbeiten - oder klein im Großen? Wo kann ich am meisten lernen? Wie ist der Chef: ehrlich bemüht oder auf dem Ego-Trip?  

Zweitens: Wenn die passende Organisation gefunden ist, geht es darum, sich dort Eintritt zu verschaffen - indem man zunächst als Freiwilliger einsteigt und mitarbeitet.  

Drittens: Das Vertrauen der Menschen gewinnen und sich unverzichtbar machen, sodass man eine Arbeitsstelle dort ergattert. Mit der Erfahrung kommt dann häufig auch die Idee.  

Okay: Idee klar, Zielgruppe klar, erste Mitstreiter gefunden. Dann steht die Finanzierung an. Drei Säulen der Finanzierung führt Scofield an: private, öffentliche und interne Gelder, wobei mit "internen Geldern" hier eigene Einnahmen gemeint sind, wie sie Sozialunternehmen beispielsweise aus Dienstleistungen und Verkauf generieren. Auch FINCA generiert Einnahmen aus den Zinsen, die die Kreditnehmer bezahlen. Diese reichen allerdings nicht aus, um die Organisation mit ihrem Mutterkonzern in den USA zu finanzieren. Scofields Schwerpunkt im Handbuch liegt deshalb auf der privaten Säule - nicht ohne Grund: 2006 wurden in den USA 259 Milliarden Dollar an Hilfsorganisationen gespendet. Folglich ist Fundraising ein großes Thema für ihn: Wie man diese Säule erfolgreich aufbaut, in welche Fallen man dabei gehen kann und wie man "the real thing" erkennt, nämlich einen echten Fundraiser mit wirklicher Ahnung und echten Kapazitäten. Gar nicht so einfach - das merkt schnell, wer mit Scofield die ersten missglückten Versuche von FINCA durchläuft.  

Anfangen mit dem Spendensammeln sollte man im Familien- und Freundeskreis, rät Scofield. Glück hat, wer eine Art Business Angel für NGOs findet - bei FINCA war das der Bruder des Visionärs und Gründers John Hatch. Hat man zu einem Angel Kontakt aufgenommen, sollte man nicht gleich um Geld bitten, sondern zunächst um Rat, und dabei ausgiebig von der Idee berichten. Am besten den potenziellen Angel zu einem Besuch vor Ort einladen und ihm direkt demonstrieren, wie die Organisation hilft. Wenn es zu einer Bitte um Finanzierung kommt, gleich das Budget fürs kommende Jahr sichern. Falls es trotzdem nicht klappt: Unbedingt nach der Ursache forschen. Ist die Idee nicht zwingend genug, lag es an der Präsentation oder vielleicht an der eigenen Person?


Tausend Herausforderungen und tausend Fallen


Klar bei der Lektüre wird: Erfolgreiche Social Entrepreneurs brauchen einen langen Atem und eine hohe Frustrationstoleranz. Denn die Etablierung einer Idee, das Gründen einer Organisation, ihr Aufbau und ihr Wachstum dauern. Es gibt tausend Herausforderungen und tausend Fallen, einen unsicheren Weg, der Versuch und Irrtum fordert und gesäumt ist von der ständigen Möglichkeit, zu scheitern. Wer in gefährlichen Entwicklungsländern arbeitet, muss unter Umständen auch noch mit der Gefährdung des eigenen Lebens rechnen. Und dennoch, daran lässt Scofield keinen Zweifel: Es ist ein lohnenswerter Weg, begleitet von außergewöhnlichen Glücksmomenten und einer tiefen Befriedigung, die sich einstellt, wenn man sieht, welche Früchte die eigene Arbeit trägt und wie sich anderen Menschen dadurch Chancen eröffnen.  

The Social Entrepreneur’s Handbook ist ein außergewöhnliches Buch. Anhand der eigenen Erfahrung bei FINCA beschreibt Scofield das Entstehen und den Ausbau einer Idee, die schließlich zu einer wachsenden Organisation führt. Er behandelt alle wichtigen Themen einer solchen Organisation von Struktur über Finanzierung und Governance bis zu Marketing und Kommunikation. Dabei gibt er Tipps zur Fehlervermeidung, beschreibt Fallen und plaudert aus dem Nähkästchen. Das heißt, er erzählt von FINCAs Höhen und Tiefen, den Irrtümern und den Erfolgen und liefert die Analyse dazu gleich mit. Er tut dies herrlich selbstironisch und humorvoll und mit zahlreichen Geschichten aus der Praxis von FINCA, die mit Schrift und Balken klar vom übrigen Text abgegrenzt werden.  

FINCA ist eine US-amerikanische Organisation und Scofield durch und durch amerikanisch geprägt. Das führt aus europäischer Sicht an manchen Stellen zu Irritationen - etwa wenn es um Sanierungen und Entlassungen geht, und die Hire-and-fire-Mentalität, die sich an diesen Stellen ausdrückt. Auf Deutschland wäre das schon rein rechtlich nicht übertragbar. Aber wenn man von diesen Irritationen absieht, ist das Buch nicht nur inhaltlich eine Goldgrube: Es ist auch spannend und anschaulich geschrieben. Ein Muss für jeden angehenden Social Entrepreneur! 



Zitate


"People are more important than structure. If your organisation is filled with hardworking, creative, innovative people, it will succeed no matter what boxes you put people in." Rupert Scofield: The Social Entrepreneur’s Handbook

 

changeX 11.07.2011. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: The Social Entrepreneur's Handbook. How to Start, Build, and Run a Business That Improves the World. McGraw-Hill, New York 2011, 272 Seiten, 19.99 Pfund, ISBN 978-0-07-175029-5

The Social Entrepreneur's Handbook

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Autorin

Annegret Nill
Nill

Annegret Nill arbeitet als freie Journalistin, Autorin und Moderatorin in Berlin. Sie schreibt als freie Autorin für changeX.

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