Bangemachen gilt nicht

Angst vor China - das neue Buch von Frank Sieren
Text: Jost Burger

Die Welt hat Angst vor China. Ein Kenner des Landes sagt: Das muss nicht sein. Der Westen könnte zum starken Partner einer starken Weltmacht werden. Dafür aber müssen wir unsere Angst überwinden - und den Wandel akzeptieren.

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Es kann einem angst und bange werden. Die Lösung der Euro-Krise liegt in weiter Ferne. Die Klimakonferenz in Durban wird von wenig Hoffnungen begleitet. Und die altgediente Supermacht USA ergeht sich in pubertärem Wahlkampfgeplänkel. Derweil wird täglich deutlich, wer in Zukunft einen gehörigen Teil der weltweiten Macht innehaben wird: die Chinesen. Die "gelbe Gefahr", die Antidemokraten, die Umweltverschmutzer, Technologiediebe und Dollar-Hamsterer. Jetzt kaufen sie auch noch ungeniert Firmen im Westen, sichern sich Rohstoffe in der Dritten Welt, und chinesische Staatsfonds haben schon gar kein Interesse, in den Euro-Hebel zu investieren.  

"Noch nie zuvor war die Angst vor China so groß und das Selbstbewusstsein der Chinesen so stark", schreibt Frank Sieren. Der in China lebende deutsche Journalist gilt seit seinen Büchern Der China-Code und Der China-Schock als differenzierter Analytiker des Landes und seiner Beziehungen zum Rest der Welt. So auch in seinem neuen Buch Angst vor China.  

Dessen Untertitel lautet: Wie die neue Weltmacht unsere Krise nutzt. Man könnte ergänzen: Und wie wir die Stärke der neuen Weltmacht nutzen können, um unsere Krise zu überwinden. Denn das ist Sierens Botschaft: Wir brauchen keine Angst vor China und einer von ihm dominierten Welt zu haben. Aber wenn wir mitspielen wollen, können wir uns einer sich wandelnden Welt nicht verweigern.


Pragmatismus gefragt


China, sagt Sieren, sei ein Wettbewerber, dem wir uns stellen müssen. Vor allem aber betont er wie schon früher die Bedeutung der politischen und wirtschaftlichen Partnerschaft, die es auszubauen gelte. An derselben Stelle heißt es jedoch auch: "Wir müssen weiterhin von den Werten überzeugt bleiben, die wir geschaffen haben, und auch nach diesen Werten leben. Dennoch sollten wir der Versuchung widerstehen, den Chinesen unsere Überzeugungen aufzuzwingen." 

Das ist Sierens These. Ihm geht es mitnichten um kritiklose Verteidigung der chinesischen Politik im Innern wie im Äußern. Aber er fordert zu einem pragmatischen Umgang mit China auf. Und mit einer Welt, deren Schwerpunkte sich verschieben - und deren Akteure sich zwangsläufig immer stärker beeinflussen: "Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass wir uns in Zukunft bei unserer Selbstverwirklichung zugunsten der Interessen der globalen Gemeinschaft einschränken müssen." Auch wenn es wehtut.  

In sieben größeren Kapiteln führt Sieren vor Augen, wie sich dieser Wandel vollzieht. Es sind Geschichten mit stark reportagehaftem Charakter, sie erzählen prägnant und kenntnisreich analysierend die Geschichte von Chinas Verwobenheit mit der Welt - und führen vor Augen, wo das Land schon längst die Zügel in der Hand hat. Die Geschichten spielen in den Teestuben der chinesischen Politik, in deutschen Forschungszentren, auf dem internationalen Ölmarkt und in deindustrialisierten Städten Nordamerikas. Sie handeln von Konsumenten billiger chinesischer Waren, die zugleich Umweltverschmutzung und Sozialstandards in China anprangern. Sie erzählen von Technologien, die der Westen ganz freiwillig China überlässt. Sie erzählen aber auch auf anschauliche Weise, wie wichtig der richtige Umgang mit Menschenrechtsverletzungen in China ist. Sieren vertritt klare Standpunkte und kommt doch ohne den moralischen Zeigefinger aus.


Konstruktiver Blick auf China


Das zeigt beispielhaft schon die erste seiner Geschichten. Sie erzählt, warum in China seit diesem Jahr das weltweit erste kommerzielle Atomkraftwerk der vierten Generation gebaut wird. Sieren beschreibt einen faszinierenden Fall von freiwilligem Technologietransfer: Denn China baut einen sogenannten Hochtemperaturreaktor - eine Technologie, die einst von deutschen Instituten und Firmen, allen voran Siemens, entwickelt und zur Einsatzreife gebracht wurde. Damals mit dabei: Doktoranden aus China. Doch während die Technologie in Deutschland aufgegeben wurde, machte China in wenigen Jahren Riesenschritte und perfektionierte die Technik im Alleingang. Und präsentiert sich als der weltweite Technologieführer.  

Es geht Sieren nicht um die Debatte pro oder kontra Atomkraft. Sondern darum, dass China technologisch kein Bittsteller und auch kein Patentdieb mehr ist. Es geht darum, dass China nicht nur wegen günstiger Preise den Markt für Solarpanels und Windkraftanlagen aufrollt, sondern auch aufgrund seiner technischen Expertise.  

Es hat wenig Sinn, sich dieser Entwicklung zu verschließen. Dass China in Zukunft unser wichtigster Absatzmarkt ist, pfeifen die Spatzen von den Dächern. "Umso wichtiger ist es für uns Deutsche, uns mit Blick auf China keinen diffusen Ängsten hinzugeben, sondern mitzuhelfen, dass dieser radikale Umbruch der Weltordnung friedlich verläuft", schreibt Sieren. Das geht, da verkündet er keine ganz neue Ansicht, nur über die Stärkung internationaler Organisationen wie der UN und des IWF. Relativ neu ist allerdings, dies mit konstruktivem Blick auf China zu fordern.  

Dass die Welt durch diese Annäherung undemokratischer wird - weil sie sich etwa politischen und sozialen Standards der chinesischen Diktatur unterwerfen müsse -, fürchtet Sieren indes nicht. Seiner Ansicht nach wird über kurz oder lang auch in China der Wunsch nach Freiheit siegen. An der Weltmachtstellung des Reiches der Mitte aber werde das nichts ändern. Weswegen wir China als Partner betrachten müssten.  

Die Alternative ist Isolation, innerhalb Europas, innerhalb der Welt. Wohin die führen kann, belegt er eindrucksvoll mit einem Beispiel aus der chinesischen Geschichte. Er erwähnt die Herrscher der Ming-Dynastie, die sich vor ein paar Hundert Jahren allzu selbstbewusst von globalen Entwicklungen abkoppelten. Die Folgen waren fatal: Mit ihrem Handeln "verspielten sie ihren jahrhundertealten Vorsprung bei Lebensstandard und Wirtschaftsleistung". Vor den Chinesen müssen wir uns nicht fürchten. Wohl aber vor der Furcht vor ihnen. 


changeX 15.12.2011. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Angst vor China. Wie die neue Weltmacht unsere Krise nutzt. Econ Verlag, Berlin 2011, 432 Seiten, 19.99 Euro, ISBN 978-3-430300414

Angst vor China

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Jost Burger
Burger

Jost Burger ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.

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