Faktor ohne A

Robert I. Sutton: Der Chef-Faktor
Text: Dominik Fehrmann

Was macht einen Chef zu einem guten Chef? Robert I. Sutton bietet eine überraschende Antwort: dass er denkt und handelt, als ginge es nur um ihn. Allerdings nicht im Sinne des A-Faktors. Sondern als ständige Selbstreflexion des eigenen Wirkens.

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Es gibt einen schön sarkastischen Film von Lars von Trier mit dem Titel The Boss of It All. Zentrale Figur darin ist der harmoniesüchtige Chef einer kleinen Firma, der vermeiden will, von seinen Untergebenen für unangenehme Entscheidungen verantwortlich gemacht zu werden. Zu diesem Zweck gaukelt er ihnen die Existenz eines - übergeordneten - "Chefs des Ganzen" vor, dessen Anweisungen er lediglich ausführe. Als der Schwindel aufzufliegen droht, engagiert er sogar noch einen Schauspieler, um den bösen Oberchef zu verkörpern. Doch natürlich fällt das Kartenhaus am Ende in sich zusammen. 

Von Trier beleuchtet hier ein Phänomen, das Robert I. Sutton als Kardinalfehler eines Chefs erachtet. "Drücken Sie sich nicht vor der Drecksarbeit", lautet einer seiner grundsätzlichen Ratschläge an die Chefs dieser Welt. Bekannt geworden ist der Stanford-Professor Sutton nicht zuletzt durch seinen Bestseller Der Arschloch-Faktor. Darin schildert er, wie mit Intriganten, Aufschneidern und Despoten in Unternehmen umzugehen ist. Und auch in seinem neuen Werk Der Chef-Faktor fällt das A-Wort auf vielen Seiten - schlicht deshalb, weil Chefs besonders stark zu unsozialem Verhalten neigen. Weil Macht - wie Sutton mit Verweis auf zahlreiche Studien schreibt - Menschen tendenziell "in unsensible Idioten verwandelt, die blind werden für die Bedürfnisse und Wünsche ihrer Untergebenen".


Gespür für das richtige Maß


Das kann sich in großkotziger Alleinherrschaft äußern, aber eben auch in scheinheiliger, verantwortungsloser Drückebergerei. Wobei es natürlich auch unzählige gute Chefs gibt. Und es scheint im Grunde ja auch einfach, ein guter Chef zu sein, ist dessen wesentliche Aufgabe doch nur: dafür zu sorgen, dass seine Leute in Ruhe ihre Arbeit machen können. "Wenn man einen Samen ausgesät hat", zitiert Sutton zustimmend einen angesehenen Abteilungsleiter, "sollte man ihn nicht jede Woche ausgraben, um nachzusehen, wie er sich entwickelt." Zu dieser quasi gärtnerischen Aufgabe zählt auch, Mitarbeitern ein gedeihliches Umfeld zu schaffen. Sie also mit unsinnigen Arbeiten oder Kontrollen zu verschonen und ihnen ein gehöriges Grundvertrauen entgegenzubringen. Und sich schützend vor sie zu stellen, wenn sie von "weiter oben" mit Unsinnigem oder Unberechtigtem behelligt werden. Schließlich darf man nicht vergessen: Die meisten Chefs haben selber welche. 

Doch der Teufel steckt auch hier natürlich im Detail. Und es ist Suttons Verdienst, in seinem Buch nicht mit vermeintlichen Patentrezepten aufzuwarten. Stattdessen ackert er sich auf unterhaltsame Weise von Beispiel zu Beispiel, von Einzelfall zu Einzelfall - um deutlich zu machen, dass es letztlich um ein keinesfalls im Crashkurs zu vermittelndes Gespür geht. Um ein Gespür für das richtige Maß. Für jene Mitte zwischen zwei extremen Haltungen, die schon Aristoteles als Charakteristikum der Tugend an sich identifizierte.  

Wenn man den Chef - wie es Sutton tut - weniger als Leiter eines Unternehmens denn als Leiter einer Gruppe von Menschen betrachtet, leuchtet dieses Anforderungsprofil ein: Ein Chef ist in erster Linie ein Mensch, der besonders aufmerksam und feinfühlig mit einer relativ großen Zahl von Menschen umzugehen hat. Der ihnen zugleich einen Ordnungsrahmen und Handlungsfreiheit geben, zugleich Anweisungen erteilen und für Anregungen offen sein muss. Der Selbstbewusstsein an den Tag zu legen hat, zugleich aber auch Einsichtigkeit und Neugier. Und nebenbei auch das Selbstbewusstsein seiner Mitarbeiter stärkt. Der kreative Querköpfe dulden, aber unfähige, unwillige oder den Betriebsfrieden störende Mitarbeiter konsequent entfernen sollte.  

Wie schon für Aristoteles ist die ideale Mitte auch für Sutton ein subjektives, je nach Umstand und Person zu bestimmendes Maß. Das sich in je individuellen Handlungen oder Regeln niederschlägt. Was er sehr anschaulich am Beispiel eines CEO des amerikanischen Bürobedarfsherstellers 3M illustriert: Der hatte einem Mitarbeiter wiederholt mit Kündigung gedroht, weil dieser in seiner Arbeitszeit gern für sich an irgendetwas herumbastelte. Aus dieser Bastelei ging jedoch mit dem Malerkreppband das erfolgreichste Produkt der Firmengeschichte hervor. Worauf sich der Chef für seine Vorwürfe entschuldigte und die sogenannte 15-Prozent-Regel einführte, nach der Mitarbeiter von 3M 15 Prozent ihrer Zeit einem frei gewählten Projekt widmen dürfen.


Ständige Selbstreflexion


Vor diesem Hintergrund erscheint Suttons Fazit auf den ersten Blick seltsam: "Wenn Sie eine gute Chefin oder ein guter Chef sein wollen, müssen Sie denken und handeln, als ginge es nur um Sie." Ist das nicht gerade eine Aufforderung zu narzisstischer Egomanie? Doch nichts läge Sutton ferner. Er trägt hier lediglich der Erkenntnis Rechnung, dass fast alles von der Wirkung des Chefs auf seine Mitarbeiter abhängt. Dass man in einer Führungsposition unter ständiger Beobachtung steht. Und verhängnisvolle Signale aussenden kann, wenn man sich dieser Rolle nicht bewusst ist.  

Die ständige Reflexion des eigenen Erscheinungsbildes, so Sutton, ist das A und O der guten Mitarbeiterführung. Und komme letztlich auch dem Chef selbst zugute. Denn gute Chefs - so Suttons glaubhaftes Versprechen - ziehen über kurz oder lang auch gute Mitarbeiter an. 



changeX 29.11.2010. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Der Chef-Faktor. Carl Hanser Verlag, München 2010, 272 Seiten, ISBN 978-3-446-42328-2

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Autor

Dominik Fehrmann
Fehrmann

Dominik Fehrmann ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.

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