No risk, no fun?

Risikointelligenz - das neue Buch von Brigitte Witzer
Text: Winfried Kretschmer

Risiko: eine zentrale Kategorie heutiger Gesellschaften. Brigitte Witzer begreift den intelligenten Umgang mit Risiken als zentrale Herausforderung des modernen Lebens. Und als Wegbereiter für mehr Lebenszufriedenheit.

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Als in den 1970er-Jahren erstmals Bürger gegen den Bau von Atomkraftwerken aufbegehrten, wurde ihnen das Argument von der "Versachlichung der Debatte" um die Ohren gehauen. Das meinte: Bedenken und Ängste sind irrational; was zählt, ist das wissenschaftlich fundierte Risikokalkül.  

Nach Fukushima hat sich das Blatt gewendet. Seit auch ehemals glühende Kernkraftbefürworter auf Ausstiegskurs umschwenken, ist die Phalanx der Risikorationalisten zusammengebrochen. Wer glaubte, das Risiko auf den technisch beherrschbaren größten anzunehmenden Unfall (GAU) begrenzen zu können, wurde durch den Super-GAU eines Besseren belehrt.  

Da kommt ein Buch zur rechten Zeit, das mit dem einseitig rational kalkulierenden Risikobegriff aufräumt. "Risiken sind emotional", sagt die Berliner Beraterin, Autorin, ehemalige Managerin und Professorin Brigitte Witzer. Sie werden immer emotional erfahren, ihre Wahrnehmung hängt stets von Emotionen ab. Sie emotional zu nehmen ist daher vollkommen vernünftig: "Emotionen sind rational."


Risikointelligent handeln


Das freilich ist nicht bloßes Jonglieren mit Begriffen, sondern deckt sich mit den Erkenntnissen der Hirnforschung. Demnach ist jede unserer Entscheidungen mit einer emotionalen Regung verknüpft. Aus purem Verstand heraus kann der Mensch nicht handeln. Und erst intuitives, auf gesammeltem Erfahrungswissen basierendes Handeln ermöglicht angemessenes Reagieren unter großem Zeitdruck und hoher Unsicherheit.  

Brigitte Witzer wendet diese Erkenntnis nun auf den Umgang mit Risiken an - und hat gleich den passenden Begriff parat: Risikointelligenz lautet der Titel ihres Buches. Risikointelligent handeln bedeutet, kreativ und kritisch mit Risiken umzugehen - ja, sie als persönliche Herausforderung anzunehmen. Solch intelligenten Umgang mit Risiken begreift die Autorin wiederum als treibende Kraft in unserem Leben.  

Klug verschränkt Witzers thematischer Zugriff die gesellschaftliche und individuelle Ebene miteinander. Sie verbindet Ulrich Becks Risikogesellschaft mit dem individuellen Leben. Risiken stecken eben nicht nur in technischen und industriellen Anlagen, sondern in alltäglichen Entscheidungen. Immer es eine Person, die damit umgehen muss. Diese Einheit sucht Witzer mit dem Konzept der Risikointelligenz herzustellen.  


Riskant leben


Dabei geht es natürlich auch um Wirtschaft: darum, professionell Entscheidungen zu treffen, bei hoher Komplexität den Überblick zu bewahren, Lernen in Organisationen möglich zu machen, die Emergenz von Teamarbeit zu nutzen, mit Szenariotechnik und Planspielen die betriebliche Planung zu verbessern, zu einem besseren Verständnis von Organisationen zu gelangen und anderes mehr. Jedoch ist Risikointelligenz kein Managementbuch mit einer abermals neuen Managementlehre. Aber ein Buch, aus dem sich sehr viel für das Führen von Menschen und Organisationen lernen lässt. Denn das allgemeine Ziel gilt für persönliche Lebensführung und für Management gleichermaßen: Eine "möglichst große Handlungskompetenz, die es uns erlaubt, jederzeit und möglichst ohne ... Kontrollillusion Einfluss zu nehmen".  

Diese wiederum, kann man hinzufügen, offenbar zur allgemeinen Lebenszufriedenheit beiträgt. Darauf weist eine Studie hin, die die Autorin zitiert. In einer breit angelegten Untersuchung stieß eine Forschergruppe um den Wirtschaftsprofessor Armin Falk auf eine starke positive Verknüpfung zwischen der Zufriedenheit mit dem eigenen Leben und der Bereitschaft, Risiken einzugehen. Ungelöst ist leider das Henne-Ei-Problem: Aus der Studie lässt sich nicht ableiten, was zuerst da war, das Risiko oder die Zufriedenheit - beide bilden jedoch ohne Zweifel "eine ausgesprochen attraktive Allianz". 

Brigitte Witzers Begriff der Risikointelligenz knüpft an den in der Personalführung einflussreichen Begriff der emotionalen Intelligenz an, geht aber über ihn hinaus. Er kreist um eine Lebenspraxis, die mehr als früher auf individuellen Entscheidungen beruht und für die persönliche Verantwortung an Bedeutung gewinnt. Zweifellos ist Brigitte Witzer ein spannendes Buch gelungen, das den Nerv der Zeit trifft. Und das nicht nur wegen des zufälligen Zusammentreffens mit Fukushima. 


changeX 03.06.2011. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Risikointelligenz. Econ Verlag, Berlin 2011, 267 Seiten, 19.99 Euro, ISBN 978-3-430-20111-7

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Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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