Raus aus dem Callcenter

Serie Umschulung: Folge 3 - Neue Aufgaben im Unternehmen

Von Nina Hesse

Noch immer bauen die Unternehmen Mitarbeiter ab. Doch manche gehen den umgekehrten Weg und bauen ihre Leute auf. Bilden weiter. Geben Aufstiegschancen. Schulen um. Und haben durch ihr antizyklisches Verhalten die Nase vorne, wenn die Konjunktur wieder anzieht.

"Mitarbeiter sind unsere wertvollste Ressource", tönte es besonders zu Boom-Zeiten aus den Management-Etagen. Getan wurde oft wenig. Im Gegenteil, das Personalkarussell drehte sich geschwind: Mitarbeiter, die gerade nicht mehr gebraucht wurden, wurden entlassen. Dafür kam - teuer eingekauft - Nachschub frisch von der Hochschule an Bord. Manchmal gingen die Einstellungsbemühungen, für die man schon mal gute Leute von anderen Unternehmen abwarb, direkt in eine Entlassungswelle über, wenn die Stimmung in der Branche hickste und der Umsatz in den Keller ging. Doch das Gedächtnis der Mitarbeiter ist lang: So manches Unternehmen kam durch solche Eskapaden in den Ruf, kein guter Arbeitgeber zu sein, eine Verheizer-Mentalität zu haben - ein Ruf, der ihm auch in der nächsten Boom-Phase anhängen wird. Gute Kräfte suchen ihre berufliche Zukunft dann lieber anderswo. Dort, wo sie gefördert werden.
Doch es gibt auch positive Beispiele. Fälle, in denen die Ressource Mitarbeiter nicht nur gepriesen, sondern auch engagiert gepflegt und weiterqualifiziert wird. In denen beispielsweise erst einmal innerhalb des Unternehmens nach Möglichkeiten gesucht wird, Leute unterzubringen, die in ihrem Bereich nicht mehr eingesetzt werden können. "Reskilling" nennt man das in der Personalbranche - der Laie sagt schlicht "Umschulung".

Großer Andrang.


Im Mai 2001 erschien eine Notiz im Intranet des Telekommunikationsunternehmens Vodafone D2, die - so Dr. Kay Wohlfeil, der verantwortliche Projektleiter von Siemens Business Services, Training and Services - "einschlug wie eine Bombe". 15 Mitarbeiter aus dem Callcenter sollten die Gelegenheit erhalten, sich für ein neues IT-Tätigkeitsfeld weiterzubilden (mit einer Abschlussprüfung auf Fachinformatiker-Niveau). In neun Monaten. Auf Firmenkosten, bei vollem Gehalt und im Angestelltenverhältnis. Ein wahrer Run setzte ein. Allein in den ersten drei Tagen bewarben sich 150 Mitarbeiter aus ganz Deutschland auf die in Düsseldorf stattfindende Ausbildung.
Was steckte hinter dem Angebot, das Seiteneinsteigern eine echte Chance und Aufstiegsmöglichkeiten versprach? "Wir hatten zu viele Mitarbeiter im Callcenter, aber das waren alles Leute, die sich exzellent mit unseren Dienstleistungen auskannten. Dieses Know-how wollten wir nicht verlieren. Gleichzeitig fehlen in anderen Abteilungen, besonders im IT-Bereich, Leute", berichtet Friedrich Weishaupt, in der Personalentwicklung von Vodafone verantwortlich für Ausbildungsmaßnahmen. "So kam der Gedanke auf, ob man einige dieser Leute nicht in den Bereich IT umschulen könnte." Zur Überraschung der Personaler erwiesen sich viele der Callcenter-Mitarbeiter als höher qualifiziert als gedacht. Diesen guten Leuten die Chance zu geben, längerfristig im Unternehmen zu bleiben, war ein wichtiges Ziel des Programms. Denn in Callcentern ist die Fluktuation traditionell hoch, kaum jemand hält das Dauertelefonieren über längere Zeit hinweg aus.

Ein Ausbildungskonzept entsteht.


Siemens Business Services, dessen Weiterbildungsbereich Training and Services für Vodafone schon viele Recruiting-Programme durchgeführt hatte, erhielt den Auftrag, ein Reskilling-Konzept zu entwickeln, das genau auf die Anforderungen und den Bedarf von Vodafone D2 zugeschnitten war. Denn die Mitarbeiter sollten ja ganz bestimmte Lücken in der IT-Abteilung füllen. "Wir haben einen Workshop mit Vodafone durchgeführt, gemeinsam den Bedarf und die Anforderungen des Unternehmens analysiert und dann ein Konzept erstellt", beschreibt Wohlfeil die ersten Schritte. Anschließend machte sich sein Team daran, diese Eckdaten mit Leben zu füllen und daraus eine Ausbildung zu gestalten. Die Lösung war ein sechsmonatiges Reskilling-Programm, das Theoriephasen mit Projektarbeiten verbinden und von einem dreimonatigen Praktikum gefolgt sein sollte. Auch die Auswahl der geeigneten Mitarbeiter, die Ausbildung selbst, die Betreuung der Teilnehmer, Evaluation und Qualitätssicherung übernahm Siemens Business Services.

Intensive Eignungstests.


Weil Vodafone natürlich nur in gut geeignete Bewerber investieren wollte, erwartete die Interessenten ein wahrer Testmarathon. Zunächst galt es, den mehrstündigen Eignungstest zu bestehen, mit dem auch bei Siemens zukünftige IT-Fachkräfte auf ihr Talent für technische Aufgaben geprüft werden. Intelligenz, strukturiertes und logisches Denken, Kurzzeitgedächtnis, Konzentrationsfähigkeit - in vielen Bereichen mussten die Teilnehmer ihr Potenzial beweisen. Und das alles natürlich unter Zeitdruck. "Ich bin locker herangegangen und habe den Test eher spielerisch absolviert - ich löse auch daheim gerne Rätsel, und die kniffligen Text- und Rechenaufgaben haben mir gefallen", beschreibt der ehemalige Textilmaschinenmechaniker und Vodafone-Kundenbetreuer Ralph Münster seine Erfahrungen in der ersten Runde. Fünf Jahre lang hatte er schon im Callcenter gearbeitet und dort längst nicht mehr nur telefoniert, sondern auch Sonderaufgaben wie Coaching und die Einarbeitung von neuen Mitarbeitern übernommen.
Wer wie Münster im Test gut abschnitt, durfte in die zweite Auswahlstufe: ein Assessment Center. Hier wurden noch einmal seine Persönlichkeit und Arbeitsweise kritisch unter die Lupe genommen. Münster bestand mit Bestnoten. Während er im ersten Durchgang des Reskilling-Programms dabei sein durfte, bekam Katrin Lange in der zweiten Ausbildungsgruppe ihre Chance. Zu ihrer Überraschung. "Ich habe eigentlich nicht geglaubt, dass ich Chancen hatte, aber ich wollte es austesten." Nach einer Ausbildung im Hotelfach und BWL-Studium hatte sie zweieinhalb Jahre bei Vodafone in der Kundenbetreuung gearbeitet.

Neun Monate intensiv lernen.


Dann hieß es für die Teilnehmer pauken. In den ersten sechs Monaten absolvierten die angehenden Fachinformatiker ganz normale 40-Stunden-Wochen - nur eben nicht am Arbeitsplatz, sondern im Seminarraum. Jetzt ging es nicht mehr um gekonntes Telefonieren, sondern um Oracle, SQL, Unix. Münster und Lange, die beide schon privat gerne mit Computern gearbeitet hatten, waren mit Begeisterung dabei. "Tolle Ausbildung, gute Dozenten", urteilt Münster im Rückblick. "Wir haben jede Menge Input bekommen - manchmal in einer Woche zwei Aktenordner voll. Zu Hause war noch längst nicht Schluss, dann hieß es nachvollziehen, was man tagsüber gemacht und gelernt hatte."
Siemens Business Services stellte die technischen Ressourcen, achtete auf eine enge Verbindung von Theorie und Praxis. Gelernt wurde, wie es Stand der IT-Weiterbildung ist, in Fallbeispielen, bei denen die Teilnehmer sich selbst Wissen erarbeiten und lernen, Probleme zu lösen. Nach jeder größeren Arbeit galt es, Tests und Prüfungen zu bestehen. Aber auch die "Soft Skills" wurden nicht vernachlässigt - ergänzt wurde die fachliche Theorie durch Teamtraining und Lerneinheiten in Projektmanagement und Systemanalyse.
Dann war es an der Zeit, in die Praxis hineinzuschnuppern. Die Teilnehmer konnten auswählen, in welcher IT-Abteilung sie ihr dreimonatiges Praktikum absolvieren wollten - von der Entwicklung und Programmierung bis zu den Bereichen, in denen die Software eingesetzt wird. "Die Leute sind alle untergekommen, und zwar genau dort, wohin sie wollten", berichtet Weishaupt von Vodafone. In vielen Fällen blieben die Teilnehmer gleich in der jeweiligen Abteilung und fanden dort ihre neue Aufgabe.

Antizyklisches Verhalten lohnt sich.


Münster ist heute für Software-Integrationstests zuständig ist und profitiert davon, dass er Unix nun in- und auswendig kennt und Programmiersprachen wie SQL beherrscht. Das hilft, die Software auf Fehler zu checken. "Für nicht jede Arbeit im IT-Bereich ist ein Studium notwendig", ist er sicher. Wie die anderen Kursteilnehmer genießt er seine neue Stelle. "Es ist ein viel angenehmeres Arbeiten als im Callcenter. Das kann man gar nicht vergleichen. Hier arbeitet auch ein anderer Menschenschlag, mit dem ich gut klarkomme."
Auch Lange ist sehr zufrieden mit ihrem neuen Job. Im Praktikum stellte sie fest, dass sie das reine Programmieren nicht so reizte, sie wollte weiterhin mit Menschen zu tun haben. Sie hat ihren Platz in der Abteilung User Support gefunden, die sich um die PCs in der gesamten Zentralverwaltung kümmert und Probleme löst. "Es ist sehr abwechslungsreich hier", meint sie. Doch ihr gefallen nicht nur die neuen Aufgaben, sondern auch, dass sie durch die Weiterqualifizierung ein Stück Sicherheit gewonnen hat. Denn nun ist sie fürs Unternehmen deutlich wertvoller als zuvor. "Ich fand sehr positiv, dass man für die Ausbildung keine finanziellen Risiken in Kauf nehmen musste. Und ich kann mich darauf verlassen, dass mich das Unternehmen zumindest für die nächsten drei Jahre behält - es hat ja auch einiges in mich investiert."
Dreimal wurde die Ausbildung bisher durchgeführt. Hat sich das Programm, das für Vodafone neu und beispielhaft war, denn nun gelohnt für das Unternehmen? "Es rechnet sich, weil die Mitarbeiter dadurch für eine ganze Weile ans Unternehmen gebunden sind", meint Weishaupt. "Außerdem - das hat sich als sehr nützlich herausgestellt - kennen sie auch die Kundensicht, weil sie die Programme jahrelang als Anwender benutzt haben." Die Erfahrungen mit den umgeschulten Mitarbeitern sind sehr gut, sie meistern ihren neuen Job mit Bravour. Dennoch will man das Seiteneinsteigertum begrenzen. Noch ist nicht sicher, ob das Programm weitergeführt wird, denn in der IT-Abteilung wird zurzeit kein neues Personal gebraucht. Doch eins ist sicher: Der nächste Boom kommt bestimmt. Und die Unternehmen, die sich antizyklisch verhalten und personalpolitisch klug aufbauen, haben beste Startchancen, wenn die Wirtschaft wieder anzieht.

Zur Übersicht aller bisher erschienenen Beiträge der "Serie Umschulung".

Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.

Kontakt:
Dr. Kay Wohlfeil
kay.wohlfeil@siemens.com

www.siemens.com/training
www.siemens.de/qp

© changeX Partnerforum [30.05.2002] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

changeX 30.05.2003. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

Artikeltools

PDF öffnen

LS training and services GmbH & Co. KG

Weitere Artikel dieses Partners

Willkommen im virtuellen Klassenraum

Beim E-Day von LS training and services und bit media bekamen Besucher einen Überblick über innovative Lernformen. zum Report

Was brauchen Virtuelle Unternehmen?

Neue Forschungsergebnisse und Instrumente zur Unterstützung virtueller Zusammenarbeit. zum Report

Auf zur Learntec!

LS training and services verschenkt Eintrittskarten für die größte Fachmesse im Bereich E-Learning. zum Report

Autorin

Nina Hesse

nach oben