Jobmaschine Dienstleistung?

Die Zukunft von Dienstleistungen, das neue Buch von Peter Hennicke et al.

Von Nina Hesse

Der neue Sammelband sollte Pflichtlektüre für Politiker werden. Denn er räumt mit vielen Vorurteilen auf und zeigt stattdessen die Bereiche auf, in denen wirklich Handlungsbedarf besteht. Mit der passenden Rahmengesetzgebung könnten besonders ökoeffiziente Dienstleistungen so richtig abheben. Und auch die Alterung der Gesellschaft ist eine Chance für die Wirtschaft - wenn sie sie zu nutzen versteht.

Sind wir nun eine Informationsgesellschaft, eine Wissensgesellschaft, eine Dienstleistungsgesellschaft? Vermutlich alles drei gleichzeitig. Sicher ist, dass Dienstleistungen immer wichtiger werden, in vielen Ländern die Produktion als Basis der Wirtschaft schon überflügelt haben. Aber wie verändert sich dadurch die Gesellschaft? In einem schweren Sammelband sind jetzt die Ergebnisse eines zweijährigen Verbundprojekts des Instituts Arbeit und Technik (IAT) und des Wuppertal Instituts erschienen. Das Ziel des fächerübergreifenden Forschungsprojekts war, die ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Aspekte der zunehmenden Dienstleistungsorientierung zu untersuchen. Besonderes Augenmerk warf das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie auf die neuen ökoeffizienten Produktions- und Konsumstile, die damit einhergehen. Ist Dienstleistung das Zauberwort für eine zukunftsfähige Gesellschaft? Kann sie nicht nur Arbeitsplätze schaffen und erhalten, wie viele Politiker hoffen, sondern auch einen Beitrag zur ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit leisten? Stichwort bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen, Stichwort weniger Naturverbrauch.

Prekär? Fehlanzeige.


Die Antwort auf diese Fragen hat viele Facetten, in 21 Beiträgen loten die namhaften Autoren sie aus. Und erschüttern dabei so manche Stereotype. Neue Studien entlarven es zum Beispiel als Mythos, dass Jobs in der Dienstleistung instabiler und schlechter abgesichert sind als in der Industrie. Die hohe Zahl "atypischer Beschäftigungsverhältnisse" in den bisherigen Statistiken kommt dadurch zustande, dass Frauen, die Kinder betreuen, Schüler und Studenten überdurchschnittlich oft in die Dienstleistung gehen. "Dienstleistung ist nicht per se prekärer als Industrietätigkeiten. In einigen Ländern ist in den letzten Jahren trotz steigender Dienstleistungsanteile der Anteil von prekären Arbeitsverhältnissen zurückgegangen", stellen die Autoren fest. "Der Dienstleistungssektor ist zwar sehr dynamisch, aber im Gegensatz zu den üblichen Annahmen finden Ausgliederungs- und Ausgrenzungsprozesse vor allem in der Industrie und bei ‚alten' Dienstleistungen wie Finanzen und öffentlichen Körperschaften statt."
Immer wieder geistert die Idee von einer Subventionierung des Niedriglohnsektors durch die Politik. Aber ist sie überhaupt erfolgversprechend? Nein, sagt Forscherin Claudia Weinkopf klipp und klar. Subventionen reichen nach ihren Untersuchungen nicht aus, damit Leute eine solche Arbeit annehmen. Noch führen sie dazu, dass Unternehmen im größeren Umfang Arbeitsplätze für Geringqualifizierte anbieten.

Chancen - aber kein Jobwunder.


Sind die Hoffnungen, die in die Dienstleistung gesteckt werden, vollends Träume und Schäume? Keineswegs, so die Autoren. Ökoeffiziente Dienstleistungen können für wichtige gesellschaftliche Probleme wie Müllentsorgung oder Energieversorgung Teillösungen anbieten. Gerade die Alterung der Gesellschaft biete große wirtschaftliche Chancen, so Josef Hiebert und Gerhard Naegele. Aber diese Chancen lassen sich nur nutzen, wenn die Wirtschaft sich mit Produkten und Dienstleistungen auf die sich wandelnden Bedürfnisse in der Bevölkerung einstellt und die Kaufkraft älterer Menschen aktiviert. Zur Zeit ist eine solche Erkenntnis bei den Unternehmen noch nicht in Sicht. Dabei würden "ortsnahe personenbezogene Dienste" auch mehr Nachhaltigkeit bedeuten, die Wirtschaft in der Region stärken.
Eine interessante Erkenntnis aus dem Vergleich der europäischen Volkswirtschaften ist, dass die Expansion der Dienstleistungen eben nicht wie gedacht ein automatischer Nebeneffekt des Wirtschaftswachstums ist. Triebkräfte sind, wie Gerhard Bosch und Alexandra Wagner herausgefunden haben, eher die Erhöhung des Einkommens, die Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt, der Ausbau des Sozialstaats und ein besseres Angebot an gesellschaftlich wichtigen Diensten durch Professionalität und Innovation. Die Hoffnungen, dass die Dienstleistungsbranche Deutschland ein Jobwunder bescheren könnte, so wie es einst in Amerika gefeiert wurde, könnten sich jedoch als trügerisch erweisen: "Der Übergang vom europäischen zum US-amerikanischen Modell ist wegen der deutlichen Länderunterschiede kurz- und mittelfristig nicht möglich, wegen des Verlusts an Lebensqualität aber auch nicht wünschenswert." Fazit: Mehr Dienstleistung ist kein probates Mittel der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Deutschland. Viel wirkungsvoller wäre, so zeigt sich im Vergleich der Szenarien, eine Kombination aus Ökoeffizienz und Umverteilung der Arbeit durch Flexibilisierung der Arbeitszeit. Es lebe die Teilzeit!

Vermeidung ist Trumpf.


Aber welche Rolle spielen denn nun ökoeffiziente Dienstleistungen? Potenziell eine große. Wenn es gelingt, die Anreizstruktur umzukehren. Ist das neue Ziel das Vermeiden von Umweltverbrauch, könnte eine neue Industrie florieren, sagen die Autoren vorher: "Dies bedeutet, Anreizstrukturen zu schaffen, die die Abfall-, Material-, Verkehrs- und Energievermeidung so profitabel machen, dass private Akteure auch unter verschärften Wettbewerbsbedingungen und bei langfristiger Renditeorientierung hieraus innovative Geschäftsfelder entwickeln ..." Doch damit es so weit kommt, müssen diese Dienstleister neuen Typs konsequent durch eine passende Rahmengesetzgebung gefördert werden. Ob das wohl gelingt? Da war doch mal so etwas wie eine Ökosteuer ...

Gerhard Bosch / Peter Hennicke /
Josef Hilbert / Kora Kristof /Gerhard Scherhorn (Hg.):

Die Zukunft von Dienstleistungen.
Ihre Auswirkungen auf Arbeit, Umwelt und Lebensqualität,

Campus Verlag,
Frankfurt/New York 2003,
537 Seiten, 39,90 Euro,
ISBN 3-593-37160-X
www.campus.de
www.wupperinst.org

Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.

© changeX Partnerforum [18.06.2003] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.


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: Die Zukunft von Dienstleistungen. Ihre Auswirkungen auf Arbeit, Umwelt und Lebensqualität. Campus Verlag, Frankfurt am Main / New York 2003, 537 Seiten, ISBN 3-593-37160-X

Die Zukunft von Dienstleistungen

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