Aufbrechen und anfangen

Auf dem Kongress der Generationen debattierten die 89er mit dem Rest der Welt.

Von Anja Dilk

Massenarbeitslosigkeit, Vollkaskomentalität, Reformstau - es kriselt in Deutschland. Das Land braucht einen Umbau. Wir brauchen eine neue, kraftvolle Marke Deutschland. Die nachwachsende Generation der 25- bis 35-Jährigen spielt dabei eine wichtige Rolle. Was sind ihre Ideen und Werte, wie stellen sie sich das rundum erneuerte Deutschland vor? Auf dem Kongress der Generationen in Berlin wurde dieses Thema heftig debattiert. Heraus kam eine Agenda 2020 - ein Thesenpapier für den Wandel.

Die Sonnenstrahlen reichen bis tief in das Atrium der Johannishöfe. Draußen, vor der gläsernen Fassade des Neubaus, spült der Berufsverkehr die Autos durch die Berliner Friedrichstraße. Drinnen tritt der erste Redner ans Pult. "Wenn sich dieses Land verändern soll, brauchen wir Begeisterung und Selbstüberzeugung. Dieser Tage ist nichts davon zu spüren. Wandel gilt immer noch als Verlust." Daniel Dettling, Gründer des Think Tanks BerlinPolis, hebt seine Stimme. "Wir brauchen Mut zur Neubegründung. Wir brauchen eine Debatte des Aufbruchs. Und daran muss sich die junge Generation maßgeblich beteiligen." Applaus.

Die Marke Deutschland neu gestalten.


Etwa 200 Besucher sind zum Dialog der Generationen gekommen, zu dem der gemeinnützige Verein BerlinPolis und seine Partner geladen hatten. Gemeinsam mit den Initiatoren von "Deutschland packt's an", der Bundeszentrale für politische Bildung, dem Consultingunternehmen Accenture, ECC Kothes Klewes und Wolff Olins wollte BerlinPolis mit Reformwilligen und Innovationssuchern, mit Unternehmensvertretern und NGO-Mitgliedern über die Zukunft der "Marke Deutschland" diskutieren. Der Ausgangspunkt: Es ist an der Zeit, Deutschland als professionell zu vermarktende Marke zu betrachten. Und es ist an der Zeit, diese Marke neu zu definieren, begründen, gestalten. Denn das alte Made-in-Germany-Image hat Risse bekommen. Das Konsensmodell der Parteien, Gewerkschaften und Verbände ist gefangen in einer Sackgasse. Um bestehen zu können, muss die Marke Deutschland überarbeitet werden - nach innen und nach außen. Das Ziel: Unternehmen, NGOs und engagierte Bürger als Katalysatoren der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Innovation zu nutzen. Im Fokus des Kongresses war die jüngere Generation der 25- bis 35-Jährigen. Sie, die allmählich in die gesellschaftlich relevanten Positionen hineinwachsen, sollen sich am politisch-gesellschaftlichen Verantwortungsprozess beteiligen und Reformen vorantreiben.

Online-Umfrage zu den Werten der 89er-Generation.


Doch was ist das für eine Generation? Welche Werte, Interessen und gesellschaftspolitischen Vorstellungen hat die Generation, für die 1989 prägend war? Welche Vorstellung von Politik und Partizipation? Diesen Fragen ist BerlinPolis bereits in einer Online-Umfrage von Juli bis September 2002 nachgegangen. Mehr als 2.000 Personen (drei Viertel Männer, ein Viertel Frauen, hoher Bildungsabschluss, berufstätig) beantworteten die Fragen, die auf den Internet-Portalen von AOL, n-tv, Wirtschaftswoche, Zeit, Max, Politikerscreen, Agenturcafé und changeX bereitstanden. Pünktlich zum Kongress wurden die Ergebnisse ausgewertet.
Die Mehrheit der Befragten hat ein starkes Interesse an Politik, doch jeder Zweite fühlt sich nicht in den Strukturen des politischen Systems vertreten. Den Parteien vertraut nur noch knapp ein Drittel. 16,7 Prozent glauben, dass sie ebenso gut von Vereinen oder Organisationen vertreten werden könnten, 18,8 Prozent vertreten sich lieber gleich selbst. Trotz der Parteienverdrossenheit von Politikmüdigkeit keine Spur. Das politische Engagement der jungen Generation ist nur punktueller und individueller geworden. 21,8 Prozent nehmen an Demonstrationen teil, 65 Prozent an Unterschriftenaktionen oder wenden sich direkt via Web an Politiker (27,6 Prozent). Für diese Generation spielt das Internet eine ganz wichtige Rolle, sie würden gerne online wählen und wünschen sich mehr Bürgerbefragungen im Netz (83,2 Prozent). Dennoch ersetzt das Internet nicht das persönliche Gespräch. Dem Bildungssystem gibt diese Generation gerade mal eine Vier, sie plädiert für mehr praxisnahe Lernstoffe und mehr Begabtenförderung, für mehr Wettbewerb, bessere Lehrerausbildung, Ganztagsschulen und einheitliche Bildungsstandards. Die Verkürzung der Ausbildungszeiten, Privatisierung und Studiengebühren werden abgelehnt.

Theoretisch flexibel, praktisch gerne sicher.


Bei der Frage nach den individuellen Zielen und Werten, nach Familie und Beruf, zeigt sich ein erstaunliches Beharrungsvermögen. Fast die Hälfte hat Arbeitgeber und Wohnort in den vergangenen fünf Jahren nicht gewechselt. Vor die Wahl gestellt, entscheiden sich dennoch theoretisch mehr für eine flexible Berufsbiografie als für den gleichen, sicheren Arbeitsplatz und können sich vorstellen, später im Ausland zu arbeiten. Jeder Zweite ist mit seiner Arbeit durchschnittlich zufrieden, jeder Vierte meint, in seinem Job vollkommen oder weitgehend aufzugehen. Zwei Drittel glauben, dass Familie und Karriere prinzipiell vereinbar sind und wollen dafür auch persönlich zurückstecken. An der Spitze der persönlichen Wünsche steht die Planungssicherheit im Leben.
In der Debatte auf dem Kongress der Generationen diskutierten sich diese 89er mit Unternehmensvertretern, NGO-Mitgliedern und interessierten Besuchern in fünf Denkfabriken die Köpfe heiß: Es ging um Innovation und Wissensgesellschaft, Marktwirtschaft und Verfassung und um das Image der Marke Deutschland.

Fünf Denkfabriken für den Wandel.


Warum fehlt es Deutschland an Innovation? Weil es, so die Kongressteilnehmer, an Fehlerkultur und Mut fehlt, an Innovationsdruck und Anreizen, an flachen Hierarchien und einer auch privatwirtschaftlich geförderten Bildungs- und Wissenschaftsindustrie, die mit der Wirtschaft kooperiert. Deshalb brauchen wir eine offene "Lobby für Innovation" und einen Wandel der gesellschaftlichen Mentalitäten. Wie fördern wir die Wissensgesellschaft? Durch mehr Eigenverantwortung und Autonomie, projektbezogenes Engagement der Unternehmen in der Bildung und einen Staat, der die Rahmenbedingungen schafft, durch verbindliche Qualitätsstandards und öffentlich-private Mischfinanzierung. Und durch eine Marketingkampagne: Bildung ist sexy.
Anschließend wurden in den Workshops wichtige Zukunftsfragen angepackt. Zum Beispiel in der Denkfabrik 3: Die Zukunft der sozialen Marktwirtschaft heißt, so wurde man sich einig, Beteiligungsgerechtigkeit und bessere Kinderbetreuung, heißt Bürgerengagement mindestens einen Tag die Woche, heißt flexible Tarifverträge und radikale Steuerreform, Aufwertung von Familien- und Bürgerarbeit, heißt Ersetzen der staatlichen Arbeitsvermittler durch Erfolgshonorare bei der Jobsuche und Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems. Ohne eine Verfassungsreform geht freilich nichts, meinte Denkfabrik 4: mehr Kompetenzen für Brüssel und Ende des Berufspolitikertums, Amtszeitverkürzungen und Generationenverantwortung als Verfassungsmaxime, zeitliche Vereinheitlichung der Landeswahlen, Kinderwahlrecht und Direktabstimmungen. Doch ohne die richtige Vermarktung nützt der schönste Gesellschaftsumbau nichts. Denkfabrik 5: Deutschland muss lernen, seine Stärken systematisch und emotional zu kommunizieren, denn Standortentscheidungen fallen oft nach dem Gefühl. Deutschland braucht ein koordiniertes Regionenmarketing, Identifikationsfiguren und muss endlich offen sein: vor allem sich selbst gegenüber.

Eine Sache aller.


Als "Agenda 2020" werden diese und weitere Vorschläge des Generationenkongresses an den Bundeskanzler geschickt. Aber letztlich, darüber bestand Konsens auf dem Kongress der Generationen, ist die Pflege der Marke Deutschland eine Sache aller. Oder wie zitierte der Moderator des Abschlusspodiums im Atrium der Johannishöfe, Thomas Voigt von Impulse noch Giuseppe Tomasi di Lampedusa "Es muss sich was ändern, damit alles so bleibt."

www.BerlinPolis.de
www.marke-deutschland.de

Lesen Sie auch die Besprechung zum Buch von Daniel Dettling, Max von Bismarck (Hrsg.):
Marke D. Das Projekt der nächsten Generation.

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Autorin

Anja Dilk
Dilk

Anja Dilk ist Berliner Korrespondentin, Autorin und Redakteurin bei changeX.

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