Ihre Rolle: Chefdarsteller
Führen in schwierigen Zeiten - das neue Buch von Jürgen W. Goldfuß.
Von Nina Hesse
Kriselt es in Ihrem Unternehmen? Dann versuchen Sie nicht, Ihr Team mit beruhigenden Parolen abzufüttern. Ihre Mitarbeiter glauben es sowieso nicht, was die Presseabteilung verzapft. Reden Sie Klartext, soweit möglich - und denken Sie daran, dass Sie auch im tiefsten Jammertal noch Optimismus ausstrahlen und Vorbild sein sollten.
Nicht nur Nachwuchs-Führungskräfte gruselt es davor, Mitarbeitern kündigen zu müssen. Den Schock in ihren Augen zu sehen. Tränen vielleicht sogar. Ihnen erklären zu müssen, warum es gerade sie erwischt hat. Vorwürfe und Wutausbrüche über sich ergehen zu lassen. Mitzuerleben, wie Pläne und Hoffnungen von Menschen, mit denen man vielleicht jahrelang zusammengearbeitet hat und die man längst gut kennt, zusammenbrechen.
Noch immer ist das Alltag in den Unternehmen. Und die von der geheimnistuerischen Geschäftsleitung und dem eigenen verunsicherten Team gestressten Manager haben allmählich das Gefühl, dass nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch sie selbst ein bisschen Betreuung und Hilfe gebrauchen könnten. Die bekommt man natürlich besonders kostengünstig in Buchform. Zwar ohne direktes Gespräch, aber das gibt's dafür zwischen dem Autor und dem fiktiven Herrn J. A. Aber. Herr Aber, ein klassischer Bedenkenträger, hat natürlich eine Menge skeptische Fragen und Einwände, die gleichzeitig die Funktion einer Art FAQ erfüllen und durch die Ironie und den Witz der Zwiegespräche den Text auflockern. Der hat das leider nötig, weil Goldfuß etwas zu sehr an Beispielen spart. Er hat zwar eine Menge zu sagen und viele nützliche Tipps, aber er bleibt zu oft auf der Ebene von Allgemeinplätzen.

Sich selbst kritisch hinterfragen.


Sein Buch ist nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen. Zum Beispiel kommt man nicht drum herum, sich selbst - Persönlichkeit, Führungsstil und sogar Privatleben - zu hinterfragen und kritisch unter die Lupe zu nehmen. Wie steht's mit Ihrer Gelassenheit? Haben Sie Ihre Angst im Griff - oder ignorieren Sie sie? Haben Sie genügend Selbstbewusstsein, um in schwierigen Zeiten Vorbild zu sein? Wie sieht's mit Ihrer Belastbarkeit aus? Schaffen Sie es, andere zu begeistern, auch wenn die Stimmung im Team gerade zu wünschen übrig lässt?
Goldfuß leitet dazu an, sich über die eigene Position und Rolle klar zu werden, Ängste und Gefühle zu reflektieren, das eigene Weltbild auf den Prüfstand zu stellen. Egal, was man dabei herausfindet - erwünscht ist, dass man dabei einen "realistischen Optimismus" entwickelt. Und in den Veränderungen, so unangenehm sie erst einmal sein mögen, die Chancen sieht. Denn nichts wittern die lieben Kollegen schneller, als wenn der Leitwolf sich innerlich düster zergrübelt und selbst mit Zukunftsängsten kämpft. "Loyalität nach allen Seiten hin demonstrieren, als gutes Vorbild Zweifel verbergen ... werden Sie Ihrer Rolle als 'Chefdarsteller' gerecht!", empfiehlt der Autor - mahnt aber an anderer Stelle zur Offenheit. In der Praxis eine schwierige Gratwanderung. Vor allem, wenn man gleichzeitig den Extremfall, die eigene Kündigung, gedanklich durchspielen muss. Mit Alternativplänen im Hinterkopf und dem Bewusstsein, dass das Worst-Case-Szenario auch irgendwie auszuhalten wäre, fällt es leichter, gelassen zu agieren.

In der Krise zeigt sich das wahre Gesicht.


Damit, dass es mit dem Arbeitgeber innerhalb von kurzer Zeit steil abwärts gehen kann, muss man heute rechnen. Kaum hat man sich in seiner Nische gemütlich eingerichtet oder an den Gedanken gewöhnt, endlich Marktführer zu sein, kann schon wieder alles anders sein. Auf einmal zicken die Kunden herum, taucht ein gefährlicher Wettbewerber auf oder ruinieren Terroristen die ganze Branche. Vorher im Unternehmen mögliche Probleme und Chancen intensiv zu diskutieren verhindert einiges, aber nicht alles. Es muss auch noch ein sensibler Umgang mit den Kunden hinzukommen. Sonst kann es der Firma ergehen wie Intel: Die Kunden empfanden die Reaktion des Chipherstellers auf eine (berechtigte) Beschwerde als so unverschämte Augenwischerei, dass sie rebellierten. Der Aktienkurs fiel stark und der Handel mit der Aktie musste an der Börse eingestellt werden.
Ist die Katastrophe - egal, woher sie gekommen ist - erst mal da, wird der Ton in Unternehmen gewöhnlich rauer. In Krisenzeiten zeigt sich, ob die vor allem in Imagebroschüren oft strapazierte Ethik in der Firma wirklich verankert ist. Und ob die Mitarbeiter wirklich als wichtigstes Kapital gesehen werden, oder doch nur als Zahlen, die man nach Belieben verschieben oder aus der Bilanz entfernen kann, wenn das Management sich etwas davon verspricht. Was die Mitarbeiter (sowohl die gefeuerten als auch die verbleibenden) im Übrigen nicht vergessen - Unternehmen, die sich während einer Krise gegenüber den Mitarbeitern eiskalt gezeigt haben, haben während der folgenden Aufschwungphase massive Probleme, qualifizierte Kräfte zu gewinnen.

Warnzeichen nicht ignorieren.


Faszinierend ist Goldfuß' Liste von Warnzeichen, dass mit dem Unternehmen etwas nicht stimmt: Unter anderem steigen Anzahl und Dauer von Meetings an, die Lieferanten wechseln häufiger, das mittlere Management zeigt Entscheidungsangst, politische Vorgaben zu Absatzpolitik oder Sortimentsgestaltung ändern sich andauernd. In dieser Phase kommen von der Geschäftsleitung gewöhnlich nur noch beruhigende Worte an die Belegschaft - doch in der hat sich längst herumgesprochen, dass etwas im Argen liegt. Die Angst geht um. Fehlzeiten verringern sich drastisch (es will ja niemand als "Low Performer" dastehen) und qualifizierte Führungskräfte verlassen das Unternehmen (wie war das nochmal mit dem sinkenden Schiff?).
Falls Ihnen jetzt himmelangst geworden ist, weil Sie einige Warnzeichen im eigenen Haus beobachtet haben: keine Panik. Nicht den Kopf in den Sand stecken und immer schön dran denken: "Die wahren Fähigkeiten einer Führungskraft entfalten sich ohnehin erst dann so richtig, wenn möglichst viel auf sie einströmt - oder besser gesagt, einstürzt ..."
Falls es Sie beruhigt: Die Anforderungen werden in Krisen zwar in mancher Beziehung höher, in anderer jedoch niedriger. Übergangsphasen sind nichts für Perfektionisten, selbst Goldfuß empfiehlt dafür eine höhere Form des Durchwurstelns und nennt sie "Fuzzy-Logik". Das heißt im Klartext: Peilen Sie auch mal über den Daumen, Details sind jetzt nicht so wichtig.

Bloß keine Propaganda nachplappern.


Dafür aber die Kommunikation. Die harte, aber realistische Botschaft des Autors: "Krisensituationen kann man mit schnellem Handeln gut überleben. Aber ohne offene Kommunikation, um das Problem abzusprechen und zu lösen, entsteht eine neue Krise, nämlich die Vertrauenskrise. Und die kann sogar dazu führen, dass ein Unternehmen an den Rand seiner Existenz gebracht wird."
Mit Goldfuß' "Do's und Dont's" im Hinterkopf sind Sie zumindest theoretisch dafür gerüstet, der zweiten Krise zu entgehen. Weil Sie beispielsweise nicht in Versuchung kommen, die Unwahrheit zu sagen oder Propagandaparolen der Presseabteilung nachzuplappern. Einen schnelleren Weg, seine Glaubwürdigkeit als Chef zu verlieren, gibt es nämlich kaum. Besser, man diskutiert mit dem Team das, was an Informationen offiziell freigegeben ist, so offen wie möglich. Denn von Ihnen, dem Chef, wird jetzt verlangt, dass Sie Auskunft und Orientierung bieten. Auch wenn die Spitze des Unternehmens Sie auch nicht viel besser informiert hat. Goldfuß bietet reichlich Hintergrundmaterial, um mit den Kollegen wenigstens über Kondratieff und dergleichen zu parlieren und ihnen erklären zu können, was es mit Wandel, Umbruch und Konjunkturzyklen auf sich hat.
Für alle Fälle hat der Autor dem Abschnitt eine Checkliste zur persönlichen Glaubwürdigkeit beigefügt.

Menschen, keine Stelleninhaber.


Natürlich darf auch ein Kapitel zum Thema "Trennungen und Trennungsfolgen" nicht fehlen, denn, so Goldfuß: "Viele Führungskräfte sind davon in der Praxis menschlich und psychologisch überfordert." Was tun, wenn die Unternehmensspitze Jobstreichungen beschließt und man selbst sie umsetzen muss?
Glücklicherweise ist der Autor - trotz der etwas kaltschnäuzig klingenden Überschrift Kündigerfeelings professionell bewältigen - kein Anhänger der Ex-und-hopp-Schule, er betont die menschliche Seite, beleuchtet psychologische Hintergründe und die Verarbeitungsphasen beim Mitarbeiter. Immer wieder erinnert er daran (traurig, dass das überhaupt nötig ist): "Es handelt sich immer um Menschen und nicht um Stelleninhaber, die von solchen Entscheidungen betroffen werden."
So oder so: Nach 20 oder 30 Minuten ist alles vorbei. Falls es Sie beruhigt: Kündigen übt sich, versichert der Autor. Je öfter man anderen Unangenehmes verkünden muss, desto leichter fällt es. Mit ein bisschen Hornhaut über der Seele managt sich's erheblich unbeschwerter.

Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.

Jürgen W. Goldfuß:
Führen in schwierigen Zeiten.
Sicher durch Krisen- und Umbruchsituationen lenken,

Campus Verlag, Frankfurt/New York 2004,
256 Seiten, 24.90 Euro,
ISBN 3-593-37531-1
www.campus.de

© changeX Partnerforum [14.10.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.


changeX 14.10.2004. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

Artikeltools

PDF öffnen

Campus Verlag

Weitere Artikel dieses Partners

Die Turnaround-Frau

Mit harten Bandagen. Die Autobiografie - das neue Buch von Carly Fiorina. zur Rezension

Family.com

Der Unternehmer als Chef, Manager, Privatperson - das neue Buch von Peter May. zur Rezension

Gewinn ahoi!

Der gewinnorientierte Manager - das neue Buch von Hermann Simon, Frank F. Bilstein und Frank Luby. zur Rezension

Zum Buch

: Führen in schwierigen Zeiten. Sicher durch Krisen- und Umbruchsituationen lenken. Campus Verlag, Frankfurt am Main / New York 2004, 256 Seiten, ISBN 3-593-37531-1

Führen in schwierigen Zeiten

Buch bestellen bei
Osiander
genialokal
Amazon

Autorin

Nina Hesse

nach oben