Labyrinthe entwirren
Europäer beraten Europäer.
| Folge 9 : Hermann Drummer, Leiter von Pleon Brüssel. |
Von Michael Gleich
Pleon ist ein neues europäisches Beratungsunternehmen. Seine Vision ist ungewöhnlich: Die Intelligenz der einzelnen Länder und Regionen für eine gemeinsame Netzökonomie nutzen. In den nächsten Monaten begleiten wir diese einmalige Mission mit Reportagen und Essays. Aus einem Europa, in dem zusammenwächst, was zusammengehört. Heute: In Brüssel, an den Schaltstellen Europas, sind Kontakte alles - Hermann Drummer hat sie.
Hermann Drummer
Hermann Drummer,
Leiter von Pleon Brüssel.
In Brüssel besteht die Hauptbeschäftigung der Menschen darin, Papier umherzutragen. Man sieht sie durch die Straßen wuseln, mit dicken Protokollstapeln und handlichen Stenoblöcken, vielsprachigen Gesetzesentwürfen und hochglänzenden Präsentationsmappen, Flugblättern und Pamphleten und mit Tageszeitungen aus mindestens 25 Ländern unter dem Arm. Auch ein Stadtplan gehört zur Ausrüstung. Alle sind irgendwie neu hier, alle auf der Durchreise, "lost in translation" und dies merkwürdig routiniert. Keiner ist allein unterwegs. Im gesamten Gebiet um Parlament und Sitz der EU-Kommission herrscht strenger Gruppenzwang: "Pflege deine Netzwerke ...", lautet das ungeschriebene Gesetz, mit dem Zusatz: "... denn dafür wirst du bezahlt!"
"Kontakte", sagt Hermann Drummer, "sind das Ein und Alles. Sie sind das Frühwarnsystem, damit dir kein wichtiger Gesetzentwurf durch die Lappen geht, und dein Sicherheitsnetz. Sie ersetzen dir Nachrichtenagentur und Stammtisch." Kontakte sind das wichtigste Kapital in Eurocity. Wir stehen auf dem Place de Luxembourg, und das ist die Kontaktbörse Brüssels. Am Europäischen Parlament, das sich mächtig über der Kopfsteinpflaster-Kulisse erhebt, wird immer noch gewerkelt. Büros für die Parlamentarier aus den neuen Mitgliedsstaaten entstehen; sozusagen die bauliche Osterweiterung. Sommers stellen die Cafés ihre Tische nach draußen, und zu jeder Tageszeit herrscht reges Treiben. Lobbyisten, Parlamentarier, Beamte, Journalisten: Das Personal Europas trifft sich zum Plausch und Info-Tausch. "Das kann man sich getrost wie das Treiben auf einem riesigen Marktplatz vorstellen", sagt Drummer. Vertrauliche Papiere wechseln von einer Aktentasche in die andere oder, unspektakulärer, Hinweise auf zugängliche Politiker, anberaumte Anhörungen und Partys, die man auf keinen Fall versäumen sollte, weil wichtige Leute kommen.

Politische Strategien nach Maß.


Dr. Hermann Drummer brachte bereits ein ansehnliches Startkapital an Kontakten mit, als er vor knapp drei Jahren die Leitung der Public-Affairs-Dependance in Brüssel übernahm. Der quirlige 52-Jährige war vorher ein Jahrzehnt lang in Brüssel vorwiegend damit beschäftigt, Netzwerke zu knüpfen. Zunächst in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung dort, dann in der "Versammlung der Regionen", die fast 300 Mitglieder aus ganz Europa unter einem Dach vereint. Heute konzentrieren sich er und seine vier Mitarbeiter ganz auf den Bereich Public Affairs. Für seine Kunden - beispielsweise aus dem Einzelhandel und der chemischen Industrie - beobachten sie die Aktivitäten der EU-Kommission und das Abstimmungsverhalten der Parlamentarier. Ihr Ziel ist, möglichst frühzeitig zu erkennen, welche Wirkungen eine Verordnung oder Richtlinie für den jeweiligen Kunden haben könnte. Sind negative Folgen fürs Geschäft zu befürchten, berät Pleon bei der Ausarbeitung einer politischen Strategie: Was sind die besten Argumente und wie bringt man sie zu Gehör? Die dritte Phase, sagt Drummer, sei die mühsamste: "Dann reden wir mit den entscheidenden Persönlichkeiten - Ausschussvorsitzende, Referatsleiter, Fraktionsvorsitzende. In den meisten Fällen sind ziemlich viele beteiligt, dann starten wir zu einem echten Marathonlauf durch die Institutionen."
734 Parlamentarier entscheiden über neue Gesetze, in der EU-Kommission arbeiten 20.000 Menschen, täglich ergießt sich eine Flut neuer Verordnungen über Euroland. Von außen betrachtet, sieht das wie ein bürokratisches Labyrinth aus. Doch für den passionierten Netzwerker Hermann Drummer ist das europäischer Alltag, kein Grund zur Resignation, sondern im Gegenteil: sein Geschäftsfeld. Seine Aufgabe besteht darin, für die Kunden Ariadne-Fäden durch den europäischen Irrgarten zu legen, für Orientierung und Durchblick zu sorgen. Beispiel Süßwaren: Die EU hat jüngst einen Entwurf vorgelegt, der den Herstellern verbieten soll, in der Werbung Zuckerzeug zur Gesundkost zu stilisieren; das Verbot solcher Mogelpackungen soll verhindern, dass sich Kinder falsch ernähren. So weit, so gut. "Doch was heißt das eigentlich: zu süß, zu salzig, zu fett?", wendet Drummer ein, "zwischen Lappland und Portugal sind die Ernährungsgewohnheiten ganz unterschiedlich. Statt sich auf einzelne Produkte zu stürzen, müsste das gesamte Essverhalten berücksichtigt werden." Für Kunden aus der Süßwarenindustrie verfolge Pleon deshalb die Strategie, "weitere, zu detaillierte und Innovation und Wettbewerb einschränkende Maßnahmen der EU auf diesem Gebiet zu stoppen."
Viel wichtiger sei es, mit den Menschen über gesunde Ernährung zu reden; Kinder in der Schule darüber aufzuklären; den Kunden die Wahl und die eigene Verantwortung zu lassen. "Europa und seine Kultur basiert ja eigentlich auf dem Geist der Aufklärung", meint Drummer, "aber in Brüssel ist mittlerweile eine Riege von Alt-68ern an der Macht, die immer noch glaubt, Bürger ließen sich am besten mit Verboten und Regulierungen lenken. Aber Verbote sind immer das Ende des Dialogs." Genau da liege auch das akute Imageproblem Europas. "Viele Menschen misstrauen der Kommission und den Parlamentariern. Sie haben das Gefühl, was die da in Brüssel machen, hat mit meinem Alltag wenig zu tun."

Komplexe Themen verständlich machen.


Ach Europa! Für seine Bürger drängt sich der Eindruck auf, der ganze Aufwand dieser Gemeinschaft von 25 Staaten ranke sich um subventionierte Kuheuter und schwächelnde Randregionen und genormte Äpfel. "Dabei ist Europa eine Erfolgsstory ohnegleichen", hält Drummer dagegen. "Innerhalb von 50 Jahren ist eine Zone der Demokratie und des Wohlstands entstanden. Ein Krieg zwischen den einstigen 'Erzfeinden' in Westeuropa ist undenkbar geworden. 450 Millionen Bürger mit unterschiedlichstem kulturellem Hintergrund regeln ihre Dinge im Konsens - das alles war doch nach dem Zweiten Weltkrieg noch unvorstellbar!" Er setzt die Aufzählung fort: die Faszination der Vielfalt - der Regionen, Sprachen, Kulturen -, die Sicherheit im Alltag, die Möglichkeit, in Euroland grenzenlos zu reisen: "Das sind die Vorzüge, die Europa kommunizieren sollte."
Komplexe Ideen eingängig zu erklären hat Hermann Drummer als Journalist gelernt. Mitte der 80er Jahre arbeitete er als Redakteur bei einer Schweizer Wochenzeitung, später schrieb er noch lange Zeit als freier Journalist. Die in dieser Zeit angelernte Fähigkeit zur Veranschaulichung hilft ihm heute ungemein. "Wenn ich mit einem Parlamentarier über Chemiepolitik diskutiere, muss ich zwar grundsätzlich im Thema fit sein, aber wir gehen nicht bis auf die siebte Stelle hinter dem Komma. Viel wichtiger ist es, Prinzipien klar zu machen. Dazu brauche ich starke Bilder, die im Gedächtnis haften bleiben. Und die bei nächster Gelegenheit von eben diesem Politiker den Kollegen weitererzählt werden. Ein guter Kommunikator infiziert Köpfe mit Bildern."
Für diese Strategie versucht er, auch die Kunden von Pleon zu begeistern. Sein Credo lautet: "Ihr müsst die Lufthoheit über den Schreibtischen der EU für euer Thema gewinnen." Die eigenen Bilder und Interpretationen sollten so wirkmächtig werden, dass sie fortan die Diskussion bestimmen. Drummer nennt ein Beispiel aus der Praxis: "Wenn ich für einen Kunden der chemischen Industrie Gespräche mit Umweltschützern führe, wäre ich verloren, würde ich mich nur auf das Thema der Rückstände beschränken. Der Horizont wird deutlich breiter, wenn ich es schaffe, dass wir über chemische Produkte reden, die auch dieser Umweltschützer als unentbehrlich betrachtet, Arzneimittel oder Airbags zum Beispiel. Auf dieser höheren Ebene ist plötzlich auch ein Konsens zwischen gegensätzlichen Positionen möglich."

Keine Manipulation, sondern Moderation.


Public Affairs haben denn auch nichts mit klandestinem Lobbying oder mit der Manipulation von Meinung zu tun. Dafür aber viel mit Moderation, mit den Diensten von Dolmetschern in einer zersplitterten Gesellschaft, wo einer nicht mehr die Sprache des anderen spricht. Brüssel macht dieses babylonische Sprachgewirr täglich erlebbar. Verwalter und Politiker, Industrievertreter und Umweltbewegte, Unternehmerfunktionäre und Gewerkschafter, alle reden miteinander - und oft aneinander vorbei. Nicht Sprachkenntnisse im engen Sinne seien das Problem, meint Drummer, "alle schlagen sich mit 4.000 Wörtern 'Bad Brussels English' durch. Nein, es fehlt vor allem das Verständnis für den anderen, für seine Situation, für seine Bedürfnisse, für sein Weltbild."
Die Rolle des kulturellen Dolmetschers liegt Drummer. Als Journalist hat er gelernt, dass man lange zuhören muss, bevor man eine Story schreibt. Als Referatsleiter im nordrhein-westfälischen Umweltministerium hat er jegliche Schwellenangst in Behörden verloren: "Ist der Mythos Ministerium einmal zerbröselt, fällt es einem leichter, auf Augenhöhe mit hohen Beamten zu sprechen" - gerade in Brüssel eine Haltung von unschätzbarem Wert.
Für ihn sind die Mentalitätsunterschiede, die die Abgesandten aus 25 Nationen prägen, eine interessante Herausforderung. Aus seiner Arbeit für die "Versammlung der Regionen" weiß Drummer, dass das Stadtgebiet von Brüssel gepflastert ist mit kulturellen Fettnäpfchen. "Wenn mir ein Beamter ein vertrauliches Papier zuspielt und ich ihn kurz darauf zum Essen einlade, kann es sein, dass er tödlich beleidigt ist: Er hatte ein inhaltliches Interesse und wertet mein Verhalten als 'Bestechungsversuch'. Umgekehrt kann es passieren, dass mich jemand mit drittklassigen Infos versorgt und dafür eine fürstliche Einladung erwartet. Also muss ich stets sehr genau wissen, wen ich gerade vor mir habe." So werden Public Affairs zur hohen Schule der Empathie.
In dem Maß, wie auch andere Pleon-Büros beginnen, neben den klassischen Public Relations ebenfalls in diesem Bereich zu arbeiten, erwartet Drummer eine noch stärkere Zusammenarbeit zwischen den Standorten. Seit sich das Netzwerk als größte europäische Agentur etabliert hat, "kommen plötzlich auch Anfragen aus London oder Madrid. Die Kollegen dort können bei einem Pitch darauf verweisen, dass unsere Firma nicht nur national, sondern auch auf europäischer Ebene die Anliegen der Kunden vertreten kann. Das ist ein wichtiger Mehrwert unserer Kooperation."

Kopf und Bauch.


Als Bürger von Eurocity fühlt sich Drummer genau am richtigen Knotenpunkt dieses Netzwerkes. Und das ist für ihn keine Frage der Strategie, sondern des Lebensgefühls. Er hat in den vergangenen Jahrzehnten "jeden Quadratzentimeter der europäischen Landkarte bereist". Meist mit dem Auto, "denn dann kann ich jederzeit aussteigen und die Eigenart eines Ortes schauen, hören, riechen, fühlen". Seine Landkarte ist eine kulinarische. Er weiß, wo es in der spanischen Extremadura den besten iberischen Schinken gibt, welcher kleine Ort in der Toskana ein besonderes Olivenöl herstellt, welche Käserei man in der Schweiz auf jeden Fall besuchen sollte. Bei ihm begeistern sich Kopf und Bauch unisono für den Reichtum des Kontinents: "Kulturelle Vielfalt ist kein theoretisches Konzept: Man kann sie schmecken, und das ist eine wunderbare Werbung für Europa."

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Hermann Drummer leitet die Niederlassung von Pleon in Brüssel.

Michael Gleich ist freier Journalist für changeX.

Weitere Informationen:
www.pleon.com

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Autor

Michael Gleich
Gleich

Michael Gleich, Publizist, Stroryteller und Redner, hat 2011 "der kongress tanzt. Netzwerk für gute Veranstaltungen" initiiert. Es berät Veranstalter darin, Konferenzen und Foren als lebendige Lernorte zu gestalten.

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