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Der Verleger als Dienstleister und Anarchist
So viele Bücher! - das neue Buch von Gabriel Zaid.
Von Jürgen Neubauer
Wer einen Verlag oder eine Buchhandlung gründet, muss ein Anarchist sein, meint Gabriel Zaid. Vor allem in Zeiten wachsender Macht der Konzernverlage und Buchhandelsketten. Er muss die Menschen genauestens kennen, für die er Bücher verlegt oder verkauft, und den Willen haben, in ein Gespräch mit ihnen zu treten und ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen.
Was sich liest wie das Manifest eines Jungunternehmers zu Gründerzeiten des Internets, kommt aus dem Mund des Dichters, Essayisten und Verlegers Gabriel Zaid, der im vergangenen Jahr seinen 70. Geburtstag feierte und dessen Titel So viele Bücher! in diesen Tagen in Deutschland erscheint. In seinem Heimatland Mexiko nimmt Zaid eine Sonderrolle im Kulturbetrieb ein, vergleichbar vielleicht mit der von Hans Magnus Enzensberger hierzulande. In seiner Person kommen zwei scheinbar unvereinbare Welten zusammen: Als Publizist und Förderer von Nachwuchsautoren heimst er Literaturpreise ein und als studierter Wirtschaftsingenieur berät er Verlage in handfesten wirtschaftlichen Fragen.
Bücher zu verlegen und Ideen unters Volk zu bringen ist für Gabriel Zaid das größte Abenteuer von allen. Dabei stehen Kultur und Kommerz für ihn in keinerlei Widerspruch. Im Gegenteil: Genüsslich mokiert er sich über die Heuchelei der "erlauchten Riege der Cognoscendi", die kommerziellen Erfolg misstrauisch beäugt und freimaurerische Zirkel bildet, in denen Hochkultur von Ohr zu Ohr weitergeraunt wird. Handel - und der Handel mit Büchern besonders - ist für Zaid immer mehr als der Tausch einer Ware gegen Geld: Handel ist ein Dialog zwischen Anbietern und Käufern, ist Kommunikation und Austausch. Der Handel mit Büchern und Wissen ist Voraussetzung für jede demokratische Gesellschaft, er stellt für Zaid eine Befreiung von der Macht der Heiligen Bücher und der Eliten dar, die ihr Geheimwissen an Auserwählte weitergeben.

Die Zielgruppe fest im Griff.


Zaid verwendet keine modischen Begriffe wie Service- oder Kundenorientierung, doch im Grunde handelt sein Buch von nichts anderem. Aufgabe der Verlage und der Buchhandlungen sei es, ihren Kunden eine Auswahl aus der schier überwältigenden Flut von Wissen und Büchern anzubieten. Die wachsende Macht der Konzernverlage und Buchhandelsketten sieht er gelassen: Sie seien wie Ramschläden, in denen man zwar alles geboten bekommt - aber wer habe schon die Zeit, danach zu suchen? Gesunden Erfolg wird nur der Verleger und der Buchhändler haben, der mit Leidenschaft für seine Zielgruppen Themen setzt. Eine klare Programmstruktur ist dabei eine unschlagbare Dienstleistung.
Zaids Ideal ist der Verlag, der seine Zielgruppe gewissermaßen schon im Adressenverteiler hat. Wie das Prinzip funktioniert, zeigt Zaids Verlag IBCON auf ganz besondere Weise. Seit rund 25 Jahren stellt IBCON Adressenverzeichnisse für Anwälte, Bibliotheken oder Außenhandelsfirmen her, zunächst gedruckt, seit einigen Jahren auch auf CD-ROM. Bei IBCON sind Adressenverteiler und Produkt sogar identisch.
In anderen Wirtschaftsbereichen haben sich solche Erkenntnisse längst herumgesprochen, doch gerade in Deutschland halten noch viele Verlage und Buchhandlungen gern am Prinzip des Gemischtwarenladens fest. Und gehen dann in Schönheit zugrunde, wie so mancher Buchladen, der sich im Namen des "guten Buches" weigert, die Wünsche seiner Kunden ernst zu nehmen. Oder sie werden von ihrem eigenen Gewicht erdrückt wie ein gestrandeter Wal, wie zurzeit am Bertelsmann Buchclub zu beobachten. Die Krise, von der alle so gern reden, erreicht nur die, die ihre Kunden nicht ernst nehmen. Doch auch in Deutschland muss man nicht weit schauen, um zu sehen, dass Erfolg hat, wer sich auf den Dialog mit seinen Kunden einlässt: Der Mare-Verlag hat mit erstaunlichem Erfolg eine ganz besonders ausgefallene Nische erobert. Der im vergangenen Jahr gegründete Murmann-Verlag hat mit seinen anspruchsvollen Sachbüchern gute Aussichten, eine ernst zu nehmende Größe als Verlag für Wirtschaft und Management zu werden. Und so mancher Buchladen mit Café und einer kleinen, aber an den Interessen seiner Leser orientierten Auswahl von Titeln, hält sich auch in unmittelbarer Nachbarschaft zu den großen Ketten.
Das Medium Buch ist für Zaid geradezu ideal, um noch kleinste Interessengruppen zu erreichen. Welches andere Produkt kann man schon mit einer Stückzahl von 3.000 (und mit Printing on Demand sogar schon wenigen Hundert) Exemplaren wirtschaftlich rentabel produzieren? Das Internet, das viele als Tod des Buches fürchteten und feierten, sieht Zaid übrigens keineswegs als Gefahr für den Buchmarkt. Projekte wie Wikipedia oder das Project Gutenberg eröffnen einmalige Möglichkeiten, Wissen im gesellschaftlichen Dialog zu halten. Amazons heftig umstrittenen neuen Service, der Kunden erlaubt, Leseproben herunterzuladen, hält er für genial und glaubt, dass damit eher mehr als weniger Bücher verkauft werden. Überhaupt sei Amazon nicht etwa durch seine riesige Auswahl so erfolgreich, sondern durch Glaubwürdigkeit und Service, und weil er seinen Kunden Möglichkeiten bietet, ihre Meinungen kundzutun und in Dialog miteinander zu treten. Daran, so Zaid, nicht an der Menge der Bücher, müssen sich Buchhandlungen messen lassen.

Hang zum Selbstmitleid.


Zaids Buch ist ein lehrreicher, manchmal polemischer und immer unterhaltsamer Streifzug durch die Welt der Bücher, in dem praktische Hinweise für Verleger und Buchhändler genauso ihren Platz haben wie provozierende Überlegungen zum Buchmarkt. Als würde er den deutschen Verleger oder Buchhändler kennen, schreibt er, Buchmenschen "haben traditionell einen ausgeprägten Hang zum Selbstmitleid und stimmen selbst dann Klagelieder an, wenn alles zum Besten steht". Wie schön, dass Zaid sich selbst nicht daran hält und ein Buch geschrieben hat, das Lust darauf macht, sich mitten hinein ins Getümmel zu stürzen und selbst einen Verlag zu gründen.

Jürgen Neubauer ist Übersetzer von So viele Bücher! und hat Gabriel Zaid in Mexiko Stadt zu einem Gespräch getroffen.

Gabriel Zaid:
So viele Bücher!
Erstaunliches, Kurioses und Nachdenkliches rund ums Lesen,

Campus Verlag, Frankfurt/New York 2004,
142 Seiten, 14.90 Euro,
ISBN 3-593-37656-3
www.campus.de

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: So viele Bücher! . Erstaunliches, Kurioses und Nachdenkliches rund ums Lesen.. Campus Verlag, Frankfurt/New York 1900, 142 Seiten, ISBN 3-593-37656-3

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Jürgen Neubauer

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