Wir quatschen uns zu Tode
Einspruch 8: Redseligkeit als Karrierefaktor.
Von Erich Feldmeier
Erich Feldmeier über Worthülsenzauber und Leistung in Organisationen. Einspruch! heißt seine monatliche Kolumne - ein konstruktiv-kritisches Format, das die oft unreflektierten, scheinbar unabänderlichen Selbstverständlichkeiten humorvoll und ketzerisch-herausfordernd in Frage stellt.
Erich FeldmeierOlaf Henkel bekannte einst, dass er sich, so wörtlich, "jahrelang durch die ganze Hierarchie von IBM durchgequatscht hat". Mit Erfolg, wie man zweifelsfrei feststellen kann. Nun mag dieses "Durchquatschen" nicht jedem in die Wiege gelegt sein oder einfach nicht dem Naturell eines Menschen entsprechen. Weil es - nicht nur laut Karriereanker, Enneagramm oder wie die Personalentwicklungstools sonst alle heißen mögen - eben verschiedene Menschen gibt.

Warum sich Quatschen lohnt.


Insbesondere gibt es Menschen, die sich eben nicht mit Gequatsche, Formalkram und interessengelenkten Entscheidungen in Organisationen abgeben wollen, sondern die etwas erfinden, etwas erforschen, etwas Kreatives gestalten oder sonst wie zur Menschheitsentwicklung beitragen möchten. Vielleicht einfach nur, indem sie eine Maschine oder ein Auto bauen. Hierzu zählen zum Beispiel der Ingenieur und der Naturwissenschaftler. Wenn aber in Organisationen - siehe den letzten Einspruch! - "politische Entscheidungen" die Richtung bestimmen, nicht Leistung und der gesunde Menschenverstand, hat das verheerende Auswirkungen (ähnlich wie Korruption): Kreativität, Motivation und Leistung werden geradezu verhindert; Mitarbeiter, die weiterkommen wollen, müssen ihre Zeit mit Quatschen und Theaterspielen zubringen. Sie sitzen in Meetings und Teamsitzungen (1), statt inhaltliche Arbeit zu leisten. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der einzige Weg, Karriere zu machen, immer noch ausschließlich durch Gequatsche ins Management führt. Die logische Folge ist: Das Erfahrungswissen in den Fachabteilungen blutet aus. Eine Sackgasse!

So ist er eben, der Mensch.


Das ist, wohlgemerkt, menschlich nachvollziehbar und verständlich. Und es ist nur logisch, dass die "Neuerfindung des (evolutionären) Menschen" nicht nur im Realsozialismus gescheitert ist. Das soll heißen: Das individuelle (Anpassungs-)Verhalten in Gruppen ist entscheidend wichtig für den sozialen Zusammenhalt. (2) Wenn Organisationspsychologen, wie zum Beispiel Lutz von Rosenstiel, mit jahrzehntealten Forschungsergebnissen nicht völlig danebenliegen - oder sich die Rahmenbedingungen nicht völlig geändert haben -, sind die maßgeblichen Karrierefaktoren nach wie vor die folgenden:
  • Quatschen.
  • Souveränität.
  • Eine Frau.
  • Glück.
  • Leistung.
Leistung steht erst an fünfter Stelle, eine Frau, die einem den Rücken freihält, an dritter Stelle unserer Tabelle, immerhin nobelpreisverdächtig. (3) Wie wichtig die ersten beiden Faktoren sind, kann man überall beobachten. Quatschen und souveränes Auftreten sind schon in der Grundschule die maßgeblichen Faktoren für die Ausbildung einer sozialen Hierarchie. Diejenigen, die sich verbal - und in entsprechender Körpersprache - vor und in der Gruppe darstellen können, behalten diese Erfolgsmuster ihr Leben lang. (4) Das ist der "Silberne-Löffel-Effekt", von dem Michael Hartmann spricht. Er weist ausdrücklich darauf hin, dass diese charakterprägenden angeborenen beziehungsweise anerzogenen Eigenschaften nicht erlernbar sind. (5) Letztlich ist es entscheidend, in selbstreferentiellen Zirkeln, die bevorzugt um sich selbst kreisen, beheimatet zu sein.
Wir halten also fest: Leistung ohne diese entsprechenden Karrierefaktoren produziert mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Hamsterrad-Effekt: Man strampelt sich ab, ohne wirklich weiterzukommen. Karriere macht nur derjenige, der quatscht und sich gut verkaufen kann - und für viele ist das unbestreitbar eine Leistung, die es verdient, vorzüglich honoriert zu werden. Im Umkehrschluss soll das natürlich nicht heißen, dass diejenigen, die es nach oben geschafft haben, keine Leistung erbracht hätten. Wie im letzten Einspruch!, der sich mit den Gründen für Entscheidungen beschäftigt hat, handelt es sich auch hier ausschließlich um die Gründe für die Karriere. Und diese haben mit Evolution und Gruppenverhalten zu tun, nicht mit Leistung oder Klassenkampf-Parolen. So ist er eben, der Mensch!
Deshalb werden auch und gerade für Naturwissenschaftler und Ingenieure immer mehr Kurse und Trainings in Persönlichkeitsentwicklung angeboten. Die Konsequenz: Statt eine Fortbildung in Mathematik, Statistik, Elektrotechnik oder Informatik zu belegen, sollten sie sich besser mit Organisationspsychologie, Rhetorik oder Neurolinguistischer Programmierung beschäftigen, Spontaneitätstrainings absolvieren, ihre Körpersprache üben und dergleichen mehr.

Aufmerksamkeitsökonomie in Zeiten des Information Overload.


Dabei helfen auch noch so gute Rhetorik- und Verstell-Seminare nichts. Das Scheitern von Innovationen in ganzen Berufszweigen ist vorprogrammiert, weil Menschen, anstatt Autos zu bauen und Maschinen zu erfinden, einen Großteil ihrer Arbeitszeit für Quatschen und Theaterspielen meinen aufwenden zu müssen. Das logische Ende ist folglich: Wir quatschen uns zu Tode und spielen Rollenspielchen, anstatt zu arbeiten. Die Ergebnisse dieser Bemühungen, dem psychologisierenden Worthülsen-Zauber einen wie auch immer gearteten Gegenzauber entgegenzustellen, sind bereits heute in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zu beobachten. Das ist das bittere Resultat der Aufmerksamkeitsökonomie in Zeiten des Information Overload: Die Menschen wenden - notgedrungen - den größten Teil ihrer Arbeitszeit für Blendwerk auf, statt sich mit den eigentlichen Sachfragen zu beschäftigen.
Und noch viel entscheidender: Hier zeigt sich die ganze Problematik der Wissensbildung, die bei jedem Menschen mit dem kleinen Einmaleins beginnt und bei mathematischen oder Auto-Differenzialen oder der physikalischen Biochemie von Genombausteinen eben nicht endet. Weil die individuelle Erarbeitung des potentiell global verfügbaren Spezialwissens Zeit erfordert (6), die jeweils von einzelnen Individuen aufgebracht werden muss - Zeit, die mit Quatschen, Theaterspielen und dem Absolvieren dutzender persönlichkeitsbildender Kurse viel erfolgreicher verbracht werden kann. Ja sogar verbracht werden muss, wenn man sich nicht permanent selbst schädigen möchte. Ingenieure und Naturwissenschaftler geraten gegenüber Juristen und Betriebswirtschaftlern karrieremäßig ins Hintertreffen, weil Letztere sich besser verkaufen können. (7)

Was ist Leistung?


Und so kommen wir automatisch wieder zu den Kernfragen Vernunft, Leistung und Gerechtigkeit. Naturwissenschaftler und Ingenieure haben hier ein völlig anderes Weltbild, um die kognitiven Differenzen nochmals anschaulich zu machen. Vernunft ist eine notwendige Voraussetzung, um Maschinen am Laufen zu halten. Eine Turbinenschaufel funktioniert oder funktioniert nicht. Wenn sie nicht funktioniert, untersucht man, woran es liegt, dass sie nicht funktioniert. Wird das Problem erkannt, löst man es und ignoriert es nicht. Wir vertrauen dem Techniker blind, der das Flugzeug so wartet, dass es nicht herunterfällt - so wird eine Perfektion von einem Unfall auf 1,1 Millionen Flüge erreicht. Unsere gesamte technisierte Welt hängt davon ab, dass Fehler behoben und (neue) Erkenntnisse umgesetzt werden.
Warum gilt dieses einfache Prinzip nicht für Organisationen, in denen Menschen aufeinander treffen? Der gesunde Menschenverstand muss erste Priorität bekommen! Die dauernde Verletzung von Vernunft und Logik macht Menschen und Organisationen krank und erzeugt tiefe Demotivierung. Probleme, die erkannt, aber nicht umgesetzt werden, erzeugen Frustration. Und die Dauerfrustration von Engagierten und Kreativen erzeugt Lähmung. Oder schlichtweg Fassungslosigkeit.
Wie zum Beispiel in der Politik. Im zurückliegenden Wahlkampf lobte der damalige Umweltminister Trittin die gelungene Umsetzung der Hochwasserpolitik der CSU. Seine ParteikollegInnen kritisierten daraufhin heftig die "Steilvorlage so kurz vor der Wahl". Ja was denn nun? Ist die Hochwasserpolitik vernünftig oder ist sie es nicht? Wenn sie vernünftig ist, so ist es an Ignoranz und Peinlichkeit kaum mehr zu überbieten, das Gegenteil zu behaupten - selbst wenn die Anderen das auch tun.
Anmerkungen:
  1. www.iiqii.de/gallery/Die-iiQii-Philosophie/WilliamHollyWhyte_pps_org
  2. www.iiqii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/BarbaryMacaque_gsu_edu
  3. www.iiqii.de/gallery/Querdenkerinnen/ChristianeNuessleinVolhard_tuebingen_mpg_de
  4. Hier zeigt sich auch die Bedeutung frühkindlicher Prägungsmuster und der Stellenwert der Frühkind-Pädagogik, wie dies auch Donata Elschenbroich in ihrem Buch Weltwissen der Siebenjährigen betont (Goldmann Verlag, München 2002).
  5. Michael Hartmann: Der Mythos von den Leistungseliten, Campus Verlag, Frankfurt 2002.
  6. www.iiqii.de/gallery/Die-iiQii-Philosophie/CarlFriedrichvonWeizsaecker_uni_frankfurt_de
  7. Dies unterstrich Diplom-Ingenieur Jörg Thielges, Direktor bei der IBM Deutschland Entwicklung GmbH, im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Auf die Frage, ob Ingenieure nicht in der Manager-Hierarchie an Bedeutung verloren hätten, gab er folgende Antwort: "Leider ja. Ingenieure haben manchmal Schwierigkeiten, ihr Wissen und sich selbst nach außen gut darzustellen. Das können Juristen oder Betriebswirtschaftler oft besser - und machen schneller Karriere. Ich sehe eine große Gefahr darin, gerade für die Innovation." Zitiert nach: Süddeutsche Zeitung vom 20. März 2004.
Weitere Informationen:
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