Mehr Geld ist nirgends
Tatort Zürich. Einblicke in die Schattenwelt der internationalen Finanzkriminalität - das neue Buch von Leo Müller.
Von Winfried Kretschmer
Nirgendwo liegt so viel privates Geld wie in der Schweiz. Das viel gerühmte Bankgeheimnis und laxe Steuergesetze schaffen ein Klima, das private Anleger schätzen - und das illegale Transaktionen begünstigt. Wirtschaftskriminalität ist ein Wachstumsmarkt, dem Polizei und Justiz hilflos gegenüberstehen. Deshalb greift die Wirtschaft zur Selbsthilfe. Die Mehrzahl aller Wirtschaftsstraftaten wird informell geregelt.
Im globalisierten Kapitalismus, so stellt man sich vor, fließen Geldströme ungehindert um die Erde. 24 Stunden am Tag, von Finanzplatz zu Finanzplatz, ohne Unterlass. Doch offensichtlich fließt das Kapital nicht nur, sondern hat besondere Plätze auf dieser Erde, an denen es sich bevorzugt sammelt: so genannte Offshore-Finanzplätze, also Bankenzentren in Ländern mit niedriger oder gar keiner Steuerpflicht für ausländische Gesellschaften. "60 bis 90 Offshore-Zentren werden auf der Welt gezählt. Rund drei Millionen Briefkastenfirmen sind dort verwaltet, eingerichtet von Anwälten, Treuhändern und Vermögensverwaltern an den großen Finanzplätzen", schreibt der Wirtschaftsjournalist Leo Müller. Und das größte Gelddepot der Welt ist die Schweiz. "Es gibt kein Land der Welt, das mehr Privatvermögen von Ausländern verwaltet." Mehr als 30.000 Domizilgesellschaften sind in der Schweiz registriert, 80.000 im benachbarten Liechtenstein. Mehr Geld ist nirgends.

Deals mit schwarzen Kassen.


Und viel davon ist schwarzes Geld. Geld, auf das die Schweiz immer noch die größte Anziehungskraft weltweit ausübt. "Denn hier, im größten Geldversteck der Welt, lassen sich illegale Einnahmen und schwarze Konten noch immer am leichtesten verbergen." In seinem Buch Tatort Zürich spürt Leo Müller, der selbst in Zürich lebt und dort bei der Wirtschaftszeitung Cash über Geld- und Wirtschaftskriminalität schreibt, den illegalen Geldgeschäften nach. Müller beschreibt, wie gewiefte Finanzjongleure Millionenbeträge am Fiskus vorbeischleusen. Dabei begegnen dem Leser alte Bekannte: Holger Pfahls, Karlheinz Schreiber und Jürgen W. Möllemann, dessen Selbstmord nach der Lektüre etwas weniger rätselhaft erscheint, denn der Politiker war nicht nur politisch, sondern auch finanziell in eine aussichtslose Situation geraten. Aber auch bekannte Namen, die nicht in erster Linie mit anrüchigen oder schlichtweg kriminellen Finanztransfers in Verbindung gebracht werden, spielen tragende Rollen in Müllers hervorragend recherchiertem, investigativem Wirtschaftskrimi. Der Filmstar Don Johnson zum Beispiel, der an der schweizerisch-deutschen Grenze mit gefälschten Bankdokumenten auffiel. Oder der ehemalige Medienzar Leo Kirch wie der frühere Springreiter Paul Schockemöhle, die ebenfalls das Schweizer Bankgeheimnis für Geldtransfers am Fiskus vorbei zu nutzen wussten. Denn zu den Besonderheiten des eidgenössischen Finanzrechts gehört auch, dass Steuerhinterziehung hier nicht als Straftat gilt.
Wo die Verlockungen des großen Geldes so üppig wuchern, liegt der Missbrauch nicht fern. Zu dem Bankplatz gehören auch die Bankskandale, bei denen schon mal Millionenbeträge vernichtet wurden. Ernst Imfeld beispielsweise galt als Held des Pivate Banking und war der Liebling seiner millionenschweren Kunden - bis sich herausstellte, dass er bei hochriskanten Finanztransaktionen deren Geld verbrannt hatte.

Weltmarkt des großen Geldes.


Müller beschreibt diese schwarzen wie die schiefgelaufenen Geldgeschäfte mit einer guten Portion Ironie. Doch stehen die Akteure dieser Deals nicht im Vordergrund. Ihre Machenschaften zeigen vielmehr, wie ein System funktioniert, das weit größere Ausmaße hat, als Millionen braver Steuerzahler vermuten würden - ein System, das zudem staatlichen Institutionen längst über den Kopf gewachsen ist. "Der internationalen Wachstumsindustrie Wirtschaftskriminalität stehen kaum konkurrenzfähige Fahnderorganisationen gegenüber", resümiert Müller. Und er prangert die "Doppelmoral deutscher Politiker" an, die offiziell gegen Geldwäsche vorgingen, das Schweizer Bankgeheimnis aber eifrig "für ihre eigenen schwarzen Kassen" nutzten. Im "Weltmarkt des großen Geldes" gehören Geldwäsche und andere illegale Transaktionen zum Alltag.

Die Wirtschaft greift zur Selbsthilfe.


Die Wirtschaft hat sich darauf eingestellt. So ist "eine ansehnliche Anti-Geldwäsche-Industrie entstanden, die keine andere Aufgabe hat, als graues, schwarzes und sonst wie schmutziges Geld von dem sauberen fernzuhalten", so Müller. Die schweizerischen Banken unterhalten interne Ermittlungsabteilungen, die mit ausgeklügelten "Gangster-Suchmaschinen" alle Geldtransfers auf Verdächtiges abklopfen, ohne dass der Kunde etwas davon bemerkt - letztlich gilt das viel gerühmte Bankgeheimnis nur nach außen. Nicht zuletzt unterhalten die großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Wirtschaftsdetekteien spezialisierte Ermittlerteams, die schnell und geräuschlos tätig werden - und Fälle von Wirtschaftskriminalität ebenso geräuschlos regeln. Privatisiert wird nicht nur die Fahndung, sondern auch die Rechtsprechung: Die Mehrzahl aller Wirtschaftsstraftaten wird informell geregelt, ohne dass Polizei und Justiz davon Wind bekämen. Diese "privatisierte Wahrheitsfindung" offenbart ein "gravierendes Demokratieproblem", so Müller: "Das staatliche Gewaltmonopol, in den demokratischen Verfassungen als Garant einer vom Volk kontrollierten Strafverfolgung und Rechtsprechung vorgesehen, gilt im Bereich der Wirtschaftskriminalität nur noch für eine Minderheit. Das Gros aller Fälle kommt nicht mehr an die Öffentlichkeit."

Leo Müller:
Tatort Zürich.
Einblicke in die Schattenwelt der
internationalen Finanzkriminalität,

Econ Verlag, Berlin 2006,
349 Seiten, 19.95 Euro,
ISBN 3-430-16908-9
www.econ.de

Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.

© changeX Partnerforum [15.08.2006] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.


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: Tatort Zürich. Einblicke in die Schattenwelt der internationalen Finanzkriminalität. Econ Verlag, Berlin 2006, 349 Seiten, ISBN 3-430-16908-9

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Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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