Der Unternehmensdoktor
Die Kolumne von Cay von Fournier -
Folge 1: Brauchen Unternehmen Moral?
Der bekannte Buchautor und Unternehmensberater Cay von Fournier schreibt exklusiv in changeX über die Zukunft gesunder Unternehmen. Im Mittelpunkt stehen dabei die wichtigsten Grundsätze des Unternehmenserfolgs. Das Ziel: Es geht nicht um den schnellen Profit, sondern um den langfristigen Erfolg und gesundes Wachstum.
Cay von FournierEs klingt wie eine rhetorische Frage. Aber es gibt zahlreiche Stimmen in der Ökonomie, die den Standpunkt vertreten, dass das einzige Ziel eines Unternehmens sei, Gewinne zu machen. Gewinne sichern das Überleben, schaffen in der Regel Wachstum, sorgen für Arbeitsplätze und somit auch für den Wohlstand einer Gesellschaft. Für die Moral sind dann andere Instanzen zuständig: Philosophie, Kirche und wohltätige Organisationen. Hier kann sich dann jeder Mensch nach Belieben engagieren.
Eine aktuelle Veröffentlichung im Harvard Business Manager hat diese Frage aus der Sicht aller am Unternehmen beteiligten Anspruchsgruppen untersucht und diese These eher bestätigt als widerlegt. Was insofern interessant ist, da nicht nur Manager befragt wurden, sondern alle so genannten Stakeholder. Das Erfüllen gesetzlicher Bestimmungen rangierte an oberster Stelle der Fragen zur Nachhaltigkeit eines Unternehmens.
Vor einiger Zeit stand im Berliner Tagesspiegel ganz groß: "Gibt es noch eine Unternehmermoral?" Diese Frage stellte kein anderer als der noch amtierende IG-Metall-Chef Jürgen Peters. Derjenige, der Tausende von Arbeitnehmern in den östlichen Bundesländern mit seiner Forderung nach einer 35-Stunden-Woche in die Arbeitslosigkeit schicken wollte. Da machten selbst die eigenen Mitglieder nicht mit. Dennoch wurde er zum IG-Metall-Chef gewählt, einem Unternehmen, das immerhin 2.656 Menschen beschäftigt. Dieses Unternehmen bildete 2004 lediglich 57 Lehrlinge aus und hätte im Falle einer damals noch geplanten staatlichen Zwangsabgabe bei zu wenigen Ausbildungsplätzen knapp eine Million Euro zahlen müssen. Kein Thema: Es ist so eine Sache mit der Moral, sie wird leicht gefordert und schwer gelebt.
Gerade die besonders spektakulären Fälle der Entlassungswellen großer deutscher Konzerne trotz ihrer Milliardengewinne, wie zuletzt Allianz und Telekom, werfen immer wieder die Frage nach der Moral auf. Wozu verpflichtet Eigentum und wozu sind Unternehmen verpflichtet? Was bedeutet Ethik und Moral bezogen auf die Führung von Unternehmen?
Zunächst eine kurze Definition und Abgrenzung der Begriffe:
Ethik:
Sittliche Normen, Werte, Grundsätze und Prinzipien. Ethik ist ein großer Teilbereich der Philosophie und seit Aristoteles eine Disziplin, die das menschliche Handeln zum Gegenstand hat. Die zentrale Frage lautet: "Wie sollen wir handeln?"
Moral:
Praktisch akzeptierte Ethik, die auch gelebt wird (oder gelebt werden soll). Die Moral stellt die Gesamtheit der gesellschaftlichen Werte und Normen dar. Sie sollte überwiegend als verbindlich akzeptiert werden. Dies ist naturgemäß in einer freien und individualistischen Gesellschaft schwierig, da eine Vielzahl von unterschiedlichen Werten und Normen vertreten wird, die sich häufig widersprechen. In einer freiheitlichen Demokratie ist die geltende Moral daher eine große politische wie gesellschaftliche Herausforderung, die an der aktuell immer wieder aufkommenden Diskussion um eine Leitkultur (letztlich eine verbindliche Moral) festzustellen ist. Da gemeinsam verbindliche Werte jedoch die Handlungsgrundlage neben dem geltenden Recht darstellen, ist die Moral ein sehr stark unterbewerteter Grundpfeiler einer gesunden Gesellschaft, die gesunde Unternehmen einschließt.
Ethos:
Die Summe der anerkannten Werte und Grundsätze, die in einem Unternehmen gelebt werden. Hier fügt sich der Begriff der Unternehmermoral ein.
Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,
dass er tun kann, was er will, sondern
dass er nicht tun muss, was er nicht will.

Jean-Jacques Rousseau
Eine Betrachtung wird bei den meisten Diskussionen übersehen. Ethik ist sowohl eine eigenständige Dimension neben der Legalität als auch eine eigenständige Dimension neben der Ökonomie. Das Problem vieler Veröffentlichungen ist, dass die Grenzen verwischt werden oder die zusätzliche Bedeutung der anderen Dimension übersehen wird:
Die Zielfunktion eines Unternehmens ist ökonomisch gesehen der Gewinn, der neben Wachstum und Risiko den Unternehmenswert definiert. Überdies ist der Gewinn der wesentliche Faktor, um ein Unternehmen vor dem Scheitern zu bewahren.
Neben der ökonomischen ist die Einbindung von Unternehmen in die staatliche Gesetzgebung eine zweite Ebene. Jedoch lässt sich freies und verantwortliches Handeln gesetzlich nicht regeln. Alle staatlich überregulierten und somit unfreien Systeme, wie zum Beispiel der Sozialismus, haben in der Geschichte bewiesen, dass sie weder Wohlstand noch persönliche Weiterentwicklung hervorbringen. Die Frage ist bei Unternehmen, welche Werte zugrunde liegen?
"Werte" im ethischen Sinne werden somit zur Grundlage von "Werten" im ökonomischen Sinne. So lässt sich Nachhaltigkeit und langfristiger Erfolg nur aus einem ganzheitlichen Handeln heraus bewirken. Da diese Grundlage in vielen theoretischen Abhandlungen über Unternehmensführung und deren praktischen Umsetzung fehlt, ist der gesellschaftliche Nutzen ein bedrohtes Gut, auch wenn die Unternehmen in der ökonomischen Dimension Gewinne machen.
Unternehmen gedeihen am besten in freiheitlichen Systemen. Der Preis für diese Freiheit ist Verantwortung, die jeder einzelne und auch alle Unternehmen tragen. Daher brauchen Unternehmen dringend Moral, wollen sie langfristig in einem freiheitlichen und demokratischen System erfolgreich sein. Familienunternehmen und persönlich geführte Mittelständler sind sich dieser Verantwortung meistens bewusst und handeln großflächig danach. Der heutige Führungsstil ist wesentlich menschlicher geworden, auch weil das Potential der Mitarbeiter zum eigentlichen Wettbewerbsfaktor geworden ist.
Diesem Umstand verdanken wir unsere derzeit noch starke wirtschaftliche Macht. Der Trend ist aber eindeutig und zeigt in die falsche Richtung. Wir verlieren an wirtschaftlicher Dynamik, weil eben nicht nur Unternehmen Moral brauchen, sondern auch die Politik, die verantwortungsvolle Rahmenbedingen gestalten muss.
Gegenstand der Betrachtung hier sind die legalen, aber dennoch unethischen, da verantwortungslosen Handlungen, die dem Anstand widersprechen, nicht jedoch den geltenden Gesetzen, oder deren Auslegung und Beugung, wie wir dies derzeit in einer Fülle von politischen und wirtschaftlichen Skandalen erleben. Der Eindruck fehlender Konsequenz, sowohl für Politiker als auch für Manager, erhärtet sich bei jedem neuen Fall und die Bevölkerung stumpft in Bezug auf Moral (gelebte Werte) ab. Dies gilt auch für Unternehmen. Dies ist das eigentliche Problem.
Drei Ebenen sind für die ethische Unternehmensführung wichtig:
  • Die persönliche Ebene jedes einzelnen (Mikroebene).
  • Die Ebene des Unternehmens und sein direktes Umfeld (Mesoebene).
  • Der gesellschaftspolitische Rahmen (Makroebene).
Die persönliche Ebene betrifft die Verantwortlichkeit jedes einzelnen innerhalb eines Unternehmens - vom Unternehmer über die Führungskräfte bis hin zu jedem Mitarbeiter. Es spielen die persönlichen Wertesysteme jedes im Unternehmen agierenden Menschen eine große Rolle (auch hier zeigt sich die Unvernunft ideologisch getriebener Politik, die ganz unterschiedliche Wertesysteme per Antidiskriminierungsgesetz als gleichwertig darstellt).
Die Aufgabe des Unternehmens ist es daher, diese Menschen bei der Einstellung auch auf ihre Werte hin zu beurteilen. Häufig stehen jedoch fachliche Kriterien im Vordergrund und das Unternehmen verwendet zu wenig Zeit auf die Beachtung persönlicher Werte in einem ganzheitlichen Einstellungsfilter. Die negativen Auswirkungen unethischen Handelns auf der Mikroebene sind: Machtmissbrauch, Hinterziehung, Mobbing, "Krank feiern", Diebstahl von Unternehmenseigentum (Beschädigung) und anderes.
Auf der Unternehmensebene wird das Unternehmen selbst als moralisch handelnde Person gesehen. Diese Person tritt ebenso gegenüber Kunden wie gegenüber Mitarbeitern, Gesellschaft, Umwelt, Lieferanten, Partnern, Banken und anderen Anspruchsgruppen auf. Die negativen Auswirkungen unethischen Handelns auf dieser Ebene zeigen sich in jeder Form des Ausnutzens, Übervorteilens oder Hinterziehens. Die Definition der moralischen Richtlinien scheint hier schwerer zu sein als die der legalen Richtlinien. Subventionsmissbrauch findet häufig ganz legal statt und diejenigen, die sich mit Anträgen und Fördertöpfen auskennen, haben einen Vorteil, den alle durch eine stetig wachsende Steuerlast bezahlen müssen.
Die letzte und größte Ebene beschreibt das wirtschaftliche Zusammenleben der Unternehmen in einem gesellschaftspolitischen Rahmen. Wirtschaftspolitik, Tarifverträge und Gesetzestexte versuchen diese Ebene zu regeln. Die negativen Auswirkungen unethischen Handelns sind neben dem Erschleichen von Subventionen und Steuerhinterziehung jede Form der ungerechten Überregulierung und des Machterhalts aus Eigennutz. Politische Ideologien und Eigennutz ganz unterschiedlicher Interessensgruppen sind hier verantwortungslos agierende Mechanismen, die ebenso eine Gefahr für ein freiheitliches und demokratisches System darstellen wie radikalisierte Randgruppen.
Die Orientierung sollte jedoch sowohl von außen nach innen als auch von innen nach außen erfolgen. Jeder ist zuerst selbst für seine Handlungen verantwortlich, orientiert sich dabei aber stets an der Ebene über ihm. Findet also ein Werteverfall im Großen statt, wie dies derzeit zu beobachten ist, und bereichern sich "die da oben" auf Kosten "der da unten", ist es kaum verwunderlich - wenn auch nicht entschuldbar -, wenn dem einzelnen die Werte abhanden kommen.
Es braucht bei den Verantwortlichen wieder glaubhafte (also moralisch integere) Vorbilder, nur so kann unser Land aus dieser Vertrauens- und Orientierungskrise herausgeführt werden. Der Weg dorthin geht nur von innen nach außen. Sobald immer mehr Einzelpersonen moralisch handeln und unmoralisches Handeln konsequent ächten, wird dieses im Laufe der Zeit unattraktiv und somit auch unprofitabel. Dazu braucht es aber eine ganz andere Intensität der dringend notwendigen Wertediskussion.
Wie kann praxisnah moralisch gehandelt werden? Die einfachste moralische Richtlinie ist die goldene Regel: "Handle so, wie Du behandelt werden willst" - dies setzt jedoch ein intaktes Wertesystem des Handelnden voraus. Es kann auch der kategorische Imperativ von Kant als verbindliche Richtlinie gelten: "Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne".
Eine weitere Möglichkeit bietet der utilitaristische Ansatz ("Handle so, dass großer Nutzen entsteht"), der eine Diskussion über den Nutzen und den Sinn unserer Handlungen voraussetzt. Die wohl einfachste Form ist die Öffentlichkeits-Regel ("Handle so, als ob es alle wissen könnten"), die auch Grundlage des Deutschen Corporate Governance Kodex ist, der vor allem für eine transparente und nachvollziehbare Unternehmensführung plädiert.
Ethik und Moral werden somit ein immer wichtigerer Bestandteil der Unternehmensführung. Werte sind das Fundament einer Gesellschaft und sie stellen auch das Fundament eines Unternehmens dar. Langfristig werden Unternehmen scheitern, die gegen anerkannte ethische Werte wie Anständigkeit, Ehrlichkeit, Offenheit, Gerechtigkeit und Zuverlässigkeit (um nur einige zu nennen) verstoßen. Wir brauchen dabei gar kein neues Wertesystem, lediglich eine Rückbesinnung auf unser vorhandenes. Wir müssen aber wieder dazu übergehen, sowohl moralisch als auch konsequent zu handeln. Dies ist und bleibt die Grundlage eines langfristigen unternehmerischen Erfolgs. Ja, Unternehmen brauchen Moral!
Cay von Fournier ist Unternehmensberater, Buchautor und Geschäftsführer des SchmidtCollegs in Berlin. Er lebt mit seiner Familie in Zürich.
Kontakt:
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Telefon: 09261-96280
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