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Eine ganz normale Sache
Gleich und anders - das neue Buch von Robert Aldrich.
Von Anja Dilk
Homosexualität, ob zwischen Männern oder Frauen, gab es in allen Kulturen und zu allen Zeiten. Sie hat schon immer zum Menschen gehört, gleichviel ob sie unterdrückt, sanktioniert, verfolgt, kulturell überformt oder heimlich in verborgenen Nischen ausgelebt wurde. Ein gründliches und umfassendes Buch bringt nun Licht ins Dunkel der verborgenen Seite menschlicher Sexualität. Eine editorische Großtat, die einige Überraschungen birgt. / 02.02.07
Im alten Griechenland war das eine ganz normale Sache: Ein erwachsener Mann turtelt mit einem jungen Hüpfer, zwölf bis 18 Jahre. Der Erastes, mindestens mit leichtem Flaum auf den Wangen, umwarb den jüngeren Eromenos mit dem ganzen Repertoire des Liebesspiels. Ein Stückchen Fleisch zum Geschenk oder eine Flasche Olivenöl, ein Blumenkranz oder, ganz praktisch, ein Hase. Denn, so glauben die Athener, das Verspeisen des als androgyn angesehenen Tieres müsste den Knaben williger machen. Die Zeit will genutzt sein, schließlich wirft der Geliebte seine Rolle ab, kaum dass die ersten Bartstoppeln sprießen. Dann wird er selbst Liebhaber und sucht sich einen jüngeren Gespielen.
Das waren Zeiten. Lange vorbei, häufig besungen. Homosexualität hatte in der Antike keinen verdorbenen Beigeschmack. Intime Partnerschaften wurden unter Männern wie unter Frauen zelebriert. Sex diente nicht nur der Fortpflanzung und dem Fortbestand der Familie, sondern auch und ausdrücklich der Lust und dem Vergnügen. Er war keineswegs nur auf Ehe und Familie beschränkt. Kein Wunder, dass nackte Körper, männliche zumal, allgegenwärtig waren. Athen war gepflastert mit Statuen, die der Nacktheit huldigten. "Die Liebe eines Mannes zu einem Mädchen oder einer Frau war für die Athener nicht etwas völlig anderes als die Liebe zu einem Jungen oder Mann. Sie waren einfach zwei Formen sexuellen Verlangens, von denen eine für bestimmte Menschen in gewissen Momenten ihres Lebens geeigneter sein konnte. In den Augen der meisten Griechen unterschied sich ein Mann, der einen Knaben liebte, in seinem Wesen nicht von einem heterosexuellen Mann", schreibt Charles Hupperts in seinem Beitrag zur Homosexualität in der Antike. Hupperts' Essay ist Teil einer Sammlung, die der australische Autor Robert Aldrich, Professor für Europäische Geschichte an der Universität Sydney, soeben auf Deutsch veröffentlicht hat: die erste globale Geschichte der gleichgeschlechtlichen Liebe.

"Eine vertraute Angelegenheit."


Ein wohltuender Band. Mit großer Sorgfalt gehen die Autoren den verschiedenen Formen gleichgeschlechtlicher Beziehungen in den vergangenen Jahrhunderten auf den Grund - ob in Europa oder Afrika, Asien, den USA oder dem Orient. Dabei lassen sie keinen Zweifel daran, dass es Homosexualität zu allen Zeiten und in allen Kulturen gab und gibt. Mal unterdrückt, sanktioniert, verfolgt, mal kulturell überformt, verborgen in eng zugewiesenen Nischen, mal gänzlich heimlich. Wer sich durch diesen Band schmökert, begegnet einigen Überraschungen.
Zum Beispiel dem homoerotisch angehauchten Freundschaftskult unter Männern im sechsten Jahrhundert, Zeit der austrischen Merowingerkönige, der sich reichlich in flammender Dichtkunst niederschlug und erst im 13. Jahrhundert von den Lehren der Scholastiker in die Defensive getrieben wurde. Formen der Sexualität, die aus der Zweckbestimmtheit der Heilsgeschichte ausbrachen, hatten nun keinen Platz mehr. Der Kampf gegen die "naturwidrige Unzucht" ist eröffnet.
Zum Beispiel der Befund neuerer Forschungsarbeiten, der die lange vertretene Ansicht widerlegt, dass vor 1900 sexuelle Beziehungen zwischen Frauen kaum vorstellbar gewesen seien. Das Gegenteil ist richtig. So war es durchaus anerkannt, dass Frauen sexuelle Befriedigung brauchen, dass "sexuelle Aktivität für ihre Gesundheit unentbehrlich" sei und "Mangel an Sex zur auszehrenden Bleichsucht oder Melancholie" führen würde. "In diesem Zusammenhang ging man ganz selbstverständlich davon aus, dass Frauen ... sich einander zuwendeten", schreibt die Autorin Laura Gowing. Sogar die Vermählung zwischen zwei Frauen war in der frühneuzeitlichen Kultur "eine vertraute Angelegenheit".
Zum Beispiel die vielen Formen gleichgeschlechtlicher Erfahrungen im 18. und 19. Jahrhundert, in denen Gelegenheitssex zwischen Männern und Jugendlichen in ganz Europa verbreitet war, in einer Zeit, in der die meisten Männer ausschließlich mit anderen Männern arbeiteten und lebten, in der Familienmitglieder, Arbeitskollegen oder völlig Fremde immer wieder das Bett miteinander teilten. Nicht zufällig warnte ein englischer Reisevers von 1770 humorvoll vor den Gefahren, die in einem Gasthaus lauern: "Beachte diese Regel: Zieh nie die Hose aus, des gesunden Schlummers versuch dich zu enthalten, sonst wirst du zehn zu eins in deinem Schlaf gebumst." Auch homosexuelle Subkulturen gab es zu jener Zeit zuhauf, ob in Rom, St. Petersburg, Berlin oder Stockholm, "wo verdorbene Männer mit einer Vorliebe für Analverkehr für wenig Geld Befriedigung finden können", wie es in einem französischen Pornoroman von 1784 heißt. Auch wenn gleichzeitig im Europa der frühen Neuzeit das Gesetz für Sodomie (Homosexualität) die Todesstrafe vorsah, gewöhnlich durch ein Ende auf dem Scheiterhaufen. So schrieb in dieser Zeit ein französischer Jurist: "Die Strafe für Sodomie kann gar nicht hart genug sein, denn es gilt, ein Verbrechen zu sühnen, das die Natur erröten lässt."
Zum Beispiel die gängigen Formen der Homosexualität unter Männern im islamischen Kulturkreis, in dem Homosexualität grundsätzlich streng verboten ist. Dennoch: "Homosexualität fungiert als Stütze einer von Narzissmus geprägten Männlichkeit. Der islamische Mann gerät nicht in Konflikt mit seiner Identität, solange er Sex mit einem Mann, einer Frau oder einem Knaben hat und dabei die aktive Rolle einnimmt. Penetration ist der entscheidende Akt, um den sich die arabische Erotik dreht. ... Darin sieht diese Kultur einen manifesten Ausdruck von Überlegenheit, die mit den gesellschaftlichen Rollen des Jugendlichen und des Erwachsenen völlig im Einklang steht." Passivität dagegen zerstört die Männlichkeit unwiderruflich. "Alle Ausdrücke für den passiven Mann drücken große Verachtung aus. Da es keinen Raum für die soziale Identität passiver Homosexueller gibt, müssen sie ihre Beziehungen ganz im Geheimen ausleben."

Homosexualität hat immer schon zum Menschen gehört.


Natürlich, dieses Buch erzählt zu Recht viel von Ausgrenzung, Verurteilung, Verfolgung, ob auf dem Scheiterhaufen, im Konzentrationslager oder unter fundamentalistischen Regimen der Gegenwart. Es zeigt, welche Gefahr davon ausgeht, das Modell sexueller Normalität einer x-beliebigen Gruppe auf andersartige Bevölkerungsteile zu übertragen, sei es auf Basis von religiösen Geboten, angeblichen Naturwahrheiten oder falsch verstandener Familienwerte. Das ist richtig und wichtig. Doch am spannendsten ist dieses Buch dort, wo es zeigt, wie sehr Homosexualität, ob bei Männern oder Frauen, schon immer zum Menschen gehört hat.

Robert Aldrich (Hrsg.):
Gleich und anders.
Eine globale Geschichte der Homosexualität,

Murmann Verlag, Hamburg 2007,
384 Seiten, 36 Euro,
ISBN 978-3-938017-81-4
www.murmann-verlag.de

Anja Dilk ist Redakteurin bei changeX.

© changeX Partnerforum [02.02.2007] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.


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Zum Buch

: Gleich und anders. . Eine globale Geschichte der Homosexualität. . Murmann Verlag, Hamburg 1900, 384 Seiten, ISBN 978-3-938017-81-4

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Autorin

Anja Dilk
Dilk

Anja Dilk ist Berliner Korrespondentin, Autorin und Redakteurin bei changeX.

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