Was macht ein Unternehmen zukunftsfähig?

Ein Interview mit Christa Liedtke vom Wuppertal Institut über nachhaltiges Wirtschaften.

Zehn Jahre ist es her, dass in Rio de Janeiro das Konzept der nachhaltigen Entwicklung vorgestellt wurde. Seither führt es ein unscheinbares Nischendasein. Letztlich entscheidet die Nachfrage über die Zukunft des nachhaltigen Wirtschaftens, bilanziert Christa Liedtke vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Dabei kann es sich für Unternehmen lohnen, sich mit Nachhaltigkeit zu beschäftigen - ohne sie gibt es kein zukunftsfähiges Wirtschaften.

Dr. Christa Liedtke ist Biologin und hat im Bereich Protein-Biochemie promoviert. Am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie leitet sie eine Arbeitsgruppe, die sich dem Thema Öko-Effizienz und zukunftsfähige Unternehmensentwicklung widmet.

Ist Nachhaltigkeit zur Zeit überhaupt ein Thema für die Wirtschaft?
Ja und nein. Wir haben inhaltlich sehr viel Zuspruch aus der Wirtschaft, sowohl von mittelständischen als auch von großen, multinationalen Unternehmen. Das betrifft gerade Unternehmen, die im Moment stark sind. Die nutzen das auch für ihre Wettbewerbsposition, die sie ausbauen wollen. Soweit es multinationale Unternehmen sind, ist ein solches Management auch wichtig für die Risikobegrenzung bei der Marktentwicklung, gerade wenn sie auf den unterschiedlichsten Kontinenten stattfindet. Bei den kleinen und mittleren Unternehmen kommt es meistens darauf an, wie sie im Markt stehen und wie sich Verantwortung im Unternehmen ausbildet beziehungsweise wie sie weitergereicht wird. Ansonsten beschäftigen sich über 90 Prozent der Unternehmen leider nicht mit dem Thema.

Vermutlich haben andere Dinge Priorität, solange es der Wirtschaft schlecht geht?
Das ist beim Krisenmanagement leider immer noch so. Zudem ist Nachhaltigkeit eine Anforderung, für die man Leute mit entsprechender Ausbildung benötigt. Wir haben das schon immer gefordert, aber es gibt nach wie vor sehr wenig Leute, die in Schlüsselqualifikationen übergreifend ausgebildet sind. Das kann sich auch nicht aufs Management beschränken.

Was sind das für ausgebildete Leute?
Es fehlt die fächerübergreifende Kompetenz, ein Verständnis für andere Fachdisziplinen und die Erkenntnis, dass deren Auffassungen durchaus richtig sein können, auch wenn sie nicht dem eigenen Erfahrungshorizont entsprechen. Wenn zum Beispiel ein BWLer mit einem Informatiker oder einem Ingenieur spricht, gibt es immer noch Probleme. Zur Nachhaltigkeit brauchen sie ein gemeinsames Grundverständnis, das eingeübt werden muss, damit interne Arbeitsabläufe, wie Kommunikations- und Produktionsstränge, optimiert werden können. Wenn ein Unternehmen das einmal verstanden hat, wird Nachhaltigkeit auch als Chance begriffen, sich selber auf dem Markt zu positionieren.

Wird es auch von der Öffentlichkeit wahrgenommen und positiv bewertet, wenn ein Unternehmen zukunftsfähig wirtschaftet?
Uns sagen die mittelständischen Unternehmen: Nein. Auch die multinationalen Unternehmen bekommen das selten honoriert. Es kann ein Marktvorteil sein, wenn ganz bestimmte wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen gegeben sind. Eine der Rahmenbedingungen hätte im Zuge der "Riester-Rente" geschaffen werden können, wenn die Pensionsfonds mit entsprechenden Kriterien ausgestattet worden wären. Unternehmen, die in diese Fonds aufgenommen werden, könnten das öffentlichkeitswirksam einsetzen. Das wäre ein wirklicher Vorteil.
Man merkt das auch beim Natur-Aktienindex, der im ethischen Bereich hoch gehandelt wird. Die Unternehmen sind inzwischen sehr stolz, dabei zu sein und nutzen das auch für das Marketing.
Bei der Produktwahl sind die Konsumenten immer noch gespalten. Einige achten auf bestimmte Kriterien, zum Beispiel auf Fair Trade, und die anderen fragen nicht danach.

Es gibt also auch bestimmte Zielgruppen, die damit auch gar nicht erreicht werden?
Ja, es besteht noch ein großes Problem bezüglich der Nachfrage, weil man Angebot und Nachfrage miteinander koppeln muss. Wenn der Konsument bewusster kaufen und nachhaltige Produkte nachfragen würde, dann hätte man natürlich auf der Angebotsseite einen größeren Druck. Im Moment läuft das Ganze immer noch über die Risikobegrenzung. Wenn zum Beispiel Versicherungen testen, ob das Risiko-Management ausreichend ist, gehören da auch Nachhaltigkeits-Kriterien hinein.
Es gibt übrigens vom Projekt Ökoradar inzwischen ein sehr gutes Heft zum nachhaltigen Wirtschaften, das vom deutschen Kompetenz-Zentrum für nachhaltiges Wirtschaften herausgegeben wurde. Da kann man auch nachlesen, dass das Wort Nachhaltigkeit inzwischen wesentlich bekannter ist, als es noch vor ein, zwei Jahren war. Da kannten es gerade mal drei Prozent, inzwischen liegen wir bei 15 bis 20 Prozent.

Das ging aber schnell!
Das hat natürlich auch damit zu tun, dass es zum Beispiel in den Nachrichtensendungen, bei Tagesthemen, Tagesschau und heute-journal, immer wieder Berichte über Nachhaltigkeit gab. Das hat zur Verbreitung der Idee beigetragen und je mehr das transportiert wird, desto mehr kann es auch nachgefragt werden. Ich denke, dass nachhaltige Entwicklung eine vernünftige Information der Bürgerinnen und Bürger beinhalten muss, die bislang nicht stattgefunden hat. Auch in der Erziehungsarbeit sollte das Thema integriert werden.

Der Begriff Nachhaltigkeit ist jetzt bekannter, aber was ist mit dem Begriff "E-Sustainability"?
Es gibt eine "Global E-Sustainability"-Initiative, in der sich die großen Telekomunternehmen zusammengetan haben. Die Initiative versucht, ein Netzwerk aufzubauen, das sich auch diesen Nachhaltigkeitskriterien annimmt und verpflichtet. Zur Zeit forschen wir in dem EU-Projekt "Digital Europe" mit zum Beispiel AOL, Vodafone, EMI, Hewlett Packard und anderen Beteiligten daran, die Nachhaltigkeitsleistungen und Risken des I&K-Sektors und von E-Business-Anwendungen zu verstehen.
Vodafone sieht sich beispielsweise an, wie der Markt in Polen ist, und macht stichprobenartige Untersuchungen zu Festnetz und Mobilfunknetz - was für Bedürfnisse haben die Konsumenten bei der Informationsvermittlung? Welchen Effekt hat das auf die kulturelle Weiterentwicklung?
Wir haben die Ergebnisse, die wir in diesem Projekt gewonnen haben, bei verschiedenen Initiativen zu E-Sustainability vorgestellt. Es wurde immer kolportiert, E-Business und alles mit "E-" sei sehr positiv, weil es weniger Ressourcen kostet. Diese Effekte sehen wir zur Zeit überhaupt nicht, eher im Gegenteil - auch das gehörte zu den Ergebnissen.

Ihre Gruppe in Wuppertal führt auch Moderationsprozesse in Politik und Wirtschaft durch. Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
In der Wirtschaft machen wir gerade einen Moderationsprozess mit der europäischen Aluminium-Branche, die für sich Nachhaltigkeitskriterien erarbeiten wollte. Wir sind inzwischen der Meinung, dass sich Wirtschaftszweige, ebenso wie einzelne Unternehmen, die Kriterien selbst erarbeiten müssen. Wir haben lediglich Instrumente entwickelt, wie diese Prozesse aussehen können. Diese Branche hat nun einen engagierten Prozess hinter sich. Sie hat sich auf einen Katalog von Indikatoren verständigt, der im Moment kondensiert wird, weil es noch zu viele sind.
Ein weiteres Beispiel wäre der "Efficient Entrepreneur"-Kalender, den wir zusammen mit den Vereinten Nationen entwickelt haben. Das ist ein Kalender für kleine und mittelständische Unternehmen, den wir an die Politik und an die Wirtschaft herangetragen haben und der in 16 Sprachen übersetzt werden soll. Er soll Unternehmen dazu anhalten, öko-effizient zu wirtschaften. Gerade bei der Globalisierung hinken kleine und mittelständische Unternehmen oft hinterher.

Die Unternehmen merken sicher auch, dass man ganz konkret Kosten sparen kann, wenn man nachhaltig wirtschaftet, oder?
Das ist der Punkt. Der Kalender ist entwickelt worden, damit Unternehmen eine Bestandsaufnahme machen und sehen, dass sie innerhalb ihrer Möglichkeiten schon große Effekte erzielen können.
Darüber hinaus arbeiten wir mit den Begründern des so genannten Club of Wuppertal zusammen. Das ist ein Unternehmensverein, der zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik vermitteln will. Die Unternehmen verpflichten sich zum nachhaltigen Wirtschaften und treiben das auch voran. Das ist eine deutsche Initiative.

Hat sich denn das Verhalten der Unternehmen durch die Ökosteuer verändert oder ist wenig spürbar?
Bei den Unternehmen hat sich sicherlich etwas geändert, aber im Gesamtmarkt macht sich das weniger bemerkbar, weil das Instrument nicht sehr zielorientiert ist und das Geld dem ökologischen Markt nicht direkt zur Verfügung steht.
Die Gesamt-EU stagniert, das heißt, man hat keinerlei Effekte auf dieser Ebene, aber in Deutschland schon - da hat es sich auf einem hohen Niveau etwas verringert. Ob das auf die Ökosteuer zurückzuführen ist oder auf den gesamten Instrumenten-Mix, also auch durch Energie-Management, kann ich nicht bestimmen.

Eine zukunftsfähige gesellschaftliche Entwicklung kann nur gelingen, wenn die Akteure auf allen Ebenen einen Beitrag dazu leisten, von der nationalen bis hin zu den einzelnen Haushalten. Wo hängt es im Moment noch am meisten?
Überall. Ich finde, die Unternehmen sind schon sehr weit, die Politik hinkt hinterher und die Bürger, ehrlich gesagt, auch. Das ist jetzt auf unsere europäische Situation gemünzt, und besonders die deutsche: es ist inzwischen sehr schwierig zu vermitteln, dass jeder Einzelne für Konsens und Konventionen Verantwortung trägt. Das heißt, uns fehlen die Methoden, das überhaupt zu erlernen. Weder in den Schulen, noch in Familien oder Unternehmen wird vermittelt, dass in einer Demokratie jeder für die Entscheidungen, die getroffen werden, Verantwortung trägt. Alles ist hierarchisch organisiert, aber Demokratie ist eben etwas anderes, nämlich Mitbestimmung. Wenn man keine Orte hat, an denen man das lernt - und darauf begründet sich auch nachhaltige Entwicklung -, dann kann es nicht funktionieren. Wenn ich keinen Konsens herbeiführe, wie ich meine Sozial- und Lebensqualität steigern will, dann hab ich einfach ein riesiges Problem. Aus meiner Sicht fehlt es im Moment in den Erziehungs- und Bildungssystemen, bei den einzelnen Haushalten und in der Politik am meisten.

Was wäre Ihr Vorschlag für einen solchen Konsens?
Wir sollten stärker berücksichtigen, dass das Wirtschaftssystem von den Menschen geschaffen und beeinflussbar ist. Das Öko-System ist das nicht. Das ist ein entscheidender Unterschied. Die Öko-Systeme setzen uns Grenzen, die wir kennen und akzeptieren müssen. Aus meiner Sicht ist die so genannte öko-soziale Marktwirtschaft die geeignete Variante, eine zukunftsfähige Gesellschaft anzustoßen. Dafür bräuchten wir eigentlich ein vernünftiges Diskussions- und Konsensverfahren innerhalb der Gesellschaft, um erst mal offen zu diskutieren, was für ein System wir wollen und wie das gestaltet sein sollte.

www.oekoeffizienz.de
www.wupperinst.org

Lesen Sie auch die Besprechung zu Christa Liedtkes neuen Buch Wir Reformer gestalten Unternehmen neu - Ziel: eine gesunde Wirtschaft.

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