Wer wird Millionär?

Reputationsmanagement im 21. Jahrhundert. Ein Interview mit Joachim Klewes und Robert Wreschniok.
Interview: Kilian Kemmer

Reputation ist vielen Unternehmen zu „weich“, um sie wirklich als strategischen Faktor ernst zu nehmen. Da hilft es vielleicht, Reputation als Investment zu verstehen: als Investition, die Vertrauen schafft. Darum geht es: Ein klares und vertrautes Profil bei den Stakeholdern zu verankern.

Joachim Klewes
Joachim Klewes

Herr Klewes, Herr Wreschniok, wie wichtig ist eine intakte Unternehmensreputation?
Joachim Klewes: Gerade jetzt, in der jüngsten Finanz- beziehungsweise Wirtschaftskrise haben viele Unternehmen das Vertrauen ihrer Stakeholder verloren und müssen nun mühsam versuchen, neues Vertrauen aufzubauen. Die Krise zeigt: Reputation wird immer mehr zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor. Nur drei Beispiele: Ein Unternehmen mit intakter Reputation kann – erstens – High Potentials leichter binden und muss – zweitens – weniger Kontrollen durch Behörden fürchten. Und schließlich haben Investoren größeres Vertrauen, wenn es zum Beispiel um Kapitalerhöhungen geht.
Robert Wreschniok: In einer aktuellen Studie des Harvard Businessmanager wird Reputation zu den fünf wichtigsten immateriellen Unternehmenswerten gezählt, neben Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, Marke sowie Unternehmenskultur – weit vor Patenten und Lizenzen.

Robert Wreschniok
Robert Wreschniok

Wie wollen Sie Reputation schützen, wenn die wirtschaftliche Performance nicht stimmt?
Robert Wreschniok: Jedenfalls nicht, indem man verstärkt in CSR-Maßnahmen investiert und damit Reue simulieren möchte. Die Reputation eines Unternehmens bildet sich aus drei Faktoren: Der erste und wichtigste Faktor ist die Wirtschaftsreputation. Hier geht es darum, Erwartungen hinsichtlich der Wirtschaftskompetenz zu erfüllen. 80 Prozent der öffentlichen Beurteilung eines Unternehmens werden hierdurch bestimmt. Der zweite Faktor ist die Sozialreputation. Allerdings entfallen in der öffentlichen Beurteilung nur 20 Prozent auf soziale Fragestellungen. Deshalb ist eine nüchterne, seriöse und verlässliche Unternehmenskommunikation oft das beste Mittel, um das Vertrauen der Stakeholder zurückzugewinnen.

Und der dritte Faktor?
Joachim Klewes: Das ist die expressive Reputation. Sie gibt Auskunft darüber, inwieweit ein Unternehmen es geschafft hat, eine eigene Identität zu entwickeln, und worin es sich von anderen Wettbewerbern unterscheidet. Vom Management ist ein dauernder Balanceakt gefordert: Einerseits müssen Erwartungen der wichtigsten Stakeholder erfüllt werden – und andererseits müssen die Erwartungen auch immer wieder durchbrochen werden, um sich von anderen Firmen zu unterscheiden.

Sie vergleichen Reputationsstrategien mit klassischen Investmentstrategien an der Börse. Erklären Sie uns den Zusammenhang?
Joachim Klewes: Der erfolgreiche Aufbau von Kapital folgt auf Investitions- wie Reputationsebene ähnlichen Prinzipien. Im Finanz- wie im Meinungsmarkt spielen Kommunikation und Psychologie eine immer wichtigere Rolle. Außerdem hilft die Analogie zum Finanzmarkt, komplexe Sachverhalte auf den Punkt zu bringen.
Robert Wreschniok: Jeder verbindet beispielsweise mit einer Hedge-Strategie einen sehr spekulativen Investmentstil, der hohe Rendite verspricht, aber auch hohe Risiken impliziert. Eine Value-Strategie hingegen steht für nachhaltiges Investment. Growth-Strategien versprechen kontrolliertes Wachstum und Total Return, die absolute Sicherheit – alles was man investiert, kommt zurück. Und, weil man gerade an Letzteres auch schon an der Börse nicht mehr glauben mag, beurteilen wir Total-Return-Strategien im Reputationsmanagement auch sehr kritisch.

Worin besteht der Mehrwert dieser Analogie?
Joachim Klewes: Analogien reduzieren Komplexität. Sie helfen, Probleme aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Das hilft enorm, Entscheidungen zu treffen und damit Probleme zu lösen. Die Analogie zu Investmentstrategien schärft beispielsweise den Blick, dass jede Reputationsstrategie mit der Wahl für ein bestimmtes Rendite-Risiko-Verhältnis einhergeht – also mit der Abwägung von Reputationschancen und -risiken.
Robert Wreschniok: Je offensiver ein Unternehmen kommunikativ agiert, desto größere Erwartungen erzeugt es und desto größere Reputationsrisiken geht es damit ein. Beispiele dafür bieten Unternehmen oder Personen, die unserer Analogie zufolge, eine Hedge-Strategie zum Vertrauensaufbau gewählt haben. Ein weltweit besonders beachtetes Beispiel dafür ist die Obama-Kampagne. Extremer Erfolg, extrem hohe Erwartungen und ein extrem hohes Absturzrisiko, wenn diese Erwartungen enttäuscht werden. Ein eher unbeabsichtigtes Ergebnis der Hedge-Strategie in diesem Fall ist sicherlich die Verleihung des Friedensnobelpreises an Barack Obama. Ein größerer Vertrauensvorschuss ist schwer vorstellbar.
Joachim Klewes: Am anderen Ende der Skala finden sich Unternehmen, die einen Total-Return-Ansatz verfolgen. Sie versuchen, öffentliche Aufmerksamkeit konsequent zu vermeiden. Beispiele dafür findet man vor allem im B2B-Sektor. Interessanterweise ist das Reputationsrisiko trotz dieser Zurückhaltung ebenfalls hoch. Total-Return-Strategien sind heute weder kompatibel zur Skandallogik des globalen Mediensystems noch zu den neuen Einflussräumen im Web 2.0. Unternehmen, die es bis jetzt versäumt haben, ein klares und vertrautes Profil bei ihren Stakeholdern zu verankern, werden künftig immer leichter zum Spielball der Medieninteressen und Meinungsforen im Internet werden.

Also stehen Kommunikationsverantwortliche permanent vor der Entscheidung zwischen Tod und Teufel?
Joachim Klewes: Nein, bei jedem Unternehmen gibt es spezifische Reputationsrisiken, aber auch -potenziale. Bevor sich Kommunikationsverantwortliche für eine Reputationsstrategie entscheiden, sollten sie die internen und externen Bedingungen des Unternehmens auswerten lassen. Zum Beispiel Siemens: Mit der Aufdeckung der Korruptionsaffäre 2006 entstand für Siemens ein massives Reputationsproblem. Allein mit Kommunikation war das nicht mehr zu lösen. Folgerichtig hat Siemens auf eine dezidierte Value-Strategie gesetzt und angefangen, betriebliche Strukturen und Verhaltensweisen der Mitarbeiter zu verändern. Kommunikativ begleitet wurde dieser Prozess durch interne Audits, Kultur- und Leitbildprozesse.
Robert Wreschniok: Erst seitdem Siemens als Vorreiter bei der Korruptionsbekämpfung wahrgenommen wird, setzt der Konzern verstärkt externe Kommunikationsmaßnahmen ein. Mit dem „Siemens-Answer-Programm“ positioniert sich das Unternehmen seit Mitte 2008 aktiv zu vorab definierten globalen Megatrends wie demografischer Wandel, Urbanisierung und Klimawandel und baut so seine Meinungsführerschaft zu businessrelevanten Themen auf. Im Börsenjargon würden wir sagen: Siemens setzt jetzt wieder verstärkt auf eine Reputation-Growth-Strategie.


Reputationsmanagement nach der Wirtschaftskrise
Wie lässt sich die Reputation von Unternehmen nach der Wirtschaftskrise wieder aufbauen und in Zukunft schützen? Antworten darauf geben Kommunikationsexperten auf dem vierten ECRS-Symposium „Reputation Capital: Building and Maintaining Trust in the 21st Century“ am 13. November in München. Neben zahlreichen Vorträgen werden im Rahmen der Veranstaltung auch konkrete Fallbeispiele in Workshops analysiert und diskutiert. Das Symposium richtet sich an Manager, Kommunikationsverantwortliche, PR-Experten und Journalisten. changeX-Leser erhalten einen Rabatt von 20 Prozent auf die Tagungsgebühr.


changeX 28.10.2009. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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ECRS

European Centre for Reputation Studies

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Autor

Kilian Kemmer

Kilian Kemmer ist ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des European Centre for Reputation Studies (ECRS).

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