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Wissen teilen, Wissen vermehren

"Wir möchten eine Plattform für Austausch und Lernen auf Augenhöhe bieten" - ein Interview mit den Organisatoren der PM Camps
Interview: Winfried Kretschmer

PM steht für Projektmanagement, Camp für Barcamp. PM Camps gibt es über das Jahr verteilt an verschiedenen Standorten von Dornbirn bis Berlin. Aus der Idee ist eine kleine Bewegung geworden. Das Ziel: sich über eine andere, agilere Art der Organisation von Projekten austauschen. Oder, allgemeiner noch: Wissen teilen, Wissen vermehren.

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Am Anfang war es nur eine Idee: Man könnte sich doch über eine andere, agilere Art der Organisation von Projekten austauschen. Über seine Erfahrungen sprechen. Voneinander lernen. Aus der Idee wurde eine kleine Bewegung, die PM Camps. Acht, vielleicht sogar neun solcher Projektmanagement-Barcamps wird es dieses Jahr geben - von Dornbirn bis Berlin. Zwei weitere, in Hamburg und Mallorca, sind in Planung. In unserem Interview berichten die Initiatoren über ihre Erfahrungen. Und erzählen, wie man ein solches selbst organisiertes Netzwerk auf die Beine stellt. Heiko Bartlog, Stefan Hagen und Falk Schmidt sind PM-Camp-Organisatoren und gehören dem engeren Koordinationskreis der PM-Camp-Initiative an.
 

Zunächst zum Verständnis: Steht die Bezeichnung "PM Camp" nun für die Bewegung oder für das einzelne Camp? 

Stefan: Für mich steht "PM Camp" sowohl für eine Bewegung als auch für jedes einzelne Camp. Das PM Camp möchte eine Plattform für Austausch und Lernen auf Augenhöhe bieten. Das klingt vielleicht trivial, steht und fällt aber mit den Menschen, die an den Camps teilnehmen, und deren Mindset. Falk: "PM Camp" steht für eine Idee beziehungsweise "Bewegung", der sich jeder interessierte Projektarbeiter anschließen kann. Grundsätzlich kann jeder PM-Camp-Teilnehmer auch selbst ein regionales Camp veranstalten. Das ist sogar explizit erwünscht.  

Heiko: Und doch steht "PM Camp" auch für jedes einzelne Camp. Jedes PM Camp ist anders, hat seinen eigenen Charakter und seine eigene Spezialität. Vielfalt ist uns wichtig, damit unsere Veranstaltungen auch in Zukunft aufregend und innovativ bleiben - sowohl was die Themen angeht als auch das Veranstaltungsdesign. Wir teilen ein gemeinsames Leitbild und lernen von den Experimenten und Erfahrungen der anderen PM Camps.
 

Wie eng arbeiten die verschiedenen Camps zusammen? 

Falk: PM Camps sind grundsätzlich eigenständige Veranstaltungen, die unabhängig organisiert werden. Trotzdem versuchen wir, mit allen Veranstaltern und Organisationsteams möglichst sinnvoll zu kooperieren und Synergien zu schaffen. Unser Ziel ist, die PM-Camp-Idee als eine einheitliche Grundlage im Sinne einer Marke zu entwickeln. Deswegen haben wir Leitlinien für PM Camps entwickelt.
 

Und was besagen diese Leitlinien? 

Heiko: Ich würde es eher "Leitbild" nennen als "Leitlinien". Unser Leitbild basiert auf der ursprünglichen Vision des allerersten PM Camps, die in Form eines Videos - also bildlich - dargestellt wurde. Es fungiert eher als gemeinsame Vision, die wir jedes Jahr kritisch unter die Lupe nehmen und daraufhin abklopfen, ob unser gemeinsames Verständnis weiterhin tragfähig ist.  

Stefan: Das sehe ich auch so. Als Mitbegründer der PM-Camp-Initiative ist es mir ein besonderes Anliegen, das Leitbild immer wieder zu thematisieren und zur Diskussion zu stellen. Sonst laufen wir Gefahr, dass die Veranstaltungen beliebig werden. Durch ein lebendiges Leitbild bleiben Sinn und Zweck der PM Camps erhalten.
 

Wo liegt denn die Spezialität, das Besondere der einzelnen Camps? 

Heiko: Jedes PM Camp hat seine Besonderheiten, das liegt natürlich auch an den Teilnehmern aus der Region, ihren Mundarten, an der Jahreszeit, am Veranstaltungsort und so weiter. Aber natürlich setzen die Veranstalter auch unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte bei der Gestaltung ihres Camps: durch die Einladung von Impulsgebern, durch ein Motto als inhaltlicher Fokus, durch das Veranstaltungsdesign. In Berlin zum Beispiel nutzen wir ein Motto - dieses Jahr "Komplexität" - mit passenden Impulsgebern, wir erweitern das Barcamp, wie erstmals im vergangenen Jahr, um einen moderierten Workshop am Vortag; dieses Jahr experimentieren wir erstmals mit einer Abendveranstaltung.
 

Wie funktioniert der Austausch? Gibt es so etwas wie einen Organisationskreis? 

Falk: Die Gesamtkoordination ist rudimentär. Es gibt ein übergreifendes Organisationsteam, das sich aus Vertretern der einzelnen PM Camps zusammensetzt und in kollaborativer und demokratischer Art Grundlagen und Leitlinien erarbeitet.  

Heiko: … ganz nach dem Motto "Und wenn ich nicht mehr weiterweiß, gründe ich einen Arbeitskreis" ... Doch Spaß beiseite: Dieser Organisationskreis - kein schöner Begriff, aber bisher haben wir noch keinen wirklich passenden gefunden - trifft sich jedes Jahr im Januar, ganz real und physisch an einem Ort. Neben dieser jährlichen Klausur tauschen wir uns laufend zu ganz konkreten Themen aus, zumeist virtuell per Google Hangout. Wir haben eine gemeinsame Dokumentenablage und ein gemeinsames Wiki, um das dokumentierbare Wissen aller PM-Camp-Organisatoren zu teilen.
 

Dann gibt es ja noch den Verein "openPM" - mit bekannten Gesichtern in den Diskussionsforen. Wie sind die Zusammenhänge? 

Stefan: Es gibt wahrscheinlich zwei zentrale Zusammenhänge. Erstens Marcus Raitner, der als Gründungsmitglied der PM Camps auch der "Vater" von openPM ist. Und zweitens einen wichtigen Kerngedanken, der beide Initiativen verbindet, nämlich "Wissen teilen, Wissen vermehren".  

Heiko: Diesem Kerngedanken folgend, verwenden wir die openPM-Plattform - ein von der Community gefülltes Wiki für Projektmanagement -, um möglichst viele Ergebnisse und Erkenntnisse aus den PM-Camp-Sessions zu dokumentieren und so auch jenen zugänglich zu machen, die nicht am PM Camp teilnehmen konnten.
 

Wie ist überhaupt die Idee entstanden? Und wann hat das erste PM Camp stattgefunden? 

Stefan: Die Idee entstand ursprünglich im Sommer 2009. Danach ist einige Zeit verstrichen, und Mitte 2011 haben einige Projektmanagement-Kollegen und ich den Gedanken wieder aufgegriffen. Wir haben kurzerhand einen Workshop in Unterhaching bei München abgehalten, damit war das Organisationsteam auch schon gegründet. Im November 2011 fand dann das erste PM Camp in der Fachhochschule Vorarlberg in Dornbirn statt. Das Format war von Beginn an ein voller Erfolg und lebt noch heute von den offenen und spannenden Menschen, die sich für die Idee begeistern können.  

Heiko: Ich war damals dabei, als neugieriger Teilnehmer. Es war mein erstes Barcamp überhaupt und - um ehrlich zu sein: Hätte es das PM Camp in Dornbirn nicht gegeben, hätte ich damals meinen Glauben an Projektmanagement verloren. So aber kam ich mit viel Energie nach Hause zurück! Netterweise hat mich Falk damals in seinem Wagen mitgenommen, so konnten wir uns auf der Heimfahrt weiter austauschen. Wir kannten uns vorher noch nicht - heute organisieren wir beide selbst PM Camps. Wer hätte das gedacht!
 

Wenn du sagst, du hättest den Glauben an Projektmanagement verloren - danach wollte ich ohnehin fragen: Ihr glaubt noch an Projektmanagement? 

Falk: Selbstverständlich. Ich glaube nur nicht daran, dass Projekte einzig mit einer durch einen Verband definierten - und durch teure Zertifizierungen vermarkteten - Methode zum Erfolg geführt werden können. Projektmanagement ist aus meiner Sicht immer der virtuose Einsatz eines gut gefüllten Werkzeugkastens mit verschiedenen Tools und Methoden in Kombination mit dem persönlichen Erfahrungsschatz und dem Blick über den Tellerrand. Genau dafür stehen die PM Camps.  

Heiko: Wie gesagt, ich glaube seit dem ersten PM Camp in Dornbirn wieder daran! Besser: Ich glaube daran, dass Projekte eine sinnvolle Organisationsform sein können und dass es sinnvolle Methoden zur Durchführung von Projekten gibt. Vor allem aber glaube ich an Projekte, die Sinn machen, und an die Menschen, die Projekten Sinn geben!  

Stefan: Gutes und richtiges Projektmanagement wird es immer geben - und wird es auch brauchen. Allerdings haben sich die Umfeldbedingungen für Organisationen und damit auch für Projekte in den letzten Jahrzehnten radikal verändert. Viele Projekte sind nicht mehr in der "guten alten" Qualität-Kosten-Zeit-Logik steuerbar. Umso professioneller müssen wir in Projekten agieren. Es braucht somit beides: gutes und richtiges klassisches Projektmanagement und eine mutige Weiterentwicklung in Richtung evolutionär-agiler Projektmanagementansätze.
 

Also gibt es noch Projekte, die nach klassischer Projektmanagementmanier steuerbar sind? 

Heiko: Ja, natürlich gibt es solche Projekte, und es wird sie auch weiterhin geben. Zum Beispiel wenn aufgrund einer neuen Gesetzgebung klar definierte Anforderungen in vorhandene Softwarelösungen umzusetzen sind. Offen ist für mich die Frage, ob solche Projekte aber nicht ebenso gut mit agilen Ansätzen durchführbar wären. Denn agile Methoden basieren auf Werten, Haltungen und Prinzipien wie Selbstorganisation, die - einmal in den Köpfen verankert - nur schwer mit klassischen Ansätzen in Einklang zu bringen sind. Zudem wäre es aus meiner Sicht eine große Herausforderung für Teams, je nach Aufgabenstellung situativ den passenden Ansatz auswählen zu müssen.
 

Wovon hängt es ab, ob klassisch oder agil besser geeignet ist? 

Heiko: Das hängt nach landläufiger Meinung vor allem von der Situation ab, mit der sich das Projekt beschäftigt. Vereinfacht gesagt: Handelt es sich um eine komplizierte Aufgabenstellung oder um eine komplexe Herausforderung? Komplizierte Situationen können - mit entsprechendem Aufwand - durchaus vollständig analysiert und so geplant werden, dass die Umsetzung zum Erfolg führt. Komplexe Situationen dagegen sind nicht reproduzierbar oder vorhersagbar - für solche Situationen eignen sich agile Methoden besser.  

Stefan: Entscheidend ist aus meiner Sicht die Frage, ob das Vorhaben überhaupt im klassischen Sinne planbar ist. Je komplexer und dynamischer das Projektumfeld ist, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Anwendung agiler Prinzipien und Routinen Sinn macht. Mir erscheint aber wesentlich, dass das Ganze nicht rezepthaft passiert. Vielmehr müssen wir verstehen, worin sich klassische und agile Projektansätze unterscheiden und was die tiefer liegenden Prinzipien und Grundannahmen sind.
 

Zurück zu den PM Camps: Wie läuft denn nun ein PM Camp genau ab? 

Falk: Die Agenda des Tages wird zum Tagesbeginn gemeinsam erstellt und festgelegt. Jeder, der ein Thema in einer Session oder Diskussion - gleich, in welchem Format - behandeln möchte, schreibt dieses auf Moderationskarten, Post-its oder Stattys, erklärt es den Teilnehmern und belegt - ausreichendes Interesse vorausgesetzt - einen beliebigen freien Session-Slot, also Ort und Zeit im Programm. In den Sessions beschäftigen sich alle Teilnehmer dann auf vielfältige Weise mit den vorher festgesetzten Themen. Wenn jemand das Gefühl hat, in einer Session nicht am richtigen Ort zu sein oder hier nicht weiterzukommen, verlässt er sie einfach und schließt sich einer anderen an. Es ist ein sehr offenes Konzept, um gemeinsam Inhalte zu entwickeln.  

Heiko: Darüber hinaus setzt jedes PM Camp eigene Akzente - wobei kurze Vorträge als thematischer Impuls im Vorfeld der Sessionplanung meines Wissens zum Standard gehören, quasi um die grauen Zellen zu wecken. Wir in Berlin haben beispielsweise seit 2014 einen Kickstart-Workshop eingeführt, mit dem wir bereits am Vortrag in das Thema einsteigen; dabei nutzen wir alternative Methoden für große Gruppen wie World Café oder die Fishbowl-Diskussion. Wichtig ist uns aber, dass der Kern eines Barcamps, die Selbstorganisation der Teilnehmer, erhalten bleibt.
 

Was ist euch besonders wichtig? 

Stefan: Barcamps leben immer von den Menschen, die in einen wertschätzenden Dialog eintreten. Entsprechend ist es für uns natürlich wichtig, dass der besondere Spirit der PM Camps auch durch die Teilnehmer/innen - sorry, Teilgeber/innen - weitergegeben wird.  

Falk: Das Networking unter den Teilnehmern ist ja einer der Hauptvorteile jeder Barcamp- respektive Open-Space-Veranstaltung. Wir fördern aktiv diese Vernetzung, die ihren eigentlichen Nutzen natürlich erst in der Zeit nach dem Event entfaltet, indem wir alle für unsere Zielgruppe relevanten Social-Media-Kanäle bedienen und Teilnehmer unterstützen, die sich an das eine oder andere Medium noch nicht herangetraut haben. So kommen "Twitter für Anfänger"-Sessions immer wieder erstaunlich gut an.
 

Ist es wichtig für den Zusammenhalt, dass bestimmte Personen an mehreren Camps im Jahr teilnehmen? 

Falk: Das spielt eine untergeordnete Rolle und ist für die PM-Camp-Organisation an sich unerheblich. Trotzdem finden viele Teilnehmer Gefallen an dem unterschiedlichen "Flavor" der einzelnen Veranstaltungen. Und so vermittelt ein PM Camp oft auch das Gefühl eines Klassentreffens, bei dem alte Hasen und Neulinge sehr schnell in Kontakt kommen.  

Heiko: Wir mögen dieses Gefühl des Klassentreffens, wir sind aber auch stolz darauf, dass wir es trotzdem immer wieder schaffen, dass sich Neulinge dabei nicht ausgeschlossen, sondern zugehörig fühlen.
 

Auf wie viele Camp-Teilnahmen kommt ihr persönlich? 

Falk: Ich persönlich versuche, jährlich neben dem von mir organisierten PM Camp Rhein-Main noch zwei weitere Camps zu besuchen. Zusätzlich möchte ich mich auch in den Teams der zukünftigen Veranstaltungen in Hamburg und auf Mallorca engagieren.  

Heiko: Ich komme bisher auf zweimal Dornbirn und zweimal Berlin, das ist also noch durchaus ausbaufähig …  

Stefan: Ich nehme durchschnittlich an zwei PM Camps im Jahr teil. Mehr schaffe ich aktuell leider nicht. Mein Ziel ist es, in den nächsten Jahren mindestens einmal bei jedem PM Camp gewesen zu sein.
 

Das Interview haben wir schriftlich via Google Docs geführt; es gab eine Frage- und eine Nachfragerunde und eine gemeinsame Bearbeitung. 

Zu den Personen 

Heiko Bartlog ist selbständiger Project Consultant, Innovation Facilitator und Entrepreneur in Berlin. Stefan Hagen ist Unternehmensberater und Lehrbeauftragter für Projektmanagement in Dornbirn. Falk Schmidt ist Business Innovation Facilitator in Frankfurt am Main. 


Zitate


"Projektmanagement ist der virtuose Einsatz eines gut gefüllten Werkzeugkastens mit verschiedenen Tools und Methoden in Kombination mit dem persönlichen Erfahrungsschatz und dem Blick über den Tellerrand." Falk Schmidt: Wissen teilen, Wissen vermehren

"Ich glaube daran, dass Projekte eine sinnvolle Organisationsform sein können und dass es sinnvolle Methoden zur Durchführung von Projekten gibt. Vor allem aber glaube ich an Projekte, die Sinn machen, und an die Menschen, die Projekten Sinn geben!" Heiko Bartlog: Wissen teilen, Wissen vermehren

"Viele Projekte sind nicht mehr in der "guten alten" Qualität-Kosten-Zeit-Logik steuerbar. Umso professioneller müssen wir in Projekten agieren." Stefan Hagen: Wissen teilen, Wissen vermehren

"Es braucht beides: gutes und richtiges klassisches Projektmanagement und eine mutige Weiterentwicklung in Richtung evolutionär-agiler Projektmanagementansätze." Stefan Hagen: Wissen teilen, Wissen vermehren

"Komplexe Situationen sind nicht reproduzierbar oder vorhersagbar - für solche Situationen eignen sich agile Methoden besser." Heiko Bartlog: Wissen teilen, Wissen vermehren

 

changeX 22.05.2015. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Quellenangaben

Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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