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Die Sache mit der Arbeitsfreude

"Gefühlsarbeit": gute Gefühle als Unternehmensstrategie - ein Gespräch mit der Historikerin Sabine Donauer
Interview: Winfried Kretschmer

Was für ein Wandel: Jahrtausendelang war Arbeit Fron, Last und Mühe, schiere Plackerei, ein notwendiges Übel, um den Lebensunterhalt zu sichern. Heute hingegen erscheint Arbeit als etwas, das Spaß machen, Sinn geben und Erfüllung stiften kann, ja soll. Eine historische Errungenschaft? Eine junge Historikerin warnt: Schaut man auf die Unternehmen, ist Arbeitsfreude vor allem Ergebnis strategischen Bemühens der Wirtschaft: Ergebnis systematischer Gefühlsarbeit.

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Arbeitsfreude ist Ergebnis systematischer Gefühlsarbeit der Unternehmen. Die These von Sabine Donauer. Sie hat sich damit beschäftigt, wie Unternehmen den Wandel zu einem mit positiven Gefühlen aufgeladenen Arbeitsbegriff vorangetrieben haben.  

Sabine Donauer studierte Europäische Kulturgeschichte in Augsburg, Leiden, Paris und Oxford sowie Higher Education in Harvard. Für ihre Promotion wurde sie mit dem Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung ausgezeichnet. In Buchform ist die Arbeit unter dem Titel Faktor Freude in der edition Körber-Stiftung erschienen.
 

Frau Donauer, frappierend an der Geschichte der Arbeit ist der tief greifende Bedeutungswandel, den die Arbeit binnen eineinhalb Jahrhunderten durchlaufen hat: von Fron, Last, Mühe hin zu einer Tätigkeit, die Freude stiftet, Sinn vermittelt und der Selbstverwirklichung dient oder das zumindest tun soll. Dies wird gerne als historische Errungenschaft beschrieben, als Entdeckung der Freude an der Arbeit. Sie sagen nun, hinter dieser Entwicklung stehe eine Strategie der Wirtschaft. Wie das? 

Unternehmen haben vor über 100 Jahren erkannt, dass das Innenleben ihrer Mitarbeiter auch eine Ressource ist, mit der sie wirtschaften können. Statt zu ignorieren, wie sich der Angestellte bei der Arbeit fühlt, ist es wirtschaftlich rationaler, genau hinzusehen und zu überlegen, wie man den Einzelnen durch die Erzeugung positiver Gefühle zu einer höheren Leistung führen kann. Die Rechnung war leicht aufzumachen: Ein ressentimentgeladener Arbeiter tendiert zu Streik, Sabotage, Bummelei und Krankheitstagen, ein motivierter Mitarbeiter hingegen ist nicht wie "Sand im Getriebe", sondern beschleunigt Produktionsprozesse, statt sie zu verlangsamen.
 

Sie verwenden einen doppelbödigen Begriff dafür: Gefühlsarbeit. Was ist Gefühlsarbeit? 

Gefühlsarbeit ist das gezielte Bemühen von Unternehmen, auf den Gefühlshaushalt ihrer Belegschaft durch Personalmanagement einzuwirken - und zwar so, dass danach weniger negative Gefühle gegenüber der Arbeit und der Firma vorhanden sind und bestenfalls viele positive. Zum Beispiel Faszination für die hergestellten Produkte, das Gefühl, dass die Firma nicht nur nüchterner Arbeitsplatz, sondern wie ein "Zuhause" ist, Begeisterung für die jeweiligen Arbeitsinhalte, und ein Sichwohlfühlen mit Kollegen und Vorgesetzten. Die Methoden dieser Gefühlsarbeit reichen von der Raumgestaltung in Büros und Fabrikhallen über Mitarbeitermagazine und Firmenevents bis zu psychologischen Schulungen für Vorgesetzte und Teambuilding-Maßnahmen. Am Ende dieser vielschichtigen Gefühlsarbeit steht idealerweise ein Mitarbeiter, der die richtigen - also positive - Arbeitsgefühle hat.
 

Aus der Perspektive der Arbeitgeber ist die Freude an der Arbeit eine Produktivkraft, ein Produktionsfaktor? 

Selbstverständlich, die Idee kommt früh auf. In den 1920er-Jahren sagen insbesondere die Ingenieure der deutschen Großkonzerne: "Jetzt haben wir so viel in die technologische Optimierung von Produktionsabläufen investiert, doch die Fabrik steht still wegen der Arbeiterstreiks - wir müssen auch auf der emotionalen Ebene für ,reibungslose‘ Abläufe sorgen." Das ist die Zeit, in der behagliche Kantinen für Arbeiter gebaut werden, Kaufhäuser mit verbilligten Produkten für Mitarbeiter entstehen sowie firmeneigene Sportklubs und Freizeitprogramme - alles, damit die Belegschaften "pazifiziert" werden, so der zeitgenössische Ausdruck.
 

Und was ist sie aus der Sicht der Arbeitnehmer - Ideologie? 

Ich habe nicht die Haltung der Arbeitnehmer zu diesen Fragen erforscht, lediglich die unternehmerische "Gefühlsarbeit". Es gibt jedoch gerade in unserer Gegenwart interessante Beobachtungen zu machen: Seit den 1970er-Jahren kommunizieren Unternehmen besonders stark in die Richtung, dass die Arbeit für den Einzelnen auch "Sinn" stiftet und dass er sich mit seiner Tätigkeit identifizieren können soll. Nachdem eine komplette Generation mit dieser Botschaft als Arbeitnehmer sozialisiert worden ist, fragt die sogenannte "Generation Y" (der ab 1980 Geborenen) nun konsequenterweise ihre Arbeitgeber, inwiefern der jeweilige Job "Sinn" macht und inwiefern sie mit ihren persönlichen Wünschen nach Entwicklung darin vorkommen. 

Paradoxerweise tun sich die Unternehmen schwer, darauf überzeugende Antworten zu finden, obwohl sie diese Verheißung - dass Arbeit individuelle Sinnbedürfnisse und das Streben nach Selbstverwirklichung befriedigen kann - seit Jahrzehnten in die Welt setzen. Es besteht daher zumindest - berechtigterweise - die Möglichkeit, dass Arbeitnehmer diese Verheißungen als bloße Ideologie wahrnehmen, wenn Unternehmen bei genauerem Nachfragen keine überzeugenden Antworten auf die Sinnfrage liefern können.
 

Schauen wir mal historisch genauer hin. Sie sagen, diese Entwicklung hat in den 1920er-Jahren begonnen. Und davor? Am Beginn der Industrialisierung ging es ja vor allem darum, die Arbeiterschaft zu disziplinieren und die dem agrarischen Sektor entstammenden Arbeitskräfte an die industrielle Produktionsweise zu gewöhnen: eine Erziehung zu Pflicht und zuverlässigem Funktionieren. Wie kamen die Gefühle ins Spiel? 

Die Disziplinierung fand zu Beginn der Industrialisierung oft über sogenannte "Werkspolizisten" statt, die die Arbeiter in den Fabrikhallen kontrollierten und auch körperlich züchtigten, wenn sie nicht schnell genug waren oder ihre Mittagspause eigenmächtig zu lange ausdehnten. Es zeigte sich jedoch relativ früh, dass diese Disziplinierung über Gewalt oder Gewaltandrohung die Arbeiter gegen die Fabrikbesitzer aufstachelte. Um 1900 fielen pro Jahr mehrere Millionen Arbeitstage durch Streiks aus, und die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder schoss in die Höhe, seit 1880 hatte sie sich alle fünf Jahre verdoppelt. Den Unternehmern machte der sogenannte "Klassenhass" Sorgen, die Arbeiter setzten sich auch gefühlsmäßig in eine Oppositionshaltung zur besitzenden Klasse, und das führte in den Fabriken nur zu empfindlichen Produktionsausfällen.  

Daher bekamen Unternehmer zunehmend offene Ohren für Ansätze "indirekter Steuerung" der Arbeiterklasse, das heißt: nicht offene körperliche Disziplinierung, sondern Methoden, die eine positive Arbeitsatmosphäre auf dem Fabrikgelände erzeugen sollten. Ein Aspekt war, den schroffen Ton in den Werkshallen abzuschaffen. Ab den 1920er-Jahren nannten die Firmen ihre Arbeiter "Mitarbeiter", um ihnen das Gefühl der Wertschätzung entgegenzubringen. Die Vorgesetzten der Arbeiter - also Meister und Vorarbeiter - wurden von den Firmenleitungen angehalten, einen freundlichen Ton zu kultivieren und ihre Mitarbeiter mit Namen zu grüßen und sich regelmäßig nach ihren Familien zu erkundigen, damit sich diese anerkannt fühlten. Dies sind die Anfänge der Gefühlsarbeit in deutschen Großunternehmen.
 

Ihre These ist, dass die Paradigmen der Arbeitspsychologie der Entwicklung die Richtung vorgaben. Entscheidend dabei waren der Human-Relations- und der Human-Resource-Ansatz? 

Die Arbeitswissenschaften waren immer Ideengeber für neue Techniken der Gefühlsarbeit in Unternehmen. Ab 1900 waren die dominanten Strömungen hier die Arbeitsphysiologie und die sogenannte "Psychotechnik". In den 1920er- und 1930er-Jahren gab es eine stark von Industrieverbänden gesteuerte "Werksgemeinschaftsbewegung", und ab den 1950er-Jahren waren die Schlagwörter "Soziale Betriebsgestaltung" und "Human Relations". Seit den 1970er-Jahren ist das Human-Resource-Management bis heute der vorherrschende Ansatz. In jeder dieser Phasen gab es andersgeartete Theorien und Techniken, wie man den Gefühlshaushalt der Mitarbeiter im Unternehmen am besten mit den Produktivitätserfordernissen verzahnen und im Sinne einer höheren Produktivität beeinflussen könne.
 

Stichwort Human Relations: In der eingangs angesprochenen positiven Sichtweise kann man diesen Ansatz als eine Abkehr von einem gefühlskalten Taylorismus, als erstes Aufscheinen eines menschlichen Faktors in einer durchrationalisierten Arbeitswelt begreifen. Falsch? 

Ja, falsch. Ich zeige in meiner Forschungsarbeit, dass das Gefühlsmanagement nicht erst in den 1970er-Jahren in postfordistischen Produktionsformen Eingang in die Unternehmen findet. Im Gegenteil: Seit Beginn des 20. Jahrhunderts, also in den Tiefen des Taylorismus, machen sich Unternehmen Gedanken darüber, wie sie es schaffen können, dass die Arbeitnehmer die Fabriken und das Erwerbsverhältnis nicht mehr als "kaltes" Arrangement empfinden, sondern als einen "warmen" Ort - der Arbeitsort sollte bereits früh ein gefühltes "Zuhause" sein, nicht erst mit dem Aufkommen der Human-Relations-Theorien in den 1950er-Jahren. "Werksverbundenheit" und "Arbeitsfreude" waren beispielsweise ausgesprochene Ziele der nationalsozialistischen Betriebspolitik, die sich äußerst bewusst war, dass sie für die Intensivierung der Kriegsproduktion auf leistungsbereite Arbeitnehmer angewiesen war.
 

Sie schreiben, die Gefühlslogik habe sich von 1900 bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts einmal komplett gedreht. Inwiefern? 

Ich habe in meiner Forschungsarbeit fünf Perspektiven entwickelt, die die Veränderungen der vergangenen 100 Jahre beschreiben. Soll ich das kurz ausführen?
 

Ja, bitte. 

Der Zusammenhang zwischen Arbeit und Gefühlen wurde erstens dematerialisiert: Mit diesem Begriff hebe ich darauf ab, dass im Laufe des 20. Jahrhunderts zunehmend die Vorstellung abhandenkommt, dass man anstrengende Arbeitsbedingungen durch monetäre Entlohnung ausgleichen kann. Während Frederick Taylor, Pionier der industriellen Rationalisierungsbewegung um 1900, noch zutiefst davon überzeugt war, dass man die Frustrationen anstrengender Arbeit durch "fair pay" kompensieren konnte, trat die Bedeutung, die finanzieller Entlohnung für die Leistungshöhe der Arbeitnehmer zugesprochen wird, im Laufe des 20. Jahrhunderts in den Hintergrund. Die Human-Resource-Theorie, die seit circa 1970 die Annahmen der Personalexperten dominiert, verbreitete die Überzeugung, dass Gehalt keine Motivationsquelle darstellen kann. Vielmehr seien jene positiven Gefühle, die die Arbeitsinhalte angeblich hervorrufen, der eigentliche Antrieb des Menschen. Sie werden heute als legitimer Grund dafür genannt, dass Produktivitätszuwächse nicht immer mit Gehaltszuwächsen entgolten werden, das heißt, positive Gefühle machen vermeintlich einen fehlenden Gehaltszuwachs wett.  

Er wurde zweitens desomatisiert: Das bedeutet, dass der menschliche Körper zunehmend "verschwindet", wenn es um die Thematisierung von Arbeitsbelastungen geht. Um 1900 berechnete man noch den Kalorienverbrauch verschiedener Tätigkeiten und versuchte, die quantitativ bezifferte Belastung durch verschiedene Pausenmodelle und energiesparende Arbeitsabläufe auszugleichen. Am Ende des 20. Jahrhunderts stellt man sich den arbeitenden Menschen nicht mehr als Körper mit begrenzten Energien vor; vielmehr wird davon ausgegangen, dass die körperlichen Kapazitäten flexibel und dehnbar sind. Sie werden nicht mehr als abhängig von nicht quantifizierbaren physiologischen Vorgängen definiert, sondern allein von der Willensstärke des Einzelnen. So wird es heute als Motivationsschwäche ausgelegt, wenn man auf eine begrenzte Leistungsfähigkeit der eigenen körperlichen und psychischen Ressourcen verweist.  

Der Zusammenhang zwischen Arbeit und Gefühlen wurde drittens zunehmend mit Bedeutung aufgeladen: In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurde die Erwerbsarbeit von Arbeitswissenschaftlern zunächst vor allem als eine potenzielle Bedrohung körperlicher und seelischer Integrität thematisiert. Die Arbeit sollte in der Konsequenz leichter gemacht werden, damit die Unzufriedenheit der Menschen sinken könne, so das allgemein geteilte Verständnis. 100 Jahre später wird die Erwerbsarbeit nicht mehr in erster Linie als eine Quelle negativer Empfindungen beschrieben, sondern hat ein enormes Glücksversprechen hinzugewonnen. Damit hat die Erwerbsarbeit eine enorme Aufwertung erfahren, was ihre Prägekraft für individuelle Biografien angeht. Sie ist nicht mehr nur notwendiges Mittel zum Broterwerb (welches es im Zeit- und Energieaufwand möglichst zu begrenzen gilt), sondern "Seelenbrot" - der Ort, an dem ein Arbeitnehmer auch als Mensch zu Sinn und Glück finden soll, in und über die Arbeit hinaus.  

Er wurde viertens individualisiert: Im Kaiserreich wurde die Widerständigkeit der Industriearbeiterschaft wie erwähnt als "Klassenhass" thematisiert. Das allgemein herrschende Verständnis war, dass die Gruppe der Arbeitgeber der Gruppe der Arbeitnehmer gegenüberstand, und beide um einen begrenzten "Kuchen" an materiellen Ressourcen kämpften - die Verteilungsfrage stand also im Zentrum jener negativen Gefühle, die durch Erwerbsarbeit erzeugt wurden. Wer heute mit seinen Arbeitsbedingungen unzufrieden ist, ist dies meist auf individuelle Art und Weise. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad und die Streikraten sind auf einem historisch niedrigen Niveau. Zufriedenheit mit der jeweiligen Erwerbsarbeit ist keine Frage gesamtgesellschaftlicher Verteilungskämpfe mehr, sondern ein Erfolg je persönlichen (Gehalts-)Verhandlungsgeschicks und individueller psychologischer Befähigung zum Glücksempfinden bei der Arbeit. Dadurch wird "Wut" gegenüber den Arbeitsbedingungen oder den Vorgesetzten entweder als persönliche Inkompetenz gedeutet, mit berufsbezogenen Frustrationen umzugehen, oder als Mangel in der persönlichen Berufsplanung: Man hat es scheinbar schlicht nicht geschafft, sich einen Job zu suchen, der einen glücklich macht.  

Gleichzeitig fand auch eine Individualisierung auf der Ebene der Leistungssteigerung statt: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts versuchten Unternehmer noch, die Leistung und das leistungsrelevante Wohlbefinden der Belegschaft als gedachter Einheit zu steigern - beispielsweise durch belegschaftsübergreifende Sozialleistungen, firmeneigene Erholungsheime oder betriebsärztliche Maßnahmen. Am Ende des 20. Jahrhunderts wird von Unternehmen längst nicht mehr die Leistungsfähigkeit einer gesamten Belegschaft fokussiert und durch unternehmerische Maßnahmen "gepflegt"; vielmehr wird die individuelle Leistungsfähigkeit akribisch vermessen.  

Und er wurde fünftens dynamisiert: Um 1900 war die Grundannahme, dass jeder Mensch über "Arbeitsfreude" als etwas Gegebenes verfügt, welches höchstens durch ungünstige Arbeitsbedingungen geschmälert werden konnte. Daher achteten Unternehmen auf die Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen, um die Arbeitsfreude vollumfänglich zu erhalten. Heute ist Arbeitsfreude nichts, was Unternehmen dem Arbeitnehmer automatisch unterstellen würden. Lediglich "ideale" Arbeitnehmer zeichnen sich dadurch aus, nach dem Erreichen eines beruflichen Ziels sofort nach einer neuen Quelle der Befriedigung zu streben; Zufriedenheit ist also kein für alle angenommener überdauernder Grundzustand mehr.
 

Sondern? 

An die Stelle der Arbeitszufriedenheit ist das andersgeartete Gefühl der Befriedigung (job satisfaction) getreten. Sie ist nur sehr punktuell und vorübergehend zu erreichen und verlangt nach neuen Zielen statt der routinisierten Erfüllung bleibender Aufgaben. Mehr noch: Mit der fortlaufenden Erweiterung der individuellen Belastungsfähigkeit werden Glücksversprechen verbunden. Während um 1900 die Überschreitung der eigenen Kräfte als schädlich für Körper und Gemüt galt, wird heute das Verharren in festen Arbeitsroutinen als negativ geschildert. Nur wer sich beständig neuen Herausforderungen in Form sogenannter "Stretch Goals" stellt, seine Grenzen testet und überwindet, der fühlt sich vermeintlich erfüllt und gewinnt mentale Kraft durch die permanente Steigerung seines "Potenzials" als Arbeitskraft.
 

Was bedeutet Dynamisierung für das Menschenbild? 

Dass man sich den arbeitenden Menschen nicht mehr ausschließlich als fest umrissene Persönlichkeit vorstellt: Nun wird der Mensch als Träger von "Potenzialen" gedeutet, die ständiger Anreize und Herausforderungen bedürfen, um ausgeschöpft zu werden. Dieser Prozess kennt keinen natürlichen Endpunkt. Lebenslanges Lernen wird erwartet, und es wird gemeinhin unterstellt, dass der Mensch unglücklich wird, wenn er sich nicht gemäß seinen Potenzialen immer weiter entwickelt. Als Kontrast können hier beispielsweise die Personaltheorien der 1920er-Jahre genannt werden, die davon ausgingen, dass der Mensch aus einem festen Satz persönlicher Eigenschaften besteht und dass es die Aufgabe der Firma sei, für den Arbeitnehmer gemäß seinen unveränderlichen Eigenschaften den passenden Platz im Betrieb zu finden. Ein Veränderungsdruck bestand nicht, und positive Gefühle am Arbeitsplatz galten als Effekt des gelungenen Umgangs mit eben diesen festen Persönlichkeitseigenschaften.
 

Sie sagen, die Leistungsfähigkeit werde akribisch vermessen. Das fällt umso leichter, je mehr die Arbeit digitalisiert ist? 

IT-gestützte "Talent-Management-Tools" halten in vielen Firmen eine große Zahl an Informationen über jeden einzelnen Arbeitnehmer vor, die den individuellen Willen zum Fortkommen verdaten und im Quartalsrhythmus dokumentieren. Dadurch hat sich die Bringschuld verschoben, was die Erzeugung positiver Gefühle im Kontext Arbeit angeht: Nicht mehr das Unternehmen muss seine Arbeitnehmer "bei Laune halten" und über gute Arbeitsbedingungen und Entlohnung für jene Begeisterung sorgen, die für Produktivitätszuwächse unabdingbar ist. Vielmehr muss der Einzelne in immer kürzeren Abständen unter Beweis stellen, dass er sich selbst motivieren kann, körperlich und geistig "fit" ist und an die "Mission" des Unternehmens glaubt.
 

Ich möchte noch einmal auf die positive Perspektive zurückkommen: Gibt es vielleicht eine andere, eine zweite Erzählung? Mihaly Csikszentmihalyi hat, von der Arbeit mit Künstlern kommend, festgestellt, dass Flow keineswegs auf kreativ schaffende Menschen beschränkt ist, sondern auch bei einfacher körperlicher Arbeit auftritt. Liegt hier der Schlüssel zu einem anderen Zugang zur Arbeitsfreude jenseits ihrer Instrumentalisierung als Produktivkraft? 

Der "Flow" ist jedem Arbeitnehmer zu wünschen, kritisch wird es nur an dem Punkt, an dem ein Arbeitgeber sagt: "Wir bieten hier so viel Flow, da ist der Cashflow doch zweitrangig - schließlich kannst du in dieser Firma etwas machen, was dir Spaß macht!" Dieses Eintauschen von guten Gefühlen gegen gute Arbeitsbedingungen sieht man gerade bei prekären künstlerischen Berufen in Reinform.
 

Die französischen Soziologen Luc Boltanski und Ève Chiapello haben am Managementdiskurs zu zeigen versucht, wie der Kapitalismus sich weiterentwickelt, indem er Antworten auf die gegen ihn gerichtete Kritik findet. Das fokussierte in erster Linie auf die Gestaltung von Organisationen und Produktionsprozessen. Ihre Studie mit ihrem Blick auf die Gefühlsseite liest sich nun wie die korrespondierende Erzählung dazu. Teilen Sie diese Interpretation?  

Boltanski und Chiapello sagen, dass Unternehmen erst nach und wegen der antiautoritären Kritik der "1968er" gefühliger im Umgang mit ihren Mitarbeitern werden. Historisch betrachtet stimmt das nicht, Unternehmen haben bereits über ein halbes Jahrhundert vorher Strategien entwickelt, um nicht mehr "autoritär" auf die Arbeitsleistung der Mitarbeiter einzuwirken, sondern über die richtige "Gefühlsarbeit".
 

Das Interview haben wir schriftlich in einer Frage- und einer Nachfragerunde geführt. 


Zitate


"Unternehmen haben vor über 100 Jahren erkannt, dass das Innenleben ihrer Mitarbeiter auch eine Ressource ist, mit der sie wirtschaften können. Statt zu ignorieren, wie sich der Angestellte bei der Arbeit fühlt, ist es wirtschaftlich rationaler, genau hinzusehen und zu überlegen, wie man den Einzelnen durch die Erzeugung positiver Gefühle zu einer höheren Leistung führen kann." Sabine Donauer: Die Sache mit der Arbeitsfreude

"Gefühlsarbeit ist das gezielte Bemühen von Unternehmen, auf den Gefühlshaushalt ihrer Belegschaft durch Personalmanagement einzuwirken - und zwar so, dass danach weniger negative Gefühle gegenüber der Arbeit und der Firma vorhanden sind und bestenfalls viele positive." Sabine Donauer: Die Sache mit der Arbeitsfreude

"Die Arbeitswissenschaften waren immer Ideengeber für neue Techniken der Gefühlsarbeit in Unternehmen." Sabine Donauer: Die Sache mit der Arbeitsfreude

"Heute wird es als Motivationsschwäche ausgelegt, wenn man auf eine begrenzte Leistungsfähigkeit der eigenen körperlichen und psychischen Ressourcen verweist." Sabine Donauer: Die Sache mit der Arbeitsfreude

"Nicht mehr das Unternehmen muss seine Arbeitnehmer "bei Laune halten" und über gute Arbeitsbedingungen und Entlohnung für jene Begeisterung sorgen, die für Produktivitätszuwächse unabdingbar ist. Vielmehr muss der Einzelne in immer kürzeren Abständen unter Beweis stellen, dass er sich selbst motivieren kann, körperlich und geistig "fit" ist und an die "Mission" des Unternehmens glaubt." Sabine Donauer: Die Sache mit der Arbeitsfreude

 

changeX 18.03.2016. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Quellenangaben

Zum Buch

: Faktor Freude. Wie die Wirtschaft Arbeitsgefühle erzeugt. edition Körber-Stiftung, Hamburg 2015, 248 Seiten, 18 Euro, ISBN 978-3-89684-171-1

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Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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