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Das rockt

Design Thinking hat das Potenzial, Management zu innovieren - ein Gespräch mit Juergen Erbeldinger
Interview: Winfried Kretschmer

Ja, was eigentlich ist Design Thinking? Methode? Methodenset? Denkschule? Auf jeden Fall eine Herausforderung des Konventionellen - vom Denken bis zur Art, Organisationen zu bauen und zu führen. Ein Berater und Autor sagt: Design Thinking hat das Potenzial, zur umfassenden Managementphilosophie zu werden: orientiert am Menschen und fokussiert auf die Frage nach dem Sinn. Das rockt das Management.

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Design Thinking auf eine Art besseres Brainstorming zu reduzieren, ist ein Fehler. Es hat das Potenzial zur umfassenden Managementphilosophie. Sagt Juergen Erbeldinger. In unserem Gespräch erklärt er, wieso das Methodenset zur Herausforderung für das klassische Management wird.
Juergen Erbeldinger, promovierter Volkswirt, ist Gründer und CEO von partake, einer Management- und Strategieberatung mit Sitz in Berlin. Er ist einer der führenden Unternehmensberater in Deutschland, die mit Design Thinking arbeiten.
 

Herr Erbeldinger, sagen Sie, was geht da momentan ab in Sachen Design Thinking? Ist das ein Hype oder ist da mehr dahinter? 

Da ist deutlich mehr dahinter. Ich glaube, dass Design Thinking das Zeug hat, auch einen Hype auszuhalten ...
 

... wie meinen Sie das?  

Sicher gibt es derzeit einen Hype - das Hasso-Plattner-Institut treibt Design Thinking mächtig voran, die SAP bildet 10.000 Leute aus, es gibt mehr und mehr Veröffentlichungen. Damit rückt Design Thinking in Deutschland sehr stark in die Öffentlichkeit. International gibt es eher eine langsam ansteigende Welle - und einen anderen Fokus: In den USA spricht man nicht nur von Design Thinking, sondern immer mehr von Designmanagement. Dahinter steht eine Erkenntnis, die sich mehr und mehr durchsetzt: dass nämlich die bisherigen Ansätze im Management nicht mehr funktionieren. Mit den alten Methoden konnten wir schon die alten Probleme nicht lösen, deswegen brauchen wir neue Methoden - und hier kann das Methodenset Design Thinking helfen.
 

In Deutschland wird Design Thinking vorwiegend als Methode zur Ideengenerierung wahrgenommen. Ist das somit der falsche Fokus? 

Design Thinking auf eine Art besseres Brainstorming zu reduzieren, ist ein Fehler. Design Thinking hat das Potenzial zur umfassenden Managementphilosophie. Es steht in Widerspruch zu fast allen gängigen Managementansätzen und bietet doch eine methodische Ergänzung für den Arbeitsalltag. Design Thinking hat das Zeug, das Arbeiten in Meetings, in Workshops, in Projekten zu verändern - bis dahin, das gesamte Unternehmen zu transformieren. Hier liegt sein Potenzial.
 

Design Thinking wird sich durchsetzen?  

Ich glaube, es wird zum Standard werden. So wie wir heute selbstverständlich mit einer Balanced Scorecard oder einer Portfolio-Matrix umgehen, so wird man zukünftig ebenso selbstverständlich mit dem Methodenset Design Thinking arbeiten. In den USA ist man da wie gesagt schon weiter. Aber ich glaube, dass wir auch diesen Weg einschlagen - und vielleicht sogar eine schnellere Lernkurve haben werden.
 

Sie formulieren in Ihrem Buch eine recht steile These: Design Thinking holt das Management in das 21. Jahrhundert. Ist das nicht ein bisschen anmaßend? 

Nein, überhaupt nicht. Die meisten Methoden, mit denen Management heute arbeitet, sind schon sehr alt. Hierarchische Führung ist 5000 vor Christus in der ostafrikanischen Steppe entstanden. Die Stablinienorganisation ist von Napoleon erfunden und von Clausewitz in das heutige Militär überführt worden. Viele Organigramme von Unternehmen sehen heute noch genauso aus wie vor 300 Jahren - so alt ist das ganze Organisationsmodell. Nun muss nicht alles, was alt ist, schlecht sein. Aber im Management gibt es seit gut 50 Jahren keine wirklich bahnbrechenden Neuerungen mehr. Auf diese Innovationspause zielen wir ab, wenn wir den Anspruch formulieren, das Management in das 21. Jahrhundert zu holen. Es gilt sich klarzumachen, dass Management selbst innoviert werden kann. Und das Instrumentarium, um Ansatzpunkte für Innovationen zu finden, ist Design Thinking.
 

Zum Beispiel? 

Managementdogmen, also Glaubenssätze, die als wahr akzeptiert sind, bieten einen sehr starken Stellhebel, um zu innovieren. Henry Ford ist bekannt durch sein tayloristisches Fabriksystem, seine eigentliche Innovation aber war, dass er die Löhne verdreifacht hat. Bis dahin glaubte man, die Mitarbeiter würden faul, wenn man mehr Geld bezahlt. Seit Ford ist man nun überzeugt, dass es eine Anreizfunktion hat, wenn man mehr bezahlt. Beides aber sind keine absoluten Wahrheiten, sondern Ansichten, die im Kontext ihrer Zeit stehen. Ein entscheidender Innovationsschritt heute könnte sein, diesen ganzen Motivationsquatsch mit Anreizsystemen nicht mehr mitzumachen und von einer extrinsischen auf eine intrinsische Motivation umzustellen.
 

Sie sagen, Design Thinking hat die Kraft, das Managementmodell zu erneuern. Was gibt dieser - nun, "Methode" greift eigentlich zu kurz -, was gibt Design Thinking Ihrer Meinung nach diese Kraft? 

Ja, Design Thinking ist mehr als eine Methode, mehr auch als ein Methodenset, es ist eine Denkschule. Ein zentraler Bestandteil dieser Denkschule ist die Rolle, die eine Führungskraft einnimmt: Sie ist erstens Gastgeber, der Host, und zweitens derjenige, der die Ergebnisse sichert, der Harvester. Hosting und Harvesting verlangt eine ganz andere Rolle als die eines klassischen Managers. Aufgabe der Führungskraft ist es, eine Umgebung zu schaffen, in der eine Gruppe perfekt arbeiten kann.
Unterschiedlich ist auch die Art der Ergebnissicherung. Im Design Thinking schreibt man keine Protokolle und Ergebnispapiere, in denen es konjunktivistisch heißt, man müsste oder sollte, sondern erstellt einen Action Plan. Dort steht drin, was man tun kann, um in dem Prozess eine Stufe weiter zu kommen, wo man einen Schritt zurück und wo man tiefer gehen muss. Design Thinking zeigt, wie man iterativ in kleinen Schritten vorgeht.
Diese drei Ansatzpunkte, also Hosting, Harvesting und der Action Plan, das iterative Vorgehen in kleinen Schritten, bilden das Neue in dem Führungsmodell. Design Thinking ist eine agile Methode und kommt den vielschichtigen Anforderungen der Teamarbeit sehr entgegen. Es formuliert ein Führungsverständnis, wie es das 21. Jahrhundert braucht.
 

Was zeichnet dieses Führungsverständnis aus? 

Man agiert nicht mehr in einer heroischen Führungsrolle nach dem Motto "Ich weiß, wo es hingeht, und ich entscheide". Sondern man akzeptiert, dass die Gruppe stärkere Ergebnisse liefert als eine Führungskraft alleine. Das entscheidende Bekenntnis lautet: "Ich weiß es auch nicht." Diese fünf Worte fallen unglaublich schwer, denn wir sind ganz anders ausgebildet und erzogen; und natürlich guckt ein Team, das die ganze Zeit unter der klaren Ansage "Ich weiß, wo es hingeht" geführt worden ist, einen zunächst entsetzt an, wenn dieser Satz kommt. Aber diese fünf Worte drehen die Situation unglaublich.
Design Thinking heißt für Führungskräfte, sich in vielen Situationen komplett zurückzunehmen. Ein ganz wichtiger Grundsatz lautet: Das Team weiß selbst am besten, ob etwas funktioniert oder nicht. Eine Führungskraft oder ein Berater tritt also nicht als Experte auf, sondern als jemand, der einen Prozess begleitet, der auf einer Metaebene arbeitet.
 

Das Team weiß selbst am besten, was funktioniert und was nicht, das erinnert stark an Peter Druckers Definition, nach der ein Wissensarbeiter derjenige ist, der über seine Arbeit mehr weiß als jeder andere in der Organisation. 

Peter Drucker hat sehr früh schon eine Entwicklung beschrieben, die immer stärker wird. Wir werden von Standardroutineabläufen immer mehr zum druckerschen Wissensarbeiter kommen. Deshalb brauchen wir ein anderes Verständnis, wie wir in Teams miteinander arbeiten und wie wir diese Teamarbeit produktiv machen. Der Trend zum Wissensarbeiter verlangt also nach einem neuen Managementmodell. Wir sprechen deswegen auch bewusst von "New Work" und "New Management": Es gibt neue Arbeitsstrukturen und dazu passend neue Managementstrukturen - beides bedingt einander. Design Thinking ist dabei eher eine Denkschule als eine fertige Managementtheorie. Da muss noch eine Menge Arbeit geleistet werden, das eine ins andere zu überführen.
 

Im Buch heißt es, Design Thinking stehe grundlegend in Widerspruch zu nahezu allen gängigen Managementprinzipien. Zum Beispiel? 

Management schafft mit Sprache Distanz. In PowerPoint-Präsentationen wird durch die starke Verwendung von Fachbegriffen, von Abkürzungen und den Hang zur Substantivierung eine Sprache erzeugt, die weder ansprechend noch verständlich ist, sondern ganz bewusst Herrschaftswissen aufbaut: Wissen ist Macht. Information ist Macht. Sprache ist Macht. Abkürzungen sind Macht. Diese Idiosynkrasien sind typisch für Management.
Design Thinking macht das komplette Gegenteil. Eine der wichtigsten Regeln ist, so miteinander zu kommunizieren, dass komplexe Sachverhalte für jeden verständlich werden. Um komplexe Sachverhalte innerhalb kürzester Zeit verständlich zu machen, nutzen wir Visualisierungstechniken wie Malen, Storytelling oder Rapid Prototyping. Damit gelingt es auf einmal, eine Idee jedem - vom Hausmeister bis zum Vorstandsvorsitzenden - verständlich zu machen. Das ist das genaue Gegenstück zu Herrschaftswissen. Im Managementalltag scheitern die meisten guten Vorschläge daran, dass sie nicht kommunizierbar sind. Neues wird in den Hierarchien verhindert. Design Thinking sagt: Damit Neues durchkommt, ist es notwendig, verständlich zu kommunizieren.
 

Wie kann das nun konkret aussehen - Management innovieren durch Design Thinking? 

Die große Reise startet mit einem kleinen Schritt. Wir reden auch bewusst nicht groß vorab über Design Thinking, sondern lassen die Leute die Methode erleben: Seeing is believing. Wir starten, indem wir einen beschreibbaren Stehtisch in einen Konferenzraum stellen und den Leuten ein Meeting im Stehen ankündigen. Dafür gelten drei Regeln, die wir zu Beginn auf den Tisch malen. Regel eins: "Avoid criticism", vermeide Kritik. Das ist ein Konventionenbruch, weil dieser Verzicht für die meisten Mitteleuropäer sehr ungewöhnlich ist. Zweite Regel: "Leave your titles at the door." Wir duzen uns alle für das Meeting und sprechen uns mit Vornamen an, auch das ein Konventionenbruch, weil es nun nicht mehr "Herr Direktor" oder "Herr Doktor" heißt. Die dritte Regel ist, dass man seine Ideen malen muss. Mit diesem einfachen Setting - beschreibbarer Stehtisch, zwei Stunden Meeting, drei Regeln - an eine Themenstellung ranzugehen, ist der Anfang. Und von da an verbreitet sich das wie eine Seuche.
 

In der Geschichte des Managements gab es immer wieder Anläufe zu einer Veränderung, die letztlich alle an der Hierarchie zerbrochen sind. An der Machtfrage. Was macht Sie so sicher, dass Design Thinking es schaffen kann, Management zu innovieren? 

Es gibt einen ganz großen Bedarf nach grundsätzlichen Managementinnovationen. Im Management gab es in den letzten 50 Jahren nur inkrementelle Verbesserungen. Lean Management, die große Bewegung seit den 1950er-Jahren, war nichts weiter als die Durchsetzung des Dogmas der Effizienz und Effektivität. Six Sigma war Effektivität, Effizienz plus Qualität. Das ist alles Old School. Heute erkennt man, dass auf der Ebene von Prozessen kaum mehr Wettbewerbsvorteile zu erreichen sind. Denn Prozesse können ebenso wie Produktvorteile und Geschäftsmodelle extrem schnell und extrem gut kopiert werden. Wir können heute erst ab der Größenordnung Marke noch differenzieren. Über Marke, Management und Meaning, also Sinn und Bedeutung der Organisation.
Marke, Management und Meaning aber sind nicht rational, sondern in hohem Maß emotional. Um emotional geprägte Verhaltensweisen zu verstehen, brauchen wir ein Methodenset, eine Denkschule. Das ist Design Thinking. Es liefert den Schlüssel.
 

In ihrem Buch Der neue Geist des Kapitalismus, ein sehr interessanter Titel übrigens, vertreten Luc Boltanski und Ève Chiapello die These, dass der Kapitalismus sich als sehr anpassungsfähig erwiesen hat, indem es ihm immer wieder gelungen ist, Kritik aufzugreifen und konstruktiv zu verarbeiten. Die beiden zeigen, dass der Managementdiskurs in den 1960er- und den 1990er-Jahren immer wieder um die Frage kreiste, wie man der Arbeit in Organisationen Sinn verleihen kann ... 

Das ist das zentrale Problem ...
 

... und Design Thinking hat eine Antwort? 

Design Thinking kann genau darauf eine Antwort geben, denn seine zentralen Methoden sind Beobachten und Verstehen: Am Beginn jedes Design-Thinking-Projekts sucht man zu erkennen, ob menschliche Bedürfnisse noch nicht befriedigt sind. Wenn das der Fall ist, dann hat man den Schlüssel gefunden - dann weiß man: "Wir haben was in der Hand, das rockt." Denn Bedürfnisse zu stillen, ist sinnstiftend. Design Thinking fokussiert somit auf ein menschliches Urbedürfnis: die Frage nach dem Sinn.
 

Wenn man ganz, ganz stark verkürzen wollte, kann man dann sagen, dass Design Thinking den Menschen in den Mittelpunkt rückt? 

Er wird zum ersten Mal wirklich in den Mittelpunkt gestellt. Das Neue ist, dass man tatsächlich zu fragen beginnt, wie gut wir in der Bedürfnisbefriedigung sind. Und damit dreht tatsächlich das Ganze erstmals hin zum Menschen.
 


Zitate


"Design Thinking auf eine Art besseres Brainstorming zu reduzieren, ist ein Fehler. Design Thinking hat das Potenzial zur umfassenden Managementphilosophie." Juergen Erbeldinger: Das rockt

"Es gilt sich klarzumachen, dass Management selbst innoviert werden kann." Juergen Erbeldinger: Das rockt

"Design Thinking ist mehr als eine Methode, mehr auch als ein Methodenset, es ist eine Denkschule." Juergen Erbeldinger: Das rockt

"Design Thinking formuliert ein Führungsverständnis, wie es das 21. Jahrhundert braucht." Juergen Erbeldinger: Das rockt

"Das entscheidende Bekenntnis lautet: 'Ich weiß es auch nicht.'" Juergen Erbeldinger: Das rockt

"Es gibt einen ganz großen Bedarf nach grundsätzlichen Managementinnovationen." Juergen Erbeldinger: Das rockt

"Design Thinking fokussiert auf ein menschliches Urbedürfnis: die Frage nach dem Sinn." Juergen Erbeldinger: Das rockt

 

changeX 29.05.2013. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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