close

changeX Login

Bitte loggen Sie sich ein, wenn Sie Artikel lesen und changeX nutzen wollen.

Sie haben Ihr Passwort vergessen?
Jetzt neu registrieren.
Barrierefreier Login

Sie lesen diesen Artikel kostenlos

Vielen Dank für Ihr Interesse! Sie rufen diesen Beitrag über einen Link auf, der Ihnen einen freien Zugang ermöglicht. Sonst sind die Beiträge auf changeX unseren Abonnenten vorbehalten, die mit ihrem Abo zur Finanzierung unserer Arbeit beitragen.
Wie Sie changeX nutzen können, erfahren Sie hier: Über uns
Wir wünschen viel Spaß beim Lesen!

Generation agil

Das Ende des Projektmanagements ist gekommen - ein Gespräch mit Ronald Hanisch
Interview: Winfried Kretschmer

Immer mehr Arbeit wird in Form von Projekten organisiert. Doch immer mehr Projekte dümpeln vor sich hin, versanden, scheitern. Durch den Einfluss starrer Projektmanagement-Tools sind Projekte selbst zum Problem geworden. Ein Projektmanagement-Experte fordert nun das Ende des Projektmanagements. Und setzt auf eine junge Mitarbeitergeneration, die verlorene Agilität zurückbringen soll.

p_hanisch_250.jpg

Projekte sind selbst zum Problem geworden, sagt Ronald Hanisch. Und verkündet das Ende des Projektmanagements.
Ronald Hanisch gilt als international gefragter Redner, Autor und Berater. Der Managementexperte, studierte Betriebswirt (MAS und MBA) und international zertifizierte Senior-Projektmanager (IPMA Level B) baute mehrere Unternehmen auf und berät Topunternehmen wie etwa Magna, BMW, Liebherr, CNH und Philips. Im Herbst 2013 ist sein Buch Das Ende des Projektmanagements erschienen.
 

Herr Hanisch, Sie sagen, Projekte hätten sich von einer Lösung zu einem Problem entwickelt. Wie das? 

Seit zehn, 15 Jahren versanden immer mehr Projekte, dümpeln vor sich hin, werden abgebrochen oder auf Eis gelegt, Termine und Budgets werden überschritten, die Qualität sinkt und so fort. Zugleich organisieren sich Unternehmen zunehmend projektförmig, um schneller und flexibler agieren zu können. Doch kann das Projektmanagement heute genau diese Vorteile nicht mehr generieren. Denn früher konnten Projekte neben den klassischen Organisationsstrukturen gut funktionieren. Seit sich jedoch die stabilen Hintergrundstrukturen durch permanente Zergliederung und Fusionierung, Dezentralisierung und Re-Zentralisierung, durch Outsourcing und Virtualisierung, Globalisierung und Prozessoptimierung selbst zu einem Dauerprojekt entwickelt haben, haben Projekte ihre Eigenschaft als "schnelles Beiboot" verloren. Schlimmer noch: Durch den Einfluss starrer Projektmanagement-Tools sind sie selbst zu einem Problem geworden.
 

Wir sind also mit dem Projektmanagement bei einer Paradoxie gelandet: Einerseits werden immer mehr Arbeiten in Projekten organisiert, andererseits können Projekte immer weniger halten, was sie einst versprachen. Nämlich schnelles und flexibles Agieren. Es liegt am Projektmanagement? 

Projektmanagement ist zum Allheilmittel geworden. Seit 40 Jahren ist Projektmanagement mehr und mehr forciert worden und hat sich quasi als Königsweg bei der Bewältigung von neuen und komplexen Aufgaben etabliert - vor dem Hintergrund stabiler und hierarchischer Organisationsstrukturen des Unternehmens. Allerdings vergaß man dabei oft, dass erfolgreiches Projektmanagement ohne intensive Planung, Absprachen und Kommunikation nicht funktioniert.
 

Haben Sie ein Beispiel? 

Eine Projektarbeit, an der ich unglücklicherweise selbst beteiligt war: Ich wurde auf dem Weg zum Kaffeeautomaten vom Geschäftsführer zum Projektleiter ernannt. Die Aufgabe: eine komplette Produktionsstraße innerhalb von drei Monaten aufbauen. Schwierig, aber machbar. Also krempelten wir die Ärmel hoch, und das Ding stand fristgerecht. Allerdings fiel der Auftraggeber aus allen Wolken. Wir hatten nämlich eine vollautomatische Straße geliefert, er wollte aber eine einfachere, weil ihm am Einsatzort die Fachkräfte und die Ersatzteile fehlten. Wie es dazu kommen konnte? Diese - entscheidende - Information war beim Briefing zwischen Tür und Angel schlicht unter den Tisch gefallen.
 

Ist die Ursache ein Mangel an Planung? 

Der Mangel an Planung ist oftmals nur die Folge davon, dass immer mehr in immer weniger Zeit erledigt werden soll. Der Druck für Unternehmen wächst, immer schneller, immer aktiver zu werden. Das Projektmanagement sieht sich damit herausgefordert, wo es geht, Zeit zu sparen. Und die, meint man, in der Planung zusammenstreichen zu können. Mit besagten Folgen. Nur ein Beispiel dafür, dass sich das Rad immer schneller dreht: Vom ersten Modell des VW Golf bis zum zweiten Modell vergingen noch um die zehn Jahre. Heute wirft VW jedes Jahr ein neues Modell auf den Markt.
 

Die Planung hält nicht mehr Schritt? 

Die heutige Komplexität wird durch fatal unterkomplexe Projektmanagement-Tools geradezu ausgeblendet. Starre Kaskadenmodelle, die Projektidee, Analyse, Konzeption, Realisierung, Projektabschluss schön säuberlich aufreihen, beruhigen zwar die Gemüter, sind aber nicht zielführend. Dabei bestünde die Kunst darin, Unschärfen, Dilemmata und Paradoxien zuzulassen, also mit der Komplexität zu arbeiten. Und das heißt auch: Projektmanagement mit seinem "magischen Dreieck" und allen weiteren Heilsversprechen hat vielleicht in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts funktioniert. Heute aber haben sich die Rahmenbedingungen so verändert, dass wir uns von vielen überkommenen Vorstellungen verabschieden müssen.
 

Und Sie verkünden jetzt gleich das Ende des Projektmanagements? 

Ja, so ist es. Das Ende des Projektmanagements ist da, weil heute mit Menschen der jungen Generation, den Digital Natives, neue Methoden und Arbeitsweisen auf uns zukommen.
 

Hoppla, jetzt kommt die junge Generation ins Spiel. Heißt das, in dem Augenblick, in dem Projektmanagement immer weniger das leisten kann, was es verspricht, kommt eine neue Generation, die genau mit den Herausforderungen moderner Projektarbeit besser umgehen kann? 

Ja, die neue Generation, also die ab 1980 Geborenen, sind flexibler, mobiler und auch komplexitätskompetenter als die ältere Generation. Die Digital Natives sind mit den modernen Informations- und Kommunikationstechnologien aufgewachsen und nutzen sie selbstverständlich. Auch im Beruf. Das bringt eine neue Dynamik mit sich und wirkt sich auch auf das Projektmanagement der alten Schule aus. Zudem arbeitet die neue Generation ohnehin projektorientiert. Die jungen Leute sind es gewohnt, Aufgaben als Projekte zu behandeln. Sie bilden Teams, tauschen Informationen, verhandeln Ziele, verteilen Aufgaben - und los geht’s! Mit dieser Haltung wird die neue Generation das Projektmanagement revolutionieren. Eben weil sie anders tickt als jede Generation vor ihr und Projekte von vornherein ganz anders angeht.
 

Sie sagen, dass diese junge Generation mit Komplexität besser umgehen kann. Worin zeigt sich das? 

Meine These ist, dass die jüngere Generation eher in der Lage und bereit ist, in widersprüchlichen Konstellationen zu leben und zu arbeiten als wir Älteren. Sie sind sozusagen Komplexität von Haus aus gewöhnt. Auch ihr selbstverständlicher und sicherer Umgang mit Computer, Internet und Smartphone und von Kommunikationsplattformen wie Facebook, Twitter und Co. zeigt dies. Die souveräne Nutzung von allerlei technischen Applikationen erlaubt ihnen Zeitmanagement, Eigenmanagement und Aufgabenverteilung auf hohem Niveau. Sie schöpfen die technischen Möglichkeiten voll aus. Doch die ältere Generation weiß manchmal gar nicht, was die Jüngeren da permanent im Internet machen. Das Verständnis für die junge Generation fehlt.
 

Woher beziehen Sie Ihre Erkenntnisse über die Jungen? Die Generation Y ist heute so eine Art Superjoker, der immer dann ins Spiel kommt, wenn es um Veränderungen in der Arbeitswelt geht ... 

... die Heroisierung der Generation Y, die alles hinterfragt, muss man kritisch sehen. Das, was ich von dieser Generation weiß, stammt aus der konkreten Arbeit mit einigen ihrer Vertreter. Ich habe in vielen, auch internationalen Konzernen mit Digital Natives zusammengearbeitet. Und habe so einen Eindruck erhalten, wie sie ticken.
 

Sie loben in Ihrem Buch den Projektleiter Ihres Buchprojekts, einen Ypsiloner. Was hat Ihnen an seiner Art gefallen, mit dem Projekt umzugehen? 

Ich hielt mich für recht IT-affin und dachte, dass man mir nach 20 Jahren Berufserfahrung mit Zeitmanagement- und Projektmanagement-Tools nicht so schnell etwas vormachen kann. Aber da lag ich falsch. Besagter junger Mitarbeiter hat mir ganz klar meine Grenzen aufgezeigt. Und hat mir mit neuen Hilfsmitteln und technischen Applikationen vorgeführt, wie Projektteams in Zukunft noch besser koordiniert werden können. Wie der Informationsstand permanenter und transparenter zu managen ist - und die Projektarbeit dadurch mobiler und schneller wird.
 

Geht es in erster Linie um Tools und Hilfsmittel? 

Es wäre falsch, den Wandel auf Tools und Hilfsmittel zu reduzieren. Vielmehr muss er auf vielen Ebenen stattfinden. Mit unserem Denken sind wir immer noch der Zeit der Industrialisierung verhaftet. Als Rollen, Arbeitszeit sowie Arbeitsort starr festgelegt waren. Heute verschwimmen die Grenzen von Arbeitszeit und Freizeit. Und auch die Orte, wo gearbeitet wird, verändern sich. Der US-amerikanische Stadtsoziologe Ray Oldenburg hat noch um 1990 eine Unterscheidung der wichtigsten Aufenthaltsorte des Menschen ins Spiel gebracht: Ihm zufolge ist der Wohnort der First Place, der Arbeitsort der Second Place, und informelle, öffentliche Orte wie Cafés et cetera sind Third Places. Das hat sich aufgelöst. Durch die neuen Kommunikationsmittel ist das Zuhause gleichzeitig auch Arbeitsplatz, der Arbeitsplatz ist irgendwie auch das Zuhause, und in der Bar hält man sich nicht nur zur Freizeitbeschäftigung auf, sie kann auch Arbeitsplatz sein, wo man sich über Berufliches austauscht. Also: Die klaren Trennungen, die es vor 15, 20 Jahren noch gegeben hat, gibt es nicht mehr. Es bleibt prinzipiell kein Ort mehr übrig, der nichts mit der Arbeit zu tun hat. Viele Firmen nehmen diesen Wandel ernst. Indem sie Büroräume so gestalten, dass man sich dort eben nicht wie auf der Arbeit fühlt. Sondern fast so wie zu Hause.
 

Was bedeutet das für soziale Beziehungen? 

Der jungen Generation ist das eigene soziale Netzwerk wichtiger als die Firma oder sozialer Status. Für Unternehmen ist das ein heikler Punkt. Denn wenn ein Projekt einem Mitarbeiter nun doch nicht so interessant scheint, wie gedacht - oder vom Unternehmen schmackhaft gemacht -, kann es sein, dass er einfach abwandert. Und vielleicht das ganze Projektteam dazu.
 

Wenn Sie sagen, wir müssten Projektmanagement komplett neu denken und leben - was heißt das konkret? 

Oft wird noch davon ausgegangen, dass bei Projekten Ort, Zeit, Raum, Arbeitsplatz, Qualität und Termine Konstanten seien. Aber das ist schon seit Jahren nicht mehr der Fall. Wir haben es permanent mit Veränderungen zu tun, und ich kenne kein einziges Projekt, das genau so abgeschlossen wurde wie ursprünglich geplant. Auf das Projektmanagement bezogen, bedeutet das, dass wir heute viel, viel flexibler auf Veränderungen reagieren müssen. Weniger im Sinne von detaillierter Planung. Zwar müssen wir genau wissen, was wir wollen, müssen darüber hinaus aber offen dafür sein, wenn sich im Laufe der Zeit gewisse Parameter verändern. Und dazu benötigt man, abgesehen von entsprechenden Teams und dem entsprechenden Mindset, auch entsprechende Tools.
 

Mindset heißt, mit einer grundlegenden Veränderung zu beginnen? 

Wir haben keine andere Wahl als eine grundlegende Veränderung. Die junge Generation ist die Zukunft der Unternehmen. Also müssen wir Bedingungen schaffen, unter denen sie gerne arbeiten - und sich produktiv ins Unternehmen einbringen. Schön zu beobachten ist dabei die Entwicklung einer neuen, agilen Methode, nämlich Scrum. Dabei wird versucht, die Komplexität von Projekten durch Transparenz, durch regelmäßiges Überprüfen der Projektfunktionalitäten und permanentes Anpassen an die neuen Anforderungen zu reduzieren. Agiles Projektmanagement, wie zum Beispiel Scrum, hat das Potenzial, sich zu der Projektmanagement-Methode der Digital Natives zu entwickeln.
 

Besteht nicht eine gewisse Gefahr, dass die junge Generation an den alten Strukturen scheitert? 

Das ist definitiv so, hat aber auch eine zweite Seite. Obwohl sich Unternehmen der jungen Generation und ihren Bedürfnissen anzupassen versuchen, reichen diese Bemühungen längst nicht aus. Die Strukturen, die die Jungen vorfinden, sind ihnen meistens immer noch zu starr, zu hierarchisch. Wenn dann neue junge Mitarbeiter schnell wieder gehen, könnte man sagen: Sie scheitern an den Strukturen. Gleichzeitig muss man aber sagen: Die Unternehmen scheitern damit auch mit ihren Strukturen.
 


Zitate


"Projekte haben ihre Eigenschaft als ‚schnelles Beiboot‘ verloren. Schlimmer noch: Durch den Einfluss starrer Projektmanagement-Tools sind sie selbst zu einem Problem geworden." Ronald Hanisch: Generation agil

"Die heutige Komplexität wird durch fatal unterkomplexe Projektmanagement-Tools geradezu ausgeblendet. (...) Dabei bestünde die Kunst darin, Unschärfen, Dilemmata und Paradoxien zuzulassen, also mit der Komplexität zu arbeiten." Ronald Hanisch: Generation agil

"Das Ende des Projektmanagements ist da, weil heute mit Menschen der jungen Generation, den Digital Natives, neue Methoden und Arbeitsweisen auf uns zukommen." Ronald Hanisch: Generation agil

"Meine These ist, dass die jüngere Generation eher in der Lage und bereit ist, in widersprüchlichen Konstellationen zu leben und zu arbeiten als wir Älteren." Ronald Hanisch: Generation agil

"Die junge Generation ist die Zukunft der Unternehmen. Also müssen wir Bedingungen schaffen, unter denen sie gerne arbeiten - und sich produktiv ins Unternehmen einbringen." Ronald Hanisch: Generation agil

"Obwohl sich Unternehmen der jungen Generation und ihren Bedürfnissen anzupassen versuchen, reichen diese Bemühungen längst nicht aus. Die Strukturen, die die Jungen vorfinden, sind ihnen meistens immer noch zu starr, zu hierarchisch." Ronald Hanisch: Generation agil

 

changeX 14.01.2014. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

Artikeltools

PDF öffnen

Ausgewählte Beiträge zum Thema

Pionierarbeit für die Organisation von morgen

Neues Denken im Projektmanagement - ein Essay von Frank Kühn, Birgitta Gregor und Christoph Kuth zum Essay

Nicht so wie ihr

"Meine Generation will so nicht arbeiten" - ein Gespräch mit Philipp Riederle zum Interview

Die Multioptionalen

Die junge Generation krempelt die Arbeitswelt um - ein Interview mit Jutta Rump zum Interview

Nach den Helden

Wirksames Projektmanagement ist postheroisch – ein Essay von Olaf Hinz. zum Essay

Zum Buch

: Das Ende des Projektmanagements. Wie die Digital Natives die Führung übernehmen und Unternehmen verändern. Linde Verlag, Wien 2013, 192 Seiten, 24.90 Euro, ISBN 978-3-709305096

Das Ende des Projektmanagements

Buch bestellen bei
Osiander
genialokal
Amazon

Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

weitere Artikel des Autors

nach oben