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Im Herzen sowjetisch

Management ist nicht mehr zeitgemäß – ein Interview mit Niels Pfläging.
Text: Winfried Kretschmer

Von Nordkorea einmal abgesehen ist Management die letzte Bastion der Planwirtschaft. Es ist im Herzen sowjetisch, ein Relikt aus dem Werkzeugkasten des Industriezeitalters. Höchste Zeit, Management abzuschaffen, sagt Deutschlands schärfster Managementkritiker. Und plädiert für einen neuen, zeitgemäßen Kodex der Führung. Die Unternehmen der Zukunft werden Netzwerke sein.

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Niels Pfläging ist Direktor des Beyond Budgeting Transformation Network (BBTN), Vortragsredner und Berater. Er ist Koautor der changeX-Kolumne „Bye-bye Management“.

Herr Pfläging, Management abschaffen. Ist das nicht ein etwas verwegener Plan? Würde es nicht reichen, Management zu verbessern?
Wenn man sich heutzutage größere oder auch kleinere Unternehmen anschaut, dann stellt man fest: Das sind keine sehr lebenswerten und arbeitswerten Orte. Nicht umsonst sind viele Menschen mit ihren Arbeitsbedingungen unzufrieden. Es gibt eine Flucht raus aus den Organisationen und in die Selbständigkeit. Es gibt die berühmte innere Kündigung, die eine Reaktion ist auf das Leiden in Organisationen. Dieses Leiden in Organisationen hat damit zu tun, dass wir Organisationen managen. Dass wir einem Dogma von Management anhängen, das weder den Mitarbeitern in Organisationen gerecht wird noch den Kapitalgebern, Kunden, den Märkten und sonstigen Anspruchsgruppen.

Was ist falsch am Management? Was kritisieren Sie?
Ich meine, dass an Management alles falsch ist. Management selbst ist falsch. Ich vergleiche das gerne damit, wie die Medizin oder Heilkunde vor Hunderten von Jahren war – man nannte das Quacksalber und Kurpfuscher. Ich bin der Überzeugung, dass wir heute im Bereich Management noch dem Quacksalbertum und der Kurpfuscherei anhängen. Zwar handeln die meisten Manager aus bestem Wissen und Gewissen, aber nichtsdestotrotz steht Management der Organisation, den Mitarbeitern, den Prozessen und den Kunden mehr im Weg, als es Wert schafft. Insofern muss sich am Management alles ändern. Wir brauchen in Organisationen aller Art etwas ganz anderes als das, was wir heute als Management bezeichnen.

Ihre These ist, die Grundannahmen sind falsch, weil sich in den gut 100 Jahren, seit Management entstanden ist, die Welt geändert hat.
Die Welt hat sich in den letzten 100 Jahren brutal geändert. Die Situation im Industriezeitalter war eine ganz andere als heute. Damals existierten Unternehmen in demokratiefreien Räumen und agierten in Märkten, die oligopolistisch oder monopolistisch gestrickt und längst nicht so globalisiert waren wie heute. Die meisten Unternehmen konnten sich den Komfort leisten, ihre Kunden und ihre Mitarbeiter zu zwingen: die Kunden zum Kauf und die Mitarbeiter zur Arbeit. Aus diesem Zeitalter stammt Management. Stammt das, was wir an Methodenschatz und Managementideologie heute noch in unseren Fachbüchern, an Universitäten, in der MBA-Ausbildung, in der Unternehmensberatung und natürlich im Management selbst finden. Wir folgen da Konzepten, die völlig an heutiger Wissenschaft, an heutiger Kenntnis, an heutiger Marktrealität vorbeigehen.

Welche Grundannahmen sind das? Wenn ich recht sehe, sind es zwei. Die erste betrifft die Natur des Menschen.
Ja, die erste wichtige Grundannahme, die dem Management zugrunde liegt, sind Annahmen über den Menschen: Menschen sind danach faul und dumm und müssen zum Arbeiten, zur Leistung gezwungen werden. Und sie müssen kontrolliert werden. Frederick Taylor hat das vor 100 Jahren schon auf den Punkt gebracht, als er das sogenannte Scientific Management begründet hat. Eine von Taylors Grundideen war Hierarchie: In Organisationen gibt es Menschen, die die Arbeit ausführen, und es gibt andere Menschen, die hierarchisch darüber stehend deren Arbeit kontrollieren, also steuern, planen, vorgeben. Diese Ideologie der personellen, hierarchischen Trennung zwischen Denken und Handeln hat sich bis heute gehalten.
Doch wir wissen eigentlich ganz genau, dass das heute nicht mehr funktioniert. Wir wissen, wir brauchen etwas ganz anderes. Wir brauchen Motivation, brauchen den unternehmerischen Geist, der in den Menschen steckt. Dass es diesen Impuls gibt, das wissen wir seit der Motivationsforschung der 50er- und 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Doch die Tools und die Prozesse des Managements basieren alle auf dieser Unter- und Überordnungsideologie, auf diesem doch sehr perfiden Menschenbild: Wir können den Mitarbeitern nicht trauen, wir müssen sie zwingen und fremdkontrollieren, sonst wird nichts daraus. Gut wird es erst, wenn Manager, wenn Chefs ihre Mitarbeiter und Untergebenen zwingen, gängeln, bestechen und so weiter.

Und wir wissen heute: Dieses Menschenbild ist falsch. Die Menschen sind anders.
Die Menschen sind anders. Sie sind eben nicht faul und dumm. Sie müssen nicht gezwungen werden. Aber dieses tief sitzende Vorurteil über Menschen hält Management am Leben. Wenn wir einmal lernen, an fremdkontrollierende Prozesse zu glauben, wie zum Beispiel, dass Mitarbeiterbeurteilungen gut und richtig sind und funktionieren, oder dass Anreizsysteme in Unternehmen notwendig sind, dann ist es ganz schwer, sich davon abzuwenden. Niemand würde den Ehe- oder Lebenspartner mit einem jährlichen Mitarbeitergespräch beglücken, nach dem Motto: „Liebling, lass uns mal über deine Key Performance Indicators, über deine Leistungsverbesserung, über deine Ziele fürs nächste Jahr reden!“ Das tun wir nicht, und wir glauben auch nicht daran. In Unternehmen aber kommt uns das ganz natürlich vor. Und das ist perfide.

Annahme zwei betrifft Organisationen: Organisationen brauchen Hierarchie?
Die Annahme, dass Organisationen Hierarchie brauchen, liegt schon dem ersten Vorurteil zugrunde: dass nämlich Menschen kontrolliert werden müssen. Dann braucht man Hierarchie, um die Organisation trotz all der Menschen mit ihren Fehlern und Mängeln unter Kontrolle zu halten.
Die zweite fehlerhafte Grundannahme ist, dass wir glauben, wir könnten Organisationen in die Zukunft steuern. Das ist ähnlicher Unsinn wie die Behauptung, Unternehmen seien irgendwie wie Orchester. Doch Orchester spielen eine vorgefertigte Partitur, Unternehmen dagegen müssen mit einer unsicheren Zukunft umgehen: Sie agieren in Märkten, in denen sie auf Probleme treffen, die sie nie zuvor kennengelernt haben. Unternehmen machen immer Neues, sie folgen eben keiner Partitur. Die Zukunft ist nicht vorhersehbar. Management aber geht von dem Dogma aus, wir könnten die Zukunft vorhersehen und müssten uns nur ein Ziel überlegen und einen Plan machen, wie wir da hinkommen. Dahinter steckt der Glaube, dass die Zukunft planbar, steuerbar, vorhersehbar sei. In Wirklichkeit aber sind Märkte aber hochdynamisch und hochkomplex. Und je dynamischer und komplexer Märkte werden, desto mehr fährt uns interne Steuerung und Planwirtschaft an die Wand.
Wir haben gelernt, dass Planwirtschaft in Volkswirtschaften nicht funktioniert. Aber wir haben noch nicht eingesehen, dass das Gleiche auch für Unternehmen gilt. Wir kommen mit Plänen nicht voran, weil eben die Zukunft nicht vorhersehbar ist. Management ist also so etwas wie Sowjetwirtschaft für Unternehmen. Darin steckt der Gaube, dass man Organisationen mit Plänen und Vorgaben die Richtung vorgeben sollte. Man fixiert Ziele, bindet Anreize daran und man versucht, Mitarbeiter unter Kontrolle zu haben, damit sie diese Pläne und Ziele umsetzen. Verbunden mit einem ganzen Unterdrückungsapparat. Das ist im Herzen sowjetisch. Das ist Sowjetwirtschaft. Und wir nennen es Management.

In vielen Unternehmen läuft unter dem Stichwort Lean Management eine Einebnung der Strukturen. Manager haben immer weniger Führungsverantwortung, sondern sind in erster Linie Projektmanager, Organisatoren. Sind das die ersten Schritte hin zur Abschaffung des Managements?
Lean Management kommt ursprünglich von Toyota; es ist abgeleitet worden von dem, was Toyota schon seit 40, 50 Jahren praktiziert. Toyota ist ein Unternehmen, von dem ich sagen würde, da wird nicht gemanagt. Sondern wahrhaft geführt. Da gibt es natürlich so etwas wie Manager, aber die halten sich zurück in ihrer Managementrolle. Sie entmündigen nicht ihre Mitarbeiter. Sie gängeln nicht. Sie glauben nicht an Planwirtschaft. Die Pioniere des Toyota Way haben immer davor gewarnt, diese quasi-mönchische, systemische Haltung zu Instrumenten zu verdichten zu versuchen, sie zu verengen und damit letztendlich zu töten. Und genau in diese Falle sind die Adepten von Management-Tools gerannt – und das gilt auch für die Vertreter von Lean Management. Lean ist nicht der Abschied von Management, der nötig ist. Wir brauchen etwas viel Radikaleres als die Lean-Toolbox. Wir brauchen eine Organisationsform, in der jeder Mitarbeiter selbst seine eigene Arbeit denkt, steuert und verbessert. Nicht alleine für sich, sondern in Teams. Nicht für sich, sondern auf Kunden und Märkte hin. Das ist eben nicht irgendein Management-Tool, sondern es ist eine völlig andere Art von Organisationsstruktur: eine Zellstruktur mit hochgradig empowerten Teams.

Zur Abschaffung von Management, reicht da der sanfte Zwang, der dadurch entsteht, dass flache Organisationen effektiver und produktiver sind? Oder braucht es so was wie eine kleine Revolution in den Unternehmen?
Ich glaube nicht, dass sanfter Zwang eine Veränderungsmethodik ist, die das bewirken kann. Wir alle sind Träger von mentalen Modellen, die uns das Überleben in einer komplexen Umwelt überhaupt ermöglichen. Und wir haben gelernt, Probleme auf eine bestimmte Art und Weise zu lösen und in Organisationen auf eine bestimmte Art und Weise zusammenzuarbeiten. Wenn wir das jetzt ändern wollen, dann ist das eine Frage von Lernen. Wir müssen lernen, dass das mentale Modell „Management“ uns nicht weiterhilft, dass wir unser Denken verändern müssen. Wir müssen entlernen und neu lernen. Wir müssen akzeptieren, dass Management aufgehört hat zu funktionieren. Es hat versagt. Und wir müssen das ändern. Im Ergebnis wird das auf eine Revolution von Führung hinauslaufen, das ist schon richtig. Aber in jedem von uns Einzelnen ist das keine Revolution, sondern ein kleiner Schritt: ein Neudenken, ein Andersdenken. Aufhören an Budgetplanung zu glauben, an Mitarbeiterbeurteilung, an Planwirtschaft in Unternehmen. Aufhören zu glauben, dass Hierarchie und bürokratische Weisung und Kontrolle Probleme lösen. Wir müssen einen anderen Weg suchen.

Wie lange geben Sie den planwirtschaftlich sowjetischen Strukturen in Unternehmen noch?
Dieser alternative Weg, den Unternehmen gehen müssen, um in der Zukunft erfolgreich zu sein, nenne ich den Beta-Kodex. Die meisten Unternehmen folgen heute dem Alpha-Kodex des Managements von vor 100 Jahren; der hat uns hierher gebracht, mit allen Problemen, die Unternehmen heute haben. Doch es steht ein Generationswechsel bevor. Es obliegt der Macht der Märkte, wie lange sich einzelne, dem Dogma des Managements folgende Unternehmen noch werden halten können. Die Realität ist, dass die Märkte dem Management, wie wir es heute kennen, ein Ende setzen werden. Es steht die Frage im Raum: Wenn wir wissen, dass Management nicht funktioniert, warum ändern wir es nicht? Es ist schwierig, das zu denken. Aber es gibt diesen neuen Kodex, es gibt diese Ausnahmeunternehmen, und die werden zur Regel. Und wir müssen etwas dafür tun, damit die zur Regel werden und es gelingt, arbeitswerte, für Gesellschaften und Märkte wertschöpfende Organisationen zu schaffen. Dazu müssen wir alle etwas tun. Es ist eine Entscheidung jedes Einzelnen von uns, das anzunehmen und etwas zu verändern.

Wie sehen die Unternehmen der Zukunft aus?
Ein Beta-Kodex-Unternehmen fühlt sich mehr wie ein Netzwerk an, nicht wie eine Pyramide. Es hat kaum noch Hierarchie beziehungsweise Hierarchie wird hier trivial und spielt kaum noch eine Rolle. Es hat keine Abteilungen, die nach oben zum Chef hin leisten. Sondern eine Zellstruktur, wo die einzelnen Zellen für eine ganz andere Instanz ihre Leistung erbringen: für „draußen“, also für andere Zellen in der Peripherie der Organisation oder unmittelbar für Markt und Kunden. Das ist eine große Veränderung in der Haltung, im Denken, in den Prozessen, in der Organisationsstruktur, im Kommunikationsverhalten, im Führungsdialog. Ich habe aber auch gelernt, Abkehr von Management heißt nicht, etwas grundsätzlich Neues zu erfinden. Es hat immer diese Alternative zum Management gegeben. Wir brauchen nicht weit zu schauen, um zu sehen, dass Management eigentlich etwas sehr Fremdartiges, Unnatürliches und Unmenschliches es ist. Die Alternative gibt es schon. Wir brauchen uns nur dieses Denkens zu bedienen. Wir müssen zulassen, dass in unseren Organisationen eine Welt entsteht, wie wir sie auch in unserer Gesellschaft, in unseren Familien wertschätzen. Und wie wir sie schon aus Unternehmen kennen, die bereits nach diesem Kodex führen.


Zitate


"Hinter Management steckt der Glaube, dass die Zukunft planbar, steuerbar, vorhersehbar sei. In Wirklichkeit aber sind Märkte aber hochdynamisch und hochkomplex. Und je dynamischer und komplexer Märkte werden, desto mehr fährt uns interne Steuerung und Planwirtschaft an die Wand." Niels Pfläging im Interview

"Management ist so etwas wie Sowjetwirtschaft für Unternehmen." Niels Pfläging im Interview

"Menschen sind nicht faul und dumm. Sie müssen nicht gezwungen werden. Aber dieses tief sitzende Vorurteil über Menschen hält Management am Leben." Niels Pfläging im Interview

"Am Management muss sich alles ändern. Wir brauchen in Organisationen aller Art etwas ganz anderes als das, was wir heute als Management bezeichnen." Niels Pfläging im Interview

 

changeX 25.11.2009. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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