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Beweg dich, aber komplex!

Warum man Körper und Geist gleichermaßen trainieren sollte - ein Gespräch mit Tino Stöckel
Interview: Winfried Kretschmer

Gebrechlichkeit, Altersschwäche oder Hinfälligkeit galt bislang als normale, natürliche und unaufhaltbare Alterserscheinung. Und wurde vor allem als körperliche Schwäche gesehen. Neuere Forschungen zeigen jedoch: Die Zusammenhänge sind komplexer. Vor allem sind kognitive Faktoren weit stärker beteiligt als gedacht. Ein junges Forscherteam rückt nun eine Fähigkeit in den Blickpunkt, deren Ausbildung bei Kindern untersucht worden ist, nicht aber deren Abnahme im Alter: die motorische Planungsfähigkeit. Also die Fähigkeit, Bewegungsabläufe vorauszuplanen. Diese Forschungsergebnisse zeigen: Kognitive und motorische Prozesse bedingen sich gegenseitig. Und beide lassen sich trainieren. Das freilich erfordert ausreichend komplexe Bewegungsformen, die Körper und Geist gleichermaßen fordern. In der Konsequenz heißt das: Die traditionelle descartessche Trennung von Körper und Geist ist falsch. Beide sind nicht zu trennen - sie bilden einen Gesamtkomplex.

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Tino Stöckel (Dr.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sportwissenschaften an der Universität Rostock.
 

Herr Stöckel, sagen Sie uns bitte, was genau haben Sie untersucht? 

Wir wollten herausfinden, ob im Alter die motorische Planungsfähigkeit nachlässt …
 

… motorische Planungsfähigkeit heißt? 

Das vorausschauende Abstimmen der Motorik, das es ermöglicht, sich zum Beispiel beim Laufen oder Greifen zielgerichtet zu bewegen. In Vorstudien hatten wir herausgefunden, dass sich diese Fähigkeit im frühen Kindesalter ausbildet, aber erst im Alter von neun Jahren vollständig entwickelt ist. Und wir hatten herausgefunden, dass das irgendwie mit der kognitiven Entwicklung zusammenhängt, also der Integration von Denkprozessen im Gehirn. Weil wir auch wissen, dass ab einem Alter von 60 bis 70 Jahren die kognitiven Prozesse langsam nachlassen, lag es nahe, dass bei älteren Menschen auch diese Planungsfähigkeit wieder zurückgeht.
 

Und, geht sie zurück? 

Das konnten wir bestätigen: Wir konnten zeigen, dass die Planungsfähigkeit ab 70 drastisch sinkt und wieder auf ein Niveau von etwa siebenjährigen Kindern zurückfällt.
 

Sie schreiben, dass darüber bislang wenig bekannt war. Man wusste, wie es sich bei Kindern entwickelt, aber über die alten Menschen war nichts bekannt? 

Man weiß, dass die Motorik im höheren Alter nachlässt, man weiß auch, dass die kognitiven Fähigkeiten nachlassen, aber die motorische Planungsfähigkeit hatte man in dieser Altersgruppe bislang nicht untersucht. Das ist aber eine Schlüsselfunktion, die für fast jede Alltagstätigkeit von Bedeutung ist.
 

Warum hat man das nicht gesehen? 

Das hat wohl mehrere Gründe. Zum einen ist die Alternsforschung im Allgemeinen erst in den letzten Jahren stärker in den Blickpunkt gerückt und damit alle Bedingungsfaktoren, die uns ein längeres unabhängiges Leben ermöglichen. Zum anderen ist es so, dass die Forschung erst in den letzten Jahren die hohe Bedeutung der motorischen Planungsfähigkeit als Bindeglied zwischen kognitiven und motorischen Prozessen erkannt hat. Es gab schon länger Befunde, die darauf hindeuteten, dass Motorik und Kognition sich gegenseitig bedingen. Mittlerweile können wir aber relativ spezifische Beziehungen zwischen beiden Bereichen darstellen - und dabei nimmt stets die motorische Planungsfähigkeit eine zentrale Rolle ein.
 

Sie haben gesagt, motorische Planungsfähigkeit ist eine Schlüsselfunktion, eine grundlegende Fähigkeit, die im Alltag ständig gefragt ist, um Bewegungen planen und umsetzen zu können? 

Genau. Sie kommt überall zum Einsatz, wo ich nicht nur reagiere, sondern zielgerichtet handle: beim Gehen, beim Greifen, beim Treppensteigen, beim Autofahren, beim Kochen - also eigentlich bei allen Tätigkeiten. Deswegen ist diese Fähigkeit so wichtig.
 

Haben Sie Erkenntnisse, ob man dem Verfall der Planungsfähigkeit vorbeugen kann? 

Zunächst konnten wir erst einmal zeigen, dass es diesen Rückgang der motorischen Planungsfähigkeit tatsächlich wie erwartet gibt. In einer Folgestudie, die soeben publiziert worden ist, konnten wir dann zeigen, dass dieser Rückgang der Planungsfähigkeit tatsächlich mit kognitiven Prozessen zusammenhängt. Die nächste Frage war, ob es wirklich kognitive Prozesse sind, die darüber entscheiden, ob wir in der Lage sind, vorausschauend zu planen, und die somit auch dem "Verfall" zugrunde liegen. Daran erst schließt sich die Frage nach einem Training an.
 

Lässt sie sich zumindest vorläufig beantworten? 

Da wir aus der Folgestudie wissen, dass kognitive Prozesse einen hohen Anteil am Rückgang der Planungsfähigkeit haben, wissen wir auch, dass diese trainierbar ist. Denn wir wissen, dass kognitive Prozesse trainierbar sind. Ob man sie im Alter groß verbessern kann, ist eine andere Frage. Aber zumindest kann man sie erhalten, wenn man sie frühzeitig trainiert.
 

… verbessern wäre vielleicht auch etwas ambitioniert. Aber sie erhalten oder den Rückgang verlangsamen, das wäre schon mal was. 

Genau. Das sollte zumindest nach den neueren Erkenntnissen möglich sein, weil wir wissen, dass der Rückgang stark durch kognitive Prozesse bedingt ist, und deren Verfall lässt sich auf jeden Fall aufhalten. Ich kann die Verarbeitungsgeschwindigkeit, also wie schnell ich etwas wahrnehme und eine Handlung in die Tat umsetze, trainieren; ich kann das Arbeitsgedächtnis trainieren, ich kann Planungsprozesse und Entscheidungsprozesse ganz gut trainieren. Das gilt dann auch für die motorische Planungsfähigkeit.
 

Also ist der Ansatz weniger ein motorisches, also ein körperliches Training, sondern eher ein Training der kognitiven Fähigkeiten? Oder hängt das miteinander zusammen und man trainiert die kognitiven Fähigkeiten mit, wenn man komplexere Bewegungsabläufe vollführt? 

Wenn ich ein motorisches Training durchführe, trainiere ich auch die kognitiven Fähigkeiten, das ist bekannt. Kognitive und motorische Prozesse bedingen sich gegenseitig. Was dabei aber was bedingt, da ist die Forschung noch nicht ganz so weit. Aber es sieht so aus, als ob es in beide Richtungen geht. Kognitive Prozesse kann man sowohl über rein kognitives Training trainieren als auch in einer komplexeren Form über motorisches Training.
 

Ich kann mich noch an einen Zeitungsbericht über Training im Alter entsinnen, vor ein, zwei Jahren war das. Das war wohl der letzte Schrei: Da standen sauteure Edelstahlgeräte in einem Park, wo sich die alten Leute wie im Fitnessstudio reinstellten, um von dem Gerät vordefinierte Bewegungen auszuführen. Gemessen an Ihren Ergebnissen wäre das eigentlich die falsche Methode, oder? 

Dazu kann man noch wenig sagen. Man weiß: Egal, was ich motorisch mache, kognitiv passiert irgendwas. Ich kann auch einfach nur laufen, und es passiert was. Je komplexer die motorische Fertigkeit, die ausgeübt wird, und je mehr kognitive Prozesse involviert sind, umso besser ist es natürlich für den Erhalt der Planungsfähigkeit. Von daher würde ich die Frage so beantworten: Jein - "falsch" kann es nie sein, wenn man sich aufrafft und trainiert. Aber ein solches Training wäre sicherlich im Hinblick auf den Erhalt komplexer motorischer Prozesse nicht so produktiv. Dann ist wahrscheinlich die Alterssportgruppe mit sozialem Charakter noch besser, da hier körperliche Aktivität und zwischenmenschliche Interaktionen koordiniert werden müssen.
 

Was wären, soweit die Erkenntnisse bisher reichen, gute Trainingsformen, um auch diese kognitiven Fähigkeiten zu trainieren? Was würden Sie empfehlen? 

Alles, was Spaß macht und zudem Geist und Körper beansprucht. In Australien spielen ältere Leute beispielsweise gern Pétange beziehungsweise Boule. Da sind Denkprozesse mit involviert, und gleichzeitig wird die Motorik aktiviert; man muss also eine kognitive Leistung erbringen, um die Motorik überhaupt erst in Gang zu setzen, und man muss die Bewegungen in Gedanken vorplanen, um erfolgreich zu sein. So werden auch die kognitiven Prozesse trainiert. Und der soziale Charakter kommt auch nicht zu kurz. Für die motorische Planungsfähigkeit an sich können wir noch keine klaren Empfehlungen geben, dafür sind noch weitere Studien erforderlich. Aber natürlich ist vieles übertragbar.
 

Versuchen wir das mal. Im Fitnessbereich war es lange Zeit Standard, an Geräten zu trainieren, die eine klar definierte Bewegung vorgeben - und damit also genau diese Fähigkeit, eine Bewegung vorausplanen zu können, nicht ansprechen. Heute geht der Trend eher in Richtung Bodyweight-Training, wo man mit dem eigenen Körpergewicht arbeitet, was dann auch komplexere Bewegungsabläufe beinhaltet. Ist das aus Ihrer Sicht der bessere Weg? 

Ja, zumindest wenn ich das Ziel habe, ganzheitlich zu trainieren - also Kopf und Körper. Wenn ich in der Bewegung Kreativität und Variabilität zulasse, dann sind auch mehr Denkprozesse involviert, um die Bewegungen zu steuern. Aber es gilt natürlich wieder: Lieber Bewegung an einem Gerät als gar keine Bewegung! Das ist die oberste Regel.
 

Das ist jetzt vom Minimalprogramm her gedacht. Das Optimalprogramm aber wäre wahrscheinlich ein komplexes Programm mit sehr vielfältigen Tätigkeiten? 

Genau, komplex! Es müsste etwas sein, das viele motorische und kognitive Bereiche beansprucht und zudem hohe Anforderungen stellt. Wenn wir kognitive Fertigkeiten trainieren wollen, muss uns die Aufgabe immer wieder fordern. Wenn sie uns unterfordert, wenn also nicht so viele Anforderungen an die Denkprozesse involviert sind, trainieren wir eben nicht die kognitive Leistungsfähigkeit. Bei Trainingsformen, wo viele Aufgaben sehr komplex miteinander verwoben sind, sind definitiv viele kognitive Prozesse involviert.
 

Hierin liegt eine Parallele zum Flow-Zustand: Eine Voraussetzung für Flow ist ja, dass die Aufgabe fordernd ist, die Latte also nicht zu niedrig liegt. 

Genau. Die Aufgabe muss mich immer wieder beanspruchen und fordern. Sie soll auch nicht zu schwer sein, aber lieber etwas zu schwer als zu leicht. Aber das ist nicht so einfach zu erreichen, weil viele Menschen sich in der Haltung ausruhen: "Das ist mir zu schwer, ich wähle lieber eine einfachere Aufgabe." Da muss man klar sagen: Es bringt nur dann etwas, wenn man sich selbst immer wieder fordert. Das kennt man aber aus anderen Lebensbereichen auch.
 

Da haben Sie recht. Traditionell trennen wir im Westen zwischen Körper und Geist und demzufolge auch zwischen körperlichen und geistigen Aktivitäten. Nachdem, was Sie sagen, wäre die Trennung erst mal eine sehr künstliche und zweitens auch falsch. 

Ja. Das würde ich theoretisch und praktisch bejahen. Es ist eine sehr traditionelle Sichtweise, diese zwei Systeme getrennt zu sehen: Geist und Körper. Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft zeigen, dass sie gar nicht zu trennen sind. Selbst die Verarbeitung der Signale im Gehirn findet in den gleichen beziehungsweise überlappenden Arealen statt.  

Die Frage ist halt immer: Was bedingt was? Aber wir wissen: Geist und Körper bedingen sich. Ich kann weder die Motorik ohne die Kognition, ohne die Denkprozesse ausführen noch umgekehrt. Man kann Körper und Geist nur zusammen sehen, als Gesamtkomplex.
 

Welche Erkenntnisse gibt es zu den Rückwirkungen von Bewegung oder sportlicher Betätigung auf das Gehirn? 

Wir wissen heute, dass motorisches Training Strukturen im Gehirn verändern kann. In den letzten zehn Jahren konnten erste Studien nachweisen, dass motorisches Training einen strukturellen Umbau im Gehirn bewirken kann. Vorher dachte man, dass sich an einem erwachsenen Gehirn gar nichts mehr verändern kann - dass trainingsbedingte Veränderungen im Gehirn nur funktioneller, nicht aber anatomischer Natur sind. Das haben diese Studien widerlegt.
 

Interessant ist, dass solche Erkenntnisse erst recht jungen Datums sind. 

Ja, das sind superjunge Ergebnisse. Deswegen setzt sich jetzt erst die Auffassung durch, dass sich kognitive Fähigkeiten erhalten und vielleicht sogar ein bisschen verbessern lassen. Entgegen der traditionellen Lehrmeinung, dass sich die Nervenzellen im Gehirn weder nachbilden noch umbauen oder trainieren lassen, ist heute klar, dass die sogenannte Plastizität unseres Gehirns viel Potenzial bietet, durch Training Verbesserungen zu erreichen.
 

Welches Training bewirkt was? Weiß man darüber schon etwas? 

Da steht die Wissenschaft noch relativ am Anfang. Was man weiß: Ausdauerorientierte Sportarten mit eher grobmotorischen Bewegungen haben einen Effekt auf die Verarbeitungsgeschwindigkeit; eher komplexe, feinmotorische Sportarten, wo es auf die Präzision ankommt, haben einen Effekt auf das Arbeitsgedächtnis, auf die kognitive Flexibilität und die Planungsfähigkeit.
 

Was heißt das für die Praxis? Vermutlich bringt es recht wenig, wenn man ein einfach gestricktes Sportprogramm abspult und zum Beispiel auf Asphalt eine Runde um den Block läuft. Man kann natürlich so schnell laufen, dass einen das Training körperlich fordert, aber von der kognitiven Seite her ist das wohl eher anspruchslos. 

Es stellt zumindest einen geringeren Anspruch an die kognitiven Ressourcen. Aber es gibt Erkenntnisse aus den letzten Jahren, dass auch relativ einfache Ausdauersportarten trotzdem einen Effekt haben. Sie haben nur einen anderen Effekt als komplexe Aufgaben, sind aber deswegen nicht schlecht. Laufen spricht eher die Signalweiterverarbeitung an und bewirkt eine Erhöhung der Verarbeitungsgeschwindigkeit. Das ist schon mal nicht schlecht. Aber ich würde empfehlen: kombinieren! Also zum Laufen etwas Komplexes hinzunehmen und so unterschiedliche neuronale Strukturen im Gehirn ansprechen. Idealerweise sollte man Lauftraining und ein komplexes Fertigkeitstraining miteinander kombinieren.
 

Was ich sehr gerne mache, ist Trailrunning, also Laufen im Gelände. Das ist von der Koordination her eine sehr anspruchsvolle Sache, weil jeder Schritt exakt gesetzt werden muss, wenn man über Wurzeln oder Steine läuft. Das wäre also etwas, das besonders die motorische Planungsfähigkeit trainiert? 

Absolut. Man muss jeden Schritt wohl dosieren, muss den Fuß an die richtige Stelle setzen und so weiter. Da muss ich wirklich gut vorplanen können. Das ist eine Paradeaufgabe für das Training der motorischen Planungsfähigkeit - zumindest, wenn der Schwierigkeitsgrad entsprechend gewählt wird. Ich kenne einen ähnlichen Effekt, wenn ich in der Dämmerung laufen gehe und vom Hellen ins Dunkle komme. Auch so etwas stellt eine neue Anforderung und verlangt Konzentration.
 

Wäre es auch eine gute Empfehlung, nicht immer nur dasselbe zu tun, sondern zu variieren, was man tut und wie man es tut? Wäre Vielfalt die Devise? Also unterschiedliche Tätigkeiten und unterschiedliche sportliche Programme zu wählen? 

Genau. Vielfalt, Komplexität. Vielfalt erfordert letztlich auch persönliche Komplexität, um nicht in den gleichen Trott zu verfallen. Es gilt, sich immer wieder neue, komplexe, anspruchsvolle Aufgaben zu stellen, die einen immer wieder fordern und verlangen, neu nachzudenken. Statt sich auszuruhen und zu sagen: "Kenn ich, kann ich so machen, wie ich es immer mache."
 

Man könnte jetzt natürlich einwenden: Hoppla, da hält in der Freizeit der Leistungsgedanke Einzug? Statt zu entspannen, muss man nun auch hier planen, steuern und Leistung bringen. Was würden Sie erwidern? 

Nun ja, ein gewisser Leistungsgedanke steckt schon drin. Die Frage ist, wie man Leistung definiert. Ich bin auch Sportpsychologe. Leistung würde ich sicherlich nicht wie bei meinen Leistungssportlern definieren, wo es um ein Ergebnis, eine Platzierung geht. Aber der Erhalt der Fähigkeiten ist auch eine Leistung. Man will für sich etwas erreichen. Auch hier geht es um ein Ziel. Ohne Ziel kann ich mir keine anspruchsvollen Aufgaben wählen. Der Leistungsgedanke ist, dass ich mich an meinem eigenen Ziel messe.  

Aber wenn jemand lieber in seine Alterssportgruppe geht, um seine sozialen Kontakte zu pflegen, dann ist das für ihn sicherlich auch nicht schlecht. Hauptsache, er macht was! Das ist dieser Minimalgedanke. Den darf man nicht vergessen.
 

Lässt sich sagen, ab wann ein solches Training der Planungsfähigkeit spätestens beginnen sollte? Oder ist es eine Grundbedingung für ein gesundes Leben, dass man ständig, egal in welchem Alter, diese Fähigkeiten mittrainiert? 

Grundsätzlich ist körperliche Aktivität ein gesundheitlicher Schutzfaktor; sie hilft uns, gesund zu altern. Dafür ist eine gewisse Anzahl von Stunden körperlicher Aktivität pro Woche erforderlich, ein Leben lang. Die WHO empfiehlt, mindestens 30 Minuten am Tag Sport zu treiben.  

Definitiv etwas machen muss man dann, wenn die kognitiven und motorischen Prozesse nachlassen. Spätestens ab 40 stagniert die Leistungsfähigkeit, danach wird sie sich nicht mehr verbessern, und gerade die motorischen Fähigkeiten gehen langsam zurück. Wenn dann nach 60, meistens nach dem Ruhestand, auch die kognitiven Prozesse langsam zurückgehen, spätestens dann muss ein Training einsetzen, ansonsten baut man extrem ab. Das wieder vom Minimum her gedacht.
 

Ihr Fazit? 

Was generell für Sport gilt, gilt auch für ein Training der motorischen Planungsfähigkeit: Man sollte immer etwas dafür tun. Ein gewisses Programm könnte sein: Während man im Berufsleben steht, wird man kognitiv gefordert, sollte aber insbesondere die motorische Seite fördern. Wenn man aus dem Berufsleben ausscheidet, muss man umso mehr die kognitive Komponente kompensieren, die nun nicht mehr durch das Berufsleben gefordert wird.
 

Vielen Dank für die Einblicke! Das klingt, als wären hier noch spannende Ergebnisse zu erwarten. 

Absolut, das denke ich auch. Die Forschung steht hier noch am Anfang - aber bereits diese ersten Erkenntnisse zeigen uns, dass wir es in gewissem Maße selbst in der Hand haben, ein langes, unabhängiges und gesundes Leben zu leben.
 


Das Interview haben wir telefonisch geführt.
 


Zitate


"Körperliche Aktivität ist ein gesundheitlicher Schutzfaktor; sie hilft uns, gesund zu altern." Tino Stöckel: Beweg dich, aber komplex!

"Wenn ich ein motorisches Training durchführe, trainiere ich auch die kognitiven Fähigkeiten." Tino Stöckel: Beweg dich, aber komplex!

"Kognitive und motorische Prozesse bedingen sich gegenseitig." Tino Stöckel: Beweg dich, aber komplex!

"Kognitive Prozesse kann man sowohl über rein kognitives Training trainieren als auch in einer komplexeren Form über motorisches Training." Tino Stöckel: Beweg dich, aber komplex!

"Egal, was ich motorisch mache, kognitiv passiert irgendwas." Tino Stöckel: Beweg dich, aber komplex!

"Bei Trainingsformen, wo viele Aufgaben sehr komplex miteinander verwoben sind, sind definitiv viele kognitive Prozesse involviert." Tino Stöckel: Beweg dich, aber komplex!

"Ich würde empfehlen: kombinieren!" Tino Stöckel: Beweg dich, aber komplex!

"Es ist eine sehr traditionelle Sichtweise, diese zwei Systeme getrennt zu sehen: Geist und Körper. Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft zeigen, dass sie gar nicht zu trennen sind." Tino Stöckel: Beweg dich, aber komplex!

"Geist und Körper bedingen sich. Ich kann weder die Motorik ohne die Kognition, ohne die Denkprozesse ausführen noch umgekehrt. Man kann Körper und Geist nur zusammen sehen, als Gesamtkomplex." Tino Stöckel: Beweg dich, aber komplex!

"Entgegen der traditionellen Lehrmeinung, dass sich die Nervenzellen im Gehirn weder nachbilden noch umbauen oder trainieren lassen, ist heute klar, dass die sogenannte Plastizität unseres Gehirns viel Potenzial bietet, durch Training Verbesserungen zu erreichen." Tino Stöckel: Beweg dich, aber komplex!

"Es gilt, sich immer wieder neue, komplexe, anspruchsvolle Aufgaben zu stellen, die einen immer wieder fordern und verlangen, neu nachzudenken." Tino Stöckel: Beweg dich, aber komplex!

 

changeX 27.10.2017. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Quellenangaben

Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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