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Konkurrenz ist ausgereizt

Über die Kunst des kooperativen Handelns - ein Gespräch mit Claas Triebel
Interview: Heike Littger

Konkurrenz ist ausgereizt, das alte Paradigma funktioniert nicht mehr. Auf Kooperation als neuen Leitgedanken zu setzen ist nicht naiv, sagt ein Autor. Denn die Welt war noch nie so kooperativ wie heute. Und die Menschen sind kooperativer als die Strukturen, in denen sie leben.

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Die Grenzen der Konfrontation sind erreicht, die Konkurrenz ist ausgereizt. Sagt Claas Triebel. Und propagiert Kooperation als neuen Leitgedanken.
Claas Triebel ist promovierter Psychologe. Er ist wissenschaftlicher Berater in der Wirtschaft und in öffentlich geförderten Forschungsprojekten, dazu Lehrbeauftragter an mehreren Hochschulen. Zusammen mit Tobias Hürter hat er das Buch Die Kunst des kooperativen Handelns geschrieben.
 

Herr Triebel, blicken wir in die Welt: Die Briten wollen raus aus der EU. Die Franzosen befinden sich im Krieg. Der ägyptische Präsident Mohammed Mursi, gerade mal sieben Monate im Amt, verhängt Ausgangssperre. Und der Klimagipfel in Doha hat wieder nicht viel gebracht. Lässt Sie das nicht zweifeln an Ihrer These: "Konfrontation und Konkurrenz sind ausgereizt, wir kehren zurück in ein Zeitalter der Kooperation."  

Nein. Eurokrise, EU-Krise, Finanzkrise, Währungskrise, Bankenkrise, Griechenland-Krise, Klimakrise - das Paradigma der Kooperation ist nicht nur für mich die zentrale Idee, um eine adäquate Lösung für die brennenden Probleme der Gegenwart zu finden. Natürlich funktioniert Kooperation nicht von selbst und widerspricht als Leitidee unserem hergebrachten Denken diametral. Wir sprechen immer noch gerne von Märkten, auf denen Anbieter um die Nachfrager konkurrieren. Nur der Sieg zählt, heißt die Devise. Unternehmen und Staaten können nur überleben, indem sie ihre Konkurrenten töten, zerstören, besiegen und beherrschen ...
 

... diese Überzeugungen sitzen ziemlich tief.  

Konkurrenz ist unbestritten eine wichtige Kraft in Natur und Zivilisation. Sie hat uns Frieden, Freiheit und Wohlstand beschert. Ohne Marktwirtschaft hätten wir alle keine Autos, zumindest nicht so schöne, und keine Telefone, zumindest keine tragbaren. Wettbewerb gebiert Kreativität und Innovation. Doch was, wenn irgendwann jeder ein iPhone mit Retina-Display hat? Apple und seine Konkurrenten vollbringen Meisterleistungen in Technologie und Marketing, doch dahinter steckt für mich mittlerweile nur noch pure Verzweiflung. Die Marktmaschine ist nur noch mit immensem Aufwand am Laufen zu halten.
 

Die Anleger scheinen das auch so zu sehen: Trotz eines neuerlichen Rekordergebnisses brach die Aktie des US-Elektronikkonzerns um mehr als zehn Prozent ein. Damit verpufften auf einen Schlag 38 Milliarden Euro an Börsenwert ... 

... das ist so viel, wie die Deutsche Telekom derzeit insgesamt auf die Waage bringt. Die Grenzen der Konfrontation sind erreicht, die Konkurrenz ist ausgereizt.
 

Was verstehen Sie unter Kooperation genau?  

Kooperation bedeutet, dass zwei oder mehr Menschen sich in einer Beziehung befinden, die ihnen hilft, ihre Ziele und Pläne zu verwirklichen. Dazu kommt: Jeder Kooperationspartner spielt eine wesentliche Rolle. Die Ziele und Pläne der Einzelnen können, müssen aber nicht miteinander identisch sein - sie müssen lediglich untereinander verträglich sein. Kooperationsbeziehungen sind offen und wahrhaftig in Bezug auf das betreffende Projekt, und es herrschen Fairness und eine relative Symmetrie der Machtverhältnisse.
 

Ist der Mensch wirklich dazu bereit, aufzugehen in einer Gemeinschaft, zu verhandeln, Kompromisse einzugehen, von anderen zu lernen, die eigenen Sichtweisen zu überdenken und gegebenenfalls zu revidieren? In jeder x-beliebigen Polittalkshow sehe ich das Gegenteil.  

Menschen versuchen stets, sich gegenseitig unterzukriegen - dieser Gedanke ist Teil des intellektuellen Kanons unserer Kultur. Das hobbessche "homo homini lupus" ist einer der wenigen Sätze, die der Durchschnittsbürger rituell auf Latein zitieren kann. Auch Immanuel Kant sah die Menschen in einem Dauerzustand des Krieges um knappe Ressourcen. Da ist was dran - manchmal. Manchmal sind die Ressourcen knapp, manchmal kämpfen die Menschen um sie. Aber nicht immer sind die Ressourcen knapp - und wenn sie knapp sind, liegt es an den Menschen, sie als Freunde oder als Feinde unter sich zu verteilen. Der Mensch ist wirklich ein bisschen wie der Wolf, allerdings nicht so, wie Hobbes es sich dachte. Der Mensch, und darüber besteht mittlerweile Konsens, ist weder gut noch schlecht, weder faul noch fleißig, weder kooperativ noch konkurrenzorientiert. Er ist aber auch kein unbeschriebenes Blatt. Er trägt das Potenzial, zu kooperieren, faul zu sein, destruktiv zu sein und schöpferisch etwas zu vollbringen, in sich. Genau dieses Potenzial unterscheidet ihn vom Wolf, vom Löwen, vom Elch. Tiere sind ungleich besser als der Mensch darin, zu konkurrieren. Menschen sind ungleich besser als Tiere darin, zu kooperieren.
 

Sie zitieren in Ihrem Buch auch David Émile Durkheim ... 

... für den Franzosen ist der Mensch wie ein zweigeschossiges Gebäude, dieses Bild finde ich ganz gut. Auf der unteren, der profanen Ebene, geht es dem Individuum vor allem darum, seine individuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Auf der oberen, der heiligen Ebene, sieht er sich als Teil eines Ganzen und verschmilzt mit der Gemeinschaft. Diesen Phasenübergang konnten wir beim kollektiven Zorn auf dem Tahrir-Platz, beim Siegestaumel der letzten Fußballweltmeisterschaft oder bei Woodstock beobachten. Es ist ein Zustand, der Menschen so sehr anzieht, dass er süchtig machen kann - das Gegenteil von Selbstsucht.
 

Durkheim hielt es für die Tragödie der Moderne, dass die Menschen am liebsten auf der unteren Ebene verharren. Und wenn sie sich dann mal die Mühe machen, auf die obere Ebene zu klettern, kehren sie schnell wieder zurück. Ihre Beispiele belegen das.  

Die Haltbarkeit solch bedingungsloser Gemeinschaftlichkeit ist zeitlich begrenzt, das stimmt. Meinem Co-Autor Tobias Hürter und mir wird gerne vorgeworfen, dass wir naiv sind, wenn wir mehr Kooperation fordern - nicht nur national, sondern auch global. Den Vorwurf lassen wir uns gerne gefallen. Denn er kommt nur von Leuten, die keine dicken Bretter bohren wollen, sondern Bretter vor dem Kopf haben. Wir brauchen ein Paradigma, an das wir uns halten können. Sonst verlieren wir uns zwangsläufig im Klein-Klein des Alltäglichen und hangeln uns von einer Krisensitzung zur nächsten. Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass nur kooperative Ansätze in der Lage sind, globale Probleme adäquat in den Griff zu bekommen. Mehr globale Kooperation zu fordern mag naiv klingen. Die Vorstellung, die globalen Probleme wären auf konventionellem Wege in den kommenden Jahren durch ein Weiter-wie-bisher und durch die Orientierung an Sachzwängen zu lösen, ist jedoch mindestens genauso naiv - und gefährlich zugleich!
 

Mehr Kooperation zu fordern, wird aber leider nicht reichen. Richard Sennett hat ebenfalls erst vor Kurzem ein Buch dazu geschrieben. Auch er wünscht sich mehr Kooperation, wer tut das nicht! Doch der Trend geht für ihn eindeutig in die entgegengesetzte Richtung: immer mehr Einzelkämpfer oder kooperative Gruppen, die untereinander konkurrieren.  

Wir haben große Baustellen - und sie werden vorerst groß bleiben. Doch wir sollten nicht übersehen, dass die Welt noch nie so kooperativ war wie heute. Noch nie gab es so viele Demokratien wie heute. Noch nie so viel internationale Zusammenarbeit. Noch nie so viel Teilhabe in Arbeitsverhältnissen und in der Bildung.
Die meisten Utopien haben einen grundlegenden, systematischen und in seinen Folgen dramatischen Fehler: Sie gehen davon aus, dass der Mensch in irgendeiner Weise erst umerzogen werden muss, um die Welt positiv zu gestalten. Sie gehen von der Annahme aus, der Mensch sei für die guten Ideen noch nicht gut genug. Diese Annahme ist gefährlich. Den großen gescheiterten Utopien der vergangenen 100 Jahre liegt genau diese Vorstellung zugrunde: dass der Mensch schlecht ist und gebessert werden sollte. Oder zumindest: dass nur manche Menschen gut genug für die Zukunft sind.
Wenn wir die Kooperation als neuen Leitgedanken propagieren, ist das anders! Es gibt gute Argumente dafür, davon auszugehen, dass Menschen kooperativer sind als die Strukturen, in denen sie leben. Deshalb wollen wir nicht, dass sich Menschen ändern, sondern Strukturen. Strukturen in Bildung, in der Arbeitswelt, in der Wirtschaft und in der Politik sollen so geändert werden, dass sie es Menschen erlauben, kooperativ zu sein. Der Mensch soll nicht anders werden, er soll zu dem werden, der er ist.
 

Strukturen werden von Menschen gemacht. Sie brauchen also Vorreiter, Menschen die den Leitgedanken Kooperation bereits verinnerlicht haben und demonstrieren, dass sie mit Kooperation mehr erreichen als andere. Wo sehen Sie diese Vorreiter?  

Es gibt etliche Beispiele, die Beatles konnten es, die Wissenschaftler am CERN können es, die Entwickler von Linux können es ... aber es macht nicht wirklich Sinn, uns damit aufzuhalten. Strukturen werden von Menschen gemacht - natürlich -, und deswegen sind sie als Mutter, Vater, Unternehmerin, Wissenschaftler, Politikerin gefordert, sie zu ändern. Bei sich in der Familie, im Unternehmen, im Labor, im Ausschuss. Weil sie verstanden haben und darauf vertrauen können, dass Kinder, Mitarbeiter, Kollegen kooperieren wollen und dazu auch fähig sind. Dieses Grundverständnis ist dringend notwendig. Nehmen wir das Thema Bildung: Ich habe mit vielen Vertretern von Industrie- und Handelskammer oder Arbeitgebern aus der Industrie gesprochen. Sie alle achten immer weniger auf Abschlussnoten, weil die Absolventen ohnehin kaum etwas können, was sie unmittelbar für den Einsatz in der Arbeitswelt qualifiziert. Entscheidend für das berufliche Weiterkommen ist nicht das fachliche Wissen - weil es viel zu schnell veraltet -, sondern die Kompetenz, sich neues Wissen schnell anzueignen, und das funktioniert am besten durch Kommunikation und Kooperation. Teamfähig steht dann in Stellenbeschreibungen. Doch diese Fähigkeit wird weder an Schulen noch an Universitäten gefördert. Notengebung, Sitzenbleiben, Frontalunterricht, zentral gesteuerte Lehrpläne, ein Schultag, der in Fächer segmentiert ist, die nichts miteinander zu tun haben - alles Konventionen, die einzig und allein auf die Bedürfnisse der Lehrer nach einem störungsfreien Tagesablauf ausgerichtet sind. Und nicht daran, Schüler ihren Begabungen gemäß, gerecht, gesellschaftlich fair und auf künftige Anforderungen vorbereitend zu unterrichten.
 

In Ihrem Buch schreiben Sie: "Wir müssen fast alles anders machen, wenn wir an das Bildungssystem von morgen denken."  

Richtig - und zwar das meiste genau andersrum. Das gilt auch für Erziehung - allein der Begriff spiegelt uns vor, dass ein Teil einer Beziehung die genauen Regeln und Normen kennt, nach denen ein anderer Teil innerhalb dieser Beziehung handeln und denken soll. Werte und Normen kann man Kindern aber nicht einpauken. Man kann sie vorleben, man kann Grenzen setzen, dort nämlich, wo die eigene Integrität durch das Handeln anderer berührt wird. Man kann und muss Kindern auch einen Rahmen setzen, in dem sie handeln, konsumieren, kommunizieren. Aber wie dieser Rahmen aussieht und wo die eigenen Grenzen sind - das steht nirgends geschrieben. Das muss man selbst herausfinden - im Gespräch mit den Kindern - über Werte, Interessen, Ziele und Emotionen, in einer kooperativen Kommunikation also. Das gilt für Partner, Mitarbeiter, Kollegen natürlich gleichermaßen.
Noch einmal: Wir alle sind jetzt dran. Es genügt nicht, zufrieden zu nicken und zu denken: "Habe ich immer schon gesagt, Kooperation ist super", um dann weiterzumachen wie bisher. Egal, um was es geht - Erziehungskrise, Ehekrise, Bildungskrise, EU-Krise, Klimakrise: Wenn wir weiterkommen wollen, müssen wir die Kunst des kooperativen Handelns erlernen. Die eigenen Interessen und Werte darstellen, auf dieser Grundlage Ziele definieren und Verbündete finden, die sich in einer ähnlichen Situation befinden - und dann mit vereinten Kräften voran in eine bessere Zukunft.
 


Zitate


"Das Paradigma der Kooperation ist die zentrale Idee, um eine adäquate Lösung für die brennenden Probleme der Gegenwart zu finden." Claas Triebel: Konkurrenz ist ausgereizt

"Die Grenzen der Konfrontation sind erreicht, die Konkurrenz ist ausgereizt." Claas Triebel: Konkurrenz ist ausgereizt

"Wir sollten nicht übersehen, dass die Welt noch nie so kooperativ war wie heute." Claas Triebel: Konkurrenz ist ausgereizt

"Die Menschen sind kooperativer als die Strukturen, in denen sie leben." Claas Triebel: Konkurrenz ist ausgereizt

"Wenn wir weiterkommen wollen, müssen wir die Kunst des kooperativen Handelns erlernen." Claas Triebel: Konkurrenz ist ausgereizt

 

changeX 14.02.2013. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Die Kunst des kooperativen Handelns. Eine Agenda für die Welt von morgen. Orell Füssli Verlag, Zürich 2012, 224 Seiten, 16.95 Euro, ISBN 978-3-280-05470-3

Die Kunst des kooperativen Handelns

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Autorin

Heike Littger
Littger

Heike Littger ist selbständige Journalistin und wohnt in Mountain View, Kalifornien. Sie schreibt als freie Autorin für changeX.

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