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In der neuen Richtung denken

Der Xing-New-Work-Award und die Renaissance der Debatte um neue Arbeit - ein Report von Anja Dilk

Jahre regierte der Turbokapitalismus unangefochten. Das zarte Pflänzchen der New Economy, zertreten. Die Debatte um neue Arbeit und neue Werte, in die Nische zurückgedrängt. Doch heute drängt das Thema neue, andere, bessere Arbeit wieder mit Macht auf die Agenda. Endlich.

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Gisa flippt aus, wenn Ulf schon wieder die Reisekostenabrechnung zu spät abgegeben hat. Ulf ist genervt, wenn Josi schon wieder auf verständnisvoll macht. Josi kann nicht verstehen, dass Sven Fehler immer weit von sich schiebt. Und Yasik fühlt sich angegriffen, wenn er vor allen anderen vom Chef kritisiert wird. In seiner Kultur macht man so etwas nicht.  

Wenn Menschen miteinander arbeiten, prallen unterschiedliche Persönlichkeiten aufeinander. Allzu oft entstehen daraus Missverständnisse, Schieflagen, unterschwellige Konflikte und Spannungen, die den Arbeitsalltag belasten können. So ist es eben. Tatsächlich?  

Unsinn, sagten sich die Macher des Berliner Marketing-Start-ups 12Mnkys. Warum nutzen wir den ausgetüftelten Persönlichkeitstest, den wir für die Arbeit mit unseren Kunden auf Basis neuropsychologischer Erkenntnisse entwickelt haben, nicht auch intern? Um die Mentalität des Tischnachbarn besser verstehen und besser damit umgehen zu können. Um zu begreifen, wieso Kollege X sich manchmal in sich zurückzieht und aus dem Fenster schaut. Um zu erkennen, warum Y von seiner Pedanterie nicht lassen kann. Und wieso sein eigenes Verhalten Z zuweilen unverständlich ist. "Wissen, wie der andere tickt, macht die Zusammenarbeit im Team viel leichter", sagt 12Mnkys-Boss Armin Neische. In Stresssituationen geraten die unterschiedlichen Charaktere nicht so leicht aneinander, der Zusammenhalt wächst.  

Längst ist der Test eine Pflichtübung für alle Mitarbeiter. Visuell und unbewusst misst er auf Basis psychografischer Items das implizite Bewusstsein und gibt so zuverlässig Hinweise auf die Persönlichkeit. Allerdings: Der Schritt erfordert Mut. Offenheit wagen, bereit sein zum Seelenstrip. Doch ohne Mut wird es kaum gehen, wenn Unternehmen sich flottmachen für die Arbeitswelt von morgen.


Arbeiten morgen, übermorgen


Arbeiten morgen. Wie kann das aussehen? Worauf wird es ankommen? Wer bewegt sich bereits in die richtige Richtung? Und welche Unternehmen sind schon beim Übermorgen? Es waren Fragen wie diese, die Deutschlands wichtigstes berufliches Online-Netzwerk Xing bewogen haben müssen, sich gemeinsam mit den Medienpartnern Focus und Human Resources Manager auf die Spurensuche zu begeben. "Zukunftsorientierte Unternehmen, die heute schon die Herausforderungen von morgen angehen", wurden gesucht. "Neue Ideen und Konzepte mit dem Potenzial, die Arbeitswelt zu verändern. Innovative Projekte, die bereits in den Unternehmern verwirklicht wurden."  

Die Bewerber mussten Punkt für Punkt auf den Tisch legen, was sie in den Bereichen Diversität, Autonomie, Kooperation, Gemeinschaftssinn oder Demokratie zu bieten haben, was sie tatsächlich anders machen als andere. Konkret, handfest, innovativ. Denn auf Innovation in diesen Bereichen wird es künftig ankommen, schätzt die siebenköpfige Wettbewerbsjury. Dieses "Ideenlabor" aus Experten hatte Xing eigens für das Auswahlverfahren zusammengetrommelt. Renommierte Vordenker wie Jutta Allmendinger vom Wissenschaftszentrum Berlin, Netzexperte Peter Kruse oder Ex-Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger waren darin vertreten.


Human Resources statt Resourceful Humans


Der Schnee knirscht unter den Füßen der Besucher, die zum Museum für Kommunikation in Berlin Mitte eilen. Eisblau und violett schimmert der prachtvolle Lichthof, in dem die Reihen bereits dicht gefüllt sind. Vertreter der großen Wirtschaftstanker des Landes sind gekommen, um ihre Preise entgegenzunehmen. Audi, Airbus, Bayer, auch Mittelständler wie Bohlen & Doyen, Alnatura oder Jack Wolfskin und 36 andere Firmen wurden zum "Besten Arbeitgeber 2014" gewählt. Doch dass die Veranstaltung an diesem kalten Berliner Montag lange braucht, um in Fahrt zu kommen, liegt nicht nur an dem unscharfen Konzept, in dem sich Zuschauer und Moderator verlieren. An dem fehlenden Rahmenprogramm, das die Thematik jenseits von Dankesreden und PR-Vorträgen inhaltlich angemessen einordnen würde. Sondern spürbar auch an der Relevanz des Themas: Wirklich spannend sind nur selten die Etablierten, die den Ton angeben. Wirklich spannend sind die Neuen, die es anders machen. Und die Alten, die heute neu denken.  

21.30 Uhr. "New Work Award". Thomas Sattelberger, Jurymitglied und Ex-Topmanager bei Lufthansa, Continental und Telekom, erzählt von seinem Wandel "vom Saulus zum Paulus". Von den 1990er-Jahren, in denen er mit seinen Managerkollegen im Höhenrausch der Macht davongetragen wurde. Es klingt wie die Geschichte großer Jungs, die fasziniert Gott spielen. Heroische Führungskonzepte und Managementmodelle vollgestopft mit abstrakter Strategietheorie. Top-down-Denken, Projektmanagement und Reorganisationen ohne Unterlass. Das war das Mantra der Wirtschaft. Kaskadenartig schwoll der Strom der Vorgaben top-down an, trieb die imaginäre Peitsche das "Humankapital" zu neuen Höchstleistungen. Ihr Vorbild war General-Electric-Boss Jack Welsh, der kompromisslose Antreiber. Ihr Gefühl: bewusstlos zu sein von der Begeisterung über die eigene Kraft. "Das amerikanische Managementdenken galt als Innovation, Welsh war unser Held", so Sattelberger. "Dass ein nonstop drehender Motor irgendwann ausbrennt, kam mir als Mittvierziger überhaupt nicht in den Sinn." Doch als sich das Höher, Weiter, Schneller überschlug und die humanitären Kosten des entfesselten Kapitalismus sichtbar wurden, stieg er aus.  

Er erkannte beispielsweise, "dass die Welt kein Stück schlechter, aber deutlich beruhigter ist, wenn ich am Wochenende lediglich fünf statt der üblichen 100 E-Mails und SMS raushaue". Er wurde sich klar, dass Unternehmen dazu neigen, Unterschiede glattzubügeln, Lebensentwürfe zu streamlinen, Ja-Sager zu produzieren, in Menschen nur die Ressourcen zu sehen, eben "Human Resources", nicht aber auch "Resourceful Humans". Sicher ist: Wandel ist überfällig. Wohin die Reise in Zukunft geht, kann auch Sattelberger nicht voraussagen. Doch die Zeichen sind sichtbar: eine Wirtschaftswelt, in der Mitarbeiter zu "souveränen Unternehmensbürgern" mutieren. Nicht nur mitbestimmen dürfen über Arbeitsort, -zeit und -inhalt, sondern auch über ihre Führung. Ab an die Wahlurne zur Kür des Firmenchefs. In so einer Wirtschaftswelt sind gerade die "kreativen Ökosysteme", die "wendigen Segelboote" die wichtigsten Biotope der Innovation.


Biotope der Innovation


Zehn solcher möglichen Biotope hat die Xing-Jury aus allen Bewerbern ausgewählt. Danach entschied die Internet-Community. Mehr als 30.000 User gaben ihre Stimme ab. Nach dem Winner 12Mnkys überzeugte das team neusta. Es setzt auf intensive Formen der Kooperation, mit flexiblen Coworking Spaces und einer Kultur, Wissen zu teilen und gemeinsam zu lernen. Für Kreative in Denk- und Lernphasen gibt es sogar eine finanzielle Grundsicherung. Beim Drittplatzierten Dark Horse, einer Agentur für Innovationsentwicklung, stehen Gemeinschaft und Demokratie radikal im Vordergrund. 30 Freunde aus 25 verschiedenen Disziplinen arbeiten hierarchiefrei zusammen, im Zweifel entscheidet die Qualität eines Arguments (Holokratie); ein Fail Award macht Lust darauf, aus Fehlern zu lernen.  

Spannende Ansätze. Und doch eben nur Ansätze, Puzzlestücke im komplexen Wandlungsprozess zur neuen Arbeitswelt. "Rundherum fantastisch war kein Unternehmen", sagt die Hamburger Trendexpertin Birgit Gebhardt, die in der Jury saß, "aber einige wagten punktuell interessante Ideen." Nicht nur die Gewinner, auch andere. Wie die achtung! GmbH, die schon Mitarbeitern in der Probezeit ein ausgefeiltes Weiterbildungs- und Feedbackprogramm bietet, und sich damit als zukunftsfähiger Arbeitgeber für die Generation Y erweist. Denn der Nachwuchs aus dieser Generation ab 1984 hat nach Gebhardts Beobachtung viel höhere Ansprüche an persönliche Weiterentwicklung, will Freude an der Arbeit und erwartet häufige Rückmeldungen. Oder die Firma oose, ein Informatikunternehmen aus Hamburg, das Gemeinschaftssinn, Kooperation und Demokratie großschreibt. Sogar über die Unternehmensstrategie dürfen die Mitarbeiter mitentscheiden.  

Der Award verleiht solchen Ideen mehr Sichtbarkeit. Insofern hat Xing einer wichtigen Debatte zusätzlichen Schwung verliehen. Damit profiliert sich das Netzwerk selbst als Mitdenker der neuen Denkrichtung, als Forum für eine innovative, zukunftsfähige Arbeitswelt. Wenn auch bislang nur mit halber Kraft, denn es widmet sich den innovativen Unternehmen nur am Rande. In den letzten 30 Minuten einer Marathonpreisverleihung mit den etablierten Tankern der alten Arbeitswelt plus geladenen Repräsentanten. Aber die Xing-Initiative zeigt - ebenso wie die gleichermaßen durchwachsene neue Hauszeitschrift Spielraum -, dass das Thema neue Arbeit mit Macht in den Mainstream drängt.


Anfangen, in der neuen Richtung zu denken


Denn sicher ist: Unternehmen müssen sich auf die neue Generation von Mitarbeitern einstellen, um bestehen zu können. Für die Arbeitskräfte der Zukunft, die angesichts des demografischen Wandels immer wertvoller werden für die Wirtschaft, zählen neue Werte: Diese Mitarbeiter suchen Sinn in der Arbeit, wollen vielfältige Erfahrungen sammeln, wünschen sich ein konstruktives Miteinander mit offenem Feedback und flachen Hierarchien und verstehen, sich selbst zu vermarkten. Und das gilt nicht nur für die Generation Y - und die sich ankündigende Generation Z -, sondern auch für Angehörige der Vorgängergeneration X, die umzudenken begonnen haben. Sei es in verantwortlichen Positionen des Turbokapitalismus selbst, sei es im großen Feld der Mittvierziger, die kündigen und selbst neue Wege suchen.  

Blogger Gero Hesse, ebenfalls Jury-Mitglied beim Xing-New-Work-Award, beobachtet in seinem Umfeld solche Menschen, die erkennen, dass sich die Welt da draußen bottom-up radikal ändert. "Ich kenne in meiner Generation - also den X-lern - im Middle Management fast niemanden, der nicht anfängt, in der neuen Richtung zu denken", schreibt er in seinem Blog Saatkorn.com. "Es ist in diesem Kontext sehr interessant zu sehen, wie viele Mittvierziger sich selbständig machen und aus gut dotierten Positionen in Großkonzernen in eine finanziell unsicherere, oft auch deutlich schlechter bezahlte Selbständigkeit gehen. Oft als Coach mit dem Ziel, etwas Sinnvolles zu tun, nach den eigenen Maßstäben und nicht nach irgendwelchen schon lange nicht mehr zeitgemäßen Konzernregeln. Das sind allerdings nur die, bei denen es wirklich auffällt. Die Anzahl derer, die ihre Arbeit in Konzernen zwar noch machen, aber längst innerlich gekündigt haben und neben dem Gelderwerb im Job ihr eigenes Ding durchziehen und die wahre Sinnerfüllung im Hobby finden, ist vermutlich noch größer." 


Bewegung in der Arbeitswelt


Keine Frage, es kommt etwas in Bewegung in der Arbeitswelt. Anzeichen dafür gibt es reichlich: Zum Beispiel die Flut von Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt zum Thema neue Arbeit. Sie tragen symptomatische Titel wie Work-Life-Bullshit, Die Tyrannei der Arbeit, Cool down oder Work is not a job. Oder die aktuelle Debatte über die neuen Väter, die mit der Generation Y in die Unternehmen schwemmen und gänzlich andere Vorstellung von Karriere, Lebensalltag und Sinn mit sich tragen als viele ihrer Vorgänger. Wer den Wandel ignoriert, geht bei schrumpfenden Arbeitnehmerzahlen ein großes Risiko ein.  

Und eigentlich hat es ja auch ganz schön lange gedauert, bis die Ideen aus ihrer Nische herausgetreten sind. Neu sind sie schließlich weiß Gott nicht. Von anderem Arbeiten und neuen Werten handelte schon die Geschichte der New Economy, von einer nachdrängenden Generation mit gänzlich anderen Bedürfnissen und Erwartungen schrieben schon vor mehr als zehn Jahren treffsicher Vordenker wie die Schweizer Arbeitsweltexpertin Betty Zucker, zum Beispiel in ihrem Titel Denn sie wissen, was sie nicht tun (2000). Vieles hat schon damals changeX aufgegriffen, Themen, die sonst in der Presse bestenfalls peripher behandelt wurden. Crash und Turbokapitalismus haben die Debatte dann für Jahre in die Nische zurückgezwängt. Jetzt drängt sie umso mächtiger zurück auf die Agenda. Endlich. 

Fotos: Xing AG


Zitate


"Ohne Mut wird es kaum gehen, wenn Unternehmen sich flottmachen für die Arbeitswelt von morgen." Anja Dilk: In der neuen Richtung denken

"Unternehmen müssen sich auf die neue Generation von Mitarbeitern einstellen, um bestehen zu können." Anja Dilk: In der neuen Richtung denken

"Wer den Wandel ignoriert, geht bei schrumpfenden Arbeitnehmerzahlen ein großes Risiko ein." Anja Dilk: In der neuen Richtung denken

 

changeX 20.02.2014. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Autorin

Anja Dilk
Dilk

Anja Dilk ist Berliner Korrespondentin, Autorin und Redakteurin bei changeX.

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