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Zwiespältiges Gezwitscher

Wenn Unternehmen Social Media sinnvoll nutzen wollen, müssen sie sich öffnen. Und sich trauen.
Text: Simone Janson

Irgendwie täten sie schon wollen, nur trauen tun sie sich nicht so recht. Für deutsche Unternehmen ist Twitter noch weitgehend unbekanntes Gelände. Man hat Angst, Fehler zu machen, sich zu blamieren. Dabei können Unternehmen mit Social Media nur gewinnen: ein besseres Image, neue Kunden, die besten Mitarbeiter. Der Preis aber heißt: Sich öffnen.

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Eine Plattform zu sein, auf der Selbstdarsteller ihre Profilneurosen ausleben, indem sie über Banalitäten plaudern – diesen Ruf will Twitter vor allem in Deutschland nicht recht verlieren: So polemisierte Harald Martenstein, einer der bekanntesten Kritiker, etwa in seiner ZEIT-Kolumne über die Belanglosigkeit des Twitterns: „Wenn ich wollte, könnte ich ununterbrochen mithilfe moderner Maschinen kommunizieren und Menschen, die ich kaum kenne, inhaltsarme Minitexte senden.“ Der Tenor seiner Kritik: Was kann man in 140 Zeichen denn schon Sinnvolles von sich geben?
Etwa 50 Millionen Nutzer weltweit sind anderer Meinung – Tendenz steigend. Allein im vergangenen Jahr erzielte Twitter Zuwachsraten von 1.460 Prozent. Auch in Deutschland sind mittlerweile gut zwei Millionen Menschen vom Twitter-Virus befallen. Dabei ist die Idee dahinter simpel, aber genau darin liegt der Reiz: Mehr als 140 Zeichen je Textmeldung, die sogenannten Tweets, sind nicht erlaubt, um eine Information loszuwerden. Ebenfalls nur 140 Zeichen stehen für die persönliche Vorstellung, die sogenannte Bio, zur Verfügung. Das zwingt dazu, sich kurz und prägnant auf den Kern einer Aussage zu beschränken – vermutlich der Hauptgrund für den Erfolg des Microblogging-Tools Twitter, neben dem Social-Media-Ansatz natürlich: Indem Menschen anderen Menschen auf Twitter folgen – also altmodisch ausgedrückt, deren Tweets abonnieren – bilden sie untereinander vernetzte Schwärme Gleichgesinnter.
Die Bedeutung des Wortes Twitter, zu Deutsch zwitschern, unterstreicht zwar den informellen Charakter des Mediums, und in vielen Tweets geht es auch nach wie vor um private Dinge. Doch wer das Gezwitscher als Freizeit- und Modeerscheinung abtun will, der irrt: Microblogs sind gerade dabei, unser Kommunikationsverhalten entscheidend zu verändern. Und etablieren sich zunehmend als professionelles Kommunikationsmittel, das einen schnellen Austausch von Informationen und Links ermöglicht. Längst zwingt der Twitter-Hype Unternehmen, die da sein wollen, wo ihre Kunden und potenziellen Mitarbeiter sind, dazu, das Medium in ihre Marketing- und Kommunikationsstrategie zu integrieren. Nur: Viele wissen noch nicht so recht, wie. Also wollen sie irgendwie in den Zwitscherchor einstimmen, weil man das halt heutzutage so macht, und blasen dann belanglose Werbebotschaften in die Welt, denn man will ja schließlich sein Produkt oder seine Dienstleistung verkaufen.
Bestes Beispiel für eine derart fehlgeleitete Strategie: Lufthansa. Während amerikanische Fluggesellschaften wie Delta Airlines bereits ihren Kundenservice über Twitter abwickeln, lässt die deutsche Fluglinie einen Dienstleister einfach nur Billigflugangebote via Twitter herauspusten. Anfragen via Twitter bleiben allerdings unbeantwortet – von einem echten Dialog mit den Kunden kann also keine Rede sein. Dass die Lufthansa dennoch fast 10.000 Follower hat, liegt nur daran, dass eben viele Leute hoffen, hier einen günstigen Flug zu ergattern – und zwar mit derselben Geiz-ist-geil-Motivation, mit der sie auch eine Preisvergleichssuchmaschine im Internet nutzen würden. Echtes Interesse an dem Unternehmen – Fehlanzeige! Bleiben irgendwann die Schnäppchen aus, gehen die Follower eben zu Konkurrenz. Eine Einbahnstraße mit Verfallsdatum also.


Für die Personalsuche ideal.


„Unternehmen, die Twitter nur zur Verbreitung von Werbebotschaften nutzen, haben keine Ahnung von den Möglichkeiten“ sagen Jan Kirchner und Alexander Fedossov, die zu den Pionieren der deutschen Social-Media-Recruiting-Szene gehören. Twitter ist für die beiden viel mehr als ein reines Marketing-Tool: „Es geht darum, seinen Followern einen Mehrwert zu bieten, indem man interessante Informationen postet“, erklärt Kirchner. Genau deshalb findet er Twitter auch zur Informationsbeschaffung ideal: „Ich kann mir aus den News das Passende herausfiltern, zum Beispiel indem ich nur bestimmten Leuten folge, Listen anlege oder gezielt nach einzelnen Begriffen suche.“
Kirchner und Fedossov, Personalberater aus Hamburg, haben aber die Einsatzmöglichkeiten von Twitter längst weiter gedacht: Als Erste setzten sie Twitter systematisch zur Personalsuche ein und widmeten dem Thema ein eigenes Kapitel in ihrem gerade erschienenen Buch zum Online-Recruiting: „Als wir anfingen, im Blog darüber zu schreiben, hielten uns viele für verrückt“, erzählt Kirchner, „denn zuvor haben die Leute bei E-Recruiting nur an Jobbörsen und Bewerbungsformulare auf Websites gedacht. Dabei ist Twitter für die Personalsuche ideal!“ Der Grund: Unternehmen, die Jobs nur auf ihrer eigenen Website oder in geschlossenen Stellenbörsen ausschreiben, erreichen auch nur eine eingeschränkte Zielgruppe. Stellenanzeigen über Twitter werden hingegen von Suchmaschinen viel besser gefunden. Um relevante Jobergebnisse noch besser herausfinden zu können, entwickelten Kirchner und Fedossov mit jobtweet.de die weltweit erste Jobsuchmaschine für Twitter, die mithilfe semantischer Filtertechniken sämtliche Tweets in Echtzeit nach Stellenangeboten durchsucht. Eine Idee, die ihnen sogar die Auszeichnung „Gründer des Monats“ in der Financial Times einbrachte.
Bislang verwenden vor allem Unternehmen, die bereits eine Affinität zu Social Media haben, Twitter zur Personalsuche – und zu echter Kommunikation. Zum Beispiel die Ethority GmbH, die sich auf Marketing und Strategieentwicklung im Bereich Social Media spezialisiert hat. Twitter ist hier ein wichtiger Kanal für Öffentlichkeitsarbeit, aber auch für den Austausch untereinander: Über den Corporate Twitter-Account versenden viele Mitarbeiter aus unterschiedlichen Abteilungen Tweets und versammeln so das Know-how zu ganz verschiedenen Themen wie IT, Marktforschung oder Marketing in einem Informationskanal. Da liegt es nahe, auch bei der Besetzung einer Stelle die Kanäle zur Mitarbeitersuche einzusetzen, auf denen sich die künftigen Mitarbeiter bewegen sollen: „Twitter bietet selbst in 140 Zeichen die Möglichkeit, sich einen Eindruck von der Person zu machen“, erklärt Pressesprecherin Sabrina Panknin. „Man schaut sich seine Tweets an und kann daraus ein Stück Persönlichkeit ablesen – anders als beispielsweise bei XING, wo man nur einen aufbereiteten Lebenslauf findet.“ Panknin hat selbst ihren Job natürlich auch via Twitter gefunden: „Ich hatte mein Stellengesuch per Tweet gepostet und in meiner Bio das Gesuch vermerkt, daraufhin erhielt ich ein Jobangebot.“
Doch auch traditionellere Unternehmen nutzen Twitter mittlerweile auf verschiedenen Kanälen. Versandhausriese Otto beispielsweise wickelt seit Juli als bislang einziges deutsches Unternehmen seinen Kundenservice auch via Twitter ab: So geht Otto in Tweets direkt auf Beschwerden ein oder beantwortet Fragen zu Artikeln oder Bestellungen. Zwar sei es manchmal schwer, sich der Kritik zu stellen und auch Fehler einzugestehen, wie Thomas Voigt, Direktor Wirtschaftspolitik und Kommunikation der Otto Group, zugibt, doch genau hier sieht das Unternehmen großes Potenzial: „Der klare Vorteil ist, dass wir sofort mitbekommen, was die Nutzer bewegt, und darauf direkt reagieren können.“ Der Twitter-Dialog liefert dem Unternehmen wertvolle Hinweise, welche Infos sich die Nutzer wünschen und was sich aus Kundensicht weiter verbessern lässt. Dennoch sieht man sich bei Otto noch in der Erprobungsphase. Beispiel Schnelligkeit: „Zwar ist es unser Ziel, unseren Followern auf Anfragen möglichst schnell zu antworten. In manchen Fällen dauert es aber auch etwas länger, weil die Echtzeitkommunikation jenseits des Telefons noch nicht zur Routine gehört – daran arbeiten wir“, sagt Voigt. Denn nach wie vor sei Twitter ein Lernfeld: „Insgesamt befinden wir uns noch in einer frühen Phase des Projekts, in der es darum geht, wie Prozesse an dieses schnelle Medium anzupassen sind. Auf die weitere Entwicklung sind wir aber sehr gespannt.“
So fortschrittlich sind hierzulande aber längst nicht alle Unternehmen: Vor allem die Großen tun sich nach wie vor schwer mit Social Media – und besonders mit Twitter. Eine von der Münchner Kommunikationsagentur PR-COM im September 2009 durchgeführte Umfrage unter den Dax-Konzernen zeigt, dass die Mehrzahl von ihnen noch immer nicht so recht weiß, wie sie die neuen Kommunikationsmöglichkeiten nutzen sollen. Bei 33 Prozent gibt es gar keine Social-Media-Aktivitäten und nur knapp die Hälfte führt Twitter-Accounts.


Märkte sind Gespräche.


Das Misstrauen ist sicherlich auch dadurch begründet, dass in einem Unternehmen einerseits jede Ausgabe gerechtfertigt werden muss, es andererseits aber bislang schwierig ist, die Erfolge von Twitter in konkreten Zahlen zu messen. Dem könnte man entgegenhalten, dass es bei Twitter eben um mehr geht als nur um Besucherzahlen oder generierte Umsätze – nämlich um Meinungsbildung: Die Quantität des Twitter-Traffics ist nicht so wichtig wie dessen Qualität, wie Axel Schmiegelow, Vorsitzender der Fachgruppe Social Media im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) erklärt: „Hier zählt vor allem der reine Branding-Effekt durch gezielt über das Unternehmen gesteuerte Informationen. Zusätzlich erreichen die Informationen, die eben nicht seitens des Unternehmens geplant und gesteuert sind, sondern von den Nutzern selbst publiziert werden, eine wesentlich höhere Reichweite. Die Netzwerkeffekte von Retweets und Link-Sharing bei Twitter dürfen nicht unterschätzt werden, denn sie führen nicht nur dazu, dass Marken positiv wahrgenommen werden, sondern dienen auch als Frühwarnsystem für Krisen-PR.“
Die Erfolge dieser Netzwerkeffekte sind aber mit den bisherigen Methoden der Online-Werbung, die vor allem Klick- und Konversionsraten berücksichtigen, kaum zu erfassen. Das will der BVDW nun ändern, indem er genau diese soziale Relevanz messbar macht. Noch befindet sich das Projekt allerdings in der Entwicklungsphase, sodass Schmiegelow noch keine konkreten Angaben dazu machen kann, wie die Messung denn nun genau funktionieren soll. Aber einen Ausblick gibt er schon mal: „Networking, Contribution und Sharing stellen zum Beispiel Faktoren dar, damit Werbe- und Mediaplaner die Wertigkeit von Social Media beziffern können.“ Der Erfolg von Twitter würde sich dann zwar messen, aber nicht kontrollieren lassen, wie Schmiegelow erklärt: „Letztlich ist die Dynamik von Social Media so ausgeprägt, dass nicht vorstellbar ist, dass sich diese durch Kampagnenbuchungen nachhaltig verhindern lassen wird.“
Die Messbarkeit ist aber nur einer von vielen Vorbehalten: Verständlicherweise muss ein Unternehmen auch mehr als Privatpersonen auf rechtliche Anforderungen wie Impressumspflicht, Datenschutzbestimmungen oder Haftungsfragen achten. Aber die Ängste der Unternehmen gehen sehr viel weiter: Vielerorts werden Mitarbeiter per Firewall daran gehindert, Social-Media-Dienste wie Twitter überhaupt zu benutzen, weil keine wertvolle Arbeitszeit verschwendet werden soll. Abgesehen davon, dass diese Regelungen mit BlackBerry und iPhone leicht umgangen werden können – es sei denn, man führt auch noch Taschenkontrollen durch –, schneiden sich Unternehmen so natürlich auch selbst vom Informationsfluss im Internet ab. Und von jener wachsenden Gruppe von Professionals der Digital-Native-Generation, für die Social Media einfach dazugehören – als Arbeitsinstrument. Denn Twitter ermöglicht einen viel schnelleren Austausch von Informationen als zum Beispiel E-Mails und ist zudem nicht nur auf Sender und Empfänger beschränkt. Außerdem läuft twittern spontan ab – genau dadurch wirkt die Kommunikation so authentisch. Klar, dass sich dieses offene Kommunikationsverhalten unter Gleichen mit den hierarchischen Kontroll- und Weisungsstrukturen traditioneller Unternehmen beißt.
Denn in vielen Firmen muss für jede Mitteilung, die nach draußen gegeben wird, der Segen von oben eingeholt werden. Auch wenn natürlich vorschnell getwitterte Interna den Aktienkurs beeinflussen oder Haftungsansprüche Dritter begründen könnten: Besser wäre es, klar abgegrenzte Regelungen vorzugeben, was getwittert werden darf und was nicht, und die Mitarbeiter dann eigenverantwortlich agieren zu lassen. Hier ist allerdings Vertrauen gefragt. Hingegen verhindern Kontrollwut und langwierige Freigabeprozesse praktisch Twitter in Unternehmen. Denn echte Live-Kommunikation kann so natürlich nicht funktionieren!
Ein Beispiel für gute Ansätze, die jedoch noch keine optimale Lösung darstellen, ist die Strategie von Daimler: Der Konzern twittert auf einem News-Kanal regelmäßig Aktuelles aus dem Unternehmen, verzichtet hier jedoch völlig auf den Dialog mit den Followern. Daneben gibt es einen zweiten Account, auf dem drei Mitarbeiter regelmäßig begleitend zu Live-Veranstaltungen twittern und dabei auch auf Anfragen eingehen. Grund für die Zweiteilung ist sicherlich, dass bei einem internationalen Konzern eine Handvoll Mitarbeiter gar nicht alle Fragen zum Gesamtunternehmen sofort beantworten kann – zum einen wegen der Übersichtlichkeit, zum anderen aber sicher auch, weil sie eben nicht jede Information frei herausgeben dürfen. Daher beschränkt man sich auf ein bestimmtes Gebiet und eine überschaubare Anzahl an Followern. Die Bemühungen wissen diese auch zu schätzen: Das Interesse am Dialog-Kanal ist weitaus größer als an den reinen Unternehmens-News.
Für Uwe Knaus, der vor zwei Jahren bei Daimler den ersten Corporate Blog eines Dax-Unternehmens ins Leben rief, bieten Social Media und Twitter aber auch andere Vorteile. In einem Interview, das vor wenigen Wochen auf einem Blog erschien, sagte er: „Meine persönliche Meinung ist, dass das ‚Social‘ in Social Media nicht für sozial, gemeinnützig oder gar wohltätig steht. Sondern es sind die vielfältigen Gespräche gemeint, die vernetzt stattfinden und nicht immer leicht zu orten sind. Diese Entwicklung erfordert ein professionelles Zuhören – manche nennen es auch Monitoring. Wenn ich nun weiß, wo und wie über mein Unternehmen oder meine Marken gesprochen wird, bietet mir Social Media zahlreiche Möglichkeiten, mich an diesen Gesprächen zu beteiligen.“ Eine Möglichkeit, von der der Konzern unlängst Gebrauch machte, als Daimler am Medienpranger stand, weil der Konzern von Bewerbern Blutproben nimmt. Auf die vielen kritischen Anfragen reagierte Daimler mit einem Blogbeitrag, der unter anderem über Twitter bekannt gemacht wurde. Die Krisenkommunikation stellte vermutlich nicht jeden Kritiker zufrieden, dennoch zeigten die positiven Reaktionen in der Social-Media-Szene, dass man allgemein das Bemühen des Konzerns um Offenheit honorierte.


Twittern ohne Twitter.


Ein anderer Ansatz besteht darin, auf Twitter zu verzichten, aber dennoch die Vorteile eines Live-Kommunikationsmediums zu nutzen – und zwar in Form von Enterprise Microblogging. Twittern ohne Twitter – derzeit gibt es weltweit gut 30 Anbieter, die genau das möglich machen. Unter ihnen ist Communote das einzige deutsche Unternehmen. Wie auch Twitter ermöglichen diese Tools Mitarbeitern, schnell und in Echtzeit Links und Informationen auszutauschen und so gemeinsam an Projekten zu arbeiten. Während etwa Unternehmenswikis immer auch den Anspruch auf Vollständigkeit der Information erheben, läuft die Kommunikation beim Microblogging völlig intuitiv ab. Und wie bei Twitter können die Mitarbeiter auf diese Weise auch informelle Dinge kommunizieren – der klassische Flurfunk lässt grüßen. Dennoch gibt es einige gravierende Unterschiede zu Twitter, die den speziellen Bedürfnissen von Unternehmen Rechnung tragen: Bei Communote beispielsweise lassen sich Dateianhänge mitschicken, was den E-Mail-Verkehr ersetzen kann. Es sind mehr als 140 Zeichen erlaubt und die Diskussionsthreads lassen sich verschlagworten, was die Nachvollziehbarkeit erheblich erleichtert. Zudem lässt sich die Software in bestehende IT-Systeme integrieren, funktioniert auch hinter einer Firewall und berücksichtigt deutsche Datenschutzbestimmungen. Schließlich erhebt Communote als kostenpflichtiges Programm den Anspruch, weniger fehleranfällig als Twitter zu sein und bietet einen deutschen Support.
In Anbetracht der Strukturen, die derzeit in vielen Unternehmen bestehen, ist Enterprise Microblogging wahrscheinlich sogar die bessere Alternative – eine echte Social-Media-Umsetzung ist es jedoch nicht: Was wie eine schöne Web-2.0-Lösung für Unternehmen daherkommt, unterstützt in Wahrheit die bestehenden geschlossenen Strukturen der Firmen: Die können sich so weiterhin per Firewall vom externen Informationsfluss abschneiden, den Dialog mit der Öffentlichkeit meiden und eigenverantwortliches Handeln ihrer Mitarbeiter verhindern – und sich dennoch als modernes Unternehmen fühlen. Bequem. Aber nicht zielführend. Denn nur in offenen Strukturen kann sich die offene Kommunikation, wie sie für das Web 2.0 typisch ist, entfalten. In offenen Strukturen aber ist auch Twitter möglich – und Enterprise Microblogging eine sinnvolle Ergänzung dazu, zum Beispiel indem es erlaubt, mit den Nachrichten auch Dateianhänge auszutauschen.
Nicht zuletzt kommt das halbherzige Engagement der Unternehmen bei der Zielgruppe schlecht an, wie eine aktuelle Studie des Brand Science Institute (BSI) zeigt: Hier beurteilten mehr als 1.100 Konsumenten und Mitarbeiter 40 bekannte Marken hinsichtlich ihrer Social-Media-Aktivitäten. Ergebnis: Obwohl Unternehmen hier immer mehr Geld investieren, wurden in Dreiviertel aller untersuchten Firmen erhebliche Schwächen bei der Planung, Ausführung und Betreuung von Social Media identifiziert. Hauptgründe für den Misserfolg sind mangelndes Verständnis der Wirkungsweise von Kampagnen im Social Web und nicht definierte Verantwortlichkeiten.
Wer jetzt aber denkt, den Unternehmen wäre es egal, dass sie sich auf dem Holzweg befinden, der irrt: Denn gleichzeitig haben fast alle Unternehmen, auch das zeigen Studien, große Erwartungen an Social-Media-Kanäle wie Twitter: Von den durch PR-COM befragten Dax-Unternehmen erwarten 67 Prozent von einer Präsenz im Web 2.0 eine Intensivierung des Dialogs mit der Öffentlichkeit, 57 Prozent mit Mitarbeitern, 52 Prozent mit Kunden, 38 Prozent mit Geschäftspartnern. Eine Verbesserung des Unternehmensimages will gut die Hälfte erreichen, einen höheren Bekanntheitsgrad etwa ein Viertel. Knapp ein Fünftel erwartet eine Unterstützung des Vertriebs und ein Drittel eine Verbesserung des Supports.


Kommunikation mit echten Menschen.


Damit das passieren kann, muss in deutschen Unternehmen allerdings noch viel geschehen: Unternehmen müssten öffentlich und intern Kritik zulassen sowie die Bereitschaft zu einem ständigen offenen Dialog mitbringen. Sie müssten flexibler werden. Und sie müssten hinnehmen, dass vor allem bei Twitter Kunden und Mitarbeiter eine wesentlich wichtigere Rolle einnehmen, als sich das viele Firmen wünschen. Sprich: Sie müssten auf einen Teil ihrer Macht und Sicherheit verzichten.
Dass diese Offenheit auch dazu führen kann, dass man den geplanten Weg verlassen und spontan umdenken muss, hat unlängst die Deutsche Bahn vorgemacht: Sie hatte in einer Twittsoap erfundene Mitarbeiter regelmäßig über ihren Arbeitsalltag bei der Bahn berichten lassen, um Schulabgänger für eine Ausbildung beim Konzern zu interessieren. Was man bei der Bahn offenbar für eine nette Idee hielt, kam bei der Community allerdings schlecht an: Denn, so die Kritik, bei Twitter geht es um die Kommunikation mit echten Menschen und damit um eine Authentizität, die durch die aufgesetzte Sprache der beiden Kunstfiguren auf keinen Fall erreicht werden könne. Oder mit anderen Worten: Die Follower fühlten sich für dumm verkauft.
Dass es bei dieser Kritik eigentlich weniger um die Kunstfiguren selbst, sondern eher um die Art der Kommunikation geht, wird bei Betrachtung des Gegenbeispiels Alma Mater deutlich: Die Stuttgarter Personalberatung hat als Social-Media-Maskottchen die kleine Comic-Ameise Almameise kreiert, die fröhlich und charmant durch die Gegend twittert, jedoch sinnvolle Informationen liefert und sich stets im Dialog mit anderen Nutzern befindet. Hingegen seien, so die Kritik im Netz, die Erfahrungen der DB-Figuren frei erfunden, ein Dialog mit den Followern finde kaum statt und der etwas kindlich-naive Sprachstil sei der Zielgruppe bei Twitter nicht angemessen.
Das räumte Robindro Ullah, der bei der Deutschen Bahn das Hochschulmarketing verantwortet, auch öffentlich ein: „Den richtigen Ton in der Ansprache zu treffen ist hierbei wohl das Schwierigste. Wir gehen davon aus, dass die Sprache der Wunschzielgruppe eine andere ist als die der aktuell auf Twitter vertretenen Menschen. Dennoch haben wir uns an der Wunschzielgruppe orientiert“, schrieb er in seinem Kommentar auf den kritischen Blogbeitrag. Aber er machte dabei auch klar, welche Intentionen das Personalmarketing der Deutschen Bahn mit der Twittsoap hatte: Sie sei als Experiment zu verstehen, durch das der Konzern Möglichkeiten von Twitter zur Verbesserung seines schlechten Images ausloten wolle: „Ist das überhaupt ein gangbarer Weg? Wird es von Nutzern akzeptiert? Ist der Ansatz richtig? Das sind Fragen, die uns beschäftigen, weswegen solche Blogbeiträge auch sehr hilfreich sind. Danke dafür!“, heißt es abschließend in Ullahs souveränem Kommentar auf die nicht gerade feinfühlig vorgetragene Kritik.


Angst, Fehler zu machen.


Das Beispiel der Deutschen Bahn zeigt, wie unsicher Unternehmen noch im Gebrauch von Twitter sind – und dass es daher umso wichtiger ist, es einfach mal auszuprobieren, selbst wenn nicht jede Kampagne sofort gelingen kann. Doch genau da liegt der Hase im Pfeffer: Die größte Sorge der Unternehmen scheint zu sein, sich aus Angst vor Fehlern nicht bei Twitter zu engagieren oder es nur auf vermeintlich sicherem Wege zu tun. „Vielen ist nicht bewusst, welche Chancen sie damit verspielen“, sagt Thorsten zur Jacobsmühlen, der als Recruiting-Stratege Unternehmen auch zum Personalmarketing berät. „Gerade im Personalwesen verlässt man sich oft auf etablierte Wege. Innovatives oder gar Verrücktes sollen lieber die Kreativen in der Marketingabteilung machen. Da der Erfolg eines Unternehmens jedoch von der Qualität seiner Mitarbeiter abhängt, erfordert der Wettbewerb um die besten Bewerber auch vom Personalmarketing, mal neue Wege zu gehen.“
Das Engagement der Deutschen Bahn beispielsweise weckt Neugierde und sichert dem Unternehmen so beim nächsten Projekt mehr Aufmerksamkeit – gut für das Employer Branding, wie zur Jacobsmühlen erklärt: „Dass die Bahn sich traut, in einigen Bereichen wie Twitter First Mover zu sein, macht sie interessant für gut ausgebildete Fachkräfte, denen es genau darum geht: Einen Job in einem innovativen und modernen Unternehmen zu bekommen.“ Und die – und hier schließt sich der Kreis – Social Media als Teil ihrer professionellen Praxis begreifen. Dass viele gute Leute einfach nicht hinter einer Firewall mit Westwall-Qualitäten arbeiten wollen, darüber raufen sich innovative Führungskräfte in deutschen Konzernen mächtig die Haare.
Fassen wir also noch mal zusammen: Gegenwärtig fangen Unternehmen gerade erst an, mit den Möglichkeiten von Twitter zu experimentieren. Sie probieren aus und gehen dabei so mancherlei Irrwege. Und die meisten haben Angst, Fehler zu machen. Das größte Problem ist aber: Die geschlossenen Strukturen vieler Unternehmen wollen nicht so recht zu Twitter passen. Versuche, Twitter an die Unternehmensstrukturen anzupassen, funktionieren nur bedingt.
Dennoch besitzt Twitter, wie auch die gesamte Social-Media-Bewegung, eine eigenständige Dynamik, die sich letztlich nicht durch ein Unternehmen manipulieren lassen wird. Diese Dynamik verändert gegenwärtig unser aller Kommunikationsverhalten. Daher müssen Unternehmen, die ihre Kunden behalten und sich für die Zukunft die besten Mitarbeiter sichern wollen, umdenken. Und das bedeutet, dass sie nicht nur ihr Kommunikationsverhalten ändern, sondern auch ihre gesamten Strukturen.
Denn damit Twitter – und Social Media insgesamt – in deutschen Unternehmen wirklich funktioniert, müssten diese sich erst einmal trauen, das neue Medium wirklich auszuprobieren und auch Fehler zuzulassen, aus denen sie lernen können. Sie müssten Vertrauen in ihre Mitarbeiter, deren Eigeninitiative und Kreativität entwickeln. Und sie müssten sich gegenüber dem Web, ihren Kunden sowie potenziellen Mitarbeitern wirklich öffnen und transparent werden. Unternehmen müssten also ein Stück Kontrolle und Macht abgeben. Gewinnen könnten sie dadurch viel, wie die Beispiele zeigen: ein besseres Image, neue Kunden, die besten Mitarbeiter. Sie müssten sich nur trauen!

Mit einer Illustration von Hans Limo Lechner.

(*) Alexander Fedossov / Jan Kirchner: Online-Personalsuche. Praxishandbuch für aktive Personalbeschaffung im Internet, Books on Demand 2009.


changeX 10.12.2009. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Simone Janson
Janson

Simone Janson ist Fachautorin für Berufs- und Bildungsthemen und schreibt als freie Autorin für changeX.

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