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Nebel der Ungewissheit

Light Footprint Management - das Buch von Charles-Edouard Bouée
Rezension: Jost Burger

Nein, Wirtschaft ist nicht Krieg. Wirtschaft schafft Werte, Krieg zerstört sie. Aber beides spielt sich in derselben Welt ab. Und weil das Militär Wandel brachialer spürt, kann man von militärischem Denken lernen. Zum Beispiel, dass wir in einer volatilen, unsicheren, komplexen und uneindeutigen Welt leben. In einer VUCA-Welt. Ein Buch bringt das Konzept auf den Punkt.

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Übertragungen militärischer Denkweisen auf die Wirtschaft waren schon immer gang und gäbe. Die Zahl der Manager und Führungskräfte, die als wichtigsten Managementautor Sun Tzu und seine Kunst des Krieges angeben, ist Legende. Das macht die Vergleiche nicht unbedingt überzeugender. Krieg mag vielleicht Mittel zum Zweck sein. Aber in seinem Wesen ist er vor allem zerstörerisch. Wer Business vor allem als gnadenlosen Wettbewerb sieht, bei dem am Ende nur noch einer steht, den straft nicht nur der Anstand, sondern auch die Wirtschaftsgeschichte. Das zeigen nicht erst seit gestern die zahllosen Kooperationen, Allianzen und gegenseitigen Befruchtungen, die menschliches Unternehmertum schon immer geprägt haben. Nur so kommt es zu dauerhafter Wertschöpfung. Das rückt heute wieder zunehmend in den Blickpunkt. 

Dennoch lohne der Blick aufs Militärische durchaus, sagt Charles-Edouard Bouée, oberster Roland-Berger-Mann in Asien und Kenner der chinesischen Wirtschaftsszene. Denn beide, Militär und Wirtschaft, agieren in derselben Welt. Und stehen dabei vor denselben Herausforderungen der Erkenntnis. Schon von Clausewitz sprach vom "Nebel des Krieges" und meinte damit die Ungewissheit, mit der Organisationen, in seinem Fall die Armee, zu kämpfen haben: "Drei Vierteile derjenigen Dinge, worauf das Handeln im Kriege gebaut wird, liegen im Nebel einer mehr oder weniger großen Ungewißheit", schrieb er, "der Krieg ist das Gebiet der Ungewißheit."


Schauen, was das Militär so vorhat


Um diesen Umgang mit Unsicherheit geht es Bouée in seinem Buch Light Footprint Management. Ein Werkzeug zur Beschreibung der spezifischen Unsicherheit und der strategischen Mittel, darauf zu reagieren, will er liefern. Dass er dabei Rückgriff auf die aktuelle, neue US-amerikanische Militärdoktrin nimmt, sollte man nicht als Militarismus sehen. Sondern quasi als Umnutzung einer erkenntnistheoretischen Vorleistung des Militärs, das mit derselben Welt konfrontiert ist wie die Wirtschaft, auf Wandel aber schneller reagieren muss. Deshalb also: "Wer als Businessleader wissen will, in welche Richtung sich der wirtschaftliche Wettbewerb entwickelt, sollte schauen, was das Militär so vorhat."  

Die USA unter Obama haben eine neue Militärdoktrin geprägt, die auf den drei Säulen Drohnenkrieg, elektronische Kriegsführung (Cyber Warfare) und dem Einsatz von Special Forces, also kleinen, schlagkräftigen Einsatzgruppen, beruht. Damit reagieren sie auf eine Welt, die in der Sprache der Militärs, so berichtet Bouée, schon in den späten 1990er-Jahren "VUCA" hieß. VUCA steht für volatile, uncertain, complex and ambiguous. Der Begriff tauchte in den vergangenen Jahren immer wieder einmal auf - unter anderem als Motto eines Berliner Bildungs(!)kongresses - und wurde auch bereits auf wirtschaftliche Zusammenhänge angewandt, doch in Light Footprint Management wird er endlich einmal präzise und vor allem auf den ökonomischen Kontext übertragbar beschrieben.


In der VUCA-Welt


Konnte zu von Clausewitzens Zeiten die Generalität noch hoffen, die Nebelschleier würden sich irgendwann lüften, und war vor allem in der Regel klar, wer der Gegner ist, so trifft das auf die heutige Welt nicht mehr zu. Die Dinge sind "unklar", der Gegner ist - in Afghanistan zum Beispiel - kaum auszumachen, Lagen ändern sich dauernd, was heute noch gilt, ist morgen veraltet, und vor allem scheinen wir alle einer Komplexität historischen Ausmaßes gegenüberzustehen.  

Komplex, darauf weist auch Bouée hin, ist dabei etwas ganz anderes als kompliziert. Letzteres verlangt uns zwar auch viel ab, doch sind die Wirkmechanismen eines komplizierten Systems immer klar. Die enorme Komplexität unserer Tage bedeutet aber, dass Ursache und Wirkung nicht mehr zu erkennen sind. Wie ein komplexes System "funktioniert", ist einfach nicht mehr klar. Zu hoch ist die Zahl der Mitspieler in einer vernetzten Welt, zu unfassbar die Datenmenge, die wir verarbeiten wollen.  

Was auf die Wirtschaft übertragen bedeutet: Wirtschaftliche Entwicklungen, Aktienkurse etwa, schwanken viel stärker als früher (volatile), durch steigende Ereignisdichte und jene volatilen Märkte werden Voraussagen jeder Art immer schwieriger (uncertain), die Welt wird mit ihren hochfrequenten Datenfluten immer komplexer, und schließlich ist in all der Unsicherheit immer seltener klar, was eigentlich langfristig gut für das Business ist (ambiguous).  

Beim Lesen aber drängt sich der Gedanke auf, dass es letztlich die Komplexität ist, die die Welt zu einer VUCA-Welt macht. Mit herkömmlichen Methoden und Strategien, ja mit dem ganzen Begriff der "Strategie" - die ja auf langfristige und verlässliche Daten setzt - kommen wir ihr nicht mehr bei. Für die Wirtschaft bedeutet das die Abkehr von klassischen Managementparadigmen. Wenn man immer weniger voraussagen und immer weniger objektivieren kann, hat das Denken in langfristigen Budgets und quantifizierbaren Prozessen keinen Sinn mehr. In Eisen gegossene Strategien und mit Wucht ausgeführte Riesenschlachten werden unwichtig, da wirkungslos. Sie sind die falsche Reaktion in einer Umgebung, in der sich dauernd alles ändert: "Alltägliches Management bedeutet heutzutage Krisenmanagement", schreibt Bouée.


In China gibt’s das schon


Obamas militärische Antwort auf die VUCA-Welt ist ein Vorgehen nicht der Wucht, des "shock and awe" - der Strategie im Irakkrieg noch -, sondern der Leichtigkeit und Wendigkeit kleiner Teams, gepaart mit Hightech und fortgeschrittener Informationstechnologie. Da stammt der Begriff her: "Light Footprint", so nannte David Sanger in seinem Buch Confront and Conceal. Obama's Secret Wars and Surprising Use of American Power im November 2012 Obamas Doktrin. Wer nun also als Unternehmen überleben will in einer VUCA-Welt, sollte zu einer "Light Footprint"-Organisation werden, folgert Bouée.  

Eine Vorlage gibt es ihm zufolge schon: in China. Dort, und das beschreibt er sehr anschaulich, hat sich eine ganz eigene Managementkultur entwickelt, die zwar die klassischen amerikanischen Ansätze verinnerlicht hat, aber auch chinesische Eigenheiten integriert. Eigenheiten, die zu der heutigen VUCA-Welt mit ihren komplexen Anforderungen passen. Um ein Beispiel zu nennen: In der VUCA-Welt ist es mit Voraussagen nicht mehr weit her. All die westlichen Analysetools konnten die Krise zwischen 2007 und 2009 nicht voraussagen. In China hingegen versuche man sich gar nicht erst an allzu viel harten Voraussagen und Datenextrapolationen, weil der Glaube ans Schicksal weitverbreitet sei. Das Ergebnis sei große Flexibilität, verbunden mit ebenso großem Pragmatismus: "Chinesische Manager sind opportunistisch und stoisch - sie wissen eine gute Gelegenheit zu ergreifen und nehmen Pech gelassen hin. Diese Einstellung gegenüber dem Schicksal ist nur angemessen in einer VUCA-Welt, in der jederzeit ohne Vorwarnung alles Mögliche passieren kann." 

Bouée liefert darüber hinaus eine ganze Charakterstudie des aktuellen Managementstils, wie er in den ultrakapitalistischen Strukturen des modernen China gepflegt werde. So führe etwa die "Schicksalsgläubigkeit" keineswegs zu Fatalismus, sondern zu erhöhter Wachsamkeit: "Manager müssen stets wachsam sein und ihre Umgebung auf die kleinen Signale hin überprüfen, welche große Umwälzungen ankündigen." Was heißt: Der viel beschworene allgegenwärtige Wandel ist beobachtbar. Und er ist darüber hinaus von Gesetzmäßigkeiten bestimmt, die es ebenfalls zu beobachten gilt. Das kann man "Dao" nennen, das große Paradigma, das über allem liegt - über der Welt ebenso wie über der Organisation.  

Was noch? Hierarchien sind wichtig, aber Autorität gilt nur, wenn sie die Verantwortung für die gesamte Organisation übernimmt und deren Stimme ernst nimmt. Und noch dies, als letztes Beispiel: Unternehmerisches Handeln geschieht in dem Bewusstsein der abhängigen Verbundenheit mit allen Akteuren - Lieferanten, Kunden, Angestellten ebenso wie mit der Gesellschaft.


Digitalisierung, Vernetzung und selbständige Teams


Vor dieser Folie entsteht dann das Bild einer echten "Light-Footprint-Organisation". Den militärischen Dreiklang Drohnenkrieg - Cyber Warfare - Special Forces übersetzt Bouée dabei so: LFP-Organisationen setzen auf Digitalisierung, Vernetzung und selbständige Teams: Automatisierung, Robotik und Digitalisierung in der Produktion - 3-D-Drucker und vollautomatische Fabriken - halten die Kosten niedrig und machen agil. Social Media und die Möglichkeiten der (digitalen) Vernetzung im Sinne einer Netzwerkökonomie definieren die Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns. Und vergleichbar den kleinen, flexiblen Einsatztruppen beim Militär bestehen LFP-Organisationen aus einer modularen Struktur selbständiger Teams, bestehend aus breit ausgebildeten Mitarbeitern, die ihre Aufgaben mit größtmöglicher Autonomie ausführen. Managemententscheidungen sind so weit wie möglich in die Organisation verlagert; die oberen Leitungsebenen geben letztendlich nur die groben Ziele vor - das Dao, das zudem ständig an die Gegebenheiten angepasst wird.  

Doch ist Light Footprint Management keine Howto-Fibel. Wer die Methode aufs eigene Unternehmen übertragen will, dem gibt Bouée den Rat, die eigene Organisation mit den LFP-Kriterien abzugleichen. Etwa sich zu fragen: Hat der oberste Boss ein "Dao", eine Vision, die das Unternehmen bestimmt und die alle kennen? Oder: Wie sieht es mit der modularen Struktur aus - wie groß sind die Handlungs- und Entscheidungsfreiräume der Teams? Oder: Wie viel Kooperation und unkomplizierte Zusammenarbeit mit Akteuren außerhalb des Unternehmens gibt es? Oder: Welchen Stellenwert haben Automatisierungs-Hightech und Big Data? Stichwort: Beobachtung des Wandels.


Not by the intellectual mind alone


Fazit? Bouées Buch leistet wirklich Verdienstvolles durch die klare und nachvollziehbare Übertragung einer (militärischen) Weltbetrachtung auf die Wirtschaft, die sich aus den globalen Gegebenheiten speist und denselben Gegebenheiten ausgesetzt ist. Es beschreibt neben diesem Paradigma sehr klar und schlüssig praktikable Strukturen, auf diese Gegebenheiten erfolgreich zu reagieren. Und nicht zuletzt liefert dieses Buch begriffliches Rüstzeug, all dies überhaupt beschreiben zu können. Der Fokus auf China, verbunden mit der nüchternen Betrachtung US-amerikanischer Militärdoktrin, macht es zu einem unbedingt empfehlenswerten Buch für Menschen, die Unternehmertum in globalen Maßstäben denken und die sich den Herausforderungen einer gewandelten Welt stellen wollen.  

Als Wermutstropfen mag man werten, dass der Autor die Parallele zwischen Militär und Wirtschaft ein Stück zu weit über ihren Erkenntnisnutzen hinaus ausdehnt. Für ihn ist Business zwar nicht Krieg, aber doch harte und ausschließliche Konkurrenz - die Kooperationsdämmerung ist in seinem Buch noch nicht angebrochen. Das große Fragezeichen aber, das über der angebotenen - rationalen - Welterklärung steht, kam unlängst über Twitter: "Complex systems can not be understood by the intellectual mind alone." 


Zitate


"Es gibt zwei fundamentale Unterschiede zwischen Wirtschaft und Krieg: Einmal ist Wirtschaft bemüht, Werte zu schaffen. Im Krieg dagegen werden Werte zerstört. Zweitens hat Wirtschaft immer einen Kundennutzen. Der Krieg kennt keinen Kunden." Bolko von Oetinger im Interview mit changeX

"If business leaders want to get some idea of where business competition is heading, they should look at what the military are up to." Charles-Edouard Bouée: Light Footprint Management

"Chinese managers are opportunistic and stoical - they are quick to exploit good luck and philosophical about bad luck. This attitude to luck is appropriate in the VUCA world where anything can happen without warning at any moment." Charles-Edouard Bouée: Light Footprint Management

"Managers must always be alert and scan the environment constantly for weak signals heralding major changes." Charles-Edouard Bouée: Light Footprint Management

"Manager müssen stets wachsam sein und ihre Umgebung auf die kleinen Signale hin überprüfen, welche große Umwälzungen ankündigen." Charles-Edouard Bouée: Light Footprint Management

"Complex systems can not be understood by the intellectual mind alone." @transarchitect auf Twitter

 

changeX 05.02.2014. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Light Footprint Management. Leadership in times of change. Bloomsbury Publishing, London 2013, 208 Seiten, 29 Euro, ISBN 9-781-4729-0005-0

Light Footprint Management

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Autor

Jost Burger
Burger

Jost Burger ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.

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