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Ohne Niederlagen kein Erfolg

Trial and Error - das neue Buch von Tim Harford
Rezension: Winfried Kretschmer

Scheitern galt lange - ja vor Kurzem noch - als Makel. Ein Tabu in der erfolgsgeilen Wirtschaftswelt. Dann wurde ein bisschen Scheitern salonfähig. Tim Harford zeigt nun: Ohne Scheitern kein Erfolg. Denn in einer komplexen Umwelt ist Herumprobieren die beste Strategie.

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Vielleicht ist die Ökonomie der Biologie doch näher als der Physik, an der sie sich ursprünglich orientierte. Der Wirtschaftswissenschaftler Paul Ormerod jedenfalls stieß auf eine frappierende Übereinstimmung, als er Daten aus Biologie und Ökonomie miteinander verglich: Offenbar folgten Unternehmenspleiten in der Wirtschaft demselben Muster wie das Artensterben in der biologischen Evolution.  

Ormerod forschte weiter. Als er seine Unternehmensdaten in ein mathematisches Modell des Artensterbens einspeiste, war die Überraschung komplett: Setzte er voraus, dass Unternehmen planvoll vorgehen, erreichte er keine Übereinstimmung mit der Wirklichkeit. Gab er hingegen vor, dass sie situativ und experimentell handelten, entsprach das Ergebnis plötzlich der realen Welt. Sollte das heißen, dass Unternehmen nach dem Prinzip Versuch und Irrtum agieren? Dass Erfolg nicht das Ergebnis planvollen Handelns war, sondern mehr oder minder - Zufall? 

Trial and Error heißt das neue Buch des britischen Bestsellerautors und Financial Times-Kolumnisten Tim Harford, und es legt eben diesen Schluss nahe. Versuch und Irrtum, das ist für Harford eine weniger höfliche Bezeichnung für die Evolutionsprinzipien Variation und Selektion, nach denen sich nach Darwin die Entwicklung der Arten auf der Erde vollzieht. Dasselbe Prinzip liege nun auch der Funktionsweise von Märkten zugrunde, postuliert der Ökonom: "Der Markt tastet sich von ganz allein an den Erfolg heran, produktive Ideen setzen sich durch, weniger produktive haben keine Chance." Das klingt überzeugend, und Harford ist ja auch nicht der Erste, der den Vergleich zwischen Ökonomie und Evolution zieht - erinnert sei an Eric Beinhockers fundamentales Werk Die Entstehung des Wohlstands.


Notwendiges Scheitern


Der Haken aber ist: Selektion klingt abstrakt, Irrtum schon etwas konkreter, Harford aber spitzt sein Thema unerbittlich auf den zentralen Punkt hin zu: Scheitern. Evolution funktioniert nur, wenn es neben der Variation, der Produktion von Vielfalt, auch die Selektion, die Auslese weniger produktiver Varianten, gibt. "Scheitern ist also offenbar ein integraler Bestandteil jener Mechanismen, mit deren Hilfe der Markt hochentwickelte und wohlhabende Volkswirtschaften entstehen lässt." Für den Scheiternden ist das bitter, für das Gesamtsystem aber notwendig.  

Das klingt marktradikal, ist es aber nicht. Der Markt ist für Harford kein Prinzip, sondern ein Verfahren: die wahrscheinlich effektivste Methode, mit der Komplexität der Welt umzugehen. Das ist das eigentliche Thema dieses so ungemein erhellenden Buches, das neben ökonomischem Grundlagenwissen auch ganz lebenspraktische Weisheiten parat hat: Wir sollten uns der Wahrheit bewusst werden, appelliert Harford, "dass wir in einer derart komplexen Welt wie der unseren mit großer Wahrscheinlichkeit nicht gleich beim ersten Mal richtigliegen werden".


Pluralismus, experimentieren und aus Fehlern lernen


Pluralismus, experimentieren in kleinen Schritten und aus Fehlern lernen sind die drei Prinzipien, die Harford dem Leser mitgibt. In den drei "Palchinskyschen Prinzipien" fasst Harford zusammen, was der russische Ingenieur Peter Palchinsky, der den Mut aufbrachte, die fatalen Schwächen der sowjetischen Planwirtschaft schonungslos zu benennen, und das mit dem Leben bezahlte, schon in den 1920er-Jahren erkannt hatte: "1. Entwickle immerzu Ideen und verfolge neue Ansätze. 2. Wenn du etwas Neues probierst, dann tu es in einer Größenordnung, in der ein Scheitern zu verschmerzen ist. 3. Fordere Rückmeldungen ein und lerne aus deinen Fehlern." Von Unternehmen verlangt das, sich anders aufzustellen. Zentralisierung, Hierarchie und ein Management per Weisung und Kontrolle sind geeignet, das Immergleiche effizient zu tun, scheitern aber in einer komplexen Welt, die eine ständige Anpassung an veränderte Bedingungen erfordert. Notwendig, so der Autor, sind "adaptive Organisationen", die auf die Weisheit der vielen - ihrer Mitarbeiter - bauen.  

Scheitern ist unverzichtbarer Bestandteil des Vorankommens - wohl noch nie hat das jemand so klar benannt wie Tim Harford. Nur, was ist dann mit Atomkraftwerken, Bohrinseln, Ölraffinerien, was mit Währungen und Finanzsystemen? Was, wenn im Fall des Scheiterns extreme Risiken drohen? Harford hat sich bei seinen Recherchen auch mit Risikoforschern unterhalten und einige spektakuläre technische Großunfälle minutiös analysiert. Und bietet eine erhellende Unterscheidung an: In komplexen, aber lose gekoppelten Systemen sind Niederlagen Teil des Lebens und bleiben ohne größere Auswirkungen - wenn Lieschen Müllers Backstube dichtmacht zum Beispiel. In komplexen, aber eng gekoppelten Systemen, wie den eben angesprochenen Großtechnologien und Megasystemen, können kleine Fehler schnell und lawinenartig zum Systemversagen führen, ohne dass es noch möglich ist, gegenzusteuern oder etwas Neues auszuprobieren. Da bleibt nur, empfiehlt Harford, solche Systeme zu entkoppeln und auf ein fehlertolerables Maß zurückzuführen. Too big to fail, das darf nicht sein - auch das ein Muster des vielfach geforderten Downscaling. Voraussetzung ist jedoch, sich die Möglichkeit des Scheiterns bewusst zu machen. Gemessen am verbreiteten Null-Fehler-Anspruch ist das freilich eine Niederlage.


Ohne Niederlagen kein Erfolg


Und sich Niederlagen einzugestehen, ist schwierig - nicht nur in Organisationen, deren Kultur meist Fehler ächtet, sondern auch ganz persönlich. Menschen scheitern nun mal nicht gerne. Das weiß auch Harford und appelliert deshalb an das Lernvermögen jedes Einzelnen.  

Denn: "Wir brauchen die Bereitschaft, Niederlagen zu riskieren, denn ohne sie werden wir nie wirklich Erfolg haben." Um diese Erkenntnis kreist Harfords Buch - mit zahlreichen Beispielen, klasse geschrieben und präzise auf den Punkt gebracht. Leseempfehlung!  


Zitate


"Der Markt tastet sich von ganz allein an den Erfolg heran, produktive Ideen setzen sich durch, weniger produktive haben keine Chance." Tim Harford: Trial and Error

"Je komplexer und weniger greifbar unsere Probleme sind, desto effizienter ist es im Vergleich zu anderen Herangehensweisen, herumzuprobieren und nach dem Prinzip Versuch und Irrtum zu agieren." Tim Harford: Trial and Error

"Scheitern ist also offenbar ein integraler Bestandteil jener Mechanismen, mit deren Hilfe der Markt hochentwickelte und wohlhabende Volkswirtschaften entstehen lässt." Tim Harford: Trial and Error

"1. Entwickle immerzu Ideen und verfolge neue Ansätze. 2. Wenn du etwas Neues probierst, dann tu es in einer Größenordnung, in der ein Scheitern zu verschmerzen ist. 3. Fordere Rückmeldungen ein und lerne aus deinen Fehlern." Die drei "Palchinskyschen Prinzipien", Tim Harford: Trial and Error

"Wir brauchen die Bereitschaft, Niederlagen zu riskieren, denn ohne sie werden wir nie wirklich Erfolg haben." Tim Harford: Trial and Error

 

changeX 17.08.2012. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Trial and Error. Warum nur Niederlagen zum Erfolg führen. Rowohlt Verlag, Hamburg 2012, 432 Seiten, 19.95 Euro, ISBN 978-3-498-03016-2

Trial and Error

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Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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