Die Verantwortung des Redners

Rezension Katja Kerschgens: Reden straffen statt Zuhörer strafen

Millionen langweiliger Reden werden Jahr für Jahr gehalten. Die Verantwortung dafür aber tragen einzig und allein die Redner. Denn wer langweilt, versündigt sich. Am Zuhörer. Eine Rhetoriktrainerin sagt, wie man’s besser macht.

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Diese Buchbesprechung schreit nach einem szenischen Einstieg. Zum Beispiel diesem: Der Mann vorne am Pult spricht nun schon seit einer halben Stunde. Und noch immer hat er nicht einmal die Hälfte seiner Powerpoint-Folien gezeigt. Die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer indes ist ungebrochen - und zwar für die abgebrochenen Fingernägel, die dringend gekaut werden müssen, für ihre iPhones, mit denen gesurft wird, und für die Einkaufsliste, die sie im Kopf schreiben. Als nach einer Stunde - gefühlt mindestens drei - endlich Schluss ist, haben alle Zuhörer 60 Minuten ihres Lebens vertan und werden vom Vortrag nichts als eine große, schlimme Langeweile in Erinnerung behalten.  

Es ist ja so: Millionen von Konferenzen, Reden und Vorträgen finden jährlich rund um den Globus statt, viele davon befassen sich mit der Zukunft des Planeten, des örtlichen Fußballvereins oder eines Unternehmens. Ganze publizistische Schulen drehen sich nur um die Frage, wie man gelungene Vorträge hält, ja, es finden auch eigene Konferenzen zum Thema statt. Trotzdem verharren viele Vortragende in den altbekannten Mustern. Mustern, die Reden zur Qual machen.


Fürs Gelingen ist nur der Vortragende verantwortlich


Deshalb braucht die Welt Menschen wie Katja Kerschgens. Sie hat etwas gegen langweilige Reden. Denn: "Wer eine Rede hält, ist verantwortlich für die Lebenszeit seiner Zuhörer", findet sie, und die will sinnvoll verbracht sein. Deshalb fordert sie: "Reden straffen statt Zuhörer strafen." So heißt ihr Buch, in dem sie nicht für kurze, aber für kurzweilige Reden plädiert, und Menschen, die beruflich oder privat oft vor anderen sprechen müssen, zeigt, wie es geht. Um es gleich zu sagen: Langweilig wird einem beim Lesen nicht.  

Kerschgens verdient ihr Geld damit, andere Menschen fürs Redenhalten zu trainieren. In ihren Seminaren wie auch im Buch arbeitet sie mit dem Bild der Zwille, die das Buch in kleinen Illustrationen durchzieht. Allerdings ist die Zwille bei ihr keine Waffe, sondern steht dafür, die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu erringen - so wie es der Zwillenschuss in der Schule tat. Frei nach Kerschgens könnte man sagen: Nur ein straffes Zwillengummi schießt auch gut.  

Im Detail erklärt sich die "Operation Zwille" so: Passenden Inhalt (also das richtige Geschoss) wählen - und damit wirken. Gehörig Spannung erzeugen (also die Zwille spannen) - und damit begeistern. Den Zuhörer "im Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit treffen" - und so überzeugen (also mit der Zwille einen Treffer landen). Eine "straffe" Rede bedeutet demnach nicht zwingend eine kurze Rede, sondern schlicht eine gute Rede. 

Bevor sie jedoch in medias res geht und den Leser zur guten Rede führt, heißt sie ihn, sich an der eigenen Nase zu packen. Sie weist darauf hin, dass wir alle unter langweiligen und schlechten Reden gelitten haben. Und vermutlich sogar aus dem Stegreif einige Merkmale einer "schlechten" Rede aufführen können. Sobald aber die Reihe an uns ist, vergessen wir diese Erfahrungen und stehlen wiederum anderen ihre Lebenszeit mit nicht gerade straffen Reden - sei es, weil wir falschen Konventionen und Erwartungen folgen, sei es, weil wir eine Grundregel vergessen: Für das Gelingen einer Rede ist nur der Vortragende verantwortlich, niemals seine Zuhörer.


Den eigenen Vortrag wie ein Regisseur betrachten


So nicht, sagt Kerschgens und rät ganz pragmatisch: "Achten Sie als Zuhörer immer darauf, was gute und was schlechte Redner wie machen. Dann übernehmen Sie mutig das Gute und lassen das Schlechte bleiben." Eine erste, einfache Möglichkeit sei zum Beispiel, alle Floskeln aus einer Rede zu streichen - allein das könne schon aus einer schlechten eine mittelmäßige Rede machen.  

Kerschgens führt so ziemlich jede schlimme Sache auf, die uns an schlechten Reden quält. Zum Glück aber hat sie auch für jeden Fehler einen Verbesserungsvorschlag. Wer hat nicht schon einmal ob der Inhaltsleere gezuckt, wenn ein Redner sagt: "Unser Unternehmen schreibt soziale Verantwortung groß." Um so eine Aussage mitreißend zu gestalten, muss der Vortragende im Kopf seiner Zuhörer das "Kopfkino" anstellen. Mit Bildern und lebendigen Beispielen eine Botschaft rüberzubringen sei sowieso das A und O. Bei Kerschgens wird der unverbindliche Standardsatz von der sozialen Verantwortung zur Geschichte von der Mitarbeiterin, die nach einem Unfall im Rollstuhl sitzt und der das Unternehmen zu ihrer Rückkehr eine Rollstuhlrampe und ein Büro im Erdgeschoss organisiert. Dass man sich in dieser Firma um die Mitarbeiter kümmert, muss dann keiner mehr explizit sagen. 

Den eigenen Vortrag wie ein Regisseur zu betrachten und immer im Kopf zu haben, dass die Aufmerksamkeit der Zuhörer schnell nachlässt - das zieht sich als Paradigma durch das Buch. Da geht es darum, wie Spannung erzeugt wird (richtig: Die Pointe gehört an den Schluss!). Um den richtigen Einstieg (genau: Vorstellung weglassen, keine Floskel verwenden, am besten mit einer kurzen Geschichte beginnen, die auf überraschende Weise mit dem Thema zu tun hat, oder eine schlagende Tatsache anführen). Darum, dass befreiend gelacht werden darf - schon gar, wenn der Redner zugibt, ihm sei jetzt gerade der Faden gerissen. Und, große Herausforderung für viele Redner: Kerschgens rät unumwunden dazu, erstens nur Stichwortkarten zu verwenden und sich zweitens nicht am Pult festzuhalten. Dass sie - wenn sie denn schon sein müssen - die Zahl der Powerpoint-Folien extrem begrenzen will und schon gar keine Textfolien erlaubt, versteht sich von selbst.


Wissen ist nicht gleich tun


Klingt alles, wie schon mal gehört? Natürlich. Kerschgens sagt selbst gleich zu Beginn: Kann sein, dass der Leser das alles schon weiß. Aber ob er es anwendet, ist eine ganz andere Frage: Wissen ist ja nicht gleich tun. Und auch vom Lesen des Buches wird niemand ein guter Redner. Es darf nicht nur, es muss geübt werden - bis die Sache sitzt. Das betont die Autorin immer wieder. Was sie auch tut: Sie macht Lust aufs Üben, aufs Vortraghalten. Das liegt auch daran, dass das Buch wirklich gut geschrieben ist. Weil es sich seiner eigenen Tipps bedient. Jeder Ratschlag wird durch ein konkretes Beispiel illustriert. Oft erzählt Kerschgens aus ihrer beruflichen Erfahrung - sie fordert ihre Leser auf, sich eine Vortragssituation vorzustellen, und beschreibt dann sehr lebendig, was passiert ist. Kopfkino, das sofort Interesse und Aufmerksamkeit weckt und Langeweile nicht aufkommen lässt. Insofern ist Reden straffen statt Zuhörer strafen nicht nur ein wirklich empfehlenswertes Buch für alle, die Reden halten müssen - es ist auch ein sehr straffes Buch. Die Operation Zwille ist gelungen. 



changeX 29.03.2011. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Reden straffen statt Zuhörer strafen. Mit Illustrationen von Timo Wuerz. GABAL Verlag, Offenbach 2011, 144 Seiten, ISBN 978-3-86936-187-1

Reden straffen statt Zuhörer strafen

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Autor

Jost Burger
Burger

Jost Burger ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.

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