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Ende einer Zeitreise

Management Reloaded: Plan B - das neue Buch von Martin Kornberger
Rezension: Winfried Kretschmer

Management funktioniert nicht mehr. In der entwickelten Wissens- und Innovationsökonomie erweisen sich Netzwerke als angemessenere Form sozialer Organisation. Und die kognitive Infrastruktur untergräbt die organisationale Hierarchie. Nur, was kommt nach dem Management? Ein Buch sucht eine Antwort.

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Von dem Entwicklungsbiologen und Philosophen C. H. Waddington stammt ein Bild, das gerne herangezogen wird, um den epochalen Bruch zu veranschaulichen, den die industrielle Revolution mit sich brachte. Wenn ein alter Römer 18 Jahrhunderte später wieder auf die Welt gekommen wäre, schrieb Waddington, "hätte er sich in einer Gesellschaft wiedergefunden, die er ohne große Schwierigkeit verstanden hätte". Nach 1750 wurde diese Kontinuität unterbrochen; die Welt war plötzlich eine andere. 

Ein ähnliches Bild wählt Martin Kornberger als Einstieg seines Buches. In seinem Gedankenexperiment ist es ein Manager, der aus dem Jahr 1975 in eine Konzernzentrale im Jahr 2015 gebeamt wird. Wie lange würde er wohl brauchen, um sich in seiner neuen Umgebung zurechtzufinden, fragt Kornberger. Und wie lange könnte er wohl die Zeitreise verbergen, ohne als heillos antiquiert, rückständig und überfordert aufzufallen? "Mein Verdacht: Seine Zeitreise bliebe unentdeckt." Auch Kornberger steuert mit seinem Beispiel auf einen Epochenbruch hin. Es ist kein grundlegender gesellschaftlicher Wandel wie der von der Agrar- zur Industriegesellschaft, sondern ein Bruch auf der Ebene eines Systems (wobei der sich durchaus in einen größeren Wandel einordnen oder diesen anzeigen kann): Es geht um Management.


Es braucht einen neuen Code: Plan B


Kornbergers Manager von 1975, der sich in der Meetingwelt im Jahr 2015 bestens zurechtfindet, ist Indikator eines Problems, eines Widerspruchs, den der Autor gleich auf der dritten Textseite dingfest macht: "Management, das für Innovation, Dynamik und Veränderung steht, soll selbst davon ausgenommen sein." Es erweist sich als veränderungsresistent. Die Verhaltenscodes, die Tools und Methoden zur Gestaltung und Steuerung von Organisationen, die es anbietet, haben sich kaum verändert, "die Welt allerdings schon". Die Digitalisierung und die Herausbildung eines kognitiven Kapitalismus haben unsere Welt in einem Maße verändert, dass die herrschenden Managementcodes, so der Autor, "sich nicht mit einem einfachen Systemupdate überholen" lassen. Es braucht einen neuen Code: Plan B. Das Buch will erzählen und analysieren, wie die neue Ökonomie des Wissens und der Innovation die bestehenden Organisationen unterwandert, wie die Hierarchie von der Technologie unterlaufen und ausgehebelt wird. Es ist eine Geschichte von Subversion und Sabotage, die in den bescheidenen Versuch mündet, "doch wenigstens ein paar Zeilen in einem neuen Code zu schreiben".  

Management Reloaded: Plan B ist ein kluges Buch mit vielen scharfsinnigen Formulierungen, die dem noch nicht hinreichend verstandenen Phänomen des Managers und des Managens auf die Spur zu kommen suchen. Kornberger orientiert sich dabei weniger am Managementdiskurs, ihm geht es um das große Bild, um die große Entwicklungslinie. Sein Referenzpunkt ist weniger Taylor, der Begründer des wissenschaftlichen Managements, sondern Smith, der die Arbeitsteilung zwar nicht als Erster beschrieben, wohl aber mit seinem Beispiel der Stecknadelfabrik den Topos geprägt und zugleich die Grundlagen der ökonomischen Lehre gelegt hat.


Die wichtigste kulturtechnologische Erfindung des 20. Jahrhunderts


Referenzpunkt ist Adam Smith vor allem auch, weil sich in seiner Person eine geradezu dramatische Wegscheide kristallisierte. Spannend ist Kornbergers Interpretation, wonach Smiths erstes, sein moralphilosophisches Werk Theorie der ethischen Gefühle nicht bloß vergessenes Erstlingswerk war, sondern der gescheiterte Versuch, soziale Ordnung aus dem Gefühl der Empathie zu begründen. "Der Versuch, Korrespondenz zwischen den Menschen aus Mitgefühl abzuleiten, scheitert." 17 Jahre später wagte Smith einen neuen Versuch und lieferte mit der den Eigennutz der Menschen ausgleichenden unsichtbaren Hand des Marktes eine neue Erklärung, die wohl nicht zuletzt deshalb so erfolgreich war, weil sie wirtschaftliches Handeln per se legitimierte. Die unsichtbare Hand würde schon für einen Ausgleich sorgen.  

Ganz im Unsichtbaren blieb die Organisation von Wertschöpfung aber dennoch nicht. Der Manager ist "die sichtbare Hand" im ökonomischen Spiel, sagt Kornberger. Er ist der Koordinator der Wertschöpfungsprozesse. Er wurde der Herr der Organisation. Und die Organisation ist im 20. Jahrhundert zur dominierenden Form geworden, kollektives Handeln zu, ja, organisieren. Management ist damit "die vielleicht wichtigste kulturtechnologische Erfindung des 20. Jahrhunderts", schreibt der Autor ganz im Einklang mit Peter Drucker.  

Was aber tut nun ein Manager? Einfache Tätigkeitsbeschreibungen funktionieren bei diesem Berufsbild wahrscheinlich weniger als bei allen anderen - die Antwort "managen" hilft jedenfalls nicht weiter. Kornberger hält sich nicht lange mit der Managementwirklichkeit entlehnten oder aus soziologischen Kategorien abgeleiteten Tätigkeitsbeschreibungen auf, sondern entwickelt sein Berufsbild um den Begriff der Information - um diese Stellenbeschreibung des Managers dann mit der zentralen Bedeutung von Wissen und Lernen im kognitiven Kapitalismus zusammenprallen zu lassen.


Die kognitive Infrastruktur untergräbt die organisationale Hierarchie


Ein Manager verdoppelt zunächst die Organisation auf Papier. Dabei muss er die Organisationswelt vereinfachen und verflachen, um sie für bürokratische Routinen, für Tools und Methoden bearbeitbar zu machen. Mit anderen Worten: Er reduziert Komplexität, um Vergleich- und Berechenbarkeit - und auf deren Basis Entscheidungen in Hierarchien - zu ermöglichen; er erhöht damit aber zugleich die Komplexität, weil er neben der sozialen Realität der Organisation nun die zweite Ebene ihrer Beschreibung, Bearbeitung und Steuerung schafft. Das, könnte man ergänzen, funktioniert bestens, solange die Produkte einfach und die Stückzahlen hoch sind - und idealerweise alle Autos schwarz, wie bei Fords T-Modell. Aber es funktioniert nicht mehr, wenn "Wissen und seine Entwicklung (Lernen)" zur zentralen Ressource werden: im kognitiven Kapitalismus.  

Das ist nicht alles ganz neu, aber mit schönem Gespür für Paradoxien herausgearbeitet, immer bedacht darauf, einen eigenständigen Text niederzuschreiben - manchmal hätte man sich allerdings gewünscht, der Autor hätte ein wenig deutlicher einfließen lasen, auf wessen Schultern er da turnt. Die summarischen Quellenhinweise im Anhang sind zwar elegant, aber für eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Text zu lückenhaft.  

Egal. Entscheidend ist (was man allerorten beobachten kann): "Die kognitive Infrastruktur, die wir um uns herum aufbauen, untergräbt die organisationale Hierarchie." Netzwerke erweisen sich als die bei Weitem angemessenere Form von Organisation, um mit verteiltem Wissen umzugehen. Auch das nicht ganz neu, aber Kornberger geht es um Zusammenführung und Verdichtung, um eine in sich geschlossene Erzählung - aber auch um experimentelles Kartografieren neuen Terrains. In diesem Sinne identifiziert er drei strategische Knotenpunkte in Netzwerken: erstens Interfaces als Filter, die den kommunikativen Austausch zwischen heterarchisch verteilten Subsystemen "steuern"; zweitens "partizipative Architekturen, die es Netzwerkmitgliedern mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Motivationen ermöglichen, arbeitsteilig an komplexen Projekten mitzuarbeiten", und drittens evaluative Infrastrukturen, die eine Form von emergenter Kontrolle ermöglichen - und schon ein wenig an Dave Eggers’ Circle-Unternehmen erinnern: ein Unternehmen, das die Tätigkeit der Mitarbeiter und die Erledigung ihrer Aufgaben qua digitaler Transparenz minutiös protokolliert. Eine in der Realität bereits weit fortgeschrittene Option.


Die Alternative: das Individuum im Mittelpunkt


Auch Kornberger wählt eine kalte, systemorientierte Perspektive. Ihn interessieren Paradoxien mehr als Menschen. Die kommen bei ihm allenfalls als Träger von Motiven vor, nicht aber als Wesen aus Fleisch und Blut, auch nicht als Träger von Wissen, das sie über eine lange Arbeitsbiografie hinweg akkumuliert haben.  

Kornberger bekommt den Menschen nicht in den Blick - und damit entgeht ihm ein zentraler, ein entscheidender Punkt. Dabei ist er nah dran. Der Manager müsse behaupten, mehr zu wissen und besser zu wissen, was die Zukunft bringt, schreibt der Autor zutreffend. Aber er sieht nicht, dass der behauptete Informationsvorsprung gegenüber denjenigen, die die Arbeit ausführen, geradezu konstitutiv für Management ist: Der Manager weiß in der Organisation am besten, was wann wo und wie zu tun ist. Aus diesem Wissensvorsprung leitet sich sein Anweisungs- und Kontrollanspruch ab. Der Manager weiß mehr als der einfache Arbeiter.  

Obwohl Kornberger so stark auf Wissen und seine Verteilung in Organisationen fokussiert, entgeht ihm dieses so fundamentale Gefälle, das aus einer Zeit herrührt, da Taylor seinem Beispielarbeiter noch zeigen musste, wie man Gusseisenblöcke hebt - ein Gefälle, das aber durch die Entwicklung der Arbeit selbst zunächst eingeschliffen und letztlich sogar umgekehrt worden ist. Heute weiß der Arbeiter mehr über seine Arbeit als jeder andere in der Organisation, das Management eingeschlossen. Im Sinne dieser Definition Peter Druckers sind heute (fast) alle Wissensarbeiter. Dass dieser Begriff seine Aussagekraft verloren hat, ist kennzeichnend für die entwickelte Wissensökonomie. Dieser fundamentale Wandel der Arbeit aber kommt in diesem Buch nicht vor. So ist der Fehlschluss fast unausweichlich.  

"Wenn Koordination aber nicht von außen kommt", schreibt Kornberger, "müssen die notwendigen Informationen über das, was links und rechts von mir geschieht, quasi in der Aufgabe selbst enthalten sein." Die Koordination müsse "quasi in die Aufgabe hineindesignt sein". Sprich von jemandem, der es besser weiß. Das also ist Management reloaded: eben keine Neuerfindung, sondern doch ein Systemupdate unter Beibehaltung der konstitutiven Grundannahme, des Machtanspruchs von Management. Bleibt der erhalten, ist das Circle-Unternehmen die Option.  

Das ist aber nicht das ganze Bild. In einer Wissens- und Innovationsökonomie werden gerade diejenigen Tätigkeiten immer wichtiger, die gerade nicht vollständig beschreibbar sind. Für die es den Menschen braucht: sein Wissen, sein Können, seine Exzellenz. Das wird entscheidend. Und das betrifft immer mehr auch vermeintlich einfache Tätigkeiten auf dem Shopfloor. Auch hier gewinnt das Individuum mit seinem unverwechselbaren Profil an Qualifikation und Können an Bedeutung. Das Wissen um die Erledigung einer Aufgabe wird also nicht in diese hineindesignt, sondern liegt in den Köpfen der Mitarbeiter. Das ist die humane Alternative, auch zum Circle-Unternehmen: eine Arbeitswelt, in der das Individuum mit seinem Können im Mittelpunkt steht.


Mit neuen Formen sozialer Organisation experimentieren


Für die Koordination der Netzwerke, in denen Arbeit und Wertschöpfung geschieht, führt Kornberger genau eine solche Figur ein, und hier wird das Buch auch wieder richtig gut. Zwar kenne die Netzwerkökonomie keine sichtbare Hand mehr, das bedeute aber nicht, dass so etwas wie Management obsolet würde, sagt Kornberger. Und bietet für die Funktion des Netzwerkmanagers den Diplomaten als alternative Denkfigur an: Den Diplomaten als jemand, "der Beziehungen zwischen Systemen mit Eigensinn und -logik auslotet" und zwischen Akteuren mit divergierenden Interessen vermittelt: "Wer ein Fließband optimieren will, braucht einen Ingenieur. Wer aber ein Netzwerk orchestrieren will, braucht einen Diplomaten." 

Richtig liegt der Autor auch mit seiner Vermutung, dass sich neue Formen des Austausches beziehungsweise der Korrespondenz entwickeln, "in denen Elemente des Marktes und der Hierarchie neue Hybride bilden" und "Menschen mit neuen Formen sozialer Organisation experimentieren". Es wird bereits experimentiert. Und es wird weiter experimentiert und kombiniert werden. Ein Manager wird sich dann nicht mehr zurechtfinden.  


Zitate


"Was wir brauchen, ist Managementinnovation - das heißt neue Formen der Organisation und Steuerung kollektiven Handelns." Martin Kornberger: Management Reloaded: Plan B

"Wer ein Fließband optimieren will, braucht einen Ingenieur. Wer aber ein Netzwerk orchestrieren will, braucht einen Diplomaten." Martin Kornberger: Management Reloaded: Plan B

 

changeX 13.11.2015. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Management Reloaded: Plan B. Murmann Publishers, Hamburg 2015, 190 Seiten, 20 Euro, ISBN 9783867744706

Management Reloaded: Plan B

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Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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