Mut und Fantasie

Berthold Leibinger: Wer wollte eine andere Zeit als diese
Text: Jost Burger

Er machte aus einer kleinen Blechverarbeitung ein legendäres Unternehmen mit Weltgeltung: die Maschinenbaufirma Trumpf. Seine Erinnerungen sind ein Stück deutsche Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte. Und zeigen, dass wir vom grundsoliden Einfallsreichtum der Aufbaugeneration immer noch lernen können: Berthold Leibinger.

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Dies ist ein schwäbisches Buch. Und es ist ein eigenartig Ding mit den Schwaben. Man sagt ihnen nach, sie seien sparsam, nüchtern und mit einer Art innerer, gleichwohl gemeinschaftlich begangener Kehrwoche ausgestattet. Zugleich gelten sie als ideenreich, clever und unverdrossen dem freien Unternehmertum zugeneigt.  

So gesehen ist Berthold Leibinger ein Schwabe, wie er im Buche steht. Im eigenen Buche, denn Leibinger, legendärer Eigentümer und Lenker des ebenso legendären Maschinenbauers Trumpf, hat seine Memoiren vorgelegt. Wer wollte eine andere Zeit als diese heißt sein Lebensbericht - und der spät geborene Leser beneidet Leibinger am Schluss der Lektüre tatsächlich um die Zeit, in der so viel möglich war und die Leibinger so gut zu nutzen verstand. 

Leibinger, 1930 in Stuttgart in eine ebenso kunstsinnige wie geschäftstüchtige Familie geboren - sein Vater handelte mit ostasiatischer Kunst -, begann sein berufliches Leben zusammen mit der jungen Bundesrepublik. In der Stuttgarter Fabrik für Stanzmaschinen von Christian Trumpf fand er nach Lehre und Maschinenbaustudium eine Heimat, der er ein Leben lang verbunden blieb. Am Ende seiner Karriere hatte er das Unternehmen nach und nach gekauft und zu seinem eigenen Familienunternehmen gemacht.  

Man erfährt in diesem Buch viel über Leibingers Tätigkeit in diversen Aufsichtsräten und Verbandsämtern, unter anderem als Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), einem der wichtigsten Branchenverbände schlechthin. Man erfährt von diversen Familienanwesen, Amerikareisen, Bundesverdienstkreuzen und seiner Liebe zu Bach und der deutschen Literatur. Und man hat mit dem Buch einen kompakt geschriebenen Ausschnitt aus der (west)deutschen Wirtschaftshistorie nach dem Zweiten Weltkrieg nebst einigen Portionen Technikgeschichte.


Das Wirtschaftswunder: Mut und Fantasie


Doch viel mehr ist die Frage, wie aus einem kleinen Betrieb für Blechbearbeitungsmaschinen, der 1950 rund 145 Mitarbeiter zählte, einer der weltweit größten Anbieter von Werkzeugmaschinen werden konnte, der im Bereich industrieller Laser und Lasersysteme als Weltmarkt- und Technologieführer gilt. Denn es ist auch die Frage nach dem deutschen Wirtschaftswunder. Die Antwort liegt, wir ahnen es, in der schwäbischen Natur, die wir kurzerhand als exemplarisch deutsch bezeichnen wollen. Leibingers eigene Worte machen das deutlich. Am Ende eines in seiner buchhalterischen Aufzählungslust etwas unbeholfen wirkenden Kapitels über das Familienleben mit Frau und drei Kindern Ende der 60er schreibt er: "So haben wir das Jahr 1968 bewältigt. Mit Familie, Bürgerlichkeit, Tradition - und Arbeit." Ehrenhaft und arbeitsam - und vielleicht ein bisschen langweilig, gerade im turbulenten 68. Doch an anderer Stelle heißt es: "Die Verknüpfung von Mut und Fantasie schien mir der einzige Weg zu sein, um rasch dem Ziel näherzukommen, ein anerkannter Maschinenbauer zu werden." Und wenn das kein bodenständiger, typisch deutscher Mut ist: Ende der 50er-Jahre bricht Leibinger, lediglich mit einem Empfehlungsschreiben versehen, mit seiner frisch Angetrauten nach Amerika auf, um dort als Ingenieur zu arbeiten. Freilich mit der Gewissheit, nach zwei Jahren wieder bei Trumpf weitermachen zu können. 

Seiner Heimatfirma bescherte er nicht viel später - da war Leibinger schon Gesellschafter und auf dem besten Weg, die Zügel in die Hand zu nehmen - die Trumatic: "Wir hatten - als erstes Unternehmen auf der Welt - eine Blechbearbeitungsmaschine, mit der man elektronisch und mit einem Werkzeug beliebige Ausschnitte und Korrekturen ausnibbeln, das heißt schrittweise ausstanzen konnte", schreibt er über die 1967 vorgestellte Maschine, die den weltweiten Aufstieg rasant beschleunigte. 1985 dann stellte Trumpf einen selbst entwickelten Industrielaser vor, den es so noch nicht gab - und war damit auf einen Schlag weltweiter Technologieführer. Bis heute.


Weiser Rat für Renditejunkies


Leibingers Geheimnis will einen Namen haben, auch wenn er das nicht schreibt. Dieser Name lautet: Maßhalten. Ob es das kluge, aristotelische Maßhalten ist oder eher die einengend-pietistisch schwäbische Variante, muss man sich allerdings fragen. Es wirkt manchmal ein wenig befremdlich, wie sehr er die Fahne der unschuldigen Aufrichtigkeit gepaart mit optimistischem Streben betont, die seinem Leben - selbstverständlich neben der tiefen Verwurzelung im evangelischen Christentum und dem Familiensinn - Richtung und Halt gegeben habe. Andererseits verursacht es geradezu wohlige Schauer, wenn Leibinger seine ganz eigene finanzielle Nachhaltigkeitsstrategie beschreibt. Die Firmenanteile von Firmengründer Trumpf hatte er nämlich ursprünglich einfach erben sollen. Das Testament wurde geändert - und Leibinger begrüßt das: "Die Firmenanteile wollte ich kaufen und habe dies auch getan - 40 Jahre lang, bis mir und meiner Familie die Firma ganz gehörte." Welch weiser Rat für die Renditejunkies der Unrealwirtschaft. 

Natürlich ist Leibinger zutiefst mit der baden-württembergischen Politik verquickt. Wenn Ex-Ministerpräsident Teufel (CDU) zu Leibingers 70. Geburtstag eine "persönliche und sehr bewegende Rede" hält, dann mag das manchem als schlimme Verquickung von Politik und Wirtschaft erscheinen, wie sie sich gerade im Süden Deutschlands so oft findet und wo sie - das ist wohl unbestritten - oft zu "Vetterleswirtschaft" führt. Zum Primat der Old-School-Ökonomie ohne Umweltbewusstsein und ohne Sinn für neue Formen bürgerschaftlichen Engagements. 

Man mag aber genauso gut zum Schluss kommen, dass diese Verteufelung schlicht Quatsch ist. "Es ist eine einfache Tatsache, dass wir die besten Stunden unseres Lebens in der Arbeitswelt verbringen." Das bezieht sich zwar auf die Gestaltung von Büroräumen, verweist aber auch auf den Aufenthalt im ökonomischen Raum an sich. Der Mensch ist - im ursprünglichen Sinne - eben ein Homo oeconomicus - seit er als Jäger und Sammler durch die Savanne zieht. Und in diesem Sinne immer aufs rechte Maß zwischen Leben und Arbeiten angewiesen. Wenn Leibinger von seiner Liebe zur Literatur und von seiner Arbeit als Vorstandsvorsitzender der Internationalen Bachakademie erzählt, leuchtet sie kurz auf: die Möglichkeit, dass wir das leidige Gerede über die Trennung von Leben und Arbeit, von schönem Leben hier und böser Wirtschaft da überwinden können.


Vorbild für die Zukunft


Ein Thema, aktueller denn je: Wir diskutieren landauf, landab über neue Formen des Arbeitens und des Unternehmertums. Wir werden sie finden, aber ihre Grundzüge waren auch schon einmal da: Risiko mit Augenmaß, größtes Engagement, Gleichgewichtung von administrativer, kreativer und kultureller Beschäftigung und eine wie auch immer geartete Werteorientierung, gerade in Bezug auf die Gesellschaft.  

Leibinger lesen lohnt sich, man muss dann nicht alles neu erfinden. Man kann das auch wie Leibinger ganz "old school" ausdrücken. Anlässlich der Verleihung des "Preises soziale Marktwirtschaft" der Konrad-Adenauer-Stiftung 2003 schreibt er: "Der Gedanke, Freiheit - also Marktgeschehen und Wettbewerb - mit Bindung von Eigentum durch soziale Verpflichtungen zu verknüpfen, ist für mich die Leitlinie und das Erfolgsfundament der Wirtschaft in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg." Man möchte heute die Verpflichtung des Eigentums auch der Umwelt gegenüber hinzufügen. Um den Satz dann denen ins Stammbuch zu schreiben, die sich in der Tradition eines liberalen Wirtschaftsverständnisses wähnen und doch nur ihre unternehmerische Verantwortung dem persönlichen Gewinnstreben opfern. 


changeX 09.12.2010. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Wer wollte eine andere Zeit als diese. Ein Lebensbericht. Murmann Verlag, Hamburg 2010, 336 Seiten, ISBN 978-3-86774-103-3

Wer wollte eine andere Zeit als diese

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Autor

Jost Burger
Burger

Jost Burger ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.

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