Schubs zum Glück

Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt.
Text: Anja Dilk

Menschen treffen oftmals ziemlich schlechte Entscheidungen, nicht nur für sich, sondern auch für die Gesellschaft. Zwei amerikanische Autoren zeigen, wie sich das ändern lässt: Durch fürsorgliche Anreize, den kleinen Schubs – Nudge – zur besseren Entscheidung.

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Jeden Tag treffen wir Entscheidungen. Egal ob kleine, einfache oder große, komplexe Entscheidungen – allzu oft geraten Menschen ins Wanken, trudeln hin- und hergerissen zwischen Gefühl und Verstand, sind beeinflusst von ihrer Umgebung, ohne dies zu durchschauen – und treffen unverhofft die falsche Entscheidung. Falsch für sich oder das Gemeinwesen. Es lasse sich „anhand anerkannter sozialwissenschaftlicher Studien zeigen, dass Menschen in vielen Situationen ziemlich schlechte Entscheidungen treffen – Entscheidungen, die sie nicht treffen würden, wenn sie richtig aufgepasst hätten, umfassend informiert wären und unbegrenzte kognitive Fähigkeiten sowie absolute Selbstkontrolle hätten“, schreiben Richard H. Thaler und Cass R. Sunstein in ihrem Buch Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt.
Dass es auch anders geht, sprich, wie man Menschen einen Schubs zum Glück geben kann, wollen die Amerikaner in ihrem Buch zeigen. Denn Thaler und Sunstein wissen genau, dass Entscheidungen ein höchst komplexes Feld sind, das viele Fallgruben birgt, ein Geflecht, in dem sich Menschen haltlos verheddern können. Entscheidungen entstehen in hochkomplexen und viel weniger rationalen Bahnen, als die Menschen gemeinhin vermuten.


Fürsorgliche Anreize.


Früher war das Zustandekommen von Entscheidungen mehr oder weniger eine Blackbox. Man betrachtete sie rätselnd oder verklemmte sich in der irrigen Vorstellung, Menschen würden selbstverständlich rational entscheiden, indem sie bewusst Alternativen abwägen. Heute haben wir zum ersten Mal Einblick in das Gehirn und können damit wesentlich besser verstehen, was eigentlich in uns passiert, wenn wir entscheiden. Und da wir jetzt mehr darüber wissen, wie sie zustande kommen, können wir uns fragen: Wie können wir bessere Entscheidungen treffen? Und: Wie können wir andere dazu bringen, bessere Entscheidungen zu treffen – ihret- und um der Gesellschaft willen?
Das ist das Ziel von Richard H. Thaler und Cass R. Sunstein. „Libertären Paternalismus“ nennen sie ihren Ansatz und beschreiben damit einen wohlmeinenden Mix aus staatlich initiierten, fürsorglichen Anreizen – Nudges – und hoch bewerteter Entscheidungsfreiheit. „Libertäre Paternalisten wollen es den Menschen leicht machen, ihren eigenen Weg zu gehen; sie möchten niemanden daran hindern, von seinen Freiheitsrechten Gebrauch zu machen. ... Paternalismus ist deshalb wichtig, weil es unserer Überzeugung nach für Entscheidungsarchitekten legitim ist, das Verhalten der Menschen zu beeinflussen, um ihr Leben länger, gesünder und besser zu machen.“ Schlicht, indem man durch bloßes Umarrangieren die Entscheidungslage des Einzelnen beeinflusst.
Ob es darum geht, das Angebot des Schulessens so zu präsentieren, dass sich die meisten Kids für Salat, Milch und Obst entscheiden statt für Pommes, Bouletten und Donuts, ob es darum geht, die Straßenmarkierungen so zu malen, dass Fahrer in scharfen Kurven automatisch langsamer fahren, ob es darum geht, dass Übergewichtige ihre Knabbersucht kontrollieren lernen, junge Menschen freiwillig für ihre Rente sparen oder Menschen geschickt zur Zahlung ihrer Steuern bewegt werden – liberalen Denkern mögen sich auf den ersten Blick die Nackenhaare hochstellen. Fremdbestimmung, Steuerung, Manipulation scheint nicht weit. Wer entscheidet, was das Beste für wen ist? Wie kann garantiert werden, dass die Entscheidungsfreiheit gewahrt bleibt?


Ermunterung zur freien Entscheidung.


Thaler und Sunstein wissen um diese Einwände. Und sie retournieren sie durchdacht. Erstens gibt es überall, wo Menschen zusammenleben, Regeln, Anreize, kurz irgendeine Form von Entscheidungsarchitekturen, auch wenn man sie nicht als solche erkennt. Ob es um veritable Gebäude geht, in denen die Architektur lenkt, wie oft man seinen Kollegen begegnet, oder ob es sich um ein scheinbar unwichtiges Detail handelt, wie eine kleine aufgemalte Fliege in den Urinalen, die 80 Prozent der Männer verleitet, zielgenau zu pinkeln – unser Verhalten wird permanent durch die Umgebung beeinflusst und gesteuert. „So etwas wie eine neutrale ... Gestaltung gibt es nicht.“ Zweitens, und das ist entscheidend, beharren die Autoren bei der Gestaltung dieser Entscheidungsarchitekturen auf Transparenz – eine selbstverständliche Grundlage für den respektvollen Umgang in einer freien Gesellschaft. Unterschwellige Werbung etwa fällt bei dieser Definition kompromisslos durchs Raster.
Wer sich durch die amüsant geschriebenen Seiten liest, erlebt viele kleine Aha-Effekte – so leicht also lässt sich durch die Formulierung eines Hinweisschildes die Umwelt schonen oder der Wasserkonsum bei Hitze steigern? Erstaunlich ist das schon. Insofern könnte man Nudge als eine Art freundliche Ermunterung zur freien Entscheidung lesen. Und was spräche da gegen den einen oder anderen kleinen Schubs, gegen eine zurückhaltende Warnung, ein „Guck mal“, wenn es – ohne bevormundend sein zu wollen – so viel bewirken kann? Auch in wichtigen Fragen.
In Ländern wie Frankreich etwa, in denen den Menschen ein „Nein“ zur Spende abverlangt wird, sind viel mehr Menschen zur Hilfe bereit, als wenn sie sich aufraffen müssten, ein „Ja“ zu erklären – ein höchst effektiver Nudge. Thaler und Sunstein haben ein ganzes Sammelsurium kleiner und großer Entscheidungen angelegt, die von solchen sanften Entscheidungsstoppern abhängig sind. Sie präsentieren eine spannende Denkfigur und – wenn auch zum Teil auf den amerikanischen Markt gemünzt – ein ungewöhnliches Buch voller Überraschungen.


changeX 01.12.2009. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt. Econ Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-430-20081-3

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Autorin

Anja Dilk
Dilk

Anja Dilk ist Berliner Korrespondentin, Autorin und Redakteurin bei changeX.

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