Geradeheraus
Mut zur Wahrheit. Wie wir Deutschland sanieren können - das neue Buch von Utz Claassen.
Von Sigmar von Blanckenburg
Ist Deutschland ein Sanierungsfall? Deutschlands knorrigster Manager meint ja. Mehr noch: Es ist ein Sanierungs-Notfall. Will das Land ökonomisch überleben, müssen harte Reformen her. Nur ein grundlegender Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft kann Deutschland wieder wettbewerbsfähig machen. Dazu brauchen wir Mut, Intelligenz und Tatkraft. Sonst fährt der Zug der Globalisierung ohne uns ab. / 30.03.07
Utz Claassen ist Vorstandsvorsitzender des Energieversorgers EnBW aus Baden-Württemberg und als harter Sanierer bekannt. Seine Fähigkeiten vorführen konnte er bereits bei SEAT und Sartorius. Doch durch seine direkte Art hat er sich nicht immer Freunde gemacht. Gerade zwei Monate war er Präsident des Fußballvereins Hannover 96, dann wurde der Druck von Fans und Mitarbeitern so groß, dass Claassen zurücktrat. Auch sein Amtsantritt bei EnBW verlief nicht ohne Aufsehen. Kein Wunder, denn Claassen ist kein Mann der leisen Töne. Er sagt geradeheraus, was er denkt, auch wenn er sich damit keine Freunde macht.
Beides, seine direkte Art und seine Erfahrungen als Sanierer bringt Claassen nun in sein neues Buch ein. Dessen grundlegende Erkenntnis hatte schon Angela Merkel in schonungsloser Offenheit formuliert. Er zitiert: "Die Kanzlerin hatte recht: Deutschland ist ein Sanierungsfall. Legen wir die Disproportionalität zwischen Staatshaushalt, Verschuldungsniveau und Zukunftsinvestitionen zugrunde, ist es streng genommen sogar ein Sanierungs-Notfall." Claassen erklärt nun auf 381 Buchseiten, wieso das so ist und wie man diese Herausforderung meistern kann.

Zwerge auf den Schultern von Riesen.


Claassen spricht Klartext: Deutschland sei zwar ein starkes Land mit guten Wissenschaftlern, vorzüglichen Unternehmen und toller Infrastruktur - nur, was wir können, können andere inzwischen auch. Wir müssen uns gegen wachsende Konkurrenz auf dem Weltmarkt durchsetzen, wenn wir unseren Wohlstand dauerhaft halten oder vermehren wollen. Claassen sagt: Wir zehren noch vom Wohlstand und der Leistung unserer Eltern und Großeltern, statt uns auf die Zukunft vorzubereiten. Wir sind "Zwerge auf den Schultern von Riesen", so Claassen. Seine These: Vor lauter Angst, etwas Falsches zu tun oder an Lebensqualität zu verlieren, verharren wir in einer gesellschaftlichen Selbstblockade, die den sicheren Abstieg nach sich ziehen wird. Deshalb ist Mut zur Wahrheit gefordert. Und eine sachliche Analyse der Lage, die sich nicht von positiven Börsenkursen blenden lässt. Und damit fängt Claassen auch gleich an: Grundsätzlich findet er es widersinnig, dass wir bei dem Begriff "soziale Marktwirtschaft" eine Marktwirtschaft sehen, die "durch sozial motivierte Eingriffe gebändigt" wird. Denn das würde ja heißen, dass Marktwirtschaft an sich "etwas Falsches, Unanständiges, Unsittliches" wäre - dann aber würde das ganze Konzept keinen Sinn machen. Claassen definiert deswegen anders: Für ihn ist eine Marktwirtschaft sozial, die einen Strukturwandel beschleunigt und so dafür sorgt, dass alle Beteiligten davon profitieren. Man könnte das auch auf die Formel bringen, die die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft in Umlauf gebracht hat: "Sozial ist, was Arbeit schafft."

Nachhaltige Wissens- und Innovationskultur.


Der Widerspruch zwischen unserem falschen Verständnis von Marktwirtschaft und den Regeln der Globalisierung wäre so zu überwinden. Auch eine Neugewichtung der Prioritäten von Freiheit, Gleichheit und Wachstum findet Claassen notwendig. Im Moment werde nämlich Gleichheit auf Kosten von Wachstum und Freiheit ganz großgeschrieben. Nicht zuletzt müssen die Weichen klar in Richtung Wissensgesellschaft gestellt werden. Denn nur mit Wissen und Know-how können wir ein Wachstum erreichen, das uns mehr bringt als die Erhaltung des Status quo. Die "gesellschaftlich-ökonomische Prozesskette" muss wieder ins Laufen kommen, fordert Claassen. Im Moment aber ernteten wir noch, ohne zu säen, kritisiert er. Nach seiner Berechnung gibt Deutschland 60 Prozent des Haushalts für die soziale Sicherung aus, aber nur zehn Prozent für Forschung und Bildung. Claassen fordert deshalb eine "deutliche Reduktion aller nicht zukunftsbezogenen staatlichen Ausgaben". Und schlägt vor, das frei gewordene Kapital für Schuldenabbau, Steuersenkungen und für Bildung zu investieren. Neben üblichen Forderungen nach Verschlankung des Staates, steuerlicher Transparenz, kinderfreundlicher Familienpolitik und mehr Effizienz des politischen Betriebes setzt er vor allem auf die "Entwicklung einer nachhaltigen Wissens- und Innovationskultur".

Erst mal einen guten Burger.


Claassen vertritt klare Positionen, die man nicht teilen muss, die aber beim Lesen gut nachvollziehbar sind. Er integriert auch Gegenargumente und zeigt sich so als Sanierer, der auch abweichende Meinungen mit einbeziehen kann. Und bei aller Härte versteht er es auch, im richtigen Moment das Tempo rauszunehmen. Als bei EnBW die düstere Lage des Konzerns offenbar und die Diskussion im Vorstand hitzig wurde, sorgte Claassen mit einer unkonventionellen Maßnahme für Entspannung. Er schickte einen Fahrer los, Hamburger zu kaufen, und sagte zu den Sitzungsteilnehmern: "Wir machen jetzt erst mal Pause und essen einen guten Burger." Nach dieser Konfrontation mit den weichen Fakten der Globalisierung ließ sich die Lage angstfreier diskutieren - und die Geschichte von EnBW nahm eine wider Erwarten gute Wendung. Auch für Deutschland ist es ganz hilfreich, über die Zukunft nachzudenken, solange es uns noch gut geht.

Sigmar von Blanckenburg ist freier Mitarbeiter bei changeX.

Utz Claassen:
Mut zur Wahrheit.
Wie wir Deutschland sanieren können,

Murmann Verlag, Hamburg 2007,
380 Seiten, 22.50 Euro,
ISBN 978-3-938017-83-8
www.murmann-verlag.de

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Sigmar von Blanckenburg schreibt als freier Autor für changeX.

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