Dezentral in die Zukunft

Hochleistungsnetzwerk Deutschland - das Buch zur Industriestruktur des Landes
Rezension: Jost Burger

Deutschland verdankte seine Leistungsfähigkeit schon immer einem Netzwerk, das Partner aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik verbindet. Das ist die These eines Buches, das sich mit der Zukunft dieses "Hochleistungsnetzwerkes" beschäftigt.

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"Wer erfolgreich sein will, muss Grenzen auflösen können, Offenheit schaffen und ertragen wollen, in den Austausch mit anderen Disziplinen und Kulturen treten." So heißt es in der Einleitung zu einem Buch über das "Hochleistungsnetzwerk Deutschland". Es handelt sich um eine Festschrift zum 70. Geburtstag von Manfred Wittenstein, dem Vorstandsvorsitzenden der Wittenstein AG. Das Unternehmen gehört zu den klassischen "großen" Mittelständlern Deutschlands und ist einer der Weltmarktführer für Mechatronik und Antriebstechnologien. Viele illustre Autoren aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik versammelt der Band. Sogar die Bundeskanzlerin würdigt Wittenstein, der als einer der großen Innovatoren und Netzwerker der deutschen Wirtschaft gilt. Die Beiträge beschäftigen sich mit der Frage, wie Innovation und wirtschaftlicher Erfolg im global vernetzten Deutschland gelingen und weiterhin gelingen können. 

Zum Beispiel Siegfried Russwurm, Vorstandsmitglied der Siemens AG. Er hebt auf die dezentralen Strukturen ab, die in Deutschland für so viel Vielfalt sorgen - und für ein lebendiges Netzwerk. "Die technischen, organisatorischen und ökonomischen Herausforderungen auf dem Weg zum Markt sind heute so komplex, dass ohne Teamwork, funktionierende Netzwerke, Finanzkraft und Kommunikationsstärke keine Innovation mehr möglich ist."


Dezentral zum Erfolg


Der Standort Deutschland erfülle diese Herausforderungen wie kaum ein anderer. Etwa durch die sehr hohe Zahl an Forschungseinrichtungen wie die Fraunhofer-Gesellschaft, die Max-Planck-Institute oder die Leibniz-Gemeinschaft und die Vielzahl an Exzellenzclustern. Russwurm erwähnt die enge Zusammenarbeit zwischen Forschung und Industrie und betont, wie wichtig die individuellen Fördermöglichkeiten durch Kommunen und Regionen sind. Das Fehlen einer zentralistischen Forschungssteuerung ist für ihn letztendlich der Schlüssel zum Erfolg. Zentral geplante Innovation und deren Vermarktung können zwar mit etwas Glück gelingen, wie das Beispiel Japans in den 70er-Jahren zeigt - liegt man aber falsch, so geht gleich die ganze Forschungslandschaft den Bach runter. Das könne im flexiblen Netzwerk Deutschlands nicht passieren.  

Großen Raum nehmen Beiträge ein, die die Anforderungen an diese bestehende Struktur aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft beschreiben. Etwa der Aufsatz von Wolfgang Franz, aktueller Vorsitzender der "Wirtschaftsweisen". Er schreibt über die Zusammenhänge zwischen Arbeitsmarkt, Wohlstand und demografischem Wandel - und beruhigt ausnahmsweise einmal: "Die hiesige Gesellschaft braucht die Zukunft nicht zu fürchten, wenn sie rechtzeitig und zielführend aktiv wird." Nämlich indem Wirtschaft und Wissenschaft weiterhin für Innovationen und die Politik für eine noch bessere Förderung der Grundlagenforschung und der "Humankapitalbildung" sorgen. Und wir alle ein bisschen länger arbeiten.


Geist, Geduld, Geld und Glück


Berthold Leibinger, legendärer Aufsichtsratsvorsitzender bei Trumpf, rät hingegen zur Rückbesinnung auf die alten Tugenden - die vielleicht ein "zweites deutsches Wirtschaftswunder" bringen könnten. Er untersucht, wie das erste funktionierte, und was es hierzulande dazu (wieder) braucht. Zum einen ganz klar weniger Hybris. Ganz unmodern und darin schon wieder modern fordert er mehr Bescheidenheit, und das gilt nicht nur für die inzwischen arg gebeutelten Banker. Leibinger betont die Bedeutung des Maßhaltens, aber auch die Rolle der Partnerschaft auf Augenhöhe zwischen Unternehmen, Politik und Gewerkschaften - etwas, das seiner Ansicht nach in der mittelständisch-familiär geprägten Struktur Deutschlands am besten gelingt. Und er lobt umsichtiges Wirtschaften und eine halbwegs vernünftige Schulden- und Ausgabenpolitik, auch wenn er die Rettung des Finanzsystems an sich begrüßt.  

Und die Innovation? Geist, Geduld, Geld und Glück - diese vier G nennt er als Voraussetzung zum Gelingen. Man könnte auch sagen: Neugier, Ausdauer, eine gute Kapitalausstattung und den richtigen Riecher. Wer am Standort Deutschland zweifelt, mag sich von Leibingers optimistischer Haltung getröstet fühlen, denn alle diese Güter sieht er nach wie vor in übervollem Maße hierzulande vorhanden. So wie schon damals, als das erste Wirtschaftswunder entstand.  

Wissen will man vielleicht beispielhaft auch, was Hans-Werner Sinn zum Thema beizutragen hat. Über die Finanzmärkte der Zukunft schreibt der ifo-Chef und macht gleich klar: Gekracht hat es, weil das Finanzsystem zum Kasino verkommen sei. Welche Lehren zieht er aus der Krise? Wie soll ein Hochleistungsnetzwerk finanziert werden, das ja nicht nur sein geistiges Kapital aus der ganzen Welt bezieht? Zunächst liefert uns Sinn einen sehr konzisen Rückblick auf die Entwicklung der Bankenkrise. Dort heißt es seiner Meinung nach anzusetzen. Er fordert nach dem Basel-III- ein Basel-IV-System, das an Banken noch strengere Anforderungen stellt - so müsse das Mindesteigenkapital der Banken deutlich erhöht werden. Zudem soll ein Basel-IV-System idealerweise weltweit, zumindest in den G-20-Ländern gelten. Die Rechnungslegung und damit die Dokumentationspflichten müssten weltweit harmonisiert werden. Und es brauche klare Sanktionsmöglichkeiten, wenn gegen die Ordnung verstoßen wird. Gerettet werden sollten systemrelevante Banken weiterhin - aber indem der Rettungsfonds im Gegenzug für die Bereitstellung von Kapital Anteilseigner wird. Sinn wiederholt damit noch einmal sehr prägnant das Argument, demzufolge das Altkapital einer Bank "in Haftung" genommen werden soll und nicht einfach öffentliche Geldgeschenke das Weiterwursteln wie bisher erlauben.


Netzwerke brauchen Knoten


Einen Blick in die Zukunft wirft schließlich auch Christian Abegglen. Der Chef der St. Galler Business School beschreibt in seinem Beitrag die in jüngster Zeit so oft beschworene Netzwerkökonomie, in der wechselnde Partner, Kunden und Konkurrenten gemeinsam Neues hervorbringen. Jedoch lenkt er den Blick auf die Tatsache, dass es auch in einer solchen Ökonomie Lebenszyklen gibt. Kooperationen durchlaufen Phasen, die aus der Ideenfindung, der Suche nach Partnern und Lösungen, der wirtschaftlichen Ausbeute und dem Ende dieses Netzwerkes bestehen. Der interessanteste Aspekt ist aber sein Hinweis, dass aus diesem Ende vielleicht ein neues Netzwerk aus denselben oder ähnlichen Partnern beziehungsweise mit ähnlichen Strukturen entstehen kann, das mit anderen Netzwerken in einen Wettbewerb tritt. Ob daraus neue, feste Einheiten entstehen - neue Unternehmen mit der gesamten klassischen Wertschöpfungskette -, ist unklar. Fest steht für ihn, dass sich Unternehmen in Netzwerken nicht verlieren und bei aller Kooperation den eigenen Kern, die innere Struktur nicht vernachlässigen dürfen. Sonst gehen dem Hochleistungsnetzwerk die Knotenpunkte aus.  

Eine originelle und sehr persönliche Darstellung Wittensteins Leben und Werden bietet das Buch natürlich auch. Sie liefert einmal mehr die spannende Geschichte eines weltoffenen und zielstrebigen Mittelständlers, der das Unternehmen seines Vaters an die Weltspitze geführt hat. Wer sich mit wichtigen Aspekten der hiesigen Netzwerkökonomie vertraut machen will, ist mit den prägnanten Beiträgen dieses Buches bestens bedient.  


changeX 24.01.2013. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Hochleistungsnetzwerk Deutschland. Wertschöpfung und Wohlstand für die Zukunft. Murmann Verlag, Hamburg 2012, 320 Seiten, 29.90 Euro, ISBN 978-3867742153

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Autor

Jost Burger
Burger

Jost Burger ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.

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