Auf dem Weg zum Bruttosozialglück?

Die Studie Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden in Deutschland.
Text: Sascha Hellmann

Wirtschaftswachstum ist ein schlechter Maßstab für gesellschaftliches Wohlergehen. Weltweit ist das Bruttoinlandsprodukt deshalb in Verruf geraten, läuft die Suche nach neuen Indikatoren. In Deutschland gibt es dazu zumindest schon mal eine Studie. Sie sucht nach einem Lebenszufriedenheitsindikator.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Maß für die wirtschaftliche Leistung einer Volkswirtschaft in einem bestimmten Zeitraum galt stets als zentraler Indikator für das Wohl einer Gesellschaft. Doch trotz steigender Wirtschaftsleistung hat sich die Lebenszufriedenheit in Deutschland seit Beginn der 90er-Jahre nicht erhöht; in Westdeutschland ist sie sogar gesunken. „Wirtschaftswachstum bedeutet also nicht automatisch mehr Wohlstand im Sinne von Lebensglück“, heißt es in der Studie Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden in Deutschland: Studie zur Konstruktion eines Lebenszufriedenheitsindikators („Glücks-BIP“), die die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft beim Centrum für angewandte Wirtschaftsforschung Münster in Auftrag gegeben hat.
Wenn es aber nicht materieller Wohlstand allein ist, was dann befördert das Glück? In Deutschland fällt die Antwort schwer. Hier gibt es bislang keinen Lebenszufriedenheitsindikator, sondern wird immer noch Einkommen und Wirtschaftswachstum als Maß herangezogen. Doch das BIP allein kann kein verlässliches Wohlstandsmessinstrument sein. Denn es sagt wenig über Umweltschäden, Einkommensverteilung, Vollbeschäftigung und soziale Sicherheit aus. Darüber hinaus hat die internationale Glücksforschung zeigen können, dass auch weitere Faktoren wie Arbeitsplatzsicherheit, Einkommensverteilung, Gesundheit, Vermögen, Familienstatus, Alter und Region für die Lebenszufriedenheit wichtig seien. Ziel des „Glücks-BIP“ sei es also, klassische Wohlstandsmaße wie Einkommen und Wirtschaftswachstum durch glücksrelevante Indikatoren zu ergänzen.


Ausdruck von Gelassenheit


So zerfällt das Glücks-BIP in makroökonomische Glücksfaktoren wie Pro-Kopf-Einkommen, Arbeitslosenquote und Einkommensverteilung, in mikroökonomische Glücksfaktoren wie soziale Sicherheit und Arbeitsmarktflexibilität sowie in mikroökonomische Kontrollvariablen wie Gesundheit, Geschlecht und Alter. Darüber hinaus gehen folgende Einzelfaktoren in das Glücks-BIP ein: Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, Arbeitslosenquote der abhängigen Erwerbspersonen, Ungleichheit der Einkommensverteilung, Realisierung gewünschter Arbeitszeit, Arbeiten im erlernten Beruf, die Chance, eine gleichwertige Stelle zu finden, Sorge um Arbeitsplatz und finanzielle Sicherheit, jährliches Nettohaushaltseinkommen nach Steuern, schließlich Wohneigentum und guter Gesundheitszustand. Das Glücks-BIP schwankt im Untersuchungszeitraum (1991 bis 2008) leicht und zeigt am Ende einen Aufwärtstrend.
Im Vergleich mit dem realen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zeigt sich: „Es folgt der Konjunktur mit etwa einem Jahr Verzögerung, was sich wahrscheinlich daraus erklärt, dass auch der Arbeitsmarkt mit entsprechender Zeitverzögerung auf Wachstumsschwankungen reagiert. Das Glücks-BIP ist zudem weniger volatil, was auf eine gewisse Gelassenheit der Menschen beim Umgang mit konjunkturellen Schwankungen hindeutet.“ Auffallend ist, dass trotz ständigen Wirtschaftswachstums das Glücks-BIP keinen steigenden Trend aufweist. „Offenbar kommt es also weniger auf das Niveau als vielmehr auf die (ständige) Veränderung des materiellen Wohlstands an: Solange dieser steigt, herrscht (unveränderte) Zufriedenheit, bei wirtschaftlicher Stagnation werden die Menschen jedoch bereits unzufrieden.“
Im Vergleich mit der im Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) erfragten Lebenszufriedenheit zeigt sich eine gute Annäherung: Zwischen 1991 und 1997 sinken sowohl Lebenszufriedenheit als auch das Glücks-BIP relativ stark, um sich danach bis 2007 wiederum etwa gleich stark zu erholen. „Eine vollständige Übereinstimmung des Glücks-BIP mit der im SOEP erfragten Lebenszufriedenheit ist dagegen weder zu erwarten noch beabsichtigt, weil in das Glücks-BIP ja bewusst nur solche Glücksfaktoren eingehen, welche von der Politik beeinflussbar sind.“


Der Mensch lebt nicht vom BIP allein


Das Fazit der Studie lautet eingangs kurz und knapp: „Der Mensch lebt nicht vom BIP allein.“ Denn die Analyse der SOEP-Daten zeige in Übereinstimmung mit der internationalen Glücksforschung, dass neben Wirtschaftswachstum und materiellem Wohlstand noch viele andere Faktoren für die Lebenszufriedenheit eine Rolle spielen. Andererseits scheinen materielle und soziale Sicherheit umso wichtiger zu werden, je besser es den Menschen bereits geht. „Das muss nicht unbedingt für einen Ausbau der Sozialversicherungen sprechen. Private Vorsorge und Vermögensbildung leisten ebenfalls einen wichtigen Beitrag dazu, dass die Menschen sich sicherer fühlen.“
Weiterhin gelte als wenig gesichert, dass mehr Umverteilung glücklicher macht. Zwar wirke sich ein steigendes Einkommen glückssteigernd aus; es sei im Rahmen der Studie jedoch nicht belegbar, dass die zunehmende Einkommensungleichheit unglücklich macht. Vielmehr scheint das Gegenteil zu gelten: „Solange die Einkommen der unteren Einkommensschichten weiter zunehmen, sind überproportional höhere Einkommenszuwächse der reicheren Bevölkerungsschichten offenbar kein Unglücksfaktor.“ Darüber hinaus sollte nicht der große Einfluss übersehen werden, den die persönlichen Lebensumstände und die Lebenseinstellung auf die Zufriedenheit haben. Diese Faktoren lassen sich jedoch durch ein Glücks-BIP nicht erfassen.
Es sei jedoch schon viel gewonnen, wenn die Politik diejenigen Glücksfaktoren positiv gestalten könnte, auf die sie zumindest längerfristig Einfluss hat. Hierzu zählen neben den ökonomischen Rahmendaten auch gesellschaftspolitische Entscheidungen im Gesundheitswesen und in der Renten-, Familien- und Arbeitsmarktpolitik. Und letztlich soll das Glücks-BIP das Bruttoinlandsprodukt nicht ersetzen, sondern nur ergänzen.


changeX 04.03.2010. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Sascha Hellmann ist freier Journalist in Heidelberg. Er arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.

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