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Iterativ, schnell, versuchsweise

"Innovation ist eine Reise mit unbekanntem Ausgang" - ein Gespräch mit Dominik Kenzler und Patrick Steller von Dark Horse
Interview: Winfried Kretschmer

Innovation geht heute anders. Nicht im stillen Kämmerlein (respektive Entwicklungsabteilung) Ideen ausbrüten. Sondern in den Dialog mit potenziellen Nutzern gehen. Offene Räume schaffen. Scheitern möglich machen. Sachen ausprobieren. Prototypen bauen. Testen. Und gegebenenfalls immer wieder einen Schritt zurückgehen. Iterativ also, schnell und versuchsweise. Mit einem angepassten Remix von Methoden. Kurzum: ein neuer Innovationsmodus - eine Annäherung.

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Was ist eigentlich digitale Innovation? Was ist anders? Was neu? Grund für ein Gespräch mit zweien von Dark Horse Innovation. 

Dominik Kenzler ist Mitbegründer und Partner bei der Berliner Innovationsagentur Dark Horse Innovation. Patrick Steller ist Videojournalist, Schriftsteller und Innovationsberater, ebenfalls bei Dark Horse Innovation. Beide sind Co-Autoren des Digital Innovation Playbook und waren neben Christian Beinke und Ioana Petrescu für Konzeption und Text des Buches verantwortlich.
 

Dominik, Patrick, was ist für euch digitale Innovation? 

Dominik Kenzler: Digitale Innovation heißt für uns, Technologie und Mensch in Einklang zu bringen. Es geht nicht um ein Entweder-oder, sondern um die Symbiose aus beidem. Die Technologie rückt ja immer näher an uns heran. Die Interaktion verändert sich. Die Grenzen verwischen immer mehr. Also muss man schauen, wo die Schnittstellen zwischen Mensch und digitaler Technik sind und wie man sie gestalten kann.
 

Welche Grenzen verschwimmen? 

Dominik Kenzler: Bis jetzt schaut man immer in einen digitalen Rahmen, um etwas zu benutzen: das Handy, das Tablet, den PC. Das wird mehr und mehr verschwinden. Sobald wir eine HoloLens oder eine Virtual-Reality-Brille aufsetzen, gibt es keinen Rahmen mehr. Plötzlich verschwimmen digitale und analoge Welt. Das hat Auswirkungen darauf, wie wir mit Technologie umgehen.
 

Dabei ist die Technologie der Treiber? Sie bestimmt die Entwicklung? 

Dominik Kenzler: Manchmal ist die Technologie weiter vorne, manchmal gibt es Bedürfnisse, die sich technologisch noch nicht erfüllen lassen. Ich habe das Gefühl, dass es heute einen starken Anstieg an technologischen Innovationen gibt, dabei aber die Bedürfnisseite wenig berücksichtigt wird. Aber wir sollten uns immer zuerst fragen, wobei uns eine neue Technologie helfen kann. Und es nicht einfach machen, weil es die technische Möglichkeit gibt.
 

Machen, weil es geht, das ist die Diagnose? Technologie wird entwickelt, für die es noch gar keine Bedürfnisse gibt?  

Dominik Kenzler: Genau. Viele der technischen Innovationen heute sind vorwiegend technologisch motiviert. Sie sollen zeigen, was technisch gerade möglich ist. Aber nicht alles, was möglich ist, ist sinnvoll oder schafft Wert. Und wenn es kein Bedürfnis gibt für eine neue Technologie, gibt es meist auch keinen Markt dafür. 

Patrick Steller: Die meisten Unternehmen, die neue Produkte oder Services - Innovationen also - entwickeln, denken von der technologischen Seite her. Sie fragen, was sie mit einer Technologie machen könnten, vergessen aber dabei zu schauen, was der Kunde will und welches Versprechen ihn an das Unternehmen bindet. Das ist der Punkt: Was will der Nutzer eigentlich?
 

Von den Bedürfnissen ausgehen und nicht von der Technik - was bedeutet das für die Entwicklung von Innovationen? 

Dominik Kenzler: Der erste Schritt ist immer die Frage "Können wir diese Bedürfnisse in neue Produkte transformieren?". Dazu muss man sehr viel genauer schauen: Welche Werte, welche Bedürfnisse sind da? Und wie müssen wir Inhalte für diese neuen Technologien gestalten? Das erfordert, in den Dialog mit potenziellen Nutzern zu gehen. Das geht aber nicht schnell oder mal so nebenbei, sondern es ist ein sehr intensiver Prozess und verlangt viel Empathie. Das aber passt nicht so recht in die Arbeitsweise von heute, denn es ist zeitaufwendig und teuer.  

Allgemein gesagt: Wenn wir uns das bekannte Venn-Diagramm mit den drei Kreisen "Nutzer", "technologische Machbarkeit" und "Wirtschaftlichkeit" vor Augen führen, dann sind zwar alle drei Punkte gleich wichtig für ein neues Produkt, aber zuallererst müssen wir auf den Nutzer schauen und versuchen, seine Bedürfnisse zu verstehen. Danach erst kommen Machbarkeit, Wirtschaftlichkeit und das Geschäftsmodell, also die Frage, wie man mit etwas Geld verdienen kann. Doch Unternehmen fangen oft beim Businessplan an. Sie schauen, was gerade in Amerika passiert, um das Businessmodell zu kopieren. Das ist der falsche Ansatz.
 

Was heißt das für Unternehmen? Wie sollten sie mit digitaler Innovation und digitaler Transformation umgehen? Die Verunsicherung ist ja groß. 

Dominik Kenzler: Ich bin mir gar nicht sicher, ob diese Verunsicherung mit Digitalisierung zu tun hat oder mit Bürokratie: mit der Bürokratisierung der Unternehmen, gerade in Deutschland.  

Patrick Steller: Die Unternehmen haben Angst. Sie erleben die Digitalisierung als Angriff der Start-ups aus dem Silicon Valley und wissen nicht, wie sie reagieren sollen. Aufkaufen? Partnerschaften schließen? Selber machen? Egal wie, das muss dann erst durch den Aufsichtsrat, es müssen Projekte ausgeschrieben werden und so weiter - und bis eine Entscheidung fällt, ist das Produkt des Newcomers so weit vorgestoßen, dass die Platzhirsche schon keine Chance mehr haben, außer vielleicht viel Geld für eine Übernahme zu bezahlen. 

Dominik Kenzler: Die Frage, die Unternehmen sich stellen müssen, ist doch: Wie sehr wollen wir das Digitale überhaupt? Wie mutig sind wir? Man muss das ernsthaft wollen. Und nicht nur nach mehr Ideen rufen. Es geht darum, aus Ideen auch etwas zu machen und diese zu den Nutzern zu bringen.
 

Konkret: Was bedeutet das für die Innovationsentwicklung in Unternehmen? 

Dominik Kenzler: Man muss mehrere Ideen probieren, bis eine davon funktioniert. Die Vorreiter, Google, Amazon, Facebook, Apple, hauen x Produkte raus. Die werden getestet und die Projekte dann entweder weitergeführt oder wieder eingestellt. Da gibt es nicht diese Angst, einen großen Fehler zu machen. Ich glaube, man muss offene Räume schaffen, um Sachen auszuprobieren. Und das, was funktioniert, dann auch wirklich auf die Straße bringen.
 

Welche Rolle spielt dabei das Digitale? 

Dominik Kenzler: Das Digitale ermöglicht uns, schnell zu sein. Man kann extrem schnell testen, extrem schnell auf den Markt gehen. Und um die Nutzer zu erreichen, muss das Produkt oft noch nicht einmal fertig sein. Aber der Irrglaube, man brauche ein fertiges Produkt, um an den Markt zu gehen, ist unter deutschen Unternehmen noch weitverbreitet. Aber es braucht kein fertiges Produkt. Man sieht das beim Crowdfunding: Ein gutes Video und ein guter Prototyp reichen aus, Tausende Nutzer auf der Welt zu überzeugen, Geld in ein Produkt zu investieren, das dann vielleicht ein Jahr später auf den Markt kommt.
 

Was ist die Alternative? 

Dominik Kenzler: Zum Beispiel ein "Fake-Start-up" gründen, um sehr schnell Feedback zu einem Produkt einzuholen. Feedback kommt zu spät, wenn man schon mit einem fertigen Produkt auf dem Markt ist. Dann hat man kaum Chancen, etwas zu verändern, wenn es nicht funktioniert. Und dann wird es teuer.
 

"Fake-Start-up" heißt, ein Konzern gründet ein Start-up? 

Dominik Kenzler: Genau. Gründet einfach eine GbR. Nichts Großes, ein Name und ein Produkt. So kommt man dicht an den Nutzer ran. Oder man schaltet zum Beispiel zwei Facebook- oder Google-Anzeigen mit zwei verschiedenen Ideen, legt auf jede dasselbe Marketing-Budget und schaut, welche mehr Engagement kriegt. Da gibt es unzählige Möglichkeiten.
 

Unternehmen können auf diese Weise ein Scheitern riskieren, ohne Angst haben zu müssen, die Marke zu beschädigen. 

Dominik Kenzler: Ein Start-up kann an den Markt gehen und zusammen mit dem Nutzer das Produkt weiterentwickeln, bis es eine Qualität erreicht hat, wo man das skalieren kann. Aber das ist extrem schwierig, wenn im Unternehmen viele Abteilungen und Stellen beteiligt werden wollen. Dann sagt das Marketing-Department vielleicht, mit dem Design könnt ihr noch nicht rausgehen … 

Patrick Steller: … das hat die falsche Farbe, die falsche Schrift … 

Dominik Kenzler: … das müssen erst mal unsere Leute prüfen. Und bis man sich umschaut, sind sechs Monate vergangen. Hier können wir extrem an Geschwindigkeit gewinnen, weil wir digitale Produkte sehr schnell bauen können. Um erst einmal das Wertversprechen zu testen, braucht es nicht die große Technologie. Der Nutzer muss nur verstehen, was der Wert ist, und schauen, ob das für ihn selber sinnvoll ist. Gewinnt man dann das Gefühl, nicht das richtige Wertversprechen zu haben, muss man noch mal zurück und neu beginnen.  

Darauf kommt es an: Einen Raum zu schaffen, wo man nach außen testen kann. Viele Unternehmen testen nur nach innen. Sie haben eine Idee, arbeiten intern daran - und es dauert und dauert, bis sie an den Markt gehen. Doch für ein schnelles, pragmatisches Vorgehen sind die Strukturen nicht gemacht. Vor allem in größeren Konzernen braucht es mehr Geschwindigkeit.
 

Unternehmen müssen agiler werden, um innovativer werden zu können? 

Dominik Kenzler: Auf jeden Fall müssen Unternehmen agiler werden. In der Entwicklung von digitalen Produkten ist Agilität ein Muss. Aber man muss auch sehen, dass bürokratische Prozesse Sicherheit geben und das Risiko minimieren. Und es gibt auch Bereiche, wo Agilität überhaupt keinen Sinn hat: Controlling etwa oder die Rechtsabteilung. Die müssen nicht zwingend agiler werden, sie müssen nur früher in den Prozess eingebunden werden! Auch das passiert zu wenig. Wenn in Unternehmen ein neues Produkt oder ein neuer Service entwickelt wird, setzt sich üblicherweise die Abteilung dran, die das schon immer macht.
 

Das bedeutet: Entwicklungsprozesse bereichsübergreifend anlegen? Abteilungsgrenzen zumindest bei der Produktentwicklung aufheben? 

Dominik Kenzler: Es gilt, alle Beteiligten schon frühzeitig mit in die Entwicklungsarbeit zu integrieren. Extrem wichtig ist dabei ein multidisziplinärer Ansatz. Es sollten unterschiedliche Experten dabei sein: nicht nur aus dem Produktdesign, sondern auch ein Mensch aus dem Marketing, einer aus dem Controlling, einer aus dem Recht, ein Praktikant vielleicht oder ein Programmierer. Wenn die gemeinsam ihre Stärken bündeln, ist das viel wertvoller, als wenn nur die Produktdesigner in Klausur gehen und sich eine coole Idee ausdenken. Sind die unterschiedlichen Experten von Anfang an eingebunden, können sie früh auf Dinge achten, die für ihren Bereich wichtig sind, sie verstehen aber auch das große Ganze und stellen sich dann später nicht quer. Neues scheitert in Unternehmen ja auch deshalb, weil die nächste Abteilung, die das Projekt prüfen, bewerten und durchwinken muss, die Idee nicht versteht. Ganz einfach, weil sie nicht in den Prozess involviert war.  

Klar muss aber auch sein: "Ihr als Team macht das Produkt!" Das ist die Voraussetzung für Zusammenarbeit. Man braucht verschiedene Köpfe, aber alle müssen das Ziel haben, dass dieses Produkt das beste Produkt wird, das man machen kann. Dieses Mindset ist wichtig.
 

Das ist das Thema Führung. Es gilt, die Trennlinie zwischen, wie ihr es nennt, "Machern" und "Möglichmachern" zu überwinden?  

Patrick Steller: Die Möglichmacher sind diejenigen, die im Unternehmen den Raum für ein Projekt - die Zeit, das Budget und den Freiraum, zu scheitern - schaffen müssen. Aber Macher und Möglichmacher kommunizieren auf unterschiedlichen Ebenen … 

Dominik Kenzler: … und trotzdem haben sie ein gemeinsames Ziel: Sie wollen beide ein neues, gutes Produkt schaffen. Deswegen sollte ein Manager dem Team den notwendigen Freiraum verschaffen, er sollte sie unterstützen. Statt zu kontrollieren und zu sagen, was falsch ist.
 

Was ja der Kern eines neuen Führungsverständnisses ist: Möglichmachen, Räume schaffen anstelle von Anweisen und Kontrollieren … 

Patrick Steller: Kontrolle ist ja trotzdem möglich. Das Team hat den Freiraum, zu entwickeln, muss aber an bestimmten Punkten des Prozesses präsentieren und sich verantworten; damit hat der Möglichmacher eine Chance, korrigierend einzugreifen. 

Dominik Kenzler: Wenn eine Führungskraft mit dem Herzen dabei ist und das Team diesen Support und diese Wertschätzung spürt, entsteht ein großes Potenzial. Man darf ja auch nicht vergessen, dass beide Parteien, die Führungskraft und das Team, das gleiche Ziel haben, das es zu erreichen gilt.
 

Wir haben über Digitalisierung und das Digitale gesprochen. Und über einen veränderten Prozess der Ideenentwicklung, ein neues Innovationsmodell, wenn man so will. Hier stellt sich die Frage: Was ist das bestimmende Moment? Die Digitalisierung oder dieser neue Innovationsmodus, dieses iterative, schnelle, versuchsweise Vorgehen? 

Patrick Steller: Das Digitale hat die Dauer von Produktzyklen verändert. Die Welt dreht sich gewissermaßen schneller, und das führt dazu, dass traditionelle Unternehmen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten auf einem bestimmten Markt behauptet haben und, wie Dominik vorhin sagte, Prozesse aufgebaut haben, die Sicherheit geben sollen, heutzutage gar nicht mehr agil genug sind, um schnell auf Veränderungen im Markt reagieren zu können. Puh, was für ein langer Satz … 

Kurz: Unsere Art der Innovationsarbeit, die wir auch mit dem Playbook propagieren, hilft Unternehmen also, wieder in Schwung zu kommen. Ohne den Prozess der digitalen Transformation hätte es im Umkehrschluss auch nicht diesen neuen Innovationsmodus, wie du ihn bezeichnest, gegeben.
 

Zu eurem Buch: Digital Innovation Playbook steht drauf, aber eigentlich ist es ein rein analoges Produkt. 

Dominik Kenzler: Aber es ist mit digitalen Prozessen entstanden. Digitale Kanäle zu nutzen, war die einzige Möglichkeit, um das überhaupt schreiben zu können. Aber richtig, es ist ein analoges Buch. Für uns ist das eine Stärke. Das ist ein kleiner Widerspruch, aber mit Sinn. Denn in unserem Team arbeiten wir sehr, sehr gerne analog. Wir aggregieren getrennt; wenn wir Informationen recherchieren, Nutzerinterviews machen oder am Computer etwas entwickeln. Sobald wir aber die Dinge zusammenbringen und synthetisieren, also daraus Sinn schaffen wollen, arbeiten wir im Team. Wir sitzen dann zusammen mit Post-its und Papiervorlagen.
 

Ihr legt in eurem Buch eure Arbeitsweise offen. Seht ihr da nicht eine gewisse Gefahr drin? 

Dominik Kenzler: Wir sehen nicht die Gefahr, unsere Geheimnisse zu verraten, denn wirklich große Geheimnisse sind es ja nicht. Wir verstehen es als einen Remix der Methoden. Wir nutzen sehr viele Methoden, die alle von schlauen Leuten entwickelt worden sind, und wir sind extrem dankbar dafür, dieses Material zu haben. Wir haben immer davon profitiert, dass Leute ihr Wissen geteilt haben. So wollen wir auch etwas dazu beitragen, das zu teilen, womit wir glauben, erfolgreich arbeiten zu können.
 

Welcher Methoden habt ihr euch bedient? Und was ist das jeweils Beste daraus, das ihr zur Anwendung bringt? 

Dominik Kenzler: Wir vereinfachen vieles, um die Methoden für uns anwendbar zu machen. Der Rahmen stammt aus dem Design Thinking. Wir haben die Phasen ein wenig vereinfacht, indem wir "Understand" und "Observe" zusammengenommen haben: Bei uns heißt das "Explore", das ist Recherche im Großen. Zudem haben wir die Ideenfindung in die "Create"-Phase genommen. "Prototyping" und "Testen" bilden bei uns auch eine Phase. Das getrennt zu handhaben war uns schon immer ein bisschen suspekt, weil man immer prototypt, um zu testen: Man baut schnell was, aber das Ziel ist immer das Testen.  

Wenn wir beim Testen gemerkt haben, dass die ersten Annahmen bezüglich des Wertversprechens stimmen, gehen wir schnell zum Businessmodell. Hier arbeiten wir mit Business Model Generation, Business Model Canvas und auch Value Proposition Design von Alexander Osterwalder. Dann gibt es von Clayton M. Christensen noch das "Jobs to be Done"-Framework, ebenfalls ein sehr, sehr starkes Werkzeug. Auch für das Lean Testing, also schnell am Markt testen, gibt es verschiedene Tools, vor allem aus dem Buch Lean Startup.  

Wir schauen für jedes Projekt, welche Tools wir benutzen wollen. Das ist auch der Ansatz im Buch. Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist: Es gibt nicht die richtige Methode. Wir können zu Beginn nicht schon sagen, was genau zu tun ist. Die Methode ergibt sich aus dem Problem und aus der Annahme, die man dazu entwickelt.
 

Viele Methodenbücher tun aber genau das: Sie vermitteln den Eindruck, die beste, allein selig machende Methode vorzustellen. 

Dominik Kenzler: Hier liegt auch die Gefahr vieler Design-Thinking-Bücher: dass sie eine Linearität vermitteln. Aber es gibt keine Linearität. Wir haben nicht ein einziges Projekt gemacht, wo wir vorne angefangen und hinten aufgehört hätten und nicht mindestens einmal nach links oder rechts oder noch mal zurück gegangen sind. Das gab es nie. Wir wollen nicht zu Linearität verführen, indem wir behaupten: Du machst jetzt das und kommst dann am Ende da hinten an. Dieses Versprechen wollten wir nicht geben, obwohl es der einfachere Weg ist, wenn man etwas verkaufen möchte, ganz klar. 

Patrick Steller: Aber es ist unseriös. Innovation ist eine Reise mit unbekanntem Ausgang. Wenn du aber nicht weißt, wo du am Ende herauskommst, kannst du den Weg nicht genau bestimmen. Wir können nur Orientierungspunkte geben: Wenn du einen Nutzer kennengelernt hast, hilft es immer, eine Persona zu erstellen. Wenn du einen Prototyp machst, solltest du ihn natürlich testen. Ein paar Sachen ergeben sich also aus einander. Aber wenn du noch nicht herausgefunden hast, was dir die Sicherheit gibt, auf der richtigen Spur zu sein, dann musst du etwas anderes ausprobieren. Wir wollten unterschiedliche Möglichkeiten dazu versammeln.
 

Konkret? Habt ihr ein Beispiel für Methodenmix? 

Dominik Kenzler: Agile Methoden lassen sich extrem gut mit Design Thinking kombinieren. Etwa in Form von Scrum-Loops oder Design-Thinking-Sprints. Man forscht intensiv, was der Nutzer möchte, und geht, wenn man dann eine Vorstellung davon gewonnen hat, mit dieser Annahme in eine schnelle, agile Entwicklung, um dann noch einmal zurückzuschauen, ob die Annahme noch stimmt. Dieses Wechselspiel bringt auf jeden Fall eine gute Geschwindigkeit.
 

Du hast vorhin davon gesprochen, Wissen zu teilen. Ist Remixen eine Methode, Wissen zu teilen? 

Dominik Kenzler: Ja, total. Wir versuchen, Dinge in einen neuen Zusammenhang zu packen. Das ist der Remix. Dadurch entsteht im besten Fall neues Wissen. Und trotzdem basiert das natürlich auf Erfahrungen, die schon funktioniert haben, und auf Methoden, die wir schon getestet haben. Wissen vermehrt sich, wenn man es teilt. Es wird nie weniger. Das ist eine Frage der Kultur - wir kommen aus der Sharing-Generation.
 

Remixen gewinnt an Bedeutung?  

Dominik Kenzler: Ja, remixen gewinnt an Bedeutung. Man kommt ja immer irgendwo her. Wer behaupten würde, nicht zu remixen, würde leugnen, dass ihn Ideen oder Methoden beeinflusst haben. Man kann gar nicht ohne fremdes Wissen zu neuen Ergebnissen kommen. So funktioniert ja Studieren. Die Frage ist nur, wie transparent man damit umgeht.
 

Verhilft uns der Gedanke des Mixens vielleicht zu einem besseren Verständnis von Innovation überhaupt? 

Dominik Kenzler: Man kann gucken, welche Mechanismen hinter Dingen stecken, gerade im Digitalen. Beim Carsharing ist der Mechanismus: "Ich teile." Man kann nun fragen, ob dieser Mechanismus auch in anderen Bereichen funktioniert. Und packt ihn zum Beispiel auf eine Wohnung. Und hat Airbnb. Aber es ist nicht so, dass Airbnb beim Carsharing eine Idee klaut. Remixen funktioniert anders. Es gilt, offen zu sein und immer die Frage zu stellen, warum etwas funktioniert, und zu verstehen, warum die Leute das nutzen. Nicht bloß zu sagen, das funktioniert, also mache ich das auch. 

Patrick Steller: Methoden sind nur Werkzeuge. Ob aber eine Innovation funktioniert oder nicht, ist ganz stark abhängig von den Menschen, die diese Werkzeuge anwenden. Wir suchen das Beste zusammen, was uns in unserer Arbeit hilft, und mixen es so zusammen, dass jeder damit arbeiten kann, ohne sich große theoretische Abhandlungen durchzulesen. Das Ergebnis hängt aber immer noch von den Personen ab, die diese Methode anwenden.
 

Dennoch fällt auf, dass die Methodenvielfalt wächst. Es gibt geradezu eine Inflation von Methoden. Habt ihr eine Erklärung dafür? 

Dominik Kenzler: Die Leute heute versuchen, ihr Wissen extrem zu vereinfachen und seine Vermittlung zu beschleunigen. Hätte man vor fünf oder sechs Jahren einen BWL-Professor um Hilfestellung beim Schreiben eines Businessplans gebeten, dann hätte der einem erst einmal einen 30-Seiter in die Hand gedrückt und gesagt: "Das musst du jetzt alles beantworten und durchrechnen!", und so weiter. Heute kann man eine Business Model Canvas nutzen, und muss dafür nicht einmal BWL studiert haben.  

Das ist ihre Stärke: In Methoden wird Wissen extrem vereinfacht. Es gibt immer tausend Gesichtspunkte, die zu beachten sind, und es gibt tausend Abhandlungen darüber, wie man etwas genau richtig macht. Methoden sagen: Es reicht, wenn du es so machst. Stell dir einfach diese zehn Fragen. Das ist eine extreme Stärke. Das hat auch mit den Start-ups zu tun. Gerade entstehen viele kleine Unternehmen, die einfach nur so schnell wie möglich gründen wollen. Wie das nach Lehrbuch richtig geht, interessiert die gar nicht. Für sie gilt: Vielleicht nicht ganz richtig, aber gut genug. Deswegen können Methoden oftmals ganze Lehrbücher ersetzen.
 

Wir haben ja über die veränderten Bedingungen gesprochen, über Innovationen, die sich beschleunigen, über die Digitalisierung, die ihrerseits beschleunigt. Das ist eine neue Situation, und in neuen Situationen passen alte Werkzeuge nicht mehr. Kann man das so sehen? 

Patrick Steller: Ja. Sagte das nicht schon Albert Einstein? Dominik Kenzler: Ja. Probleme lassen sich niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind. Oder so ähnlich.
 


Das Interview haben wir in einem persönlichen Gespräch geführt.
 


Zitate


"Digitale Innovation heißt, Technologie und Mensch in Einklang zu bringen." Interview Dominik Kenzler, Patrick Steller von Dark Horse Innovation

"Man muss offene Räume schaffen, um Sachen auszuprobieren." Interview Dominik Kenzler, Patrick Steller von Dark Horse Innovation

"In der Entwicklung von digitalen Produkten ist Agilität ein Muss." Interview Dominik Kenzler, Patrick Steller von Dark Horse Innovation

"Wir haben immer davon profitiert, dass Leute ihr Wissen geteilt haben." Interview Dominik Kenzler, Patrick Steller von Dark Horse Innovation

"Es gibt nicht die richtige Methode." Interview Dominik Kenzler, Patrick Steller von Dark Horse Innovation

"Es gibt keine Linearität." Interview Dominik Kenzler, Patrick Steller von Dark Horse Innovation

"Innovation ist eine Reise mit unbekanntem Ausgang. Wenn du aber nicht weißt, wo du am Ende herauskommst, kannst du den Weg nicht genau bestimmen." Interview Dominik Kenzler, Patrick Steller von Dark Horse Innovation

"Wissen vermehrt sich, wenn man es teilt. Es wird nie weniger." Interview Dominik Kenzler, Patrick Steller von Dark Horse Innovation

"Remixen gewinnt an Bedeutung." Interview Dominik Kenzler, Patrick Steller von Dark Horse Innovation

"Man kann gar nicht ohne fremdes Wissen zu neuen Ergebnissen kommen." Interview Dominik Kenzler, Patrick Steller von Dark Horse Innovation

 

changeX 24.02.2017. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Quellenangaben

Zum Buch

: Digital Innovation Playbook. Das unverzichtbare Arbeitsbuch für Gründer, Macher und Manager. Murmann Publishers, Hamburg 2016, 320 Seiten, 34 Euro, ISBN 9783867745567

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Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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